Explikat
a) Theoriegeschichte und Positionen
Mit Friedrich Schleiermacher wird das Verstehen im 19. Jahrhundert zu einem wesentlichen Aspekt der Hermeneutik, anhand dessen er eine Methodologie der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Literatur aufstellt. Theoretische Konzepte von Verstehen gibt es in der Hermeneutik seit der Antike. Sie zielen auf das vollständige Erfassen zeitgenössischer soziokultureller Situationen, historischer Zusammenhänge, des gesamten Werks von Autorinnen und Autoren oder einer Person ab. Empirisch werden seit den 1970er Jahren in der Kognitionspsychologie die innerpsychischen Abläufe der Verarbeitung von Texten und Sprache erforscht. Sowohl für die gegenwärtige Literaturdidaktik als auch für Curricula, wie die seit Beginn dieses Jahrhunderts in Deutschland entwickelten Bildungsstandards für die unterschiedlichen Schulformen und -abschlüsse.
So heterogen die verschiedenen Konzepte des Ausdrucks sind, weisen sie alle mindestens eine Gemeinsamkeit auf: Mit Verstehen ist eine sinnliche korrekte Wahrnehmung und kognitiv erweiternde Verarbeitung von Sinnesdaten gemeint. Auf einer Skala lassen sich verschiedene Positionen in Hinblick auf eine Theoretisierung des Verstehens verorten, die zwei Pole begrenzen: Auf der einen Seite befinden sich Ansätze mit anthropologischen Implikationen, die den Menschen als Wesen charakterisieren, das erstens immer in Zusammenhänge des Verstehens eingebettet ist und das zweitens einem in sich abgeschlossenen und kohärenten Verstehen seiner selbst, seiner historischen Situation, anderer Menschen und historischer Gegenstände gegenüber offen ist. Auf der anderen Seite befinden sich ideologiekritische Wendungen des Verstehens. Sie lehnen seine Fundierung für geisteswissenschaftliche Forschungen ab, da es einen Hang zum Totalitären aufweise. Die Mehrdeutigkeit von Kunst wird als Beispiel dafür herangezogen, warum Irritation, Unverständlichkeit und Missverstehen einerseits Vereinnahmungen trotzen und andererseits menschliche Beziehungen, Geschichte und Personen nicht vollständig verstanden werden können. Kognitionspsychologische und Literaturdidaktische Ansätze gehen grundsätzlich von der Möglichkeit des Verstehens aus und betonen dabei sowohl die subjektive Leistung im Konstruktionsprozess dessen, was verstanden wird, als auch die Mehrdeutigkeit von Sprache sowie das Irritationspotential der Literatur.
b) Kognitionspsychologische Grundlagen des Sprach- und Textverstehens
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde Lesen in der Psychologie als ein visueller Prozess aufgefasst. Erst seit der Wende vom Behaviorismus zur Kognitionspsychologie in den 1970er Jahren werden Lesen und das Leseverstehen systematisch erforscht. (Christmann 2015a, S. 22) Zu den erforschten Teilprozessen des Lesens in der gegenwärtigen Kognitionspsychologie und der Psycholinguistik gehören: Buchstaben-, Worterkennung, syntaktische und semantische Erschließung aufeinanderfolgender Wörter und Sätze, der Aufbau globaler Kohärenz, die Identifikation rhetorischer Mittel und die kognitiv-ästhetische Bewertung sowie Interpretation des Gelesenen. (Ebd.) Die Leseprozessforschung beschäftigt sich mit hierarchieniedrigeren Prozessen der flüssigen Decodierung von Texten. Die Leseproduktforschung fokussiert das hierarchiehöhere Wechselverhältnis von lokaler und globaler Kohärenzbildung. (Ebd., S. 32)
In diesem Sinne wird Leseverstehen nicht nur als die Entnahme von Informationen aufgefasst, sondern als die Konstruktion von Sinn durch die Korrelation von Textinformation, Vorwissen und Intention. (Christmann 2015b, S. 170) Konstruktive Prozesse der Sinnbildung zeichnen sich dadurch aus, dass Rezipientinnen und Rezipienten das wahrgenommene und dekodierte Wortmaterial eines Textes anhand von Schlussfolgerungen mit eigenen Informationen ergänzen. Auf diese Weise werden während und nach Rezeptionsprozessen lokale und globale Kohärenz sowie ein mentales Modell des jeweiligen Textes gebildet. (Ebd.)
Das Sprachverstehen umfasst auf der Satzebene drei Stufen: 1. die Enkodierung der Mitteilung, 2. die mentale Repräsentation der semantisch-syntaktischen Analyse und 3. die Anwendung der mentalen Repräsentation. (Anderson 7. Auflage 2013, S. 275) Zunächst müssen Wortbildern und grammatischen Morphemen Bedeutungen und konventionalisierte Vorstellungen zugeordnet werden. (Grzesik 2005, S. 62f., 70) Die Dekodierung eines Satzes ist der genauen Ermittlung der Bedeutung einzelner Wörter übergeordnet. (Ebd., S. 205) Sätze werden im Rezeptionsprozess in sogenannte Propositionen übersetzt. Hierfür sind die semantischen Strukturen entscheidend. (Schwarz-Friesel 2006, S. 63) Propositionen sind tiefensemantische Beziehungen zwischen Prädikaten und Argumenten. D. h., dass die Prädikate – Umstände, Ereignisse und Eigenschaften – Argumenten – Objekte, Personen und Sachverhalte – zugeordnet werden. (Christmann 2015a, S. 28)
Diese Prozesse des Textverstehens führt das Konstruktions-Integrations Modell zusammen: Zunächst rekonstruieren die Rezipientinnen und Rezipienten propositionale Repräsentationen des Textes in der Konstruktionsphase. Hier werden auch unwesentliche Informationen aufgenommen. In der Integrationsphase reduzieren Rezipierende die Repräsentation mit Einsatz ihres Weltwissens zu einem kohärenten Modell. Elemente des textlichen Materials greifen mit Propositionen des Textes, die für zentral erachtet werden, und dem mentalen Modell ineinander. Im Anschluss an die Lektüre werden nach und nach Repräsentationen der Textoberfläche vergessen. Im Gedächtnis bleibt das konstruierte mentale Modell dominant. (Ebd., S. 33)
Zunächst führt die Abstrahierung von Sätzen zu Propositionen, woraufhin aus der Kombination dieser Propositionen Kohärenz entsteht. Diese Abstraktion erlaubt die Herstellung plausibler Beziehungen zwischen den Textelementen und gewährleistet einen flüssigen Leseprozess. (Schwarz-Friesel 2006, S. 64, 66) Andererseits sind an der Bildung globaler Kohärenz und der Konstruktion eines Modells des gelesenen Textes die Anreicherung des Wortmaterials und der tiefensemantischen Strukturen beteiligt. Die Inhalte des Textes werden entsprechend des eigenen Vorwissens und der Intention der Lektüre verändert. Dies geschieht beispielsweise, indem Rezipientinnen und Rezipienten die Inhalte gemäß den eigenen Erfahrungen deuten, sie Unverständliches rationalisieren und Komplexität reduzieren. (Christmann, S. 2015b 170)
Die Kognitionspsychologie hat für solche Anreicherungen, die über das Wortmaterial hinausgehen, die Begriffe Elaboration und Inferenz geprägt. Leserinnen und Leser elaborieren Texte mental, schriftlich oder in gesprochener Sprache, indem sie unbestimmte Darstellungen von Gegenständen, Figuren, Situationen und Handlungsfolgen mit eigenen Worten formulieren. Beispielsweise kann es sich hierbei um das Aussehen einer Figur handeln, um Begegnungen zwischen Figuren, die im Text nicht dargestellt werden oder um das Weiterzählen einer Geschichte. Diese Elaborationen müssen nicht mit dem Text übereinstimmen, können ihm sogar widersprechen, führen aber dazu, dass sich das Gelesene stärker einprägt. (Anderson 7. Auflage 2013, S. 148f.)
Das Ziehen von Inferenzen ist eine basale kognitive Operation, die bei der Rezeption jedes Textes automatisiert oder bewusst mehrfach ausgeführt wird. Es handelt sich dabei um Formen von konstruktiven Schlussfolgerungen, die mit der Verknüpfung hierarchieniedriger und -hoher Prozesse des Textverstehens gezogen werden.[1] (Christmann 2015, S. 171)
Zwei fundamentale Inferenzen sind Überbrückungsschlüsse und Elaborationsschlüsse. (Anderson 7. Auflage 2013, S. 287) Überbrückungsschlüsse integrieren neu gelesene Textstellen in das bisher Gelesene: "Sie bauten einen Schneemann. Einige Tage später schien wieder die Sonne." Aus dem zweiten Satz ließe sich schließen, dass es wärmer geworden ist, da 1. ein Schneemann gebaut wurde, 2. "wieder die Sonne" darauf verweist, dass die Sonne vorher nicht geschienen hat. Elaborationsschlüsse antizipieren den Fortgang des Textes. Beispielsweise könnte die scheinende Sonne ein Grund dafür sein, dass der Schneemann schmelzen wird. Beim Verstehen von Literatur kommen Inferenzen in vier Bereichen häufig vor: bei der Rekonstruktion kausaler Konsequenzen, von Figuren, von psycho-physischen Zuständen und allgemeiner Themen. (Christmann 2015b, S. 176)
Gerade literarische Texte fordern aufgrund ihrer Mehrdeutigkeit und Unbestimmtheitsstellen eine intensive Anreicherung des Textes mit Bedeutung. (Ebd., S. 171) Syntaktisch mehrdeutige Sätze werden empirischen Untersuchungen zufolge so interpretiert, dass sie die Komplexität des Satzes reduzieren. (Anderson 7. Auflage 2013, S. 283) Auch kann es vorkommen, dass gebildete Propositionen anhand von semantisch mehrdeutigen Sätzen im Verlauf der Lektüre revidiert werden müssen. (Ebd., S. 284) Dieser Rekodierungsprozess läuft während des Lesens automatisch ab. Erst wiederholte Lektüren beheben solche Unklarheiten gezielt mit Bedeutungsanalysen. (Grzesik 2005, S. 198)
Gerade für das Textverstehen innerhalb der Lesesozialisation treten bedeutende Unterschiede in dem Ziehen von Inferenzen auf. Kinder haben Schwierigkeiten sowohl Schlüsse zwischen Teilen und dem Ganzen sowie kausale Schlüsse zu ziehen. Beispielsweise fällt es Kindern schwerer den kausalen Aufbau einer Geschichte zu rekonstruieren, da ihnen allgemeines Weltwissen fehlt: "Die Sonne schien. Die Butter ist geschmolzen." Für Erwachsene ist der Bezug zwischen der Wärme, der Sonne und der geschmolzenen Butter einleuchtend. Bei Kindern kann das Wissen um diesen Bezug nicht vorausgesetzt werden. (Anderson 7. Auflage 2013, S. 294)
Drei weitere kognitionspsychologische und psycholinguistische Begriffe sind für die Lese- und Literaturdidaktik relevant: die Begriffe lokale Kohärenz, globale Kohärenz und mentales Modell bzw. der weitestgehend synonym verwendete Begriff Situationsmodell. Leser bilden lokale Kohärenz auf die einfachste Weise durch Koreferenz: indem sie sich einerseits an Wortwiederholungen, pronominaler Wiederaufnahme und Vorverweise auf gleiche Referenten orientieren und indem sie sich andererseits an räumlichen, zeitlichen und strukturellen Verbindungen zwischen Ereignissen, Situationen und Handlungen orientieren. Daneben bilden Rezipientinnen und Rezipienten anhand von syntaktischen Konnektoren des Grundes, der Zeit, der Logik und der Aufsummierung lokale Kohärenz. Globale Kohärenz entsteht dadurch, dass Sequenzen von Propositionen miteinander zu Makropropositionen verdichtet werden. Textinterne Überschriften, Hervorhebungen und Überblicke sind dabei genauso bedeutsam wie Leseziele, Vorkenntnisse und Intentionen der Lesenden. Ebenso entsteht globale Kohärenz, indem sie neue Textinformationen (Rhema) an schon bekannte anknüpfen (Thema). Ergebnis dieser Konstruktionen sind Makrostrukturen des jeweiligen Textes. (Christmann 2015a, S. 32, dies. 2015b, S. 171)
Neben lokaler und globaler Kohärenz bilden Leserinnen und Leser mentale Modelle von Texten. Dieser Aspekt der Rezeption von Texten wird als die höchste Stufe des Leseverstehens angesehen. (Freudenberg 2012, S. 47) Mentale Modelle sind 1. neuropsychisch geordnete und begrenzte Ausschnitte der Realität, werden 2. im Kurzzeitgedächtnis unter Bezug auf Weltwissen aus dem Langzeitgedächtnis gebildet, sind 3. subjektive Konstruktionen, 4. netzförmig, bildhaft und sprachlich und können 5. in einem Individuum parallel zu anderen Modellen bestehen. (Grzesik 2005, S. 225ff.) In einem mentalen Modell ist das Wissen über den Text mit dem Wissen der Lesenden verbunden. (Christmann 2015a, S. 32) Hohe kognitive Anforderungen stellt dieser Prozess insbesondere dann, wenn Inkonsistenzen, Widersprüche und Mehrdeutigkeiten sowohl innerhalb des Textes als auch im Verhältnis von Text- und Leserwissen bestehen. (Christmann 2015b, S. 178) Die Aufdeckung solcher Inkongruenzen führen im besten Fall zur Erweiterung des Weltwissens der Leserinnen und Leser. (Grzesik 2005, S. 220)
In Kombinationen mit Lesestrategien sind mentale Modelle eines Textes die Grundlage dafür, um ein intersubjektives Verstehen zu ermöglichen. Erst die Überprüfung der Stimmigkeit des Modells mit dem Wortmaterial des zugrundeliegenden Textes ermöglicht eine intersubjektive Auseinandersetzung. (Ebd., S. 287) Globale Kohärenz und mentale Modelle sind Voraussetzungen für die Deutung, Interpretation und die Intersubjektivität des Textverstehens.
c) Verstehen in der Literaturdidaktik
i. Verstehen im Verhältnis von Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik
Aktuell gibt es keine literaturwissenschaftlich wie -didaktisch umfassende Theorie des Verstehens. (Frederking und Brüggemann 2012, S. 15) Genauso wenig ist das Verhältnis von der Didaktisierung literaturwissenschaftlichen Wissens für den Deutschunterricht abschließend geklärt. (Pieper und Wieser 2012, S. 8) Durch die Rezeption postmoderner Literaturtheorien in der Literaturdidaktik, die die Offenheit von Deutungsprozessen im Gegensatz zu geschlossenen Interpretationen favorisieren, wurden Ansätze ausgeblendet, die auf Intersubjektivität von Deutungen und Plausibilität von Urteilen über Literatur abzielen. (Frederking et al. 2011, S. 133) So wie in der Literaturwissenschaft der 80er und 90er Jahre stehen in der Literaturdidaktik auf der einen Seite Positionen, die Objektivierungen des literarischen Verstehens negieren, und auf der anderen Seite Positionen, die versuchen, Verstehensprozesse in Literatur an intersubjektiv nachvollziehbaren Kategorien zu orientieren.
