Inhalt
Der 204 Seiten lange Band bietet keine Fortsetzung des Kampfes zwischen Percy und dem Titanen Kronos (siehe dazu Stierstorfer 2017), sondern dieser Tyrann aus der altgriechischen Mythologie wird durch einen herrschsüchtigen altägyptischen Zauberer namens Setne ersetzt. Dieser Roman besteht aus drei kürzeren Geschichten, die jeweils eine ägyptische Gottheit als Antagonisten oder Helferfigur fokussieren: Der Sohn des Sobek, Der Zauberstab des Serapis und Die Krone des Ptolemäus. Diese drei Kurzgeschichten wurden in den USA separat veröffentlicht (siehe Bildcover unten). Der Sohn des Sobek ist im deutschsprachigen Raum bereits als Additum im dritten Band der Helden des Olymp-Reihe Im Zeichen der Athene publiziert worden, um die Leserschaft auf die Kane-Chroniken aufmerksam zu machen, die sodann auch die Spitze der Bestsellerlisten erklommen. Die drei Stories sind dadurch lose miteinander verbunden, indem sich herausstellt, dass der gerade erwähnte Magier Setne die anderen ägyptischen bzw. griechisch-römischen Gottheiten aus Geschichte eins und zwei als Diener des Bösen heraufbeschworen hat, um seine Herrschaft einzuleiten.
Der Sohn des Sobek: Nach einem kurzen Brief an seine Leser als Intro, in dem Percy erklärt, wie er sich mit Carter und Sadie zusammengeschlossen hat und welche Abenteuer den Leser daher erwarten, erzählt Carter in der ersten Geschichte , wie er auf Long Island zufällig auf Percy trifft. Mit diesem zusammen besiegt er dort ein göttliches Riesenkrokodil, den Sohn des Krokodilsgottes Sobek, dadurch, dass beide Heroen ihm nach einem Kampf eine magische Halskette abnehmen, sodass das Riesenkrokodil zu einem Babykrokodil zusammenschrumpft. Dabei stellt sich heraus, dass sich Carter zu Kampfzwecken in einen ägyptischen Avatar – eine Mischung aus Mensch und Vogel – verwandeln kann.
Der Zauberstab des Serapis: In der New Yorker U-Bahn trifft Annabeth, Percys Mitstreiterin, auf ein sonderbares Mischwesen aus Krebs, Löwe und Wolf. Da sie alles über antike Monster wissen möchte, verfolgt sie dieses weiter und trifft sodann auf Sadie Kane, die Schwester von Carter. In Rockaway Beach geht Annabeth mit Sadie und einem Hundemonster spazieren. Dabei lernen sich die beiden näher kennen und erklären sich gegenseitig ihren kulturellen Hintergrund. Dabei respektieren sie auch den Glauben der jeweils anderen, was die Leser indirekt zur Toleranz gegenüber anderen Glaubensrichtungen führen soll:
Es klingt alles ein bisschen verrückt, aber bestimmt ergibt es einen Sinn. Mein Lehrer Chiron erzählt mir schon seit Jahren, dass die alten Götter unsterblich sind, weil sie einen Strang im Gewebe der Zivilisation bilden. Wenn die griechischen Götter diese ganzen Jahrhunderte durchhalten konnten, warum nicht auch die Ägypter?"(S. 80)
Zusätzlich weist Annabeth zusätzlich darauf hin, dass Alexander der Große bei seiner Eroberung von Alexandrien griechische mit ägyptischen Gottheiten hybridisiert hat, damit sein General Ptolemäus als neuer Pharao anerkannt würde. Dabei seien auch Serapis und dessen anthropomorpher dreiköpfiger Stab entstanden. Serapis möchte mithilfe seines magischen Stabes in Rockaway Beach ein neues Reich erschaffen, um den Versuch von Alexander dem Großen, beide Religionen zu verbinden, wieder rückgängig zu machen. Serapis erklärt zudem, dass er seinen Vorgängern Hades und Osiris die Kraft ausgesaugt hat und dass sein Stab mit den drei Köpfen den Höllenhund Zerberus ersetzt. Es stellt sich heraus, dass das mysteriöse Monster, das Annabeth in der U-Bahn entdeckt hat, ein Teil des dreiköpfigen Zauberstabs von Serapis ist. Dieser möchte alle Teile des Zauberstabs wieder vereinen, um seine drakonische Macht auszuüben. Nach einem Showdown in einem Leuchtturm können Sadie und Annabeth Serapis besiegen, indem Annabeth seinen Stab mit ihrem Dolch zerstört. Man entdeckt, dass der Magier Setne hinter der Beschwörung von Serapis steckt, der von den Toten auferstanden ist, um die Weltherrschaft an sich zu reißen und die ägyptische und griechische Mythologie zu beseitigen, um sich als alleinige Gottheit zu etablieren.
