Biographie

Lotte Reiniger wurde als Charlotte Eleonore Elisabeth Reiniger am 2. Juni 1899 in Berlin-Charlottenburg geboren (Happ 2004, S. 7). Bereits als Kind war sie eine passionierte Scherenschneiderin und vernarrt in Filme und Märchen. Ein Vortrag Paul Wegeners inspirierte die junge Frau, Phantastisches in bewegten Bildern zu schaffen. Später erzählte sie Walter Schobert: "Von diesem Moment an hatte ich nichts anderes im Kopf, als mich an diesen Paul Wegener heranzumachen" (Schobert 1972, S. 100). So zog es Reiniger an die Schauspielschule von Max Reinhardt, wo sie von 1916-1917 Kurse belegte (Happ 2004, S. 10f). Wegener, der an Reinhardts Theater Schauspieler war, wurde zu ihrem Mentor, und bis 1920 arbeiteten sie gemeinsam an verschiedenen Filmen. Zunächst schnitt Reiniger Silhouetten von SchauspielerInnen, wobei sie die Gesten und Bewegungsabläufe genau festzuhalten versuchte. Wegener ließ sie dann an seinem Film Der Rattenfänger von Hameln (1918) mitarbeiten, wo sie erste Erfahrungen mit dem Trickfilm sammelte (ebd., S. 13f.). Außerdem fertigte sie Titelsilhouetten und Dialogkarten für verschiedene Filme an, die damals im Vorspann die verschiedenen Rollen vorstellten.

Als Hans Cürlis 1919 in Berlin das Institut für Kulturforschung ins Leben rief, das sich dem Trickfilm widmete, wurde Wegener eingeladen (ebd., S. 14). Dieser bat Reiniger zufolge direkt darum, seinen weiblichen Schützling miteinzubeziehen: "Hier, wenn ihr da so experimentelle Filme macht, nehmt um gotteswillen dieses verrückte Silhouettenmädchen […], macht die Figuren flach, legt sie auf so ein Ding und laßt sie einen Film machen." (Schobert 1972, S. 100). Fortan produzierte Reiniger mit einem jungen und intellektuellen Team Silhouettenfilme. Zu dieser Gruppe gehörte auch Carl Koch, ein Kunsthistoriker und Philosoph mit Liebe zu technischen Details, der später ihr Ehemann werden sollte. Bis zu Kochs Tod arbeiteten die beiden zusammen an Silhouettenfilmen. Reiniger und Koch schlossen mit vielen berühmten Kulturschaffenden Freundschaft, darunter Jean Renoir, Hans Richter, Carl Zuckmayer, Fritz Lang, das Ehepaar Hürlimann und Bertolt Brecht.

Die Abenteuer des Prinzen Achmed wurde für das Institut für Kulturforschung in Zusammenarbeit mit Walter Ruttmann, Berthold Bartosch, Alexander Kardan und Walter Türck realisiert. Carl Koch betätigte sich dabei als Aufnahmeleiter. Der Bankier und Mäzen Louis Hagen förderte das sich über drei Jahre erstreckende Filmprojekt. Schließlich wurde der Film am 18. Juni 1926 an der Champs Elysées in Paris uraufgeführt. Er erhielt viele positive Kritiken und stieß international auf ein großes Echo, war aber kein finanzieller Erfolg (Shandley 2011, S. 90).

Der nationalsozialistische Terror sowie künstlerische und wirtschaftliche Bedrängnisse bewogen Reiniger dazu, die Zeit zwischen 1933 und Ende 1943 im Ausland zu verbringen, wobei sie sich vor allem in Paris, Rom und London aufhielt. In diesen Jahren entstanden Trickfilme für die BBC und das amerikanische Fernsehen. Reiniger ist laut Selbstaussage

aus Deutschland weggegangen, weil mir diese Hitler-Veranstaltung nicht paßte und weil ich sehr viele jüdische Freunde hatte, die ich nun nicht mehr Freunde nennen durfte; und das ging mir gegen den Strich. […] Dann aber dachten wir, wir könnten nicht alle so ohne weiteres aus Deutschland weggehen, sondern müßten versuchen, unsere Sache zu verteidigen, weil wir es nicht für möglich hielten, daß in einem Land wie Deutschland eine so grausame Tendenz lange Fuß fassen könnte (Schobert 1972, S. 99).

Besonders die Tatsache, dass sie in Deutschland nicht frei arbeiten konnte, dürfte dazu beigetragen haben, dass sie ihr Geburtsland verließ, unmittelbar verfolgt wurde sie jedoch nicht. Mit Ausnahme des Pralinen-Werbefilms Barcarole waren ihre Werke im nationalsozialistischen Deutschland zwar nicht verboten, aber auch nicht gefragt (Happ 2004, S. 48). Zudem gab es unter dem Hakenkreuz keine finanzielle Förderung für Filme, die sich nicht propagandistisch verwerten ließen. Darunter fielen auch die Scherenschnittfilme Reinigers, was ein Kommentar Willy Krauses in der Deutschen Filmzeitung illustriert:

Der Scherenschnittfilm ist unrealistisch, ist Illusion und seine Form ist romantisch. […] Wir haben keinen romantischen Raum mehr, sondern einen realistischen. Wenn Reichsminister Dr. Goebbels die Bereitstellung finanzieller Mittel für den Film im nächsten Reichsetat ankündigt, so werden das Beiträge zur Erziehung sein. (Zitiert nach Happ 2004, S. 48)

1936 zeigte das Victoria and Albert Museum eine Ausstellung über Lotte Reiniger, die in dieser Zeit in verschiedenen britischen Städten Vorträge hielt. Sie reiste viel und wurde dabei auch mit der griechischen Schattenspielkunst vertraut, in der horizontale Führungsstäbe benutzt wurden (ebd., S. 55ff.). Aufträge erhielt Reiniger erst von der General Post Office Film Unit und dann von der Scalera-Filmgesellschaft in Rom, wo es jedoch nach dem Einmarsch deutscher Truppen für sie unsicher wurde. Inmitten des Krieges kam sie zurück nach Deutschland. Ein weiterer Grund für ihre Rückkehr war, dass ihre Mutter noch immer in Deutschland lebte. Reiniger arbeitete nun für die Reichsanstalt für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht. Fünf Jahre später zog es sie dann aber wieder nach Großbritannien. Eine Einladung der Crown Film Unit (C.O.I.) bewirkte eine Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung, deren Verlängerung jedoch zunächst ungewiss war (Happ 2004, S. 76). Für die C.O.I. arbeitete Reiniger an historischen, erdkundlichen und gesundheitlichen Aufklärungsfilmen sowie Werbefilmen. Eine Zeit lang kooperierte sie auch mit dem in Großbritannien bekannten Puppenspielerpaar Ann Hogarth und Jan Bussell (Schönfeld 2006, S. 175). Anfang der 1950er Jahre stellte Reiniger Filme für Primrose Productions her, 1956 gründete sie mit Carl Koch ihre eigene Produktionsfirma mit dem Namen Fantasia, in der einige farbige Scherenschnittfilme entstanden. 1962 erwarb Reiniger die britische Staatsbürgerschaft. Ein Jahr später verstarb Carl Koch, woraufhin sie sich aus dem Filmgeschäft zurückzog und Weihnachtspantomimen und Schattentheater (mit-)gestaltete, die sich häufig dezidiert an Kinder richteten. Auf der Berlinale im Jahr 1972 wurde ihr das Filmband in Gold überreicht. Zwei Jahre darauf folgte sie einer Einladung des National Film Board of Canada und reiste nach Nordamerika, wo sie auch eine vom Goethe-Institut organisierte Vortragstour unternahm (Happ 2004, S. 98f.). 1979, zu ihrem 80. Geburtstag, wurde Reiniger das Bundesverdienstkreuz verliehen.

1981 verstarb Lotte Reiniger in Dettenhausen bei Tübingen. Dorthin hatte sie es gegen ihr Lebensende verschlagen, nachdem sie vorher viele Jahre – seit 1951 – in der KünsterInnenkolonie "The Abby Arts Centre" gelebt und gearbeitet hatte.

Werk

Im Laufe der Zeit schuf Lotte Reiniger über vierzig Silhouettenfilme, von denen allerdings nicht alle erhalten sind. Es handelt sich überwiegend um Märchenfilme und operettenhafte Musikfilme; entstanden ist aber auch Werbung. Dabei wurden ihre beweglichen Scherenschnittfiguren mit dem Stop-Motion-Verfahren animiert. Außerdem stellte Reiniger Animationen für viele der bedeutendsten Regisseure dieser Zeit her, darunter für Fritz Lang (Die Nibelungen, 1924) und Jean Renoir (Mme Bovary, 1933 und La Marseillaise, 1938). Zu Reinigers Oeuvre zählen überdies Illustrationen von Büchern und Zeitschriften sowie Schattenspiele. Besonders die Dr. Dolittle-Filme sowie die Sagen- und Märchenfilme sind für die Kinder- und Jugendliteratur- und -medienforschung von besonderer Bedeutung.