Eine weitere kontroverse Gegenüberstellung besteht in Ansätzen, die für methodologische Schulungen literarischen Verstehens wie semiotisch-strukturalistische Zugänge plädieren und an Gadamer anschließende hermeneutische Ansätze, die eine Lehrbarkeit literarischer Verstehenskompetenzen anzweifeln. (Freudenberg 2012, S. 25) Die kognitionspsychologische Wendung der Literaturdidaktik geht jedoch davon aus, dass Verstehenskompetenzen benennbare kognitive Operationen zugrunde liegen. Eine Reflexion, Kategorisierung und Benennung dieser Operationen würde einen methodisch geleiteten und intersubjektiven Zugang zu Literatur eröffnen. (Grzesik 2005, S. 139)
ii. Die Bedeutung des Verstehens für Lesekompetenzen
Norbert Groeben definiert Lesekompetenz folgendermaßen: "Das Konstrukt der Lesekompetenz umfasst also sowohl das – im Gegenstandsbereich Lesen – relevante aufgabenorientierte Fertigkeits- als auch das übersituative, generelle Fähigkeitsniveau im Sinne einer (relativ) zeitüberdauernden Handlungsdisposition." (Groeben 2006, S. 13) Kompetenzen zum Verstehen von Sach- und literarischen Texten ermöglichen es, bisher unbekannte Aspekte von Welt zu erschließen. (Grzesik 2005, S. 16) Grundlegend für die Lesekompetenz ist die Ermittlung, Verknüpfung und Kontextualisierung inhaltlicher Informationen, die auf das Verstehen des jeweiligen Textes abzielt. (Steinmetz und Möbius 2016, S. 5) Ausgehend von kognitionspsychologischen Forschungen werden hierarchieniedrige und hierarchiehohe Lesekompetenzen unterschieden. Sowohl hierarchieniedrige Prozesse wie flüssiges Lesen als auch hierarchiehohe Prozesse der Kohärenzbildung gelten sowohl für Sach- als auch für literarische Texte. Ein zentraler Unterschied zwischen Sach- und literarischen Texten besteht in der Art und Weise wie die jeweiligen Inhalte dargestellt werden und somit auch in unterschiedlichen Rezeptionshaltungen, die den Darstellungsweisen angemessen sind. (Ebd., S. 5) Verfügen Leserinnen und Leser nicht über die jeweiligen für das Verstehen eines Textes notwendigen Kompetenzen, so können sie dem Text die entsprechenden Informationen nicht entnehmen.
Die literaturdidaktische Forschung versucht seit einigen Jahren Verstehenskompetenzen im Umgang mit Literatur für empirische Studien zu modellieren. Dazu ist einerseits ein Kompetenzmodell nötig, anhand dessen die jeweiligen Kompetenzen geschlossen überprüfbar sind. Literarästhetische Verstehenskompetenzen müssen sich dementsprechend als erlernbare Leistungsdispositionen vermitteln lassen, die Kompetenz – im Sinne von Wissen – und Performanz – im Sinne von Können – einschließen. (Meier et al. 2012, S. 237f.) Kompetenzen literarischen Verstehens zeichnen sich wesentlich durch Gattungswissen und seine Anwendung in Interpretationen und Bewertungen aus. Das macht sowohl narratologisches Wissen, das Wissen über lyrische und dramatische Formen sowie Wissen über bspw. prototypische Inhalte des Bildungsromans, der Barocklyrik und des bürgerlichen Dramas aus. Ob Rezipientinnen und Rezipienten den Umgang mit diesem Wissen kompetent beherrschen, lässt sich anhand einer flexibel-historischen Anwendung dieses Wissens erkennen.
Kompetenzen, um Texte zu verstehen, können dem kognitionspsychologischen Paradigma des Literaturunterrichts zufolge gelehrt, gelernt und empirisch überprüft werden. (Grzesik 2005, S. 152) Unterschiedliche Texte und Aufgabenstellungen erfordern verschiedene Kombinationen von Kompetenzen, die Grzesik als textverstehende Operationen bezeichnet. Unterschiedliche Kombinationen dieser Operationen werden durch das Erlernen von Strategien gezielt eingesetzt. (Ebd., S. 127) Gerade fundamentale textverstehende Operationen wie Identifikation von Worten, Klassifikation dessen, was dargestellt wird, und Zuordnung der intratextuellen Inhalte zu außertextlichen Bereichen der Realität müssen zunächst erlernt werden. Sie werden später, je nach Komplexitätsgrad des zugrundeliegenden Textes, weitestgehend automatisiert. (Ebd., S. 255; genauer ebd., S. 190) Gerade zum Verstehen literarischer Texte gehören – neben den genannten basalen Lesekompetenzen – das Verstehen von ironischer und metaphorischer Rede sowie die Wertung. (Ebd., S. 275, 300) Die für einen jeweiligen Text notwendigen Kompetenzen stehen nicht nur in Abhängigkeit zum Text selbst, sondern auch in Abhängigkeit zu den jeweiligen Lesezielen, für die ein spezifischer Sinn des Textes konstruiert wird. (Ebd., S. 374)
Der gezielte Einsatz und die Kombination textverstehender Operationen setzt entweder eine Reflexion der eigenen Lesepraxis oder das systematische Erlernen dieser Praxis voraus. (Ebd., S. 152f.) Dementsprechend können grundlegende Kompetenzen des Textverstehens nur geringfügig durch die Reproduktion formaler oder inhaltlicher Aspekte gelernt werden. (Ebd., 151) Da textverstehende Operationen schematisch sind, können sie, wenn sie gelernt, reflektiert und eingeübt worden sind, auf eine prinzipiell unbegrenzte Anzahl von Texten angewendet werden, für deren Verstehen die gelernten Operationen Voraussetzung sind. (Ebd., 139)
Die aus der PISA-Untersuchung (2000) zum Leseverstehen resultierenden Leistungsunterschiede wurden auf die Anwendung von Lesestrategien zurückgeführt. Seitdem fokussiert die literaturdidaktische Forschung die Entwicklung, Klassifikation und Untersuchung von Lesestrategien. (Artelt 2004, S. 69) Unter dem Konzept der literacy skills wurden in der U.S.Amerikanischen Forschung schon vor PISA-2000 strategische und kognitive Operationen bezeichnet, die das Leseverstehen positiv beeinflussen. (Grzesik 2005, S. 374) Sie gehören so wie die Bildung globaler Kohärenzen ebenfalls zu den hierarchiehöheren Kompetenzen.