Die Krone des Ptolemäus: In der letzten Geschichte, die auf den vorigen beiden aufbaut, treffen Percy, Carter, Annabeth und Sadie auf Setne, einen bösartigen ägyptischen Zauberer. Dieser, der wie eine Reinkarnation von Elvis und Prince aussieht, beschwört die Krone von Unterägypten zusammen mit der Kobragöttin Wadjet herauf, um so die Weltherrschaft an sich zu reißen. Durch einen Zauber, den er mithilfe des Totenbuches Thot vollzieht, stiehlt er der Kobragöttin zunächst die Krone von Unterägypten. Sobald Setne sich auch noch den zweiten Teil der Krone über Oberägypten besorgen kann, wird er zum Herrscher über ganz Ägypten und tritt damit in die Fußstapfen des griechisch-römischen Pharaos Ptolemäus. Jedoch möchte Setne im Gegensatz zu Ptolemäus die griechisch-ägyptischen kulturellen Errungenschaften zerstören, um sich selbst als alleinige Gottheit anbeten zu lassen. Daher versucht Ptolemäus auf Governors Island einen neuen Machtsitz zu errichten, der sich zwischen dem neuen Machtzentrum der Alten Griechen in Manhattan und dem der Alten Ägypter in Brooklyn befindet. Dadurch, dass sich die Percy, Annabeth, Carter und Sadie nach der Beseitigung von kleineren Uneinigkeiten zusammenschließen und ihre magischen Gegenstände tauschen, können sie die griechische mit der ägyptischen Macht hybridisieren. Mit dieser neu gewonnen Stärke treten sie Setne entgegen. Unterstützung erhalten sie zusätzlich von der ägyptischen Geier-Gottheit Nechbet, die die Krone von Oberägypten bewacht und die sich auch auf dem deutschen Cover dieses Kurzgeschichtenkompendiums befindet (siehe letztes Bild unten). Percy schafft es schließlich, mithilfe ägyptischer Zauberkraft Nechbet als Avatar zum Kampf zu funktionalisieren. So kann das Quartett unter Führung von Percy Setne entmachten und ihm die ägyptische Doppelkrone entwenden, bevor er den Polytheismus abschafft, um sich selbst als drakonische Gottheit zu inszenieren. Damit kein weiterer Möchtegerntyrann die Krone mehr an sich reißen kann, bewahren die magisch begabten Teenager die Krone in einem verzauberten Tresor auf und wollen miteinander in Kontakt bleiben.
Kritik
Auf den ersten Blick möchte man meinen, dass es sich bei diesem Geschichtenkompendium aus wirtschaftlicher Perspektive um ein ideenloses Additum zur erfolgreichen Percy-Jackson-Reihe handelt. Dies ist jedoch nicht der Fall. So bietet dieser Band durchaus auch Innovatives. Es werden dem Leser nämlich nicht nur die Grundlagen der altägyptischen Kultur nahegebracht, sondern man erfährt auch aus historischer Perspektive, wie es zu einer Verschmelzung von altägyptischer und altgriechischer Kultur unter dem Pharao Ptolemäus auf Veranlassung Alexanders des Großen gekommen ist. Mithin lässt sich als eine Lesart des Textes das Bestreben nach Toleranz und nach einem friedlichen Miteinander zwischen unterschiedlichen Weltreligionen erkennen. Hinzu kommt eine neue Computerspiel-Ästhetik in der Erzählweise, da die Protagonisten bei Kämpfen Avatare steuern können, die deren Kräfte erhöhen. So verschmilzt Carter beim Kampf gegen den Sohn des Sobek mit dem ägyptischen Himmelsgott Horus, einem Hybridwesen aus Falke und Mensch, und Percy bei seiner Auseinandersetzung mit dem Zauberer Setne mit der Geiergöttin Nechbeth (siehe deutsches Cover unten). In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass es sich dabei nicht um eine einfache Verwandlung handelt, sondern die Protagonisten können nach der Hybridisierung mit ihrem Avatar dessen Gedanken und synästhetische Eindrücke nachempfinden und diesen steuern. So erweist sich Percys Schilderung für den Leser über die Steuerung von Nechbeth als interessant:
Was es für ein Gefühl war, mit einer Gottheit zu verschmelzen? Wenn ihr alle Einzelheiten wissen wollt, dann lest meine Yelp-Beurteilung. […] Für den Moment reicht es sicher, wenn ich sage, dass von einer Geiergöttin besessen zu sein, noch verstörender war, als ich mir vorgestellt hatte. Jahrtausende der Erinnerungen überschwemmten meine Gedanken. Ich sah Pyramiden, die sich aus Wüste erhoben, ich sah die Sonne, die den Nil zum Glitzern brachte. (S. 174f.)
