So stand der unterfränkische Ort Volkach am 23. und 24. Mai ganz im Zeichen der "Wende". Etwa 80 Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmer aus ganz Deutschland, darunter Lehrerinnen und -lehrer, Literatur- und Kulturvermittlerinnen und -vermittler, Studierende der Germanistik und Geschichte sowie all- gemein an (Kinder- und Jugend-)Literatur und Geschichte Interessierte kamen zur Frühjahrstagung der Akademie zusammen.

Zum Auftakt im Museum Barockscheune führten Prof. Dr. Karin Richter (Universität Erfurt) und Dr. Jana Mikota (Universität Siegen) in die von ihnen kuratierte Ausstellung Bildwelten – nicht nur für Kinder: Märchen – Mythen – Phantastische Welten. Entdeckungsreisen in die Illustrationskunst im Kinderbuch der DDR und der BRD ein. Am selben Ort folgte der Vortrag von Dr. Andreas Bode, ehemaliger Direktor der Internationalen Jugendbibliothek in München, über die Geschichte kinder- und jugendliterarische Illustrationskunst der DDR.

Pünktlich begrüßte Dr. Claudia Maria Pecher (Goethe-Universität Frankfurt am Main) als Präsidentin der Akademie die Tagungsgesellschaft im Festsaal des Volkacher Schelfenhauses. Am 23. Mai des Jahres 1949 unterzeichnete Konrad Adenauer als Präsident des Parlamentarischen Rates das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Dies sollte Anlass sein, einmal mehr in diesen Tagen über die Wiedervereinigung Ost-West, 30 Jahre Fall der Berliner Mauer und die Darstellung dieses historischen Ereignisses in der Literatur für junge Leserinnen und Leser noch einmal nachzudenken. Pecher gab weiterhin einen historischen Einblick in die Agenda der Akademie in den Jahren 1989 und 1990, aus dem auch ersichtlich wurde, wie die kinder- und jugendliterarische Szene die Geschehnisse damals begleitete. Es bleibt auch hier die Aufgabe, drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall nach neueren Entwicklungen in der Begegnung Ost-West auf dem Kinder- und Jugendbuchmarkt zu fragen, ohne dabei in wiederkehrende Narrative, stereotype Reproduktionen und wenig kreative Zuschreibungen zu verfallen. Hier gilt es an einem bildungs- und wissenschaftsbasierten Strukturwandel mit dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme mitzuwirken und dabei die Förderung und Einbindung geeigneter Kinder- und Jugendliteratur im schulischen und außerschulischen Einsatz zu unterstützen.

Nach einer Videobotschaft des Bayerischen Staatsministers für Wissenschaft und Kunst, Bernd Sibler, führte RD’in Monika Franz von der Landeszentrale für politische Bildungsarbeit in Bayern in historische und politische Aspekte des Tagungsthemas ein. Eindrücklich schilderte sie das Verhalten von Hirschen im Böhmerwald, die auch Jahrzehnte nach Beseitigung physisch existierender Grenzen nicht den Weg "auf die andere Seite" wagen. Mit diesem Bild für die Wahlfreiheit von Menschen in einer pluralen Demokratie fordert sie dazu auf, die noch immer vorhandenen, unsichtbaren Grenzen zu überschreiten und sich aktiv für die Einheit einzusetzen. Durch das Programm führten Akademie-Präsidentin Dr. Claudia Maria Pecher, Monika Franz und Christiane Gibbs von der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit (München).

Im ersten Vortrag zeigte Prof. Dr. Gabriele von Glasenapp (Universität zu Köln) "Fallbeispiele" der Darstellungen von Mauerfall, Wiedervereinigung und Wende in der Kinder- und Jugendliteratur. Dr. Dirk Sadowski (Georg-Eckert-Institut, Braunschweig) analysierte die "'Friedliche Revolution' in Anführungszeichen" anhand von Wendenarrativen in Geschichtsschulbüchern. Christine Paxmann (Herausgeberin Eselsohr, München) befasste sich mit dem Umgang mit dem literarischen und politischen Erbe von Verlagen am Beispiel des Altberliner und des leiv Verlags. Und Andrea Baron, Lektorin im Verlag Beltz & Gelberg, nahm das Publikum mit auf eine Reise in die Geschichte des KinderbuchVerlags Berlin von 1949 bis heute unter dem Titel Realistisch. Phantastisch. Nostalgisch. Modern.

In den anschließenden Workshops hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, die eingeführten Theorien, die erinnerte Praxis oder auch nur gestreiften Fragestellungen mit den Referentinnen und Referenten zu vertiefen: Prof. Dr. Karin Richter gab Anregungen für den Literaturunterricht Von Benno Pludras Kinderromanen zu Franz Fühmanns Mythenadaptionen. Prof. Dr. André Barz (Universität Siegen) thematisierte das Kinder- und Jugendtheater in der DDR. Dr. Monika Rox-Helmer (Universität Gießen) beschäftigte sich mit historischen Jugendromanen in fächerverbindenden Projekten und im Geschichtsunterricht. Schließlich betrachtete Dr. Jana Mikota den aktuellen Kinder- und Jugendbuchmarkt mit dem Fokus auf Darstellungen der DDR wie des Mauerfalls vor 30 Jahren.

Den Abend des ersten Tages beschloss ein von Frank Müller vom Bayerischen Rundfunk moderiertes Podiumsgespräch mit den Autorinnen Judith Burger, Dr. Susan Kreller und Hanna Schott sowie dem Paul Maar-Preisträger 2017, Johannes Herwig, zum Thema 30 Jahre nach 1989 – grenzenlose Freude? Kindheit und Jugend in Ost und West.

Den Auftakt am zweiten Tag der "Wende"-Tagung machte Prof. Dr. Karin Richter mit der Frage "Was ist geblieben?" Zur Beantwortung der Frage schaute sie auf die Kinder- und Jugendliteratur der DDR und 30 Jahre gesamtdeutsche KJL-Szene. Dr. Monika Rox-Helmer führte die Ideen aus dem Workshop des Vortags zum Historischen Lernen durch literarisches Lesen von Jugendromanen zur "Wende" in der DDR aus.

Schließlich diskutierten Prof. Dr. Michael Hofmann (TU Dresden) und Dr. Harald Parigger, ehemaliger Direktor der Landeszentrale für politische Bildungsarbeit in München, unter Moderation von Monika Franz über den West-Ostblick auf 30 Jahre Vereinigungsgeschichte: "Gemeinsam sind wir unterschiedlich".

In der anschließenden Workshop-Phase erörterten Robert Elstner von der Leipziger Stadtbibliothek und die Münchner Buchhändlerin Katrin Rüger, wofür Jugendliche sich begeistern – und wofür nicht anhand ihrer Erfahrungen mit Leseteams in Leipzig und München. Susanne Koschig, Dramaturgin und Theaterpädagogin in Erfurt, fragte nach dem Puppentheater in der DDR und in Osteuropa und betonte dabei besonders das historische Erbe ostdeutscher Ensemblepuppentheater. Die Leipziger Autorin Judith Burger befasste sich schließlich mit dem Historischen Lernen durch Kinderliteratur am Beispiel ihres Buches Gertrude grenzenlos.

Die Schlussworte – nämlich einen Ausblick auf die nächsten 10/20/30 Jahre – übernahm der Berliner Autor Jens Sparschuh. Die Vorstellung des kürzlich mit dem Günter-Grass-Preis 2019 ausgezeichneten Schriftstellers übernahm Ulrich Störiko-Blume (Vizepräsident i. V. der Akademie, München). Im Verlauf der Tagung kam immer wieder zur Sprache, dass es sich bei der Wiedervereinigung um einen bis heute andauernden Prozess handele. Somit wird die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendliteratur auch weiter- hin ihren west-östlichen Blick schärfen und sich den Fragen der Text- und Bildproduktionen in Geschichte und Gegenwart widmen.

Die Ergebnisse der Tagung werden im Jahrbuch 2019 dokumentiert, das in der Schriftenreihe der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur im Schneider Verlag Hohengehren erscheint. Weitere Informationen erhalten Sie auf www.akademie-kjl.de.