Inhalt
Der Neuanfang in einer neuen Schule ist immer riskant, das weiß auch Marcus Osbourne, genannt Oz. Darum bemüht er sich, seinen Frust über den erzwungenen Umzug aus Hardacre bei London in die Einöde von Slowleigh möglichst gut zu überspielen. Dass dennoch aus diesem ersten Schultag eine ziemliche Katastrophe wird, liegt Oz' Meinung nach eher an Marcel Duchamp als an ihm. Denn dessen berühmtes Mona Lisa-Ready-made "L.H.O.O.Q." inspiriert ihn dazu, einen Schnurrbart auf das Foto einer Mitschülerin zu malen – nicht ahnend, dass es sich bei dieser um die schulbekannte Isobel "Psycho" Skinner handelt, deren Familie nicht nur das soziale Leben im Ort auf mafiöse Weise kontrolliert, sondern die auch noch direkt neben ihm wohnt. Dann bricht sich auch noch Marcus' Mutter, die Bildhauerin ist, durch dessen Schuld den Arm, wodurch die Fertigstellung mehrerer Skulpturen für eine wichtige Ausstellung gefährdet ist. Als sie daraufhin ausgerechnet Isobel als Assistentin engagiert, ist Oz restlos bedient.
Und auch in der Schule stellt sich der Protagonist alles andere als geschickt an. Seine Mitschüler reden anders, kleiden sich anders – und sind zudem von Oz' großstädtischem Auftreten eher belustigt als beeindruckt. Einzig sein Mitschüler Ryan zeigt sich etwas entgegenkommender. Allerdings ist dieser mit seiner Vorliebe für Comiczitate und Fantasy aller Art inklusive Rollenspielen im Wald auch wenig geeignet, Oz' niedrigen Status in der Schule anzuheben. Trost bietet nur die Musik der Gruppe "Dead Frank's Supersonic Milkfloat", die Oz auf seinem Handy stets bei sich hat. Umso katastrophaler ist es da, dass er dieses Handy bei einer Party verliert – ein Verlust, der zudem ungeahnte Auswirkungen auf seine Freundschaft mit Ryan hat.
Aber auch Oz' Schwester Meg hat ein Problem: Sie ist ungewollt von ihrem Exfreund schwanger. Während die Familie Osbourne versucht, den Schock von Megs Schwangerschaft zu verarbeiten, beginnt Oz einen inneren Dialog mit "Gonzo", dem ungeborenen Baby seiner Schwester, der plötzlich eine unerwartet dramatische Wende nimmt.
Unnötig zu sagen, dass das "Warten auf Gonzo" keineswegs zu dem erwarteten Ende führt.
Kritik
Zwar sind weder die Ausgangssituation des Protagonisten, also der Umzug in eine neue Stadt, noch der ironisch-distanzierte Erzählton eine Neuheit im Genre des Adoleszenzromans. Dennoch gelingt es Cousins, seinem Protagonisten eine individuelle Persönlichkeit zu verleihen, die sich auch in der Erzählstimme ausdrückt. Dass diese auch in der deutschen Übersetzung so stimmig klingt, ist zum großen Teil der Übersetzerin Anne Brauner zu verdanken, die es schafft, Oz' manchmal ätzendem Teenagerhumor, aber auch seiner jugendlichen Arroganz Ausdruck zu verleihen:
Ich war geschockt. Krispy Kris-mit-K – der Verrückte, der sich in meine Schwester verliebt hatte – hatte Geschmack, jedenfalls bei Musik, wenn schon nicht bei Mädchen! Wer hätte das gedacht? (S.126)
Eben dieser Erzählton und dessen gelungene Übersetzung werden auch in der Begründung der Jury hervorgehoben, die Warten auf Gonzo für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2017 nominiert hat.
Die autodiegetische Erzählweise verlangt von den Lesern, dass sie die Aussagen von Oz kritisch hinterfragen. Der Text liefert schließlich einige Hinweise, dass Oz' Selbsteinschätzung durchaus nicht immer mit der Realität übereinstimmt. So hält es etwa seine Mutter bezeichnenderweise für nötig, ihn vor seinem ersten Schultag zu ermahnen, er solle "freundlich und nicht arrogant" sein. Dem Leser fällt es jedoch schwer, Oz' wiederholten Versicherungen – "ehrlich, ich war freundlich und nicht arrogant" (S.12) – Glauben zu schenken, wenn dieser seinem Mitschüler Ryan als erstes berichtet, wie unglücklich er über den Umzug ist und anfügt:
Wenn meine Eltern erst mal aus ihrem Wahn erwachen, dass es eine gute Idee war, hierher zu ziehen, geht’s zurück in die Zivilisation – wo es Geschäfte, Bürgersteige und Straßen mit weißen Mittelstreifen gibt! (S.12)
Unaufdringlich schildert der Roman den langsamen Reifungsprozess des Protagonisten, der ihn - von ihm selbst fast unbemerkt - zu einer etwas realistischeren und weniger egozentrischen Weltsicht führt. Dabei helfen ihm sowohl die Freundschaft mit Ryan als auch die Begegnung mit Isobel Skinner und nicht zuletzt die Schwangerschaft seiner Schwester.
