2022 war der ukrainische Gemeinschaftstand unbesetzt. Die Abwesenheit von Verlagen, Institutionen und Personen stach hervor und sorgte bereits einen Monat nach dem erweiterten Angriff für den Start erster Hilfsprojekte und Initiativen. Die diesjährige Bologna Children's Book Fair (BCBF) lenkte mit einigen Veranstaltungen und Ausstellungen die Aufmerksamkeit auf die Situation in der Ukraine und ließ die Messe damit nicht nur zum Ort des kulturellen und wirtschaftlichen Austausches werden, sondern lud sie auch politisch auf.

Gleich am ersten Messetag stellte die Europäische Verlegervereinigung (FEP) gemeinsam mit dem Ukrainian Book Institute ein neues Projekt zur Unterstützung ukrainischer Verlage vor. 'Tales of EUkraine' richtet sich in besonderem Maße an Kinder, denn die Förderung verhilft zur Herstellung und Verbreitung ukrainisch-bilingualer Kinderbücher. Familien, die gezwungen waren ins Ausland zu fliehen, können so ein Stückchen Heimat und Vertrautheit finden und zugleich neue Sprachen einüben. Die Grundidee: Mit Fördergeldern der EU können europäische Verlage die Lizenzen der Kinderbücher (Ziel ist die Altersgruppe der Drei- bis Achtjährigen) direkt bei den ukrainischen Verlagen erwerben und die Übersetzung und Herstellung im Heimatland des Verlags finanzieren. Eine Unterstützung also sowohl für geflüchtete Kinder als auch für die durch den Krieg enorm belastete ukrainische Buchbranche. Mehrere nationale Verlegervereinigungen (unter anderem der Börsenverein des Deutschen Buchhandels) und diverse europäische Verlagshäuser haben sich dem Projekt bereits angeschlossen, um die geförderten Bücher kostenlos an Familien, Schulen und Kindergärten zu verteilen. Als Ziel wurden 300.000 bilinguale Bücher anvisiert, das Projekt soll bis 2025 laufen.

Auch Yuliia Kozlovets, Leiterin des Kiewer International Book Arsenal Festival, machte sich für die Zusammenarbeit zwischen europäischen Verlagen und ukrainischen Künstler*innen stark. Sie hob gerade die Besonderheiten der Illustrationen hervor und möchte zu internationalen Projekten und Zusammenarbeiten ermutigen: "Die ukrainischen Künstler*innen sind Menschen, denen man vertrauen kann."

 

Ausstellung Mom, I See War 

In den Blick zu rücken, dass besonders Kinder unter der Situation im Heimatland zu leiden haben, ist ebenso ein Anliegen des Ukrainian Book Institute, welches am ukrainischen Gemeinschaftsstand Bilder aus der Ausstellung Mom, I See War zeigte. 

 

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© Leonie Wagner

Aus der Ausstellung Mom, I See War des Ukrainian Book Institute

 

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© Leonie Wagner

Aus der Ausstellung Mom, I See War des Ukrainian Book Institute

 

Die digitale Ausstellung konnte bis jetzt mehr als 15.000 selbstgemalte Bilder von ukrainischen Kindern sammeln. Das Ziel ist, eine international-digitale Ausstellung zu generieren, Spendengelder zu sammeln und die kindlichen Eindrücke und Erfahrungen über den Krieg zu teilen. (Mehr Infos unter www.momiseewar.com/eng/)

  

Ausstellung Illustrated Ukraine

Die Ausstellung Illustrated Ukraine, welche auf der Messe für alle Besucher*innen zu sehen war, zeigte verschiedene Werke ukrainischer Illustrator*innen.

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© Leonie Wagner

Illustrationen aus der Ausstellung Illustrated Ukraine auf der Bologna Children’s Book Fair 2023, welche die Abbildungen ukrainischer Illustrator*innen zeigte.

 

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© Leonie Wagner

Illustrationen aus der Ausstellung Illustrated Ukraine auf der Bologna Children’s Book Fair 2023, welche die Abbildungen ukrainischer Illustrator*innen zeigte. 

 

In der Erklärung der Ausstellung heißt es: "Statt Kinderbücher zu illustrieren, bilden sie [= Illustrator*innen] Kinder ab, die unter Russlands Aggression leiden. Sie zeigen die gegenwärtige Lage der Ukraine und die der letzten zwölf Monate – kriegsgebeutelt, untröstlich, in Schmerzen, aber auch stark, mit Würde, unbesiegbar und vereint wie nie zuvor." Und so stellen die Illustrationen Kinder auf der Flucht, in engen Autos oder in Bunkern dar. Manche träumen von Frieden, andere von der Wiedervereinigung mit der Familie.

Parallel dazu gab es Veranstaltungen, in denen Menschen der ukrainischen Buchbranche von den gegenwärtigen Arbeitsbedingungen berichteten. Für Verlage, Bibliotheken, Autor*innen und Illustrator*innen ist die Lage prekär, viele Verlagshäuser und Bibliotheken mussten 2022 schließen. Trotzdem war die Hilfe aus dem Ausland deutlich spürbar, so Olena Odynoka, Leiterin der Abteilung für internationale Kooperation am Ukrainian Book Institute. Viele geflohene Künstler*innen und Angestellte in Verlagen arbeiten weiterhin aus dem Exil und Illustrator*innen können nun vermehrt Werke ins Ausland verkaufen, dabei richten sich diese dann eher an ein erwachsenes Publikum. Mehrere literarische Veranstaltungen und Ausstellungen konnten ebenfalls in umliegende Länder verlegt werden, um mehr Bewusstsein für die Menschen in der Ukraine zu schaffen, doch gerade für Verlage ist die Situation besonders schwierig. Mehr als die Hälfte der ukrainischen Verlagshäuser musste nach Angaben Odynokas ihre Arbeit einstellen. "Aufgeben ist keine Option", sagt dagegen Mariana Savja, Schriftstellerin und Editor-in-Chief bei The Old Lion Publishing House. Die Menschen bräuchten weiterhin Bücher, um der Realität entfliehen zu können oder um das Geschehen zu verarbeiten. Deshalb möchten sie und ihr Verlag weitermachen, obwohl sie um die Sicherheit ihrer Mitarbeiter*innen und Autor*innen sehr besorgt ist. Vor allem der Herstellungsprozess der Bücher ist extrem eingeschränkt, hauptsächlich wegen der Schwierigkeiten bezüglich Elektrizität und Transport. "Licht hat nun einen Ton. Es ist laut", sagt Savja beim Gedanken an die Generatoren, die die Arbeiten des Verlags im Winter ermöglichen.

 

Als der Krieg nach Rondo kam

Auch über ukrainische Kinderbücher zur Kriegsthematik wurde konkret gesprochen. Vielfache Beachtung fand das Bilderbuch Als der Krieg nach Rondo kam, welches sowohl vom White Ravens Panel als auch bei der regionalen IBBY-Tagung (International Board on Books for Young People) am letzten Messetag hervorgehoben wurde.

 

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© Leonie Wagner

Auszug aus Als der Krieg nach Rondo kam (Gerstenberg Verlag)

 

Die Urheber*innen Romana Romanyshyn und Andriy Lesiv nahmen selbst an einigen Veranstaltungen teil und konnten so ihr Werk persönlich vorstellen. Das Buch ist bereits 2015, also ein Jahr nach dem Angriff auf die Krim, erschienen und ist auch in deutscher Sprache erhältlich. Zunächst waren sich Romanyshyn und Lesiv unsicher gewesen: War es möglicherweise noch zu früh für ein Kinderbuch, welches den Krieg thematisierte? Doch das Feedback der kleinen und großen Leser*innen war durchweg positiv, denn das Bedürfnis, über das Erlebte zu sprechen, war groß. Durch den erweiterten russischen Angriff 2022 erfuhr Als der Krieg nach Rondo kam auch international erneut Aufmerksamkeit: Das Bilderbuch erzählt von der fiktiven Stadt Rondo, welche auf paradiesisch-bunte Weise das ideale Zuhause für Kinder und ihre Familie bietet. Mit einem Mal kommt der Krieg, als schwarz-graue Wolke personifiziert. Der Krieg antwortet nicht auf die Fragen der Kinder, er bringt nur Zerstörung und hinterlässt Rondo, auch nach dem erkämpften Frieden, verändert. Auf den letzten Seiten blühen die roten Mohnblumen als Zeichen der Hoffnung und der Heilung auf – und man wünscht sich, dass diese in Zukunft in der ganzen Ukraine blühen können. Auch für Romanyshyn und Lesiv geht die Arbeit in ihrer Heimat weiter, denn der russische Krieg sei auch ein Angriff auf die ukrainische Kultur und für die lohnt es sich zu kämpfen. Als Andriy Lesiv zum Abschluss einer Gesprächsrunde gefragt wird, wie man der ukrainischen Buchbranche und seinem Land helfen könnte, antwortet dieser mit nur wenigen Wörtern: "Don't be indifferent" – Seid nicht gleichgültig.