Lotte Reiniger hat den Silhouettenfilm keineswegs erfunden – schon in dem Kurzfilm The Sporting Mice (1909) von Charles Armstrong wurden Silhouetten verwendet, und auch für Zwischentitel wurden sie gern eingesetzt. Jedoch hat Reiniger den Silhouettenfilm innoviert und perfektioniert, weswegen diese Filmgattung heute untrennbar mit dem Namen Reiniger verknüpft ist. Reiniger und ihr Team erfanden zudem den ersten Mehrebenen-Tricktisch, mit dem eine Illusion von Dreidimensionalität erzeugt werden konnte. Ub Iwerks stellte allerdings wenig später einen ähnlichen mehrstöckigen Tricktisch her und nannte ihn Multiplan-Kamera. Sein Chef Walt Disney erwarb hierfür das Patent (vgl. Schönfeld 2006, S. 182f.).

1919 kam Reinigers erster Film mit dem Titel Das Ornament des verliebten Herzens in die Lichtspielhäuser, der – wie später Der fliegende Koffer (1921) und Aschenputtel/Cinderella (1922/1954) – für das Institut für Kulturforschung e.V. produziert und im Vorprogramm gezeigt wurde.

In den zwanziger Jahren folgten weitere Silhouettenfilme, darunter auch Werbefilme, wie zum Beispiel für Nivea Creme (Das Geheimnis der Marquise, 1922).

Die Abenteuer des Prinzen Achmed (1923-1926), einer der ersten abendfüllenden Trickfilme überhaupt, gilt als Reinigers Hauptwerk. Es handelt sich um ein Pastiche aus Motiven aus 1001 Nacht, an dem sie und ihr Team drei Jahre lang arbeiteten. Alexander Kardan und Walter Türck halfen Reiniger bei der Umsetzung der Bewegung der Silhouettenfiguren. Walter Ruttmann, der v. a. für den Dokumentarfilm Berlin. Die Sinfonie der Großstadt (1927) bekannt ist, war zusammen mit Berthold Bartosch für die Spezialeffekte zuständig. Bartosch entwarf unter anderem die Wellenbewegungen, die von KritikerInnen immer wieder als besonders innovativ hervorgehoben werden. Die Bewegungen wurden mit der Musik von Wolfang Zeller abgestimmt, der diese eigens für den Film komponiert hatte, sodass sich die Silhouettenfiguren schon in der Stummfilmzeit synchron zur Musik bewegten (Happ 2004, S. 24).

In Grotesken im Schnee (1928) kombiniert Reiniger collageartig Filmaufnahmen vom verschneiten Oberstdorf mit Scherenschnittanimationen, wobei die sportlichen Aktivitäten der Figuren phantastisch übersteigert werden. Dr. Dolittle aus demselben Jahr zeigt wiederum afrikanische Tiere und Landschaften.

Die Einführung des Tonfilms gegen Ende der 1920er Jahre bedeutete natürlich einen Umbruch in der Filmindustrie. Reiniger hatte sich schon seit Langem für das Zusammenspiel von Ton/Musik und Bild interessiert und widmete sich nun mit Begeisterung den Möglichkeiten des neuen Mediums. Sie begann, Filme im Stil der Commedia dell’arte zu fertigen und animierte die Figuren passgenau zur Musik. Es entstanden ferner eine Parodie auf Bizets Carmen (1933), ein Film mit Mozarts Papageno-Motiven (Papageno: der muntere Vogelfänger aus Mozarts "Zauberflöte", 1935) und Der kleine Schornsteinfeger (1934). Galathea (1935) war der letzte Film, den sie vor der Emigration in Deutschland drehte. 1932/33 gestaltete sie den erzieherischen Silhouettenfilm Das rollende Rad, der von der Entwicklung des Rades bis hin zur modernen Autoproduktion erzählt. Im erhaltenen Material fehlt allerdings die letzte Szene, eine Realaufnahme, die Adolf Hitler beim ersten Spatenstich der Reichsautobahn gezeigt haben soll (vgl. lottereiniger.de). Zudem produzierte Reiniger für die Reichsanstalt für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht den Märchenfilm Die goldene Gans (1947).

