Wie hat die Coronazeit deine Arbeit an dem Bilderbuch Schlafen wie die Rüben und die Zusammenarbeit mit der Illustratorin