Explikat
Schreibimpulse zeichnen sich im Vergleich zu Schreibaufgaben durch eine größere Offenheit und kreativen Freiraum aus. Während Schreibaufgaben, unter anderem „funktional eindeutig“ (Schmölzer-Eibinger 2015, S. 1) sowie „einem Textmuster und einer Textsorte klar zugeordnet“ (ebd., S. 1) sein sollen, bieten Schreibimpulse in Hinblick auf das zu erwartende Textprodukt, welches sich textsortenspezifischer Charakteristika bedienen kann, einen größeren individuellen Spielraum (vgl. Tab. 1).
Schreibimpulse nehmen eine Schlüsselrolle bei der Inszenierung kreativer Schreibprozesse ein (vgl. Bredel und Pieper 2021, S. 240). Im Zentrum des kreativen Schreibens steht das Subjekt, samt seiner Wahrnehmung und bisherigen Erfahrung, weshalb diesem oftmals ein persönlichkeitsbildendes Potenzial zugesprochen wird (vgl. Bredel und Pieper 2021, S. 240). Es zielt primär darauf ab, die Fantasie zu entfalten und auszudrücken (vgl. Spinner 1994, S. 46). Um kreative Schreibprozesse in der unterrichtlichen Praxis anzuregen, können facettenreiche Schreibimpulse gesetzt werden, deren Definition wie in Tabelle 2 zusammengefasst werden kann.
Ein erfolgreicher Schreibimpuls wird zu einem Schreibanlass, er bewegt das Individuum also zum Weiterschreiben. Hofen (2006) definiert einen Schreibanlass als alles, was im Individuum den Beweggrund weckt, schreiben zu wollen oder zu müssen (vgl. ebd., S. 654). Dabei unterscheidet er zwischen spontanen und didaktisch-methodisch intendierten Schreibanlässen (vgl. ebd., S. 654). Das Schaffen eines Schreibanlasses kann zwar im Voraus von Lehrkräften intendiert sein, jedoch durchaus durch die Lernenden verworfen werden. Ab dem Zeitpunkt, zu welchem das Individuum den Grund zu schreiben im Selbst erkannt hat und die Notwendigkeit verspürt, das Imaginierte festzuhalten, ist der Schreibanlass geschaffen. Demnach ist der Schreibanlass der Effekt, vielmehr die Folge des motivierenden Impulses, der motivierenden Aufgabe oder der Motivation aus dem Inneren des Subjekts heraus. Entsprechend schlage ich mit Tabelle 3 eine Erweiterung und Modifikation vor.
Bisweilen wird dem extrinsisch motivierten Schreiben, in Form des traditionellen Aufsatzunterrichts, immer noch ein bedeutender Stellenwert im schulischen Kontext eingeräumt. Die Kinder schreiben zum Beispiel Bildergeschichten, Personenbeschreibungen und Briefe/Mails. Bei allen Aufsatzarten steht das Endprodukt fest und es bleibt wenig Raum für Fantasie. Schreibimpulse hingegen bieten eine natürliche Offenheit, die den individuellen kreativen Spielraum erheblich erweitert.
Besonderheiten im Kontext von KJM
Den Möglichkeiten literarischer Schreibimpulse, die zu Schreibanlässen werden können, sind kaum Grenzen gesetzt. Exemplarisch können einzelne Geräusche bis hin zu ästhetisch-kunstvoll ausgestalteten Geräuschkulissen eines Hörspiels oder Filmszenen als Schreibimpuls eingesetzt werden (vgl. auch Bernhardt 2022, S. 265). Aufgrund des multimodalen Zusammenspiels verschiedener Ebenen entsteht beispielsweise im Hörspiel eine klangliche Atmosphäre, die auf eine spezifische Art und Weise Bedeutung erzeugt (vgl. Bernhardt 2022, S. 262). Diese mediale Besonderheit kann Kinder individuell betreffen und als Irritations- und Imaginationspunkt fruchtbar gemacht werden. Basierend auf der je subjektiven Irritation und zugeschriebenen Bedeutung können Eindrücke, Gefühle und Assoziationen schriftlich festgehalten werden. Dabei kann der Schreibanlass hinsichtlich des subjektiven Beweggrunds zu schreiben von Kind zu Kind variieren, da der Selbstausdruck des Kindes im Mittelpunkt steht. Bereits Spinner (1994, S. 47) betont, dass unter kreativem Schreiben vor allem der „Ausdruck von Subjektivität“ und in der Folge die „Originalität […] von subjektiver Authentizität“ verstanden werde. Im Vordergrund steht also nicht die Erfüllung äußerer Normen oder Erwartungen, sondern der Ausdruck der eigenen inneren Welt.
