Titel des Projekts/Title: Bilderbuchlesarten von Kindern. Neue Erzählformen im Spannungsfeld von kindlicher Rezeption und Produktion
VerfasserIn/Author:
Dr. Alexandra Ritter
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Sprache/Language: Deutsch
Art des Projekts/Type: Dissertation
Projektlaufzeit/Duration: 2008-2013
Universität/University: Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg
Keywords: Bilderbuch, Bilderbuchrezeption, Bilderbuchdidaktik, Bilderbuchgespräch, Handlungs- und produktionsorientierter Literaturunterricht
Veröffentlicht unter/Published as: Bilderbuchlesarten von Kindern. Neue Erzählformen im Spannungsfeld von kindlicher Rezeption und Produktion. 2. Auflage. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, 2017.
Beschreibung/abstract:
In seiner Entwicklung werden im Bilderbuch immer wieder künstlerische und pädagogische Ansprüche verhandelt und zueinander in Beziehung gesetzt. Während Oetken (2008) feststellt, dass künstlerische Innovationen in allen Epochen zu finden sind, kann in dieser Arbeit auch gezeigt werden, dass ebenso kontinuierlich bestimmte pädagogische Normen das Genre geprägt haben. Auch wenn aktuell eine Vielfalt von neuen, innovativen Bilderbuchformen auf dem Buchmarkt erscheint, finden diese im untersuchten Zeitraum von 1997-2007 kaum Eingang in die schulische Praxis bzw. Niederschlag in didaktischen Fachartikeln zu Bilderbüchern in Fachzeitschriften. Vielerorts bestehen immer noch Vorbehalte hinsichtlich der Adressierung und Angemessenheit der Bücher für ein junges Publikum. Zu fragen ist daher, wie Kinder mit solchen Bilderbüchern umgehen und welche Zugänge und Lesarten sie entwickeln können; ob sie als Rezipient*innen solcher literarästhetisch-anspruchsvoller Bilderbücher gelten können.
Die Studie möchte mit einer Untersuchung zur kindlichen Rezeption und produktiven Auseinandersetzung mit neuen Bilderbüchern den Blick der Fachdidaktik weiten und sich der Frage widmen, wie Kinder innovative Bilderbücher lesen. Datengrundlage sind Bilderbuchgespräche mit einer Gruppe von 10 Kindern einer vierten Klasse aus einer Grundschule in Halle (Saale) zu vier Bilderbüchern. Jedes Buch wurde in einem dreiphasigen Verfahren gelesen. In der ersten Phase wurde allen Kindern gemeinsam das Bilderbuch präsentiert/vorgelesen und sie durften frei ihre Gedanken zum Buch im Gespräch äußern. In der zweiten Phase schrieben die Kinder einen reflektierenden Text zu dem Buch und die dritte Phase bildete ein gelenktes Gespräch mit der Gesprächsleiterin, eine den Kindern bekannte Bezugsperson. Die Forscherin war als teilnehmende Beobachterin anwesend. Die entstandenen Gespräche bzw. Kindertexte wurden qualitativ-inhaltsanalytisch ausgewertet und in einem didaktischen Kontext interpretiert. Die Bilderbücher wurden nach dem Prinzip des theoretical sampling ausgewählt. Thematisiert wurden: Mario Ramos Ich bin der Stärkste im ganzen Land, Jürg Schubiger/Eva Muggenthaler Der weiße und der schwarze Bär, Grimm/Susanne Janssen Hänsel und Gretel und Nikolaus Heidelbach Ein Buch für Bruno.
Zentrale Ergebnisse der Studie: In den Analysen der Bilderbucherkundungen der Kinder lässt sich feststellen, dass die Kinder die Bücher nicht als starre Rezeptionsvorlage nutzen, deren kohärentes narratives Schema es zu entschlüsseln gilt. Die Diskussion um Inhalte und Strukturen nutzen die Kinder als Spielraum für individuelle Sinnkonstruktionen.
Reduzierte Bilddarstellungen und strukturelle Vorgaben eines Textes regen Weitergestaltungen an, während detaillierte Bilder mit einem starken Bezug zwischen Bild und Text zur genauen Wahrnehmung und Beschreibung, gleichzeitig aber auch zur Deutung des Bild-Text-Verhältnisses führen.
Die Beschreibung und Deutung der Bildebene bleibt vornehmlich auf die Gespräche beschränkt, während die schriftlichen Texte den Einfluss der vorgegebenen Strukturen des Buches mit eigenen Variationen und Veränderungen wiedergeben.
Aus kommunikativer Perspektive spielt vor allem Anschlusskommunikation (vgl. Hurrelmann 2002, 13) eine Rolle. In ihrem Kontext erfolgt das Aushandeln von Bedeutungen und Begriffsbildung, die von der Gruppe insgesamt getragen wird; oder nicht. Voraussetzung ist allerdings polyvalente und ästhetisch anspruchsvolle Literatur mit Leerstellen, die Gespräche dieser Art zulassen.
In its development, the picture book repeatedly discusses artistic and pedagogical demands and relates them to each other. While Oetken (2008) notes that artistic innovations can be found in all eras, this work also shows that certain pedagogical norms have also continuously shaped the genre. Even though a variety of new, innovative picture book forms are currently appearing on the book market, they hardly find their way into school practice or are reflected in didactic articles in specialist journals in the period 1997-2007. In many places there are still reservations about the address and appropriateness of the books for a young audience. It is therefore necessary to ask how children deal with such picture books and what approaches and ways of reading they can develop; whether they can be regarded as recipients of such literary-aesthetic-demanding picture books.
The study aims to broaden the view of subject didactics by investigating children's reception and productive engagement with picture books and to address the question of how children read innovative ones. The data are based on picture book discussions with a group of 10 fourth-grade children from a primary school in Halle (Saale) on four picture books. Each book was read in a three-phase process. In the first phase, the picture book was presented/read to all children together and they were free to express their thoughts about the book in conversation. In the second phase, the children wrote a reflective text about the book and the third phase consisted of a guided conversation with the interviewer, a person known to the children. The researcher was present as a participating observer.
The resulting conversations and children's texts were evaluated qualitatively and content-analytic and interpreted in a didactic context. The picture books were selected according to the principle of theoretical sampling. Themes were: Mario Ramos I'm the Strongest in the Whole Country, Jürg Schubiger/Eva Muggenthaler The White Bear and the Black Bear, Grimm/Susanne Janssen Hansel and Gretel and Nikolaus Heidelbach A book for Bruno.
Results of the study are: In the analyses of the children's picture book explorations, it can be established that the children do not use the books as a rigid reception template whose coherent narrative scheme needs to be deciphered. The children use the discussion about content and structures as a space for individual constructions of meaning.
Reduced pictorial representations and structural specifications of a text stimulate further development, while detailed images with a strong relationship between image and text lead to accurate perception and description, but at the same time also to the interpretation of the image-text relationship.
The description and interpretation of the pictorial level remains mainly limited to the conversations, while the written texts reflect the influence of the predefined structures of the book with their own variations and changes.
From a communicative perspective, connection communication (cf. Hurrelmann 2002, 13) plays a role. In their context, the negotiation of meanings and concepts takes place, which is supported by the group as a whole; or not. The prerequisite, however, is polyvalent and aesthetically demanding literature with blank spaces that allow conversations of this kind.
Biographische Informationen/CV:
Alexandra Ritter hat das Lehramt an Grundschulen studiert und mit 1. und 2. Staatsexamen abgeschlossen. 2014 wurde sie promoviert zum Thema "Bilderbuchlesarten von Kindern". Seit 2010 arbeitet Alexandra Ritter als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Arbeitsbereich Deutsch/ästhetische Bildung für die Primarstufe an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Arbeitsschwerpunkte sind Kinder- und Jugendliteratur, dabei insbesondere das Bilderbuch in Theorie, Didaktik und Rezeption; weiterhin Literaturdidaktik, inklusiver Deutschunterricht und Digitalisierung. Sie ist aktuell auch die Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Jugendliteratur und Medien der GEW (AJuM).
Weitere Informationen/Additional information:
Alexandra Ritters Internetseite an der Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg