Mehrmals im Jahr stellen die Mitglieder der Filmredaktion – also Christian Albrecht, Frank Münschke und Philipp Schmerheim – drei Filme oder Serien vor, die ihnen besonders gefallen haben – oder zumindest zu einer Auseinandersetzung angeregt haben. Das können Neuerscheinungen sein, aber auch Filmklassiker oder vergessene Serienperlen, die in den Untiefen der Streaming-Archive vor sich hin schlummern.
Asterix & Obelix: Der Kampf der Häuptlinge
(Astérix et Obélix: Le Combat des chefs; Frankreich 2025, 5 Folgen à 35 Minuten, Regie: Alain Chabat, Fabrice Joubert, verfügbar auf Netflix)
Während den Zeichentrickfilmversionen der Abenteuer von Asterix & Obelix noch ein gewisser anarchischer Charme innewohnt, wurde eigentlich niemand wirklich glücklich mit den zahlreichen computeranimierten oder realfilmischen Adaptionsversuchen. Das liegt sicherlich auch daran, dass die Zeichentrickfilme sich stilistisch eng an ihren comicalen Vorbildern orientieren, zumal Goscinny und Uderzo teils selbst noch an der Produktion beteiligt sind und für Asterix erobert Rom (1976) kurzerhand eine eigene, neue Geschichte erfinden. Eine Ausnahme ist vielleicht Alan Chabats Asterix im Land der Götter, eine quirlige, selbstironische Aneignung des Trabantenstadt-Comics (1971, Band 17).
Netflix jedenfalls hat sich die Dienste Chabats gesichert und ihm die Möglichkeit gegeben, mit Der Kampf der Häuptlinge erstmals ein Asterix-Abenteuer zu serialisieren. Und das funktioniert wirklich ausnehmend gut: Der Fünfteiler orientiert sich grob an der Handlung der erstmals 1964 erschienenen Comicvorlage, erweitert und aktualisiert aber die Handlungsstruktur und Motivik.
Worum geht’s nochmal? Wieder einmal unternimmt Gaius Iulius Caesar einen Anlauf, die unbesiegbaren Gallier aus Aremorica zu bezwingen. Diesmal will er sie mit ihren eigenen Spielregeln schlagen: Gallische Häuptlinge können einander zu einem Kampf auffordern, dessen Sieger dann auch die Herrschaft über das Dorf des unterlegenen Häuptlings übernimmt. Im Auftrag Caesars fordert der ebenso romvernarrte wie durchtrainierte Kollaborateur Augenblix seinen fülligen Amtskollegen Majestix heraus, während die römischen Legionäre den Dorfdruiden Miraculix entführen, um ihn als Zaubertrankproduzenten auszuschalten. Zwar können Asterix und Obelix die Entführungsaktion vereiteln, doch leider gerät Miraculix dabei unter einen der Hinkelsteine Obelix’. Dadurch seines Gedächtnisses beraubt, bleibt Majestix nichts Anderes übrig, als sich im Rocky-Balboa-Stil auf einen nahezu ausweglosen Kampf vorzubereiten. Bis Asterix die zündende Idee hat: Obelix soll als neuer Dorfhäuptling den Boxring betreten. Doch auch diese Idee hat so ihre Nebenwirkungen…
An diesen Handlungskern bauen die Regisseure Alan Chabat und Fabrice Joubert verschiedene Erweiterungen und Vertiefungen an: So ist die erste Folge eine lustvoll ausschweifende origin story: Im Anschluss an die folgeneinleitende traditionelle Prügelorgie zwischen Galliern und bedauernswerten Römern springt die Serie knapp 30 Jahre in die Vergangenheit – und erzählt in sehr freier Anlehnung an den Sondercomic Wie Obelix als kleines Kind in den Zaubertrank geplumpst ist von der Erfindung des Zaubertranks, die hier – abweichend vom Comic-Kanon – eng mit Obelix’ ebenso traumatischem wie dauerhaft kräftigenden Plumps in den Zauberkessel verwoben ist. Und ganz nebenbei erleben wir die unzertrennlichen gallischen Helden über einen längeren Erzählzeitraum als Kinder.
Narratoästhetisch spielen Chabat und Joubert lustvoll und ganz im Geiste ihrer Vorbilder Goscinny/Uderzo mit metatextuellen Referenzen: Da werden die Kampfszenen wahlweise im Stile von Matrix, Avengers oder Anime-Filmen inszeniert, da wird Obelix’ erste Fressorgie mit einem Warnhinweis verschnitten, dass diese Szene „eine Essstörung“ zeige, „die schockierend sein kann. Insbesondere für Wildschweine“. Hilfe unter www.wildschweine-in-gefahr.com (unbedingt https://www.sanglier-danger.com besuchen!). Als comic relief dient die ebenso dysfunktionale wie verkorkst-liebevolle Beziehung von Gaius Iulius Caesar zu seiner Mutter, die er ausgerechnet zu ihrem Geburtstag ins sonnengottverlassene Aremorica geschleppt hat. Und die gnadenlose, grausame Machtmaschine des römischen Reichs mitsamt Caesars psychopathischem Charakter wurde wohl selten so eindrücklich dargestellt - natürlich mit narratoästhetischen Versatzstücken aus Die Tribute von Panem.
Zu hoffen bleibt nur, dass Netflix die strategisch kluge Entscheidung trifft, Chabat weitere Asterrix-Comics serialisieren zu lassen. Gerne möglichst viele davon!
(Philipp Schmerheim)
Träume sind wie wilde Tiger
(Deutschland 2021, Regie: Lars Montag, FSK: 6, z.B. verfügbar auf Amazon Prime)
„Träume sind wie wilde Tiger, und je näher man ihnen kommt, desto größer werden sie beim Jagen. Kann man ja nur Angst bekommen.“
Dieser titelgebende Satz gegen Ende des Films bringt auf den Punkt, worum es im Kern geht: um große Träume und um Freundschaft, die hilft, diese gemeinsam zu verwirklichen.
Träume sind wie wilde Tiger (D, 2021, FSK 6) erzählt die Geschichte des zwölfjährigen Ranji aus Mumbai, dessen Traum es ist, einmal mit seinem großen Idol Amir Roshan einen Film zu drehen und mit ihm zu singen und zu tanzen. Doch der eigenen Karriere in Bollywood steht die Karriere seines Vaters entgegen, der eine Stelle als Risikoanalyst in Deutschland annimmt und die Familie zum Umzug zwingt – gegen Ranjis Willen.
In Deutschland begegnet Ranji Rassismus, Ausgrenzung und Mobbing – nicht zuletzt durch seine gleichaltrige Nachbarin Toni, die unter der Trennung ihrer Eltern leidet. Um Geld für eine geplante familiäre Versöhnungsreise nach Rom zu verdienen, stiehlt sie Ranjis Handy und verkauft es. Dass sie damit seine Hoffnung auf eine Rückkehr nach Indien zunichte macht, schert sie zunächst nicht: Denn auf diesem Gerät ist sein Bewerbungsvideo für ein Casting in Mumbai für Amir Roshans neuestem Film gespeichert.
Doch auf dem Nährboden ihrer Leidensgeschichten erwächst mit der Zeit eine Freundschaft zwischen beiden Kindern. Schließlich dreht Ranji mit Tonis Hilfe ein neues Bewerbungsvideo, dank dem er – gegen den Willen seiner Eltern – tatsächlich nach Mumbai eingeladen wird. Toni finanziert die Flugtickets von ihrem Hehlergewinn. In Mumbai angekommen, kommt Ranji seinem Tiger endlich ganz nahe.