Darüber hinaus bietet die Kinder- und Jugendlyrik aufgrund ihrer starken sprachlichen Verfremdung das Potenzial, die Aufmerksamkeit auf die Sprache zu richten und Sprache im spielerischen Umgang zu erleben. Lyrische Impulse irritieren, faszinieren und laden ein in der Durchbrechung fester Sprachmuster bei der eigenen Produktion dem Selbst Ausdruck zu verleihen.
Auch Comics können in kreativen Schreibsettings fruchtbar als Schreibimpuls Einsatz finden. Sie stellen „differenzierte Spielarten eines Erzählens in Bildern“ (Giesa 2019, S. 58) dar und laden aufgrund der impliziten Narration zum mentalen Probehandeln ein. Dahingehend kann die Leerstelle zwischen den Bildpanels als Schreibimpuls dienen und die Rezipient:innen dazu anhalten, die Leerstelle expressiv mit den eigenen Imaginationen zu füllen, wobei sich die Kinder selbst im Gebrauch der spezifischen Darstellungsweisen des Comic erproben.
Die beschriebenen Möglichkeiten literarischer Schreibimpulse bieten die Potenziale des literarischen Lernens sowie dem Schreibkompetenzzuwachs. Zur Beurteilung der subjektiv bedeutsamen Schreibprodukte gilt es für den je spezifischen Impuls geeignete Kriterien zu entwickeln. Im Hinblick auf das literarische Verstehen in Verbindung zur Schreibkompetenzentwicklung kann dabei die Entwicklung nuanciert ausdifferenzierter Kategoriensysteme vorgeschlagen werden, die sich auf die Performanz (vgl. Boelmann und König 2021, S. 97–130) beziehen.
Literatur
Bernhardt, Sebastian: Ein didaktisch orientiertes Modell der Hörspielanalyse. Medienwissenschaftliche und -didaktische Perspektivierung am Beispiel von Thabo. Detektiv und Gentleman – Der Nashorn-Fall. In: Gehörte Geschichten. Phänomene des Auditiven. Hrsg. von Nils Lehnert/ Ina Schenker und Andreas Wicke, 2022. Berlin/Boston: De Gruyter. S. 255–268.
Boelmann, Jan M./ König, Lisa: Literarische Kompetenz messen, literarische Bildung fördern. Das BOLIVE-Modell. Baltmannsweiler: Schneider-Hohengehren, 2021.
Bredel, Ursula/ Pieper, Irene: Integrative Deutschdidaktik. 2. Auflage. Paderborn: Brill Schöningh, 2021.
Giesa, Felix: Comics als bildbasierte Erzählliteratur. In: Bilderbücher. Hrsg. von Julia Knopf und Ulf Abraham, 2019. Baltmannsweiler: Schneider-Hohengehren. S. 58–73.
Hofen, Nikolaus: Schreibanlässe. In: Lexikon Deutschdidaktik. Band 2: M-Z. Hrsg. von Heinz-Jürgen Kliewer und Inge Pohl. Baltmannsweiler: Schneider-Hohengehren, 2006. S. 654–656.
Kohl, Eva-Maria/ Ritter, Michael: Schreibszenarien. Wege zum kreativen Schreiben in der Grundschule. 5. Auflage. Seelze-Velber: Kallmeyer, 2022.
Schmölzer-Eibinger, Sabine: Kriterien für „gute“ Schreibaufgaben. Graz: Karl-Franzens-Universität, 2015. https://static.uni-graz.at/fileadmin/gewi-zentren/fachdidaktikzentrum-gewi/Dokumente/Kriterien_Erstellung_von_Schreibaufgaben.pdf (19.09.2024)
Spinner, Kaspar H.: Anstöße zum kreativen Schreiben. In: Auch die leitungsstarken Kinder fördern. Hrsg. von Reinhold Christiani. Frankfurt am Main: Cornelsen Scriptor, 1994. S. 46–60.