Explikat
Die Auseinandersetzung mit Autorschaft hat in der Literaturwissenschaft eine lange und wechselvolle Geschichte – und zwar eine, die für unseren Umgang mit und unsere Deutung und Bewertung von Literatur eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt. In ihrer Einführung in die Erzähltextanalyse fassen Silke Lahn und Jan Christoph Meister diese Geschichte sehr übersichtlich zusammen. So ist die für die interpretatorische Arbeit mit literarischen Texten lange Zeit vorherrschende biografische Methode, der sogenannte Biografismus, abgelöst worden von dem vom französischen Philosophen und Literaturtheoretiker Roland Barthes ausgerufenen "Tod des Autors", den er erstmals 1967 in einem Aufsatz beschrieb. Mit Hilfe des Biografismus sollten literarische Texte im Abgleich mit Leben und Lebenszeugnissen von Autorinnen und Autoren zu verstehen sein – ein plakatives Beispiel bilden hier Franz Kafkas Parabeln und sein viel zitiertes zerrüttetes Verhältnis zu seinem Vater. Auf diesen Ansatz folgte in großen Teilen der Literaturwissenschaft die Überzeugung, dass sich die Bedeutung eines literarischen Textes erst im Akt der Lektüre entfaltet: Nicht mehr die Autorinnen und Autoren standen im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen, sondern die Kommunikationsprozesse zwischen literarischen Texten und ihren Leserinnen und Lesern. Der "Tod des Autors" bedeutete für Roland Barthes allem voran die "Geburt des Lesers".
Seit den 1990er Jahren aber sind Autorinnen und Autoren in der Literaturwissenschaft wieder stärker ins Zentrum gerückt, nicht zuletzt aufgrund von Arbeiten der Gender Studies, die die Unsichtbarkeit so vieler Autorinnen hinter ihren männlichen Kollegen beklagten. (Vgl. Lahn/Meister 2008, S. 36-43)
Autorinnen und Autoren sind in der heutigen Medienlandschaft – vor allen Dingen durch Social Media – derartig präsent, dass wir ihre Stimmen im literarischen Diskurs nicht ignorieren können. Das bedeutet aber nicht, dass literarische Texte wieder im Sinne des Biografismus nur verstanden werden können, wenn man die Lebensgeschichten der Autorinnen und Autoren seziert. Vielmehr wird die Art, wie Autorinnen und Autoren sich inszenieren, als Einflussnahme auf die Wahrnehmung ihrer Texte untersucht und auch als Größe des öffentlichen Diskurses, in dem immer wieder neu verhandelt wird, was Autorinnen und Autoren ausmacht und wofür sie in Gesellschaften stehen (sollten). Schriftstellerinneninszenierungen sind, nach Grimm und Schärf, "integrale Bestandteile in der Selbstdarstellung des Systems Literatur" (Grimm/Schärf 2008, S. 7). Dabei sind mit dem Bild, das Autorinnen und Autoren der Öffentlichkeit von sich präsentieren, "verschiedene Zwecke verbunden: Sie reichen von der Selbstbestätigung bis zu Werbeaktionen, von Legitimationsakten bis zur Missionierung, und sie präsentieren sich in einem breiten Spektrum von freiwilligen bis zu aufgezwungenen Aktivitäten." (Ebd.)
Die Autor*inneninszenierung steht damit zwischen Marketing und Werkpolitik und ist untrennbar mit der Positionierung der Autorinnen und Autoren im literarischen Feld verknüpft.
Besonderheiten im Kontext der Kinder- und Jugendliteratur
Die Selbst- und Fremdinszenierungen von Autorinnen und Autoren von Kinder- und Jugendliteratur weisen dabei eine Reihe von Eigenheiten auf, an denen sich die Spezifika des kinder- und jugendliterarischen Feldes ablesen lassen.