Regisseur Lars Montag gelingt mit Träume sind wie wilde Tiger ein Kinderfilm, der mit Witz und Einfühlungsvermögen zwei Kulturen aufeinandertreffen lässt. Ganz im Sinne der Culture-Clash-Komödie lebt der Film von Kontrasten: das farbenfrohe Indien vs. das graue Deutschland; der rational-analytische Vater vs. der künstlerisch-intuitive Sohn; die Welt der Erwachsenen vs. die Sehnsüchte der Kinder. Zum Glück bleiben diese Gegensätze nicht plakativ, sondern werden auf humorvoll-ironische Weise überwunden – etwa in Szenen, in denen Ranji durch kreative Videos die Grenzen seines Alltags sprengt, Roberto Blanco Integrationstipps gibt, Bollywood-Momente die deutsche Fahrkartenkontrolleurin milde stimmen sollen oder eine esoterisch-indienverliebte Nachbarin mit ironischer Selbstverständlichkeit jedes Klischee lebt und so unwissentlich dazu beiträgt, dass es die Kinder schließlich nach Indien schaffen.
Dass sich der Film nicht in kulturellen Stereotypen verliert, ist vor allem der mit feinem Witz inszenierten Geschichte und den großartigen jungen Hauptdarsteller*innen Shan Robitzky und Annlis Krischke zu verdanken. Mit ihrem lebendigen Spiel schaffen sie Charaktere, die vielschichtig und echt wirken – weit entfernt von den Pappfiguren aus aktuellen Produktionen wie Ponyherz oder Ein Mädchen namens Willow.
(Christian Albrecht)
Mission Ulja Funk
(Deutschland 2021, Regie und Drehbuch: Barbara Cronenberg, FSK: 6, z.B. verfügbar auf filmfriend)
Die zwölfjährige Ulja, eine kluge und gleichzeitig eigensinnige Hobby-Astronomin, hat herausgefunden, dass ein Meteorit auf die Erde zurast und in weniger als zwei Tagen in einem belarussischen Dorf einschlagen wird. Um dorthin zu gelangen, engagiert sie kurzerhand den etwa gleichaltrigen Henk, der erstaunlich sicher Autofahren kann. Als Transportmittel fungiert ein Leichenwagen, als blinde Passagiere befinden sich noch Uljas konservative Großmutter und ein lebendiges Huhn, das sich unter der Motorhaube versteckt, im Auto. Zu allem Überfluss verfolgt sie auf ihrer Reise quer durch Osteuropa der Bus einer russisch-orthodoxen Freikirche – inklusive Uljas Eltern.
Für kindliche Zuschauer*innen funktioniert Mission Ulja Funk vor allem durch die Spannung, den kindlichen Eskapismus und den skurril-anarchischen Humor, gleichzeitig adressiert der Film auch ein erwachsenes Publikum, etwa durch filmgeschichtliche Bezüge. Die Bildästhetik erinnert z.B. stark an die Filme Wes Andersons und auch Aki Kaurismäki wird an einigen Stellen zitiert – für das Verständnis der Handlung sind diese Verweise allerdings nicht notwendig. Neben Wissenschaft und Abenteuer greift der Film noch weitere Themen auf: Selbstbestimmung und der Konflikt zwischen Rationalität und Glauben. Dabei bleibt Mission Ulja Funk aber immer unterhaltsam und verliert – auch dank der schrullig gezeichneten Figuren – nie seinen humorvollen Ton. Und das Schöne ist: Es wird komplett auf einen erhobenen Zeigefinger verzichtet. Der Film bricht auch ansonsten mit einigen Konventionen des populären (deutschen) Kinderfilms, so entwickelt sich die Protagonistin kaum im Laufe der Filmhandlung. Das ist zumal für das Roadmovie-Genre sehr ungewöhnlich, denn hier geht die äußere Reise klassischerweise mit der inneren Reifung der Figuren einher. Mission Ulja Funk ist übrigens in Zuge der Initiative „Der besondere Kinderfilm“ entstanden, die originäre Stoffe aus dem Feld des Kinderfilms in Deutschland fördert.
(Frank Münschke)