[31.01.2019]

Die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendliteratur trauert angesichts des großen Verlustes, den der Tod von Mirjam Pressler für die gesamte Kinder- und Jugendliteraturszene bedeutet.

Nachruf von Karin Richter

Es war immer eine Ehre für die Akademie, wenn diese Ausnahme-Autorin unsere Veranstaltungen bereicherte und darüber hinaus in vielen Schulklassen der Region Kindern und Jugendlichen Einblicke in ihre ergreifenden Kunstwelten bot. 2001 wurde ihr bereits für ihr bewundernswertes Engagement der Große Preis der Akademie überreicht.

Ohne das reiche erzählerische Werk dieser Schriftstellerin wäre die deutsche Kinder- und Jugendliteratur um vieles ärmer. Allein die Kinder- und Jugendromane, die Mirjam Pressler in den letzten 20 Jahren vorgelegt hat, die den Themen Antisemitismus, Verfolgung Andersgläubiger und Andersdenkender, Intoleranz, Hass, Gewalt verpflichtet sind, gehören zu den eindrucksvollsten Kunstwelten für Kinder und Jugendliche: Malka Mai (2001), Golem stiller Bruder (2007), Nathan und seine Kinder (2009) und Ein Buch für Hanna (2011) verbinden dabei eine spannende Handlung mit einem hohen ästhetischen Anspruch. Die Geschichten haben junge Leser fasziniert, erschüttert, aber auch dazu anregt, über wesentliche Fragen menschlichen Lebens nachzudenken.

Mirjam Pressler war es immer sehr wichtig, nicht nur Gewalt und Hass zu zeigen, sondern zugleich auch Zeichen der Hoffnung zu setzen, indem sie von Menschlichkeit, Hilfs- und Opferbereitschaft und von der Kraft junger Menschen in äußerst schwierigen Situationen erzählte. Dem genannten Komplex zugehörig ist eine Publikation, die sich nur schwer einem Genre zuordnen lässt und die zugleich eine publizistische Meisterleistung darstellt, die in der literarischen Öffentlichkeit wenig wahrgenommen wurde: die Veröffentlichung eines gewaltigen Fundus unbekannter Dokumente und vielfältigen Bildmaterials aus dem Besitz von Anne Franks Familie, der im Baseler Haus der Familie Frank entdeckt wurde. Das Buch erschien 2009 unter dem Titel Grüße und Küsse an alle. Die Geschichte der Familie von Anne Frank. Mit der Veröffentlichung und erzählerischen Pointierung dieses Korrespondenzschatzes einer großen jüdischen Familie aus Frankfurt hat Mirjam Pressler ihre Beschäftigung mit dem Tagebuch und dem Schicksal von Anne Frank vollendet.

Das Besondere am Werk dieser Schriftstellerin liegt in der Grenzüberschreitung, die sich auf verschiedenen Ebenen vollzog: Sie schrieb für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Sie übersetzte Meisterwerke der internationalen Literatur und öffnete diese für deutsche Leser durch ihre Meisterschaft im Übersetzen, wie Amos Oz' Roman Judas – eine Leistung, für die sie mit mehreren Auszeichnungen geehrt wurde. Ein hoher Anspruch verband sich bei Mirjam Pressler auch mit dem Übersetzen von Kinder- und Jugendliteratur. Die Jugendromane von Uri Orlev Lauf, Junge, lauf und Der Mann von der anderen Seite, die Übersetzungen der Romane von Lizzi Doron und von Bart Moeyaert legen davon Zeugnis ab.

Mirjam Presslers Schreiben und Übersetzen erfolgte seit Jahren in einem Kampf mit ihrer fortschreitenden schweren Erkrankung. Dabei blieb sie immer dem Leben zugetan, verbreitete Optimismus und Heiterkeit und gewann dergestalt für sich und andere Glück. Der Titel eines ihrer interessantesten Bücher stellt gleichsam ihr Lebensmotto dar: Wenn das Glück kommt, muss man ihm einen Stuhl hinstellen.

Mirjam Presslers Genauigkeit in der Sprache, die sich in einer ästhetischen Schönheit entfaltete, war eine Kunst, in der sich auch die Nähe zu den Figuren widerspiegelte. Das zeigte sich in historischen Romanen wie Golem, stiller Bruder und Adaptionen, wie Nathan und seine Kinder ebenso, wie in Welten, in denen sie vom Schicksal realer jüdischer Menschen erzählte. Dabei spiegeln diese Geschichten nicht einfach nur Interesse an diesen Menschen, sondern die Autorin beschäftigte sich sehr intensiv mit deren Leben.

Das zeigte sich auch in ihrem letzten Besuch außerhalb von Landshut, als sie noch zum Jahresende das von ihr angeregte Setzen eines Stolpersteins für ihre Protagonistin Hanna Stern in Leipzig (Ein Buch für Hanna) begleitete.

Die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendliteratur wird in mehreren Veranstaltungen des Werkes und Wirkens dieser herausragenden Persönlichkeit gedenken. Das Thema der Frühjahrstagung der Akademie im Jahre 2020 ist dem Erzähl- und Übersetzungswerk von Mirjam Pressler gewidmet. Auch zur Erfurter Buchpremiere von Mirjam Presslers letztem Buch – dem Jugendroman Dunkles Gold, das eine Geschichte zum jüdischen Schatz von Erfurt erzählt – werden in diesem Frühjahr Mitglieder der Akademie anwesend sein und diese gemeinsam mit Mirjam Presslers Familie und Vertretern der Kultur-Szene Erfurts gestalten.

[Quelle: Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendliteratur e.V.]