Zwei zentrale Aspekte beim Einsatz von Lesestrategien bestehen in ihrer flexiblen Anwendung und in der Reflexion darauf, ob die Strategien zum Erreichen des Leseziels den jeweiligen Aufgaben gerecht werden oder ob andere Strategien zum Einsatz kommen müssen. (Artelt 2004, S. 71) Sie werden also gezielt für aufgaben- und textbasierte Verstehensprobleme eingesetzt. Um Probleme beim Verstehen einzelner Textstellen oder ganzer Texte im Zusammenhang mit bestimmten Aufgaben zu erkennen, ist ein metakognitives Problembewusstsein notwendig. (Ebd., 62)
Der reflektierte Einsatz und die metakognitive Steuerung von Lesestrategien stehen in Abhängigkeit zur Leseabsicht und der Motivation. (Grzesik 2005, S. 144f.; Artelt 2004, S. 65) Dementsprechend sind Stützstrategien wie die Selbstmotivierung und die realistische Zielsetzung entscheidend für den Einsatz von Lesestrategien und für das Textverstehen. Ebenfalls werden Motivation, Wirksamkeit von Strategien und das Textverstehen von einem positiven Selbstbild sowie den eigenen Fähigkeiten beeinflusst. (Artelt 2004, S. 71)
iii. Modellierungen literarischen Verstehens
Das klassische Modell literarischen Verstehens ist nicht kompetenzorientiert. Es umfasst drei aufeinander aufbauende Niveaus: textimmanente Strukturen erkennen, einzelne Textstellen und den Gesamttext deuten sowie Deutungen auf die Wirklichkeit beziehen. (Leubner und Saupe 3. Auflage 2017, S. 17) Das Erkennen textimmanenter Strukturen markiert die objektive Seite literarischen Verstehens. Textimmanente Strukturen werden erkannt, wenn Aussagen über den Text anhand des zugrundeliegenden Wortmaterials getroffen werden, die etwa Eigenschaften von Figuren, Figurenkonstellationen und die Erzählperspektive beschreiben. Deutungen sind Leubner und Saupe zufolge nicht objektiv. Leserinnen und Leser legen mit ihren Deutungen das textimmanente Menschen- bzw. Weltbild aus. In dem dritten Schritt wird dieses Menschen- bzw. Weltbild angenommen, abgelehnt, modifiziert oder bewertet. Eines der prominentesten Modelle der kompetenzorientierten Literaturdidaktik sind Spinners elf Aspekte literarischen Lernens. (Spinner 2006, Kruse, Lösener, Vach et al. 2015)
Ein umfassendes Modell des Textverstehens hat Grzesik mit einer integrativen Prozesstheorie textverstehender Operationen entworfen. Er verbindet dafür neurologische, psychologische, sprachwissenschaftliche und literaturwissenschaftliche Forschungen. (Grzesik 2005, S. 20) Teile seiner Theorie wurden schon im Kapitel zur Lesekompetenz und zur Kognitionspsychologie angeführt. Hinzu kommen die für Rezeption von Literatur relevanten Punkte der kritischen Wertung sowie der ästhetischen Erfahrung. Werturteile über Texte implizieren Aussagen darüber was Lesende an Texten verstehen, und über die Art und Weise wie sie verstehen. (Ebd., S. 308) Wertungen schließen ebenso emotionale Komponenten des Textverstehens ein. Texte rufen Gefühle hervor, die Grundlage für Wertungen sind. Da gerade literarische Texte auf der einen Seite selbst Wertungen und Gefühle darstellen und auf der anderen Seite Empathie und Stellungnahmen der Rezipientinnen und Rezipienten hervorrufen, fördern sie ein reflektiertes Werten und Fühlen. (Ebd., S. 311) Die Stellungnahme gegenüber dem Text und die Reflexion auf die von ihm evozierten Gefühle erfolgt erst nach der Rekonstruktion der von ihm dargestellten Welt sowie der Deutung. Bestenfalls entwickeln sich so aus einer naiven Lesehaltung begründete Stellungnahmen gegenüber der von den Lesenden getätigten Sach- und Werturteile. (Ebd., S. 348) Vom Werten und Fühlen als Teil des Textverstehens ist noch einmal die ästhetische Erfahrung zu unterscheiden.
Literarische Texte implizieren neben Informationen über die durch sie konstruierte Welt oder über die extraliterarische Welt ästhetische Informationen. Der Kern der ästhetischen Information besteht in formalen, inhaltlichen sowie wirkungsästhetischen Analogien, die Rezipientinnen und Rezipienten innerhalb des Textes ziehen. Auf diese Weise wird den Lesenden eine in sich abgeschlossene und dennoch nur schriftsprachlich existente Welt suggeriert. (Ebd., S. 325, 334) Wie im Fall der Wertungen ist die ästhetische Erfahrung in eine unmittelbare und in eine reflexive Seite unterteilt. Die Reflexion gegenüber den eigenen ästhetischen Erfahrungen führt zur Distanz gegenüber der literarisch evozierten Suggestion einer in sich abgeschlossenen Welt. (Ebd., S. 329, 351)
Neben Grzesiks Konzeption der Eigenart literarischen Verstehens gibt es andere, die sich davon wesentlich unterscheiden. In einigen Punkten ähnelt Abrahams Konzeption poetischen Verstehen Grzesiks ästhetischer Erfahrung: Es ist die bewusste Wahrnehmung der Gestaltungsweise eines literarischen Textes. Das, was Kognitionspsychologinnen als Entwicklung eines mentalen Modells beschreiben, gehört für Abraham ebenfalls zum poetischen Verstehen, wenn er dazu die Repräsentation der Textwelt im Vorstellungsraum der Lesenden zählt. Ein zentraler Unterschied seiner Konzeption des Verstehens von Literatur liegt jedoch in der Unabgeschlossenheit von Prozessen der Sinnbildung begründet. Während für die Kognitionspsychologie die Füllung von Leerstellen durch Inferenzziehung und die Rationalisierung der literarisch zur Darstellung gebrachten Welt den Kern des Verstehensprozesses in der Lektüre von Texten gilt, stellt Abraham das Aushalten von Mehrdeutigkeit und Unverständlichkeit ins Zentrum des Verstehens von Literatur. (Abraham 2010, S. 17)
Diese literaturtheoretische Annahme geht aus der anthropologischen Annahme hervor, dass Menschen interpretationsbedürftige Wesen sind. Damit setzt Abraham Selbst- und Literaturauslegung analog zueinander. Literatur regt somit einerseits die Selbstauslegung der Rezipierenden als interpretationsbedürftige Wesen an. Andererseits sind Texte genauso mehrdeutig und unverständlich wie Individuen in ihren soziokulturellen Bedingungen. In diesem Sinne heißt poetisches Verstehen, dazu in der Lage zu sein, Kohärenzbildung nicht zu erzwingen, sondern die textlich angelegte Uneindeutigkeit und Mehrdeutigkeit zuzulassen und die eigenen Sinnentwürfe sowie die Prämissen der eigenen Deutung in Frage zu stellen. Das Spezifische des literarischen Verstehens nach Abraham bemisst sich also daran, Sinnbildungsprozesse anzuregen, sie auf ihre Unabschließbarkeit hin zu reflektieren und sie paradigmatisch auf die Selbst- sowie Weltdeutung zu übertragen. (Abraham 2010, S. 20)
Mit dem Terminus symbolisches Verstehen schlägt Spinner ein ähnliches Konzept vor. Symbolisches Verstehen umfasst einerseits die Auslegung der semantischen Tiefenstrukturen von Literatur als ästhetisierte Repräsentation von Welt und andererseits die Unabschließbarkeit dieser Auslegung. Diesen Prozess bezeichnet Spinner als "Unabschließbarkeit des Sinnbildungsprozesses" und als "unendliche Semiose". (Spinner 2010, S. 56) Wenn Leserinnen und Leser ihre Interpretation der semantischen Tiefenstruktur eines literarischen Textes als eindeutig und die Interpretation für abgeschlossen erachten, wäre damit zugleich die Grenze der literarästhetischen Erfahrung erreicht. Das spezifische der literarischen Erfahrung und des Verstehens liegt jedoch im symbolischen Verstehen, das auf die Kompetenz verweist, eigene Sinnbildungsprozesse wiederholt zu hinterfragen. (Ebd., S. 56f.)
