Inhaltsverzeichnis

1 Von Schwellenmomenten, Sinnkrisen und der Suche nach der eigenen Identität: Einführung

2 Was ist ein Coming-of-Age-Film?

2.1 Forschungsstand 

2.2 Schwellensituationen und Übergangsriten

2.3 Themen der Adoleszenz

3 Weite Definition: Der Coming-of-Age-Film und die Postadoleszenz

4 Enge Definition: Coming-of-Age-Film als Unterkategorie des Jugendfilms

5 Coming-of-Age-Film als Meta-Genre

6 Coming-of-Age-Filme und Filme mit Coming-of-Age-Elementen

7 Coming-of-Age-Film und Jugendfilm

8 Coming-of-Age-Filme im Kontext der Zeit

Literatur

 

1 Von Schwellenmomenten, Sinnkrisen und der Suche nach der eigenen Identität: Einführung

Coming-of-Age-Erzählungen stehen seit Jahren sowohl in der Gunst der Filmkritik als auch des Publikums: Bei den Oscarverleihungen 2018 erhielten mit CALL ME BY YOUR NAME (2017) von Luca Guadagnino und LADY BIRD (2017) von Greta Gerwig zwei Coming-of-Age-Filme eine Nominierung in der Kategorie Bester Film, bei den Academy Awards 2019 gewann Alfonso Cuaróns Coming-of-Age-Drama ROMA (2018) insgesamt drei Oscars. Populäre Coming-of-Age-Formate finden sich auch in der aktuellen Serienlandschaft: 13 REASONS WHY (2017-2020), THE END OF THE F***ING WORLD (2017-2019), DERRY GIRLS (seit 2018), SEX EDUCATION (seit 2019) oder EUPHORIA (seit 2019) sind nur einige Beispiele für serielle Formate, die über mehrere Staffeln einen (vor allem düsteren) Blick auf das Heranwachsen Jugendlicher werfen. 

2 Was ist ein Coming-of-Age-Film? 

2.1 Forschungsstand

Die deutschsprachige Forschung hat sich bislang nur nebensächlich mit dem Coming-of-Age-Film beschäftigt. Eine knappe Definition der Filmgruppe liefert Claudia Wegener: "Mit der Bezeichnung Coming-of-Age ist eben solchen Filmen ein Name gegeben, die die Sicht der späten Kindheit einnehmen und den Übergang in die Erwachsenenwelt thematisieren." (Wegener 2011: 129) Die späte Kindheit kann in diesem Fall auch mit der psychosozialen Phase der Adoleszenz gleichgesetzt werden.[1]

Eine breitere Definition findet sich im Filmglossar auf kinofenster.de:

Der aus dem Englischen stammende Sammelbegriff bezeichnet Filme, in denen ältere Kinder und Jugendliche als Hauptfiguren erstmals mit grundlegenden Fragen des Heranwachsens oder starken Emotionen konfrontiert und in der Auseinandersetzung mit diesen langsam erwachsen werden. Selbstfindungs-, Identitätsbildungs- und Emanzipierungsprozesse sind charakteristisch für dieses Genre. Im Mittelpunkt steht die Auseinandersetzung mit der Erwachsenenwelt, dem Elternhaus, der Schule und der Gesellschaft im Allgemeinen. Entsprechend dreht sich die Handlung in der Regel um familiäre, gesellschaftliche oder individuelle Konflikte, Sexualität, Geschlechterrollen, Auflehnung, Meinungsbildung und andere moralische wie emotionale Herausforderungen, denen junge Menschen in der Pubertät begegnen […]. (kinofenster.de 2014)

Es gibt zusammengefasst also vor allem zwei filminterne Aspekte, die den Coming-of-Age-Film auszeichnen und die in Kombination auftreten bzw. sich gegenseitig bedingen: Erstens die Verhandlung des Übergangs von einer Lebensphase in eine andere, die mit der Identitätssuche der Protagonist:innen und verschiedenen Schwellensituationen einhergeht, und zweitens die Verhandlung gängiger Themen und Probleme der Adoleszenz.

