Inhalt

Als Ponger in der Stadtbahn eine junge Frau sieht, die dasselbe Buch liest wie er, ist er sofort fasziniert. Unerwartet ist freilich, dass die barfüßige Unbekannte, die er für sich "Henny" genannt hat, plötzlich die Notbremse zieht und einen spektakulären Abgang über das Bahndach hinlegt. Und dass sie ihm kurz vorher ein Handy in die Tasche steckt mit der Ankündigung, ihn bald kontaktieren zu wollen, ist mehr als Ponger sich erhofft oder gewünscht hat. Plötzlich muss er die Fragen von zwei seltsamen Beamten in Zivil beantworten, die deutlich mehr Interesse an der jungen Frau zeigen, als man es bei einer unerlaubten Notbremsung vermuten sollte. Dabei ist Pongers Leben selbst nicht ganz einfach, schließlich besitzt er selbst keine gültigen Papiere und arbeitet schwarz in einer Reparaturwerkstatt für Flipperautomaten. Doch das Schwierigste ist wohl die Tatsache, dass Ponger keine Erinnerung an sein ganzes bisheriges Vorleben hat. Er lebt bei Pörl, einer älteren Dame, die ihn vollkommen verwahrlost in ihrem Caravan gefunden und ihn bei sich aufgenommen hat. Pörl wird für ihn zur wichtigsten Bezugsperson, die ihm dabei hilft, sich ein neues Leben aufzubauen. Ein fragiles Konstrukt, dass jederzeit einstürzen kann. Und so ist Ponger auch gar nicht begeistert, als die Henny aus der S-Bahn überraschend bei ihm auftaucht und ihm um Hilfe bittet. Ponger mit seinem ungewöhnlichen Geschick für Schaltkreise und Ähnliches soll ihr bei der Reparatur ihres Transportmittels helfen, das sie zurück nach Hause bringen soll. Wo das ist und um was für ein Transportmittel es sich handelt, verrät Henny nicht. Das irritiert Ponger, doch zugleich fühlt er sich auch von der rätselhaften jungen Frau angezogen. Und so begeben sich Ponger, Henny und Pörl schließlich auf eine Fahrt in Pörls einzigartigem Buick auf die Insel Amrum, wo Hennys Transportmittel angeblich lagern soll. Und während Ponger noch mit sich hadert, ob seine Entscheidung Henny zu helfen richtig war und ob er sie so schnell wie möglich loswerden oder bei sich behalten möchte, überstürzen sich plötzlich die Ereignisse.

Kritik

Die Adoleszenz, diese seltsame Zwischenzeit zwischen Kindheit und Erwachsenenalter, kann sich anfühlen, als sei man auf einem fremden Planeten gelandet. Nils Mohls Jugendroman wendet den einfachen, aber effektiven Trick an, das Bild vom Jugendlichen als gestrandetem Alien beim Wort zu nehmen und in eine poetische Selbstfindungsgeschichte zu übersetzen. Dadurch unterscheidet sich Henny und Ponger deutlich von den Romanen aus Mohls Stadtrand-Trilogie, die jeweils mit einem thematischen Motivkomplex versehen waren (Wilder Westen, Ritter, Raumfahrt), der jedoch nie die metaphorische Ebene zu verlassen drohte. Der Überraschungseffekt dieser Durchbrechung der eigenen poetologischen Spielregeln bewahrt diesen Roman davor, sich allzu sehr in einem Gefecht von Anspielungen und Motiven zu verfangen, wie es passagenweise in der Stadtrand-Trilogie der Fall war. Zwar droht auch hier die wiederholte Aufnahme des Außerirdischenmotivs im Text manchmal ins Konstruierte zu kippen und manche Dialoge lesen sich arg programmatisch. Allerdings ist es gerade die Balance zwischen offensichtlich artifiziellem Charakter des Textes und seiner psychologisch realistischen Auslotung adoleszenter Befindlichkeit, die den Texten von Nils Mohl ihren Reiz verleiht, und auch Henny und Ponger macht hier keine Ausnahme.