Die Unabgeschlossenheit von Sinnbildungsprozessen in der Auseinandersetzung mit Literatur ist seit der historischen Epoche der Romantik um 1800 ideengeschichtliche Tradition und berührt sowohl hermeneutische als auch postmoderne Ansätze der Literaturdidaktik. Die Reaktualisierung dieser Positionen kann als Kritik an eine empirisch gewendete, kompetenzorientierte und operationalisierbare Pädagogik im Anschluss an die PISA-Untersuchungen verstanden werden. Vertreter dieser Positionen betonen auf diese Weise, dass sich die differentia specifica in literarischen Verstehensprozessen nicht messen lässt und rücken damit die ästhetische Eigenart von Literatur und des Literaturunterrichts ins Bewusstsein von Deutschdidaktikerinnen und Bildungsadministratorinnen. (Winkler und Massanek 2010, S. 5)
Auch in der Linguistik wird der gegenstandsimmanente Unterschied zwischen Kohärenzbildung und Deutung betont. (Schwarz-Friesel 2006, S. 64) Während vor PISA schlicht vorausgesetzt wurde, dass Rezipientinnen globale Kohärenzbildung durch Lesen etablieren, wird nun von Seiten der Sprach- und Literaturdidaktiken deutlich gemacht, dass diese Prozesse erst einmal gelernt werden müssen, bevor der Literaturunterricht anspruchsvolle Formen literarischen Verstehens anvisieren kann. Die didaktische Vermittlung und die damit einhergehende Modellierung von literarischem Verstehen gelten demnach nicht nur für Kohärenzbildung, sondern ebenso für Deutungs- und Interpretationstätigkeit.
Dieser Operationalisierung widmen sich beispielsweise in jüngerer Zeit die LUK-Studie und das Bochumer Modell des literarischen Verstehens. Frederking et al. haben ein literarästhetisches Modell von Urteilskompetenzen erstellt. Sie verbinden in diesem Modell kognitive Leistungen mit emotionaler Affektierung und Reflexion auf die Mittel, die der Text verwendet, um diese Emotionen hervorzurufen. (Frederking 2010, S. 26) Da die Verstehensprozesse selbst nicht beobachtbar sind, wird empirisch nur die Urteilskompetenz über Literatur erfasst. (Frederking 2012, S. 34; ders. 2011, S. 134) Da diese Kompetenz weder ausschließlich auf das Leseverstehen noch auf historisches Verstehen bezogen ist, handelt es sich hierbei um ein domänenspezifisches Wissen, das entsprechend spezielle empirische Untersuchungen erfordert. (Ebd., S. 132) Die kognitiven Leistungen fassen die Forscherinnen der LUK-Studie als semantisch literarästhetische Urteilskompetenz, mit deren Modellierung sie überprüfen wollen, inwiefern Schülerinnen und Schüler dazu in der Lage sind, wesentliche Textinhalte und einen kohärenten Sinn zu erschließen. Die Reflexionen auf die vom Text intendierte Wirkung sowie auf seine selbstreflexive und mehrdeutige Form bezeichnen sie als idiolektale literarästhetische Urteilskompetenz. Die Bezugnahme von Lesenden auf zeitgenössische und gegenwärtige Welt-, Text- und Gattungsreferenzen markieren sie mit dem Terminus kontextuelle literarästhetische Urteilskompetenz. (Ebd., S. 134, 135) Während die Ergebnisse für die Validität der idiolektalen und kontextuellen Urteilskompetenz ausstehen, hat sich die semantische Urteilskompetenz bisher als valide herausgestellt.
Das Bochumer Modell literarischen Verstehens von Boelmann und Klossek wurde im Anschluss an den Begriff des literarischen Lernens bzw. der literarischen Bildung entwickelt. (Boelmann und Klossek 2013, S. 46) Analog zu den Bildungsstandards unterteilen sie die mit literarischer Kompetenz implizierten Wissensformen in deklaratives, prozedurales und metagkognitives Wissen. Obwohl Boelmann und Klossek emotionale Aspekte in ihr Modell literarischen Lernens integrieren, sind emotionale Involviertheit der Rezipierenden und wirkungsästhetische Reflexionen nicht Teil der operationalisierten Kompetenzen. Empirisch überprüft wird literarisches Verstehen im Rahmen des Bochumer Modells in literarischer Performanz. (Ebd., S. 45) In ihrem Argumentationszusammenhang kritisieren sie Spinners elf Aspekte literarischen Lernens, da sie nur teilweise messbar und operationalisierbar seien. (Ebd., S. 52) Am Beispiel von Erzählungen führen sie zwei operationalisierbare Ebenen an. Die Handlungsebene und die Metaebene, die in weitere Teilkompetenzen und Niveaustufen gegliedert sind. Für die Handlungsebene gelten die Teilkompetenzen zum Verstehen der Handlungslogik und der Figurendarstellung, -perspektive sowie -motivation. Für die Metaebene gelten die Teilkompetenzen zum Verstehen symbolischer und metaphorischer Ausdrucksweisen, sprachlicher Mittel, des Erzählers und der Intention. (Ebd., S. 57ff.) Eine Überprüfung dieses Modells steht noch aus.
iv. Empirische Untersuchungen zum literarischen Verstehen
Empirisch angelegte Forschungen zu Verarbeitungsprozessen von Literatur und damit zu Prozessen literarischen Verstehens sind mit dem Problem konfrontiert, dass diese Prozesse nicht direkt beobachtbar sind. Empirisch zugänglich sind nur die Ergebnisse von Verstehensprozessen. Und selbst in diesem Fall decken die Ergebnisse nicht das gesamte Verständnis ab, das sich aus der Rezeption und Reflexion ergibt. Lautdenkprotokolle und retrospektive Interviews weisen in diesem Feld die höchste Validität auf. (Stark 2012, S. 154) Ebenso wird die Objektivität empirischer Untersuchungen, die vorgeben literarisches Verstehen zu untersuchen, angezweifelt. (Frederking 2011, S. 133; Freudenberg 2012, S. 53) Grundsätzlich gilt für die empirische Erhebung des Leseverstehens, dass nur Aspekte bei einzelnen Textsorten untersucht werden können und nicht das für Leseverstehen notwendige Kompetenzspektrum. Auch bei spezialisierten Einzeluntersuchungen bietet es sich an, verschiedene Erhebungsmethoden, prozess- und produktorientierte Verfahren sowie Antwortformate miteinander zu verbinden. (Christmann 2015a, S. 37)
Trotz dieser Kritik gibt es eine Vielzahl empirischer Forschungen, die bei verschiedenen Aspekten des Kompetenzbereichs literarisches Verstehen ansetzen.