2.2 Schwellensituationen und Übergangsriten

Mit dem Übergang von einer Lebensphase in eine andere ist für gewöhnlich der Übergang von der Jugend- in die Erwachsenenwelt gemeint. Das geht auch mit dem Begriff Coming of Age selbst einher, der ins Deutsche mit Erwachsenwerden übersetzt werden kann. Eng damit verknüpft ist die Bezeichnung "Rites of Passage" (vgl. etwa Driscoll 2011: 66).[2] Driscoll versteht darunter einerseits institutionelle Schwellensituationen bzw. Übergangs- und Initiationsriten, wie etwa den Abschlussball an amerikanischen Schulen[3], andererseits und vor allem "experience of limits" (ebd.). Damit ist gemeint: Die Figuren in Coming-of-Age-Filmen testen ihre Grenzen und neue Lebensweisen aus, sie überwinden Schwellen oder scheitern an diesen.[4] Die Konfrontationen mit Schwellensituationen bieten Potenzial für die Persönlichkeitsbildung und -entwicklung der Figuren, die Schwellen können dabei gesellschaftlich, körperlich, kulturell, sozial oder auch sexuell[5] konnotiert sein. Manche Schwellen haben dabei plastischen/physischen Charakter: Etwa die Türschwelle zum Backstage-Bereich in ALMOST FAMOUS (2000) von Cameron Crowe, die der Protagonist erst nach mehreren Zurückweisungen durch einen Türsteher überwinden kann. Ein weiteres Beispiel ist die Brücke in Fatih Akins TSCHICK (2016), auf der die beiden Figuren Maik und Tschick in dem von ihnen gestohlenen Auto stoppen müssen und Maik nach einer Verletzung Tschicks das Steuer des Wagens und damit einhergehend die Verantwortung übernimmt – und die Schwelle überwindet. In Anlehnung an Jurij M. Lotmans Konzept der Grenzüberschreitung (1972) betreten die Figuren also neue semantische, topologische und/oder topographische Räume bzw. werden mit diesen konfrontiert.[6] Die Thematisierung dieser Grenz- und Übergangserfahrungen, die mit der Identitätsfindung und dem Reifungsprozess der Figuren einhergehen (vgl. Schumacher 2013: 306), ist zentral in Coming-of-Age-Filmen angelegt. Schwellensituationen haben dabei oftmals eine dramaturgische Funktion, stellen etwa Plot Points dar und bringen demnach die Handlung und die Entwicklung der Figuren voran, was mit gängigen Konzepten der Filmdramaturgie (vgl. etwa Krützen 2014; McKee 2008; Vogler 2010)[7] einhergeht. Das hält auch Krastev (2011: 2) fest: "Der Schwellenmoment des Protagonisten handelt oft von einer Entscheidung, die getroffen werden muss, mit einer besonderen Bedeutung und Folgen für das zukünftige Leben der Figur." Es stehen demnach vor allem Figuren im Zentrum der Filme, die sich im Laufe der Handlung entwickeln, also dynamisch sind und deren individuelle Reifungsprozesse verhandelt werden.

Es kann festgehalten werden: In Coming-of-Age-Filmen wird der Übergang von einer Lebensphase in eine andere oder von einem Lebensstandpunkt zu einem anderen verhandelt, was zentral mit Identitätsfindungsprozessen und Initiationshandlungen einhergeht. Im Fokus vieler Coming-of-Age-Filme steht dabei allerdings weniger der tatsächliche Übertritt in eine neue (erwachsenere) Lebenswelt, viel nachdrücklicher angelegt ist die Verhandlung der adoleszenten Zwischen- und Übergangsphase selbst, des – mit Erikson gesprochen – psychosozialen Moratoriums (vgl. Erikson 2015: 137).[8] Schumacher (vgl. 2013: 309) spricht hier von einem "Schwellenzustand", in dem sich die Figuren befinden. Die Filme erzählen damit einhergehend Geschichten von Unbeschwertheit, großen und kleinen Lebensfragen, existentiellen Krisen und der Brüchigkeit von Zuständen.

Auch wenn den Figuren oftmals der Übertritt nicht gelingt bzw. dieser nicht das primäre Ziel darstellt, so sind sie dennoch am Ende der filmischen Erzählungen gereift und haben einen anderen Blick auf die Welt, die Gesellschaft und sich selbst. Wenn etwa in DEAD POETS SOCIETY (1989) von Peter Weir der anfangs schüchterne Jugendliche Todd Anderson am Ende des Films als erster auf den Tisch steigt, um der Lehrer- und Mentorenfigur[9] John Keating zu huldigen, dann ist das ein prototypisches Beispiel für einen äußeren und inneren – und in diesen Fall positiv konnotierten – Entwicklungsprozess einer Figur im Coming-of-Age-Film. Die Schwellensituationen haben zusammengefasst also eine narrative Funktion und sind gleichzeitig eng verknüpft mit den Figuren bzw. mit Figureneigenschaften. 

Die Ausbildung der eigenen Identität bzw. der Ich-Identität ist das zentrale Thema bzw. die zentrale Entwicklungsaufgabe der Adoleszenz (vgl. etwa Erikson 2015: 136-138) und kann bei der Definition des Coming-of-Age-Films als übergeordnet und – im Zusammenspiel mit verschiedenen Schwellensituationen – handlungsleitend angesehen werden, sie ist als Erzählmuster in gängigen Coming-of-Age-Filmen angelegt.

2.3 Themen der Adoleszenz

Identitätsbildung und Identitätsfindung implizieren allerdings weitere Themenfelder, die in der psychosozialen Phase der Adoleszenz eine starke Charakteristik und Ausprägung aufweisen, wodurch sich eine zweite Konvention des Coming-of-Age-Films ergibt: Die Verhandlung von Themen, die eng mit der Phase der Adoleszenz verknüpft sind und mit denen sich die Figuren auseinandersetzen. Das sind vor allem:

  • Abgrenzung (in jeglicher Form, also etwa von bekannten Lebensmustern und der Elterngeneration)
  • Außenseitertum
  • Drogenerfahrungen
  • Freundschaft
  • Geschlechtsidentität
  • (physische und psychische) Gewalt
  • (individuelle und soziale) Konflikte
  • Körperwahrnehmung
  • Kriminalität
  • Liebe
  • Mediennutzung
  • Scheitern
  • Sexualität und sexuelle Selbstfindung
  • Tod und Verlust

Bei diesen Themen handelt es sich allerdings um keine Themen, die ausschließlich mit der psychosozialen Phase der Adoleszenz verknüpft sind, sie finden hier allerdings eine starke (und oftmals ihre stärkste) Ausprägung und die Figuren werden in den Coming-of-Age-Filmen nachdrücklich mit diesen konfrontiert.

Die beiden zentralen Konventionen des Coming-of-Age-Films treten einerseits in Kombination auf, andererseits besteht zwischen ihnen eine Wechselwirkung bzw. es kommt zu einem Zusammenspiel: Etwa ist die Identitätsfindung des Protagonisten mit all ihren Schwellensituationen in MOONLIGHT (2016) von Barry Jenkins eng an das Thema der Sexualität bzw. der Homosexualität gekoppelt.

Weite Definition: Der Coming-of-Age-Film und die Postadoleszenz

Ausgehend von diesen beiden Aspekten ergibt sich eine allgemeine Definition des Coming-of-Age-Films, die sich auf filminterne Aspekte fokussiert:

In Coming-of-Age-Filmen werden Figuren mit den existentiellen Fragen, Problemen und Themen der Adoleszenz konfrontiert. Es handelt sich um Filme mit dynamischen Figuren, die sich im Laufe der Handlung entwickeln und am Ende der Erzählung einen anderen Blick auf die Welt, die Gesellschaft und ihr eigenes Leben haben. Es geht in diesen Geschichten um die Selbstfindung, das Herausbilden der eigenen Identität und die Ablösung von sowie die Konfrontation mit gewohnten Lebensmustern, Lebensumfeldern und Lebensräumen.

Diese weiter gefasste Definition schließt somit auch Filme ein, deren Figuren einer jugendlichen Lebenswelt bereits entwachsen sind und die sich in der Spät- oder Postadoleszenz befinden. Klassische Themen der Adoleszenz werden aber dennoch verhandelt.[10] Damit sind Filme wie REALITY BITES (1994) von Ben Stiller, GARDEN STATE (2004) von Zach Braff oder OH BOY (2012) von Jan-Ole Gerster gemeint, die als Coming-of-Age-Film klassifiziert werden. Nach dieser breiten Definition ist nicht jeder Jugendfilm ein Coming-of-Age-Film und nicht jeder Coming-of-Age-Film ein Jugendfilm.

4 Enge Definition: Coming-of-Age-Film als Unterkategorie des Jugendfilms

Eine enge Definition des Coming-of-Age-Films beinhaltet nur Filme, die jugendliche Protagonist:innen ins Zentrum stellen, die in einer jugendlichen Lebenswelt spielen und diese thematisieren und reflektieren. Mit einer (modernen) jugendlichen Lebenswelt – bezogen auf einen westlichen Kulturkreis – ist hier gemeint: Die Figuren halten sich in sozialen Lebensräumen (Elternhaus, Schule, institutionelle Einrichtungen, Orte der Freizeit bzw. Orte, die außerhalb der Kontrolle durch Erwachsene liegen) auf, die jugendlich konnotiert sind. Die Figuren stehen in ständigem Austausch und in ständiger Konfrontation mit jugendlichen Peergroups, der Familie, gesellschaftlichen Gruppen und institutionellen Vertreter:innen.[11]

Der Coming-of-Age-Film ist in diesem Fall also eine Unterkategorie des Jugendfilms. Hentges (2006) meint in ihrer Arbeit solche Filme und spricht dabei vom "teen coming-of-age film". Zusammengefasst kann festgehalten werden: Wenn der Coming-of-Age-Film als Unterkategorie des Jugendfilms verstanden wird, dann spielt er (zentral) in einer jugendlichen Lebenswelt. Es sind räumliche (und damit einhergehend auch soziokulturelle) Aspekte, die zu einer Kategorisierung von Filmen als (Coming-of-Age-)Jugendfilme führen. Wenn eine Figur nicht mehr die Schule besucht, nicht mehr bei ihren Eltern oder anderen Erziehungsbevollmächtigen wohnt, Orte der Jugend nicht mehr den Freizeitalltag dominieren, kann argumentiert werden, dass auch eine klassische jugendliche Lebenswelt verlassen wird. Auch wenn weiterhin Themen der Adoleszenz verhandelt werden. Das Ende bzw. das Verlassen einer jugendlichen Lebenswelt selbst stellt einen typischen Schwellen- und Übergangsritus dar, der im letzten Akt einiger Coming-of-Age-Filme eindrücklich thematisiert bzw. gezeigt wird, aber – wie weiter oben bereits ausgeführt wurde – keinen Standardfall darstellt. Filmische Beispiele dafür finden sich in AMERICAN GRAFFITI (1973) von George Lucas, in BOYHOOD (2014) von Richard Linklater oder in LADY BIRD (2017) von Greta Gerwig. Der Identitätsfindungsprozess ist allerdings auch in solchen Fällen (längst) nicht abgeschlossen: Die Figuren haben zwar einen anderen Blick auf ihr Leben und die Welt, sie haben sich mit Problemen des Erwachsenwerdens auseinandergesetzt, Fragen der (post-)adoleszenten Selbstfindung stellen sich aber weiterhin.

Es gibt zusammengefasst also drei inhaltliche Aspekte, die die enge Definition des Coming-of-Age-Films auszeichnen:

1. Die Verhandlung des Übergangs von einer Lebensphase in eine andere, die mit der Identitätssuche der Protagonist:innen und verschiedenen Schwellensituationen einhergeht,

2. die Verhandlung adoleszenter Themen und

3. die räumliche Verortung in eine jugendliche Lebenswelt.

Eine enge Definition, die den Coming-of-Age-Film als Unterkategorie des Jugendfilms versteht, lautet daher ausformuliert wie folgt:

In Coming-of-Age-Filmen werden jugendliche Figuren (erstmals) mit den existentiellen Fragen, Problemen und Themen der Adoleszenz konfrontiert. Es handelt sich um Filme mit dynamischen Figuren, die sich im Laufe der Handlung entwickeln und am Ende der Erzählung einen anderen Blick auf die Welt, die Gesellschaft und ihr eigenes Leben haben. Es geht in diesen Geschichten um die Selbstfindung, das Herausbilden der eigenen Identität und die Ablösung von und die Konfrontation mit gewohnten Lebensmustern, Lebensumfeldern und Lebensräumen – also dem Elternhaus, der Schule, der Peergroups, der Gesellschaft.

Die Filmgruppe lässt sich zusammengefasst also durch thematische, handlungsspezifische (narrative) und räumliche Konventionen definieren, die allesamt mit Aspekten und Eigenschaften der Figuren verknüpft sind.

5 Coming-of-Age-Film als Meta-Genre

Bei einem Blick auf filminterne Aspekte ist der Coming-of-Age-Film einerseits ein Genre, da die Filme mehrere Gemeinsamkeiten besitzen und der Coming-of-Age-Film damit insgesamt einen stärkeren Genre-Charakter aufweist als etwa der Kinder- und Jugendfilm, andererseits werden Coming-of-Age-Filme mit den Konventionen, z.B. den audiovisuellen Mustern, anderer Genres kombiniert. Das macht Uytdewilligen (2016) deutlich: Er führt die – seiner Ansicht nach – einflussreichsten 101 Coming-of-Age-Filme der Kinogeschichte auf. Bei der Auflistung setzt er in Klammern jeweils ein weiteres Genre bzw. mehrere Genres, dem bzw. denen der aufgeführte Film zugeschrieben werden kann. Dabei ist das Drama am präsentesten, aber auch zahlreiche Komödien werden erwähnt, ebenso wie Musicals oder Roadmovies. Daher handelt es sich bei dem Begriff Coming-of-Age-Film in Anlehnung an Wegener (2011) um ein Meta-Genre. Das fasst Uytdewilligen schlüssig zusammen:

It should be mentioned that coming of age is technically not an incorporated genre in the eyes of many critics, film historians, or producers. It simply is one aspect of much bigger genres like drama, romance, or comedy. Coming of age is a theme that can be explored in many different ways – wheather it´s dark, light, funny, or even magical. (Uytdewilligen 2016: 189)

6 Coming-of-Age-Filme und Filme mit Coming-of-Age-Elementen

Was ist der Unterschied zwischen einem Coming-of-Age-Film und einer Coming-of-Age-Story? Einerseits werden die Begriffe teilweise synonym verwendet, andererseits wird unter Coming-of-Age-Story vor allem eine narrative Struktur bzw. ein transmediales Erzählmuster (vgl. z.B. Lötscher 2022: 7) verstanden. Bei einem Blick auf das Medium Film kommt es zwar zu Überschneidungen mit den weiter oben vorgestellten Konventionen des Coming-of-Age-Films bzw. mit der Verhandlung von Schwellensituationen und Identitätsfindungsprozessen, dennoch ist die Bezeichnung Coming-of-Age-Story enger gefasst, da der Fokus hier auf narrativen Aspekten liegt bzw. die Konventionen der Coming-of-Age-Filmgruppe nicht überwiegen. Ein Beispiel dafür stellen die HARRY-POTTER-FILME (2001-2011) dar: Die Hauptfiguren werden im Laufe der einzelnen Filmteile (und der Romane) erwachsen, es werden Identitätsfindungsprozesse verhandelt, es dominieren aber insgesamt andere Genre-Konventionen und die Coming-of-Age-Story wird im Hintergrund erzählt bzw. läuft parallel dazu mit.

Die terminologische Unterscheidung zwischen Coming-of-Age-Film und Coming-of-Age-Story hat zusammengefasst also vor allem eine pragmatische Funktion: Coming-of-Age-Filme sind Filme, die sich fokussiert durch die Konventionen der Filmgruppe auszeichnen, dementsprechend auch durch eine zentral angelegte Coming-of-Age-Story. Eine Coming-of-Age-Story ist gleichzeitig zentraler und handlungsleitender Bestandteil eines Coming-of-Age-Films. Coming-of-Age-Storys finden sich allerdings auch in Filmen, in denen die Konventionen anderer Genres deutlich dominieren. Es lässt sich daher sagen: Jeder Coming-of-Age-Film beinhaltet eine Coming-of-Age-Story, aber nicht jeder Film mit einer Coming-of-Age-Story ist ein Coming-of-Age-Film.

7 Coming-of-Age-Film und Jugendfilm

Trotz der überschaubaren Forschungslage besteht in der deutschsprachigen Filmwissenschaft weitestgehend Einigkeit darüber, dass es sich bei Coming-of-Age-Filmen – und damit ist die enge Definition der Filmgruppe gemeint – um eine Unterkategorie des Jugendfilms handelt, die Begriffe also nicht synonym verwendet werden, auch wenn das an einigen Stellen geschieht (z.B. bei Exner 2019). Wegener spricht etwa von einem "Teilsegment" (Wegener 2011: 130) des Jugendfilms, auch Schumacher sieht den Coming-of-Age-Film als eine von mehreren Unterkategorien des Jugendfilms an (vgl. Schumacher 2013: 309).

Es lässt sich allerdings sagen: Es existieren kaum Jugendfilme ohne Coming-of-Age-Story, auch wenn das keinesfalls impliziert, dass es sich dabei um Coming-of-Age-Filme handelt. Ein Beispiel dafür ist die Filmreihe BIBI & TINA (2014-2017) von Detlev Buck. In den Filmen werden mehrere Coming-of-Age-Stories in Nebenhandlungssträngen erzählt, die Figuren reifen, Identitätsfindungsprozesse werden verhandelt, allerdings können diese Werke nicht als Coming-of-Age-Filme bezeichnet werden, sondern sind Jugendfilme, in denen unter anderem Elemente und die Konventionen des Coming-of-Age-Films aufgegriffen werden. Das lässt folgenden Schluss zu: In Jugendfilmen geht es zwar grundsätzlich auch (fast) immer um Themen der Adoleszenz und die Selbstfindung der Jugendlichen. In Coming-of-Age-Jugendfilmen ist der Reifungsprozess der Figuren, der mit Schwellensituationen und den Themen der Adoleszenz einhergeht, allerdings zentraler Bestandteil und wird fokussiert verhandelt, dieser dominiert deutlich und stellt den Hauptplot dar.[12]

8 Coming-of-Age-Filme im Kontext der Zeit

Coming-of-Age-Filme sind immer stark verankert in der zeitgenössischen Kultur mit all ihren medialen Phänomenen, sozialen Erscheinungen und Musik- und Modewellen, sie nehmen daher Bezug zu einer jugendlichen Alltags- und Lebenswelt. Hentges (vgl. 2006: 59-101) geht darauf ein, dass sich die zeitlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Kontexte dieser Filmgruppe verändern. Es handelt sich also einerseits um eine statische Filmgruppe, da gewisse Muster – etwa die Thematisierung von existentiellen Problemen, Identitätsfindungsprozessen, Schwellensituationen oder gewisse Handlungsorte wie die Schule oder das Elternhaus – zeitlos sind, andererseits um eine dynamische Filmgruppe, da sich in den Filmen gesellschaftliche, kulturelle und soziale Entwicklungen manifestieren (vgl. Shary 2014: x). Die sozialen, gesellschaftlichen und medialen Rahmenbedingungen in REBEL WITHOUT A CAUSE (1955) von Nicholas Ray unterscheiden sich von denen in THE PERKS OF BEING A WALLFLOWER (2012) von Stephen Chbosky, um zwei populäre amerikanische Vertreter zu nennen. Coming-of-Age-Jugendfilme zeigen und reflektieren unterschiedliche Jugendbewegungen, Jugendstile, Tendenzen der Jugend. Die existentiellen Fragen der Adoleszenz und der Identitätsfindung werden in unterschiedliche zeitliche Kontexte gestellt: Familienstrukturen verändern sich ebenso wie Erziehungsstile, Beziehungsmuster und gesellschaftliche Rollenbilder.[13] Zudem verändern sich die Medien und deren Nutzung – gerade im digitalen Zeitalter. Daher reflektieren Coming-of-Age-Filme immer auch soziokulturelle Muster und Schemata, die auf einen bestimmten historischen Zeitpunkt rekurrieren.

 


Endnoten

[1]Auch wenn die Adoleszenz zeitlich über die Phase der späten Kindheit bzw. der Jugend hinausgeht, wie gleich noch gezeigt werden soll.

[2] Der Begriff wurde vom französischen Ethnologen Arnold van Gennep in seinem Hauptwerk Les rites de passage (1909) wissenschaftlich eingeführt.

[3] Dafür gibt es zahlreiche Beispiele, hier sollen mit Howard Deutchs PRETTY IN PINK (1986) und 10 THINGS I HATE ABOUT YOU (1999) von Gil Junger nur zwei davon genannt werden. 