Selbst- und Fremdinszenierungen von Autorinnen und Autoren von Kinder- und Jugendliteratur tragen Reaktionen auf eine Tradition der diskursiven Abwertung von Kinder- und Jugendliteratur in sich, sie kämpfen um Status und Wert zwischen Kunst und Pädagogik. Eva-Maria Metcalf fasst diese Tradition der diskursiven Abwertung prägnant zusammen:
At the beginning of the twentieth century, children’s literature was a totally separate and marginalized entity in the polysystem of literature, confined within its own system and guided by its own laws. It was effectively barred from the literary world of modernity by its association with the premodern world of folklore and fairy tale, discovered during the age of Romanticism and further cemented during the latter part of the nineteenth century. The belief that the child’s naïve, unadulterated, and uncritical view of the world should remain intact informed the idea of a separate world of childhood and children’s literature, which, combined with a heritage of didacticism and an aura of dilettantism, barred children’s literature from mainstream literature and even more so from the privileged status of high literature, which had raised its barriers by celebrating art for art’s sake. (Metcalf 1997, S. 50)
In ihren Selbstdarstellungen in Interviews oder poetologischen Texten setzen sich Autorinnen und Autoren von Kinder- und Jugendliteratur mit dieser Tradition der Abwertung auseinander. Dabei finden sich wiederkehrende Strategien, mit den pejorativen Perspektiven umzugehen. Mark Twain etwa stimmt im 19. Jahrhundert in diesen abwertenden Diskurs mit ein und betont in diversen Texten, sein Tom Sawyer richte sich explizit auch an erwachsene Leserinnen und Leser (vgl. Hoffmann 2018, S. 73-78). Im 20. Jahrhundert setzen sich Otfried Preußler und Michael Ende hingegen explizit gegen eine Abwertung durch die Literaturkritik zur Wehr und betonen den literarischen Wert ihrer Texte für junge Menschen (vgl. ebd., S. 78-86). Die Reflektion über Status und Wert kinder- und jugendliterarischer Texte ist ein Charakteristikum, das alle Inszenierungen von Autorinnen und Autoren von Kinder- und Jugendliteratur durchzieht.
Ein weiteres Spezifikum, das Inszenierungspraktiken wie den Diskurs um Kinder- und Jugendliteratur allgemein kennzeichnet, ist die Gemengelage aus ästhetischen und pädagogischen Bewertungskriterien, mit denen Autorinnen und Autoren wie Texte kategorisiert und bewertet werden. Autorinnen und Autoren von Kinder- und Jugendliteratur wurden und werden nicht ausschließlich nach literarisch-ästhetischen Maßstäben beurteilt, sondern auch immer entlang pädagogischer Interessen und der Demonstration einer pädagogischen Eignung. So betont beispielsweise Otfried Preußler in seinen im posthum veröffentlichten Band Ich bin ein Geschichtenerzähler gesammelten Essays wiederholt, er sei ein "Schulmeister" und habe in seiner Arbeit als Volksschullehrer das Arbeiten für und mit Kindern gelernt. (Preußler 2010, S. 89) In den dtv-Ausgaben von Harry Rowohlts Übersetzung der Winnie-the-Pooh-Erzählungen beschreibt der Peritext den Produktionsprozess des Autors A.A. Milne wie folgt: "Inspiriert zu seinen Pu-der-Bär-Geschichten wurde er durch Christopher Robin, seinen Sohn." (Milne 1998, vordere Klappe) Demonstration pädagogischer Eignung mittels eigener Kinder und/oder pädagogischer Arbeit ist topisch im verlegerischen Peritext in Kinder- und Jugendliteratur, so beispielsweise auch in Mark Lowerys 2017 erschienenem Roman Wie ein springender Delfin, Originaltitel: Charlie and Me: 421 Miles From Home. Dort heißt es:
Mark Lowery wuchs in Preston auf und absolvierte die Universität von Winchester mit einem Magister in "Writing for Children". Wenn er nicht gerade Bücher schreibt oder sich um seine drei Kinder kümmert, arbeitet er als Lehrer in Cambridge, wo er mit seiner Familie wohnt. (Lowery 2018, hintere Klappe)
Dieser Topos der Demonstration pädagogischer Eignung mag auf den ersten Blick im Feld der Kinder- und Jugendliteratur nicht überraschen. Für die literaturwissenschaftliche Autorschaftsforschung aber ergibt sich aus diesen Konventionen des Feldes eine Besonderheit, die Konzepte von Autorschaft, Literatur und Fiktion vor Herausforderungen stellt. Im literaturwissenschaftlichen und literaturkritischen Diskurs um Kinder- und Jugendliteratur und ihre Autorinnen und Autoren findet sich mitunter eine etwas undurchsichtige Gemeingelage aus ästhetischen und pädagogisch-didaktischen Werturteilen, hinter denen sich diskussionswürdige, spezifische Fiktionalitäts- und Autorschaftsdiskurse, Diskurse um literarischen Wert, offenbaren. Wenn eine (professionelle oder einfach persönliche) Nähe zu Kindern das Schreiben für Kinder legitimiert, dann offenbart sich ein Verständnis von Kinder- und Jugendliteratur als einer Literatur, deren Regeln und Konventionen nicht etwa über literarische Verfahren, Motive, Topoi und Erzählstrukturen erlernbar wären, sondern die über Empathie funktioniert. Autorschaft und Autorschaftsinszenierungen scheinen im Feld der Kinder- und Jugendliteratur an Identitätskategorien geknüpft zu sein, so etwa die Kategorie "Elternsein".