Da die erste Geschichte aus Sicht von Carter und die letzten beiden aus Sicht von Percy erzählt werden, bietet der Roman abwechslungsreiche Innensichten unterschiedlicher autodiegetischer Erzähler, die das (Kampf-)geschehen stets mit Ironie kommentieren, die dieses durch ein Augenzwinkern abmildert. So freut sich z.B. Percy nach dem Sieg über Setne, dass er jetzt froh darüber sei, nicht mehr den Geschmack von Tierkadavern im Mund haben zu müssen, weil er nun nicht mehr mit seinem Avatar der Geiergöttin verschmolzen ist: "Die Geiergöttin hatte meinen Geist verlassen. Mein Mund schmeckte nicht mehr nach toter Hyäne." (S. 197)
Nichtsdestoweniger bleibt auch dieser Band dem klassischen Helden-Narrativ treu, das in jeder Geschichte einen für den versierten Leser vorhersehbaren Kampf als Höhepunkt enthält. Jedoch lernt die zumeist jugendliche Leserschaft einige Fakten über die Eroberung Ägyptens durch Alexander, über die Einführung von griechisch-ägyptischen Gottheiten zur Sicherung des Friedens und über die Aufgabenbereiche von ägyptischen Gottheiten. Am Ende fehlt jedoch ein Glossar, das der jungen Leserschaft Auskunft über eher unbekannte Begriffe wie 'Thot' erteilt. Jedoch könnten Heranwachsende dadurch auch motiviert werden, selbstständig im Internet zu recherchieren, um sich so tiefer mit der ägyptisch-griechischen oder der spezifisch ägyptischen Mythologie auseinanderzusetzen.
Fazit
Das neueste Percy-Jackson-Abenteuer folgt dem Charme und dem actiongeladenen Narrativ der vorherigen Bände. Durch die Einteilung in drei kürzere Geschichten ist dieser Fantasy-Roman sehr gut für leseschwache Jungen geeignet, die sich gerne auf serielles Erzählen einlassen. Zugleich wird in diesem Band alles Wichtige über die Personen erläutert, sodass die Kenntnis der anderen Bände aus der Reihe nicht Voraussetzung ist. Allerdings wirken die vielen Rekurse auf frühere Abenteuer der Halbgötter etwas redundant und behindern den Lesefluss. Durch die Einstreuung von Zaubersprüchen der Geschwister Kane in Form von ägyptischen Hieroglyphen wird die reine Textform etwas aufgelockert. Die saloppe Sprache, die magischen Motive und das eingebaute Faktenwissen über die griechisch-ägyptische Kultur machen diesen Roman zu einem gelungenen Crossover aus Harry Potter und Was ist Was?-Sachbüchern – auch wenn Percy Jackson bei weitem nicht an die Vielschichtigkeit von Rowlings Romanen herankommt.
Literatur
Stierstorfer, Michael: Antike Mythologie in der Kinder- und Jugendliteratur der Gegenwart. Unsterbliche Götter- und Heldengeschichten. Frankfurt a.M.: Peter Lang 2017 (= Diss. Universität Regensburg).
- Name: Riordan, Rick
- Name: Gabriele Haefs
- Name: Max, Claudia