(Ungewollte) Teenagerschwangerschaften sind bei weitem keine Seltenheit in der Jugendliteratur, was sich unter anderem darin zeigt, dass mit Bonnie-Sue Hitchcocks Der Geruch von Häusern anderer Leute noch ein weiterer für den diesjährigen Deutschen Jungendliteratur Preis nominierten Titel diese Problematik aufnimmt. Cousins' Roman variiert das Thema, indem er sich ihm aus der Perspektive des Bruders der Betroffenen nähert, der die Entwicklung seiner Schwester mit ebenso großer Besorgnis wie Empathie betrachtet. Dabei entwickelt er zu dem ungeborenen Kind eine überraschend tiefe Bindung. Er beginnt mit ihm Gespräche zu führen und tatsächlich stellt sich der gesamte Roman selbst als ein Brief an den ungeborenen Gonzo heraus. Hierbei verzichtet der Autor auf jegliche Verkitschung oder Dramatisierung. Die Passagen, in denen Gonzo sich an seinen zukünftigen Onkel wendet, sind eher von einer Art absurden Komik, die vielleicht sogar die Referenz an Beckett, die ansonsten für den Text kaum eine Rolle spielt, rechtfertigt:
Du hast dir Sorgen um meine Mum gemacht – dass sie etwas Dummes tun könnte. Ich kann dir helfen, ich behalte sie für dich im Blick. Obwohl es eigentlich ganz nett war, als sie betrunken war. Als hätte sie eine Wellenmaschine angestellt! Ich war surfen – Wahnsinn! Aber davon ist ihr dann wahrscheinlich schlecht geworden. Das war nicht so gut. Egal, ich biete dir an, sie rund um die Uhr zu bewachen. Die entwischt mir nicht, das verspreche ich dir. (S.251)
Das titelgebende Warten auf Gonzo findet seine formale Entsprechung in der Gliederung des Romans, der in drei Teile eingeteilt ist, die lediglich mit "Der Anfang", "Die Mitte" und "Das Ende" überschrieben sind und unter denen sich jeweils das Bild eines Schnurrbarts sowie die Angabe "G Minus 245 / 199 / 72" befindet. Schnell wird klar, dass es sich hierbei um die Tage bis zu Gonzos Geburt handelt. Der Schnurrbart wiederum verweist auf den Auslöser der Kette von Unglücksfällen, in die Oz gerät. Dessen Talent zum Chaos beweist sich im Laufe der Handlung immer wieder, doch ist der Roman durchaus keine harmlose Screwball-Komödie. Die Situationen, in die Oz gerät, sind zwar komisch, dennoch werden weder er noch die restlichen Protagonisten vorgeführt. Ihre Probleme sind ernst und glaubhaft dargestellt, sodass es möglich ist, sowohl für Ryan, der durch Oz' Taktlosigkeit vor der ganzen Schule bloßgestellt wird, Mitleid zu empfinden als auch ein gewisses Mitgefühl für Oz selbst, der sein Versehen aufrichtig bereut und zudem plötzlich ohne seinen einzigen Freund an der Schule dasteht.
Den Kapiteln ist jeweils ein kurzes Zitat aus dem folgenden Text vorangestellt, das als eine Art Teaser fungiert. Der Effekt ist zwar nicht immer gelungen, wenn etwa die Pointe einiger Konversationen hierdurch vorweggenommen wird, doch erzeugen die Zitate in der Regel Interesse und führen den Leser gelegentlich auch gezielt auf eine falsche Fährte.
Musik spielt in zeitgenössischen Adoleszenzromanen häufig eine große Rolle. Romane von Tamara Bch und Nils Mohl haben eigene Songlisten bzw. Soundtracks. Cousins jedoch erschafft mit "Dead Frank's Supersonic Milkfloat", "Cigarette UFO" und "Cyclops Dog" fiktive Bands, deren Songs oft die tragisch-komischen Misslichkeiten, in die der Protagonist gerät, reflektieren. Wenn Oz sich beispielsweise fragt, "ob die Situation die ungebrochene Energie von 'Spilt Milk' verlangte oder doch eher das experimentelle, aber genauso gute 'No use crying over'…" (91) und in diesem Moment feststellt, dass sein Handy fort ist, wird dem Text auf ironische Weise eine kommentierende Bedeutungsebene hinzugefügt. Dadurch, dass die Songs dieser fiktiven Bands gleichwohl auf der Homepage des Autors zu finden sind und teilweise von diesem selbst eingesungen wurden, wird der Romantext um eine multimediale Komponente erweitert. Das ermöglicht es dem Leser, selbst nachzuhören, wie die Musik, die in Oz' Leben eine so wichtige Rolle spielt, denn eigentlich klingt.
Fazit
Warten auf Gonzo ist ein anspruchsvoller Adoleszenzroman für Leser ab 14 Jahren, der durch seine stringente Handlung, einen doppelbödigen Humor und die Behandlung des bekannten Themas Teenagerschwangerschaft aus einer eher seltenen Perspektive überzeugt. Der Protagonist ist ein intelligenter und humorvoller Charakter, dessen offenkundige Schwächen ihn nicht weniger sympathisch erscheinen lassen. Vielleicht kein vollkommen innovativer, aber sicherlich ein äußerst amüsanter und gut geschriebener Anwärter auf den Deutschen Jugendliteratur Preis 2017!
- Name: Cousins, Dave
- Name: Anne Brauner