Neben großangelegten Studien wie PISA, IGLU und DESI (OECD 2003, Klieme et al. 2006, Bos et al. 2003) befassen sich Einzeluntersuchungen mit überaus heterogenen Aspekten des literarischen Verstehens: Frederking et al. untersuchen, wie oben angeführt, literarästhetische Urteilskompetenzen. Sie konnten bisher zeigen, dass die Lesekompetenz bei Sachtexten eine andere als die bei literarischen Texten ist. (Meier et al. 2012, S. 241; vgl. auch Artelt und Schlagmüller 2004, S. 188, zit. n. Freudenberg 2012, S. 54)
Stark hat anhand von Laut-Denk-Protokollen Jugendlicher mit türkischem Migrationshintergrund unterschiedlicher Schulformen der 9. Klasse gezeigt, dass Kohärenzbildung mit Bewertung parallel läuft. Er plädiert dafür, dass zur Wertung eingesetzte Weltwissen der Schülerinnen und Schüler für den Unterricht furchtbar zu machen. (Stark 2010, S. 122) In einer weiteren Studie führt er vor, dass Schülerinnen und Schüler erzähltheoretische Aspekte in Erzählungen benennen, ohne das entsprechende Fachwissen gelernt zu haben. Solche auf Weltwissen basierenden Analysen sind ihm zufolge günstige Anlässe, um Fachvokabular anwendungsbezogen einzuführen. (Stark 2012, S. 165)
Winkler (2013) und Freudenberg (2012) haben gezeigt, dass auch über den Fokus auf Nichtverstehen Aussagen über literarisches Verstehen getroffen werden können. Verstehensprobleme ergeben sich einer Untersuchung Winklers zufolge unter anderem dadurch, dass in der Textwelt mehrere Handlungsebenen vorhanden sind sowie die Perspektive auf eine Figur konzentriert, plural oder uneindeutig ist. (Winkler 2013, S. 405) Freudenberg zeigt, dass Epochenwissen in Abiturklassen nicht flexibel eingesetzt wird, wofür sie auch Lehrwerke verantwortlich macht. Sie betont im Ausgang von ihrer Studie die Bedeutung eines variabel eingesetzten Epochenwissens, da sich zugehörige literarische Texte häufig einer schematischen Einordnung entziehen. Literarisches Verstehen wird insofern durch ein variabel eingesetztes Epochenwissen begünstigt. (Freudenberg 2012, S. 412f.) Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch Winkler, die den Einsatz von Expertenwissen mit dem von Laien verglichen hat und dabei auf die Produktivität der Fähigkeit, Differenzen zwischen schematischem Vorwissen und Anwendung bei Interpretationen zu erkennen. (Winkler 2007, S. 82) Auch Gahn leitet über Formen des Nichtverstehens wie Irritationen und kognitive Dissonanzen Aussagen über literarisches Verstehen ab. (Gahn 2012, S. 194)
Meissner zeigt, dass die Erschließung von Gedichten über narrative Schemata abläuft. (Meissner 2012, S. 222) In den LiMet-Studien (Literarisches Verstehen im Umgang mit Metaphorik) untersuchen Pieper, Wieser et al. das Verstehen von Metaphern in Gedichten anhand von Laut-Denk-Protokollen bei der Rezeption lyrischer Texte.
Die empirischen Untersuchungen der äußerst jungen Forschung zu literarischem Verstehen bringen zahlreiche Desiderate hervor und zeigen, wie viel Forschungsbedarf im zentralen Bereich der Literaturdidaktik, dem literarischen Verstehen besteht. Beispielsweise existiert kein empirisch gesichertes Wissen darüber, wie Lese- und Schreibkompetenzen miteinander korrelieren, (Philipp 2015, S. 229f.) wie sinnkonstituierende Verstehensprozesse ablaufen und Inferenzbildung bei der Lektüre von Literatur funktioniert, (Christmann 2015, S. 171, 176) inwiefern sich Schülerinnen und Schüler durch kulturhistorische Lehrarrangements bei der Lektüre stärker herausgefordert fühlen als ohne (Brüggemann 2012, S. 286) und wie sich fachspezifisches Vorwissen auf die literarästhetische Urteilskompetenz auswirkt. (Meier et al. 2012, S. 241)
Für eine Orientierung über Forschungsdesigns in der empirisch ausgerichteten Deutschdidaktik bietet sich die mit Beispieluntersuchungen versehene Aufsatzsammlung zu Erhebungs- und Auswertungsverfahren von Boelmann an. (Boelmann 2016)
v. Aufbau von Tests zum literarischen Verstehen
Eines der Ziele der empirischen Unterrichtsforschung ist die Konstruktion von Kompetenzmodellen und die Überprüfung, ob sie operationalisierbar sind: d. h., ob sie im Schulunterricht gemessen, unter den Schülerinnen und Schülern miteinander verglichen und von der Lehrinstanz bewertet werden können. (Grzesik 2005, S. 379) Die Frageformate solcher Tests setzen sich aus mehrfach Wahlaufgaben und offenen Fragen zusammen. Anhand von mehrfach Wahlaufgaben werden zum Beispiel die Kenntnis von Wortbedeutungen, die Textgliederung sowie Schlussfolgerungen und Bewertungen getestet. Die offenen Aufgaben testen Faktenwissen, Überblickswissen und das tiefere Textverständnis. (Winkler 2005, S. 36f.)
Über die Items der PISA-Untersuchungen hinaus überprüfen offene Aufgaben das Inhaltsverstehen in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden. (Christmann 2015, S. 37) Das Problem bei offenen Aufgaben besteht darin, dass sie nicht nur das Textverstehen überprüfen, sondern ebenfalls die Schreibkompetenz. (Winkler 2005, S. 40) Für ein Wissen über Textstrukturen bietet es sich an, Textausschnitte in eine neue Reihenfolge zu bringen, aus der die Schülerinnen und Schüler die Ausgangsordnung rekonstruieren sollen. (Christmann 2015, S. 37) Ein weiteres Problem besteht darin, dass bei solchen Aufgaben nicht klar ist, ob sie Merkfähigkeit testen oder das Verstehen des Gelesenen. Ebenfalls besteht bei der Überprüfung des Wissens von Textstrukturen wie auch bei mehrfach Wahlaufgaben die Gefahr, dass hier die Fähigkeit zu logischem Schlussfolgern überprüft wird. (Ebd., S. 36)
vi. Die Bedeutung von Fachwissen für literarisches Verstehen
Für literarisches Verstehen innerhalb des Literaturunterrichts sind fünf verschiedene Formen des Fachwissens relevant: Wissen über Gattungen, Textanalyseverfahren, Literaturgeschichte bzw. Epochen, Autoren und Intertextualität. (Spinner 2012, S. 54; vgl. auch Grzesik 2005, S. 338ff., Leubner und Saupe 2017, S.45) Das Vorwissen ist eine der wesentlichen Komponenten, von denen Textverstehen auch jenseits der curricularen Vorgaben abhängt. Gattungswissen unterstützt beispielsweise den Lesefluss. (Frickel 2012, S. 71) Wie für Epochenwissen gilt auch für Gattungswissen, dass sich ein kompetenter Umgang mit ihm nicht durch schematische Anwendung auszeichnet, sondern durch Entdeckung von Varianzen. (Frickel 2012, S. 86f.; vgl. auch Freudenberg 2012, S. 86) Textanalyseverfahren fördern die Entstehung von intratextuell abstraktem Wissen, das genauso wie intertextuelles Wissen für literarische Verstehensprozesse von Experten wesentlich ist. (Winkler 2007, S. 85)
Historisches- und Kontextwissen unterstützt das Ziehen von Inferenzen bei Texten, die wenig kausale Konnektiva und Koreferentialität aufweisen, da das Verstehen der Handlung soziokulturelles Wissen voraussetzt. (Christmann 2015b, S. 173) Dieser Zusammenhang legt die Schlussfolgerung nahe, dass die Inferenztätigkeit von Leserinnen und Lesern höher ist, die ein umfassendes textrelevantes Vorwissen aufweisen. (Christmann 2015b, S. 175f.)
Das zentrale Problem bei der Vermittlung von Fachwissen in schulischen Kontexten ist seine häufig von Analyseritualen geprägte, schematische Anwendung. (Spinner 2012, S. 54 vgl. auch Zabka 2012) Dies führt zumeist dazu, dass der Text dem eigenen Wissen angepasst wird, statt seine ästhetische Eigenart wahrzunehmen. (Freudenberg 2012, S. 44) Dass eine schemaorientierte Anwendung fachlichen Wissens nicht die ästhetische Eigenart eines Textes treffen muss, liegt daran, dass Literatur mit den Erwartungen gegenwärtiger und zeitgenössischer Leserinnen und Leser spielen und auf Irritation angelegt sein kann. (Spinner 2012, S. 63) Darüber hinaus fordern Curricula und Didaktik von den Schülerinnen und Schülern, Bezüge zwischen der formal-rhetorischen Gestaltung und dem Inhalt herzustellen. (Ebd., S. 57) Die Vermittlung von fachlichem Wissen muss dementsprechend gezielt darauf verweisen, wie es literarisches Verstehen fördert. (Ebd., S. 63)
vii. Konsequenzen aus der empirischen Literaturdidaktik für die Förderung literarischen Verstehens im Unterricht
Inwiefern sich Sinnkonstruktionen beeinflussen oder steuern lassen, ist die zentrale Frage in Kontext von Verstehensprozessen im Literaturunterricht. (Christmann 2015b, S. 180) Beispielsweise wird die Inferenzbildung durch Relevanzsetzung des Textes verstärkt. Wenn der Rezeptionsprozess an Lesezielen ausgerichtet ist, die selbstbestimmt sind, ist die Inferenztätigkeit höher als in Fällen, in denen ein Text ohne Ziel und Motivation gelesen wird. (Ebd., S. 180) Ein Paradebeispiel für die Beeinflussung von Sinnkonstruktionen besteht in der Fokussierung wesentlicher Text- und Formelemente sowie in der zielorientierten Aufgabengestaltung mittels an Niveaustufen orientierten Operatoren. (Leubner und Saupe 3. Auflage 2017, S. 27)
Für die symbolische Ebene des Textverstehens ist es wichtig, dass sie erst von Schülerinnen und Schülern durch intratextuelle Verweise etabliert werden muss und die Interpretation nicht willkürlich erfolgt. (Spinner 2010, S. 60) Eine Möglichkeit diesen für das symbolische Verstehen wichtigen Suchmodus zur Sinnkonstruktion zu unterstützen, ist das Lernen mit Filmen. Spinner expliziert diese Möglichkeit anhand der Kodierung von Licht im Film. (Spinner 2010, S. 63) Beispielsweise können die unterschiedlichen Tageszeiten im Film nicht nur auf Tag und Nacht verweisen. Sie können auch für abstrakte semantische Räume stehen. Während der Tag beispielsweise ein Zeichen für Sicherheit wäre, ließe sich mit der Dunkelheit der Nacht Bedrohung inszenieren. In diesem Sinne wäre auch die Darstellung des Wechsels der Tageszeiten ein Zeichen für den Wechsel von einem Raum der Sicherheit zu einem bedrohlichen Raum, wie es häufig in Horrorfilmen inszeniert wird. Die Bildung dieser symbolischen Bedeutung wird meist von Musik und anderen Mitteln ergänzt. Auf diese Weise entstehen voneinander unterscheidbare Bedeutungsräume, die sich anhand des Fokus auf die verwendeten Gestaltungsmittel wie Sound (‚on‘ oder ‚off‘), Kameraperspektive, Stimmen, Kostüme etc. rekonstruieren lassen. Neben der Übung des symbolischen Verstehens am Film, regen ebenso innere Vergegenwärtigungen des Textgeschehens über Vorstellungen die Sinnkonstruktion an. Damit ist die mentale Modellierung des Textes zugleich mit einem produktiven Aspekt verbunden und unterstützt das poetische Verstehen. (Steinbrenner 2010, S. 48)
Ein grundsätzliches Problem des Literaturunterrichts besteht darin, dass die Subjektivität der Lektüre und der Sinnbildungsprozesse mit dem unterrichtlichen Anspruch in Konflikt geraten, allgemeines Wissen und Kompetenzen zu vermitteln. (Brüggemann 2012, S. 277) Dieses Problem zeigt sich gerade dann in besonderem Maße, wenn literarische Texte mit Bezug zu ihrem oder dem dargestellten historischen Kontext gelesen werden. Auch könnte eine kulturhistorische Kontextualisierung zu einer Überforderung der Schülerinnen und Schülern führen, die auch ihren entwicklungspsychologisch bedingten Bedürfnissen widerspricht. (Ebd., 264)
Souvignier, Küppers et al. haben das Computerprogramm Textdetektive für die sechste Klasse entwickelt. Mit diesem Programm üben Schülerinnen und Schülern Lesestrategien für die Informationsentnahme ein. Damit werden sie dazu in die Lage versetzt, ihren Leseprozess strategisch und kontrolliert auszurichten. (Souvignier 2003, S. 21) Neben dem Einüben des Vorstellungsvermögens, der Beachtung von Paratexten sowie den Umgang mit Textschwierigkeiten werden Unterstreichungs- und Zusammenfassungstechniken vermittelt sowie Techniken zum Einprägen des Gelesenen und zur Reflexion auf den Zweck des Lesens. (Ebd., S. 26) Dem Einwand, dass Strategielernen den Lesefluss hemmt, begegnen Souvignier et al. mit dem Argument, dass solche Strategien Voraussetzung für ein genussvolles Lesen komplexerer Texte sind. (Ebd., S. 32)
Schon diese Beispiele zeigen, dass die Arbeit an Kompetenzen des Textverstehens eher prozessorientiert als ergebnisorientiert sein müssen. (Spinner 1987, S. 147) Weitere Beispiele hierfür sind Aufgabenformate des produktionsorientierten Unterrichts, die dazu anleiten Texte weiter-, umzuschreiben, zu rekonstruieren, sie szenisch umzusetzen oder zu verfremden. (Ebd., S. 148)
Zu den analytischen Verfahren, die literarische Erfahrung und Verstehen ermöglichen sowie vertiefen, gehören semiotisch-strukturale Methoden. (Ebd., S. 150) Speziell literatursemiotische Ansätzen lassen sich auf multimediale Arrangements übertragen, unterstützen die Reflexion auf das Verhältnis von Fiktion und Wirklichkeit, verbinden formale und inhaltliche Analysen, sind sinnvolle Beiträge für einen kompetenzorientierten Unterricht und eigenen sich für die Vermittlung von der Grundschule an. (Spinner 2013, S. 59ff.) Beispielsweise kann die methodisch simple und analytisch wertvolle Untersuchung von Oppositionen und Äquivalenzen in unterschiedlichen Niveaustufen eingesetzt werden. (Müller 2013, S. 94ff.)
Ein für die meisten Formen medialer Narrative schwierigeres Verfahren ist die Untersuchung von Überschreitungen semantischer Grenze. Solche Grenzüberschreitungen werden in der Literatursemiotik Ereignisse genannt. (Lotman 4. Auflage 1993, S. 332, 339) In Entwicklungs-, Bildungs- und klassischen Heldengeschichten gehen die zentralen Figuren von einem semantischen Ausgangsraum wie beispielsweise der Familie, der Kultur oder einer sozial niedrigeren Stufe in einen anderen semantischen Raum über wie den der Kunst, der Natur oder einer sozial höheren Stufe. Diese Entwicklungen markieren zentrale Grenzüberschreitungen. Ein Fokus auf diese Kombination von Form und Inhalt ist nicht nur von Literatur auf andere Medien wie beispielsweise Filme übertragbar, sondern steigert auch das Abstraktionsniveau der Schülerinnen und Schüler, unterstützt die Bildung mentaler Modelle und ist ein Ausgangspunkt für Sinnbildungsprozesse. (Schilcher 2013; Steinmetz 2012, S. 128f.)
Wie anhand der Komplexität des Textverstehens deutlich geworden ist, ist erfolgreiches literarisches Verstehen äußerst voraussetzungsreich. (Steinmetz 2016, S. 9) Formen der Lenkung und die Bereitstellung anderer kontextualisierender Medien fördern solche Prozesse. (Ebd., S. 8) Ein Ansatz, der davon ausgeht, dass literarisches Verstehen unterstützt werden muss, steht im Gegensatz zu solchen, die in der Lenkung von Verstehensprozessen die Beschneidung der Offenheit des literarischen Gegenstandes sehen. Ein Beispiel für diese gegensätzlichen Ansätze sind offene Aufgabentypen, die nur auf die Interpretation eines Textes oder eines Textausschnittes verweisen und Aufgabensets, die systematisch aufeinander aufbauende Kompetenzen des Verstehens anvisieren. (Leubner und Saupe 3. Auflage 2017, S. 44; Steinmetz 2016, S. 9; Heins 2017, S. 439)
Offene Aufgabenstellungen und ein geringes Maß an Lenkung sind häufig mit dem Problem verbunden, dass sich die Schülerinnen und Schüler überfordert fühlen und damit willkürliche Interpretationen wahrscheinlicher machen. Um dem entgegenzuwirken und um literarisches Verstehen kompetenzorientiert zu entwickeln, müssen Formen der Unterstützung für den Literaturunterricht in den Sekundarstufen zentral sein. (Steinmetz 2016, S. 9) Ziel solcher unterstützenden Maßnahmen im Literaturunterricht ist der Übergang zu einer selbständigen, reflektierten Arbeit mit dem Text. (Heins 2017, S. 456)
Wenn Literaturunterricht Epochenwissen vermittelt, darf es nicht bloß akkumuliert, sondern muss über Epochengrenzen hinaus vernetzt werden. Beispielsweise bietet es sich hier an, die Entwicklung von literarischen Topoi und Metaphern zu thematisieren, wodurch einerseits die historische Bedingtheit einzelner Texte und andererseits ihre Spezifika evident werden. (Freudenberg 2012, S. 414) Dementsprechend ist die Vermittlung von Epochenwissen immer an die literarische Form beispielhafter Texte zurückzubinden. Das gleiche gilt für Gattungs- und Strukturwissen. (Steinmetz 2012, S. 129)
Aus den Vorschlägen wird deutlich, dass nicht einfach von Schülerinnen und Schülern genialische Interpretationen und Kritiken gefordert werden können, sondern dass Interpretation und Wertung systematisch auf der Bildung mentaler Modelle und globaler Kohärenz aufbauen müssen. Auf diese Weise wird Textverstehen systematisch entwickelt. (Freudenberg 2012, S. 416) D. h. nicht, dass ausschließlich historisches Kontextwissen bei der Bildung globaler Kohärenz und eines mentalen Modells einfließen muss. Auch allgemeines Weltwissen und damit verbundene Wertungen sind Ansätze für Irritation sowie für eine Verständigung und Abwägung über verschiedene Sinnbildungsprozesse. (Stark 2010, S. 127f.) In diesem Zusammenhang bietet es sich an, das Verhältnis von Perspektivenverstehen und Fiktionalitätswahrnehmung in den Unterricht einzubinden und zu reflektieren. (Stark 2012, S. 167)
Die Thematisierung von Verstehensprozessen selbst kann im Unterricht einerseits Schülerinnen und Schülern ihren Handlungsspielraum im Umgang mit Literatur bewusst machen und andererseits zum gegenseitigen Lehren und Lernen anregen. (Artelt 2004, S. 72) Dementsprechend bietet es sich an, metakognitiv die Struktur von Verstehensprozessen im Unterricht zu thematisieren, wodurch Schülerinnen und Schülern eine Sensibilität für den Ablauf ihrer Tätigkeit während Prozessen entwickeln, die mentale Kohärenzbildung erfordern. (Schwarz-Friesel 2006, S. 69) Beispielsweise lassen sich anhand eines Vergleichs von Kohärenzbildungen bei der Rezeption von Märchen mit Kohärenzbildungen bei der Rezeption von realistischen Texten die Unterschiede beim Ziehen von Inferenzen thematisieren. (Ebd., S. 69) Darüber hinaus wird durch die Vermittlung eines metakognitiven Wissens über die linguistische und kognitive Basis der Interpretation ein Brückenschlag zwischen sprach- und literaturwissenschaftlicher Propädeutik geschlagen. (Ebd., S. 73f.)
Fußnoten
[1] In der Kognitionspsychologie wird zwischen einer minimalistischen und einer konstruktivistischen Inferenztheorie unterschieden. Der minimalistischen Inferenztheorie zufolge ziehen Rezipienten während des Lesens ('on-line') nur vom Text geforderte Schlüsse. Komplexere Inferenzen, die das Gelesene elaborieren, werden erst im Anschluss an die Lektüre ('off-line') gezogen. De zweiten Aspekt widerspricht die konstruktivistische Inferenztheorie. Ihr zufolge entstehen elaborative Inferenzen während des Lesens. (Christmann 2015, S. 175)
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