Als besonderer Typ der Autorinneninszenierung sei zuletzt noch auf die Starautorschaft hingewiesen, die insbesondere durch den Erfolg der Harry Potter-Romane (und damit ihrer Autorin) im Feld der Kinder- und Jugendliteratur prominent geworden ist.
Die Star- und Celebrity Studies beschreiben die Inszenierungen prominenter Personen wie folgt: "Stars sind immer als 'gewöhnlich' und 'besonders' zugleich konstruiert. So lebt der Star als 'einer von uns' zwar in der gleichen Welt wie seine Zuschauer, ist aber z.B. durch einen extravaganten Lebensstil dem Leben der Normalsterblichen enthoben." (Seifert, S. 29) Die Starautorin/der Starautor genießt das Interesse des Publikums als schreibende, wie auch als private Person. Im Falle von Joanne K. Rowling wurde die Autorin als Person gezielt zu Werbezwecken genutzt, indem etwa ihre Lebensgeschichte mit der ihres berühmten Protagonisten parallelisiert wurde (vgl. Hoffmann 2018, S. 144). Auch Enid Blyton oder Michael Ende haben sich zu ihren Lebzeiten nach den Strategien der Starautorschaft inszeniert, die Joe Moran in deinem Buch Star authors wie folgt beschreibt:
Aside from these concrete appearances, they also circulate in a more nebulous sphere of gossip and rumour, as the media reproduce speculation about their private lives, peer-group rivalries and million-dollar publishing deals, run articles about where to spot the most fashionable literary celebrities around town and produce helpful charts for readers ranking writers according to their status and visibility, revealing which are 'in' and which are 'out'. (Moran 2000, 1)
Ob eine solche Inszenierung der Kinder- und Jugendliteratur zu mehr Ansehen verhillft, kann jedoch leider bezweifelt werden.
Literaturangaben
Grimm, Gunter E./ Schärf, Christian: Einleitung. In: Schriftsteller-Inszenierungen. Hrsg. von Gunter E. Grimm und Christian Schärf Schriftsteller-Inszenierungen. Bielefeld: Aisthesis, 2008. S. 7-12.
Hoffmann, Lena: Crossover. Mehrfachadressierung in Text, Markt und Diskurs. Zürich: Chronos, 2018.
Lahn, Silke/Meister, Jan Christoph: Einführung in die Erzähltextanalyse. Stuttgart: J. B. Metzler, 2008.
Lowery, Mark: Wie ein springender Delfin. Aus dem Englischen von Uwe-Michael Gutzschhahn. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2018.
Metcalf, Eva-Maria: The Changing Status of Children and Children's Literature. In: Reflections of Change. Children’s Literature Since 1945. Herausgegeben von Sandra L. Beckett. Westport: Greenwood Press, 1997. S. 49-56.
Milne, A. A.: Pu der Bär. Gesamtausgabe. Aus dem Englischen von Harry Rowohlt. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1998.
Moran, Joe: Star Authors. Literary Celebrity in America. London: Pluto Press, 2000.
Seifert, Alrun: Celebrity – Versuch einer Begriffsbestimmung. In: Celebrity Culture. Stars in der Mediengesellschaft. Herausgegeben von Caroline Y. Robertson-von Trotha. Baden-Baden: Nomos, 2013. S. 25-38.