Der 1934 hergestellte Film Das gestohlene Herz kann hingegen als camoufliertes Statement gegen den Nationalsozialismus aufgefasst werden. Hier beraubt ein böser Berggeist die Bewohner einer kleinen Stadt ihrer Musikinstrumente, wird jedoch schließlich durch die Kraft der Musik bezwungen.

Zurück in Großbritannien entwarf Reiniger zunächst Werbefilme für die Post und das Gesundheitsministerium, Buchillustrationen sowie abgefilmte Schattenfilme, die im Fernsehen ausgestrahlt wurden (vgl. Happ 2004, S. 184). Anfang der 1950er Jahre wendete sie sich erneut schwerpunktmäßig dem Märchenfilm zu. Laut Happ entstand 1969 zudem eine Serie von abgefilmten biblischen Schattenspielen für das Kinderfernsehen, die unter dem Titel All Creatures Great and Small ausgestrahlt wurde (ebd., S. 94 u. 141). 1971 fertigte Reiniger Scherenschnitte zu den Mozartopern Die Zauberflöte, Figaro, Cosi fan tutte und Don Giovanni (ebd., S. 95f.). Außerdem entstanden Silhouettenfilme in Farbe: Aucassin und Nicolette (1976), The Rose and the Ring (1979) und Düsselchen und die vier Jahreszeiten (1980).

Zweifelsohne hat Lotte Reiniger Filmgeschichte geschrieben. Aber auch ihre anderen, außerfilmischen Werke verdienen Beachtung, darunter diverse Puppenspiele wie Oscar Wildes The Happy Prince, Weihnachtspantomimen (z. B. Father Christmas, 1969) und Schattentheater (z. B. Die Geschichte von den 17 Kühen, 1967).

Darüber hinaus illustrierte sie diverse Bücher, darunter Carl Ottens Der ewige Esel (1949), Roger Lancelyn Greens King Arthur and his Knights of the Round Table (1953) und Gladys Davidsons Ballet Stories for Young People (1959). Als sie 1980 gebeten wurde, einen Text ihrer Wahl zu bebildern, wählte sie Die kleine Seejungfrau von Hans Christian Andersen, der ebenfalls ein passionierter Scherenschneider gewesen ist (Happ 2004, S. 109f.).

Ferner sind ihre Aufsätze zu Silhouettenfilmen sowie das Buch Shadow Puppets, Shadow Theatres and Shadow Films (1970, 1981) aufschlussreiche Quellen für die Erforschung von Scherenschnittkunst sowie Inter- bzw. Transmedialität.

Populärrezeption

Lotte Reinigers Werk wurde weltweit rezipiert. So entstand in Japan wenige Jahre nach Die Abenteuer des Prinzen Achmed ein Silhouettenfilm, bei dem es sich um die Adaption eines Märchens aus 1001 Nacht handelte: Toshio Suzukis Yonjunin no Tozoku ("Vierzig Räuber", 1928). 1930 animierte der Italiener Ugo Amadoro Pinocchio und bediente sich dabei der Silhouettenkunst. In Deutschland fertigten die Brüder Diehl, die später für ihre Puppenfilme bekannt wurden, Kalif Storch (1929/30) als Silhouettenfilm.

Besonders in der DDR blühte der Silhouettenfilm auf: Die DEFA stellte zwischen 1954 und 1990 über 70 solcher Filme her, darunter sind ebenfalls Märchenadaptionen wie Die Bremer Stadtmusikanten (1954), König Drosselbart (1956), Prinzessin Springwasser (1956) und Die Prinzessin und der Ziegenhirt (1973) von Bruno J. Böttge sowie Hans mein Igel (1984) von Horst Tappert. Böttge fertigte insgesamt fast 50 Filme dieser Machart (Happ 1982, S. 47). Jörg Herrmann, der durch die Zusammenarbeit mit Böttge mit dem Silhouettenfilm vertraut wurde, stellt bis heute ebenfalls solche Filme her, darunter der abendfüllende Der siebente Rabe (2011), der auf der Krabat-Sage basiert (vgl. Becker 2015).

In der Tradition von Lotte Reiniger stehen ferner die mehrfach preisgekrönten Filme Princes et Princesses (2000) und Les Contes de la Nuit (2011) von Michel Ocelot. Schwarze Silhouettenanimationen setzte Ocelot auch in seinem Musikvideo von Earth Intruders der isländischen Pop-Ikone Björk ein. Ocelot nannte Reinigers Filme in einem Interview als wichtigen künstlerischen Einfluss. (vgl. Triebold 2011). Auch für den Illustrator und Animator Hannes Rall war Reiniger nach eigener Aussage eine wichtige Impulsgeberin (vgl. lotte-reiniger-film.com).

Selbst in dem populären Film Harry Potter and the Deathly Hallows. Part 1 (Yates, 2010) findet man Reinigers Silhouettenstil wieder, wenn das "Märchen der drei Brüder" erzählt wird. Ben Hibon, Regisseur dieser animierten Sequenz, nennt in einem Interview ebenfalls die Filme Reinigers als Vorbilder:

The work of artist Lotte Reiniger from the 1930s was another early reference. Her silhouette-style stop-motion animations are beautifully handcrafted and captured the naïve visual tone we were after. We also looked at Asian shadow-play, which is visually striking, very intricate and yet so beautifully simple. The technique is basic, but the end result is particularly charming and engaging. There’s something so ingenious about projecting shadows onto a simple cloth. (Hibon 2011; eine ausführliche Analyse der Sequenz findet sich in Gierke 2014)

In Vincent (1982) verwendet auch Tim Burton teilweise Silhouetten und kontrastiert diese mit 3D-Animationen. Andere Cutout-Animationen in Kinderserien, die meist jedoch nur noch weit entfernt an Reiniger erinnern, sind z. B. in der kanadischen Serie Angela Anaconda (1999-2002) oder der britischen Serie Charlie und Lola (2005-2007), die auf den Bilderbüchern von Laura Child basiert, zu entdecken.

Reinigers Einfluss reicht längst über Film und Fernsehen hinaus, und so finden sich auch in den sogenannten 'neuen Medien' ihre Spuren, wie z. B. in dem mehrfach ausgezeichneten, düsteren Xbox-Spiel Limbo (2010) von Arnt Jensen.



Wissenschaftliche Rezeption

Im Kontext von filmwissenschaftlichen Arbeiten findet Reinigers Werk bis heute insgesamt viel Beachtung. Insbesondere in wissenschaftlichen Veröffentlichungen zur Geschichte des Trickfilms fehlt ihr Name so gut wie nie. Auch Reinigers Zeitgenossen nahmen Notiz von ihrem Werk, das viel gelobt, aber teilweise aber auch bloß als hübsch, jedoch wenig künstlerisch abgetan wurde. So urteilte beispielsweise Siegfried Kracauer, Reinigers Dr. Dolittle sei "niedlich[..]" (1958, S. 85), ihre Filme generell "kunstgewerblich, aber nett" (Kracauer 2004, 328). Bernd Stiegler erörtert in seinem Artikel "Lotte vergisst die Schere nicht", dass Reinigers Werk in frühen Arbeiten über den Film immer wieder im Kontext von Fragen nach Wesen und den Prinzipien des Films auftaucht. So verdeutlicht Stiegler bspw., wie stark Balázs' Der sichtbare Mensch (1924) von Ideen der Silhouettenkunst geprägt ist (2011, S. 54f). In Der Geist des Films zieht Balázs sie gar als Beispiel im Kontext des absoluten Films heran (Balázs 1972, S. 122ff.). Hans Richter verwendete neben Fernand Légers Mechanischem Ballett Reinigers Dr. Dolittle, "um zu demonstrieren, wie man aus Formen Dinge machen kann" (Stiegler 2011, S. 59).

