[13.06.2019]

In Schweden referenzieren Politiker der rechtspopulistischen Partei Alternativ för Sverige Astrid Lindgrens Werke. Ihr Enkel Olle Nyman, der zudem CEO der Astrid Lindgren Company ist, widersetzt sich in einem offenen Brief dieser Vereinnahmung. Für KinderundJugendmedien.de hat Inger Lison den Brief übersetzt. 

Sehr geehrter Herr Gustav Kasselstrand,

Durch einen Artikel in der Zeitung [Anmerk. der Übersetzerin] Dagens Vimmerby ist mir aufgefallen, dass Sie bei einer öffentlichen Rede in Vimmerby meine Großmutter Astrid Lindgren und ihre Geschichten für Ihre politische Propaganda verwendet haben.

Die Partei [Anmerk. der Übersetzerin] Alternativ för Sverige ist so weit von Astrid Lindgrens Werten entfernt, wie man es nur sein kann. Astrid Lindgren war eine Demokratin und Humanistin. Ihr ganzes Leben lang kämpfte sie für die Werte, an die sie glaubte, insbesondere für die Rechte der Kinder. Für uns, ihre Enkelkinder, ist es eine Selbstverständlichkeit, ihre Arbeit für das Recht aller Kinder, frei aufwachsen und sich entwickeln zu können, fortzusetzen: – egal, wo sie auf der Welt geboren wurden. Dass Sie Michel aus Lönneberga (schwedisch: Emil i Lönneberga) einem Flüchtlingskind vorziehen, ist eine direkte Verletzung dessen, woran Astrid Lindgren geglaubt hat.

Sie sagen, Sie wollen Bullerbü zurück, aber Bullerbü existiert nur in Astrids Geschichten. Astrid war eine äußerst moderne Person und sie bezog sich nicht auf nostalgische und sentimentale Bilder einer vergangenen Zeit, in der die Dinge einfach waren.

Astrid Lindgren schrieb über die Gesellschaft, in der sie aufgewachsen ist. In ihren Geschichten geht sie jedoch auf viel bedeutendere Themen ein, die Menschen zu allen Zeiten und in allen Gesellschaften betreffen. Deshalb wird sie auf der ganzen Welt gelesen und ihre Geschichten werden fortwährend von neuen Generationen entdeckt.

Niemand kann heute sagen, was Astrid Lindgren über die Welt gedacht hat, aber wir, die sie kannten, können sagen, dass sie über eine politische Einstellung sehr wütend und traurig gewesen wäre, die Menschen gegen Menschen aufbringt, die die Menschheit einteilt: in uns und jene.

1957 schreibt sie in einem oft zitierten Brief an ihre deutsche Freundin Louise Hartung:

… ich lehne jede Einteilung von Menschen nach Nationen und Rassen ab, alle Arten der Diskriminierung zwischen Weißen und Schwarzen, zwischen Ariern und Juden, zwischen Türken und Schweden, zwischen Männern und Frauen. Schon seitdem ich groß genug war, um selbständig zu denken, habe ich das blaugelbe vaterländische Großschwedische nicht gemocht, all dieses "Kommt jemand unseren Bergen zu nahe, dann wird es dunkel in Svitjod", das erscheint mir genauso verabscheuungswürdig wie Hitlers deutscher Nationalismus. Eine Patriotin bin ich nie gewesen. Wir sind alle Menschen, das ist mein spezielles Pathos hier im Leben gewesen.

Ich kann Ihre politischen Ansichten nicht kontrollieren, aber ich, und Astrid Lindgrens andere Verwandte, lehnen es ab, dass Sie in Zukunft Astrid Lindgrens Leben und Werk in irgendeiner Weise verwenden.

Olle Nyman, Enkel von Astrid Lindgren und CEO von Astrid Lindgren AB.

In einem Interview mit der Zeit spricht Nyman ebenfalls über "das Erbe seiner Großmutter" (Nyman in Hörnlein 2019) und seine Versuche, dieses vor politischer Vereinnahmung zu schützen (vgl. ebd.).

[Quelle: Dagens Vimmerby, Zeit]