Atmosphärisch untermalt wird diese mit Rückgriffen auf die Videospielkultur der vergangenen Jahrzehnte, die hier mit dem Motiv des Außerirdischen kombiniert wird:

Ponger legt die Kugel vorsichtig, fast zärtlich in den Abschusskanal zurück, betrachtet den Flipperautomaten. Den Aufbau mit dem Zählwerk ziert das großformatige Bild eines Astronauten, der offensichtlich zu halluzinieren scheint, denn vorm Fenster seiner Raumkapsel sieht er eine Art Alljungfrau, ein anatomisch höchst beeindruckendes Geschöpf in einem Badeanzug. Knallrot, besetzt mit Strass-Sternen. Sie schwebt lächelnd im Vakuum.
Ponger lächelt nicht.

Neben der ironischen Brechung der Begegnung mit Henny, die alles andere als eine extraterrestrische Baywatch-Nixe ist, beschwört der Text auch immer wieder den Charme der Technik vergangener Jahrzehnte, wie etwa der Flipperautomaten aus den 1980er Jahren oder des Buicks von Pörl. Diese Retroatmosphäre in Kombination mit Sci-Fi-Elementen dürfte den Text auch als All-Age-Lektüre anschlussfähig machen.

Doch weit davon entfernt, auf den Markt der Allgemeinliteratur zu schielen, geht es dem Text offenkundig auch darum, Jugendliteratur als eine anspruchsvolle Literaturform zu präsentieren. Das wird nicht nur an der Gestaltung des Textes deutlich, sondern ist auch Gegenstand einiger autopoetologischer Aussagen, die im Roman (nicht immer ganz ungekünstelt) hauptsächlich durch Figurenrede vermittelt werden, etwa wenn einer der Ermittler mit Blick auf Pongers und Hennys gemeinsame Lektüre erst einmal alle Vorurteile gegenüber vermeintlich problembeladener Jugendliteratur formuliert:

„Also […] ich hätte als Jugendlicher ja ums Verrecken kein Jugendbuch freiwillig angefasst. Ist das nicht alles so Problemzeug über Mobbing oder Magersucht mit pickligen Helden?“ (o.S., Kap. 17)

Ist es natürlich nicht, den Beweis will der Roman ganz offensichtlich erbringen, und führt als Gewährsmann unter anderem John Green an, dessen Roman Margos Spuren eben jenes Buch ist, das Henny und Ponger beide in der Bahn lesen. Aber auch Pongers geradezu lebensrettende Lektüreerfahrung ist eigentlich ein kaum getarntes Plädoyer für die Qualitäten der Adoleszenzliteratur:

[…] in die Leihbücherei geht er fast täglich nach Feierabend. Hier findet er Romane, in denen die Mädchen Jackie heißen oder Isa oder Alaska, fantastische Geschöpfe, die dafür sorgen, dass die gemeinsamen Abenteuer den Helden der Bücher ein wohliges Gefühl in der Bauchgegend bescheren.

Jackie ist natürlich eine Figur aus Mohls Debüt Es war einmal Indianerland, die Namen Isa und Alaska verweisen auf Adoleszenzromane von Wolfgang Herrndorf (Tschick, Bilder deiner großen Liebe) und John Green (Eine wie Alaska). Dieser kleine Kanon der neuen Adoleszenzliteratur, in dem sich der Autor Mohl selbst einordnet, wird somit als anspruchsvolle Alternative zur Problemliteratur früherer Generationen positioniert. Dass auch dieser mal wieder ziemlich männlich dominiert ist, sei nur am Rande bemerkt. Insgesamt gelingt es dem Roman eine spannende und höchst kurzweilige Handlung mit literarischem Anspruch zu verbinden und wird somit seinen selbst formulierten Ansprüchen an Jugendliteratur zweifellos gerecht.

Fazit

Henny und Ponger ist ein äußerst gut lesbare Mischung aus Science Fiction und Coming-of-Age-Geschichte, die mit unterschiedlichen Genreelementen gekonnt spielt und Leserinnen und Leser ab 14 Jahren auf einen Road Trip an die Grenzen des bekannten Universums führt.

Autor/-in:
  • Name: Nils Mohl
Erscheinungsort: München
Erscheinungsjahr: 2022
Verlag: Mixtvision
ISBN-13: 978-3958541825
Seitenzahl: 320
Preis: 18,00 €
Altersempfehlung Redaktion: 14 Jahre
Cover Nils Mohl: Henny & Ponger