Einige KritikerInnen hoben zudem die Bedeutung des Silhouettenfilms als kinderspezifisches Medium hervor. So schrieb beispielsweise der Filmtheoretiker und Kulturredakteur der Weltbühne Rudolf Arnheim:

Die Silhouette ist nicht so wirklichkeitsnah wie ein plastisches Ding, und sei es noch so phantastisch erdacht; sie bewahrt dadurch den Zuschauer, besonders den kindlichen, vor dem Entsetzen, das sich einstellt, wenn Märchenhaftes bis über einen gewissen Grad der Anschaulichkeit hinaus greifbare Wirklichkeit wird. (Arnheim 1928, S. 961)

Nach dem Zweiten Weltkrieg fand Lotte Reinigers Werk in Deutschland zunächst eher wenig Beachtung, Ende der 1960er Jahre verstärkte sich jedoch das Interesse an ihren Filmen. [1] Reiniger wurde seitdem mit mehreren Werkschauen gewürdigt und erhielt auf der Berlinale 1972 das Filmband in Gold. Im Kontext von Kinder- und Jugendliteratur und -medienforschung wird Reiniger zwar meist genannt, jedoch fehlen umfangreichere Arbeiten zu ihren Filmen.

Fußnoten

[1] So machte neben Alfred Happ auch Christel Strobel, die mittlerweile auch die Verleih- und Vorführrechte besitzt, wiederholt auf Reiniger aufmerksam (vgl. insbes.: Strobel 2013, www.lottereiniger.de; https://absolutmedien.de/bilddatenbank/bilder/750/reiniger_booklett_innen_s.pdf).

Literaturverzeichnis

  • Arnheim, Rudolf: Lotte Reinigers Schattenfilme. In: Die Weltbühne (XXIV) 1928. H. 52. 24.12.1928. S. 961.
  • Becker, Stefanie: Der Mann, der die Schatten tanzen lässt. In: SPIEGEL ONLINE (11.08.2015). http://www.spiegel.de/einestages/silhouettenfilm-der-mann-der-die-schatten-tanzen-laesst-a-1046466.html (25.01.2016).
  • Gierke, Alina: Das Märchen als moderner Totentanz – Gedanken zu Joanne K. Rowlings The Tale of the Three Brothers und seiner filmischen Adaption, in: Harry Potter Intermedial. Hrsg. von Annika Kurwinkel, Tobias Kurwinkel und Philipp Schmerheim, Würzburg: Königshausen & Neumann 2014. S.107-127.
  • Happ, Alfred: Lotte Reiniger: 1899-1981; Schöpferin einer neuen Silhouettenkunst. Tübingen: Kulturamt 2004.
  • Happ, Alfred: Scherenschnitt und Schattentheater im 20. Jahrhundert. In: Licht und Schatten. Scherenschnitt und Schattentheater im 20. Jahrhundert. Ausst.-Kat. Puppentheatermuseum im Münchner Stadtmuseum. München 1982. S. 8-84.
  • Hibon, Ben: How the first animated sequence in a ‚Harry Potter’ movie came about. In: latimes.com (28.01.2011). http://latimesblogs.latimes.com/awards/2011/01/how-the-first-animated-sequence-in-a-harry-potter-movie-came-about.html (25.01.2016).
  • Kracauer, Siegfried: Die Wunder Asiens. In: Siegfried Kracauer: Werke. Band 6.2. Hrsg. von Inka Mülder-Bach u.a. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2004. S. 327-328.
  • O.V.: Das rollende Rad. In: lottereiniger.de. http://www.lottereiniger.de/filme/rollende_rad.php (25.01.2016)
  • Schobert, Walter: Gespräch mit Lotte Reiniger. In: Lotte Reiniger, David W. Griffith, Harry Langdon. Frankfurt a. M.: Kommunales Kino 1972. S. 99-101.
  • Schönfeld, Christiane: Lotte Reiniger and the Art of Animation. In: Practicing Modernity: Female Creativity in the Weimar Republic. Würzburg: Königshausen & Neumann 2006. S. 171-190.
  • Shandley, Robert: Zur Rezeption der Filme Lotte Reinigers. In: Lotte Reiniger im Kontext der europäischen Medienavantgarde. Hrsg. von Evamarie Blattner und Dorothee Kimmich. Tübingen: Stadtmuseum Tübingen et al. 2001. S. 90-98.
  • Stiegler, Bernd: Reiniger vergisst die Schere nicht. In: Lotte Reiniger im Kontext der europäischen Medienavantgarde. Hrsg. von Evamarie Blattner und Dorothee Kimmich. Tübingen: Stadtmuseum Tübingen et al. 2001. S. 52-63.
  • Strobel, Christel: Lotte Reiniger. Erfinderin des Silhouettenfilms. Überarbeitete und ergänzte Neuauflage. Hrsg. von KJK Kinder- und Jugendfilm Korrespondenz. München: Kinderkino München, 2013.