[4] Vgl. dazu auch Maciuszek (2010: 220) und Schumacher (2013: 311).

[5] Ein klassisches Beispiel für einen sexuellen Initiationsritus ist der erste Geschlechtsverkehr.

[6] S. dazu auch die Ausführungen von Maciuszek (vgl. 2010: 112), wobei er weniger einzelne Schwellensituationen selbst, sondern den konkreten und vollendeten Übergang von einer jugendlichen Welt in eine Erwachsenwelt meint. Dieser stellt allerdings – wie gleich noch gezeigt wird – keinen Regelfall in Coming-of-Age-Filmen dar. Die Verhandlung einzelner Grenz- und Schwellenerfahrungen sind in vielen Coming-of-Age-Filmen zentraler angelegt als der konkrete und (scheinbar) finale Schwellenübertritt.

[7] Gerade die Schritte des Heldenreise-Zyklus nach Vogler (2010) finden sich – angepasst an die Filmgruppe und die inneren Reifungsprozesse – in vielen Coming-of-Age-Filmen.

[8] An dieser Stelle sei auf die Parallelen zum Adoleszenzroman bzw. zu entsprechenden Forschungsarbeiten hingewiesen (vor allem: Ewers (Hrsg.) 1994; Kaulen 1999; Gansel 2000; Gansel / Zimniak (Hrsg) 2011; von Glasenapp / Weinkauff 2010: 125-135; Stemmann 2019). Das gilt etwa beispielhaft für die Unabschließbarkeit des Identitätsfindungsprozesses, Gansel schreibt dazu: "Dabei kennzeichnet den Adoleszensroman zumeist ein 'offenes Ende', die Protagonist:innen bleiben auf der Suche, eine Identitätsfindung im Sinn eines festen Wesenskerns muss nicht erfolgen und nicht angestrebt sein." (Gansel 2000: 371)

[9] Ohnehin spielen (oftmals erwachsene) Mentor:innenfiguren in Coming-of-Age-Filmen eine zentrale Rolle (vgl. Maciuszek 2010: 124 f.).

[10] Das geht mit dem aktuellen Forschungsstand der Neurobiologie einher, die von einer verlängerten Adoleszenz ausgeht, die auch bei Mitzwanzigern noch nicht abgeschlossen ist (vgl. Zinkant 2018). Auch die jugendsoziologische Forschung ist der Ansicht, dass es sich bei Begriffen wie Jugend bzw. Adoleszenz nicht um Phasen handelt, die mit dem Erreichen der Volljährigkeit abgeschlossen sind, wie Heinze schreibt: "Aus jugendsoziologischer Perspektive wird das Ende der Jugendzeit […] durchschnittlich auf Ende zwanzig taxiert, da hier häufig die Ausbildungszeit abgeschlossen ist, eine Familie gegründet wird, das allmähliche Auslaufen jugendkultureller Aktivitäten zu beobachten ist und die materielle Eigenständigkeit beginnt." (Heinze 2019: 5) Dabei spielt die individuelle Entwicklung eines Menschen immer eine entscheidende Rolle: "[Der] Übergang in das Erwachsenenalter [ist] heutzutage weniger deutlich konturiert und abhängig vom soziokulturellen und sozioökonomischen Kontext." (ebd.)

[11] Die Definition von Jugend erfolgt also vor allem räumlich (und soziokulturell). Dieser Zugang erweist sich als zielführend, es sei an dieser Stelle aber auf die mannigfaltigen und heterogenen Konzepte von Jugend hingewiesen (s. dazu vor allem Göppel 2019; vgl. dazu auch Gansel 2011: 17-19). Durch die hier vorgenommene definitorische Herangehensweise unterscheidet sich der Begriff der Jugend auch vom Begriff der Adoleszenz: Die psychosoziale Phase der Adoleszenz ist zwar zentral in die Phase der Jugend eingeschrieben, geht aber gleichzeitig über diese hinaus bzw. dauert länger an (s. dazu auch die vorherige Fußnote).

[12] Vgl. dazu auch Wegener (2011: 129 f.) und Maciuszek (2010: 77).

[13] Vgl. dazu auch Wegener (2011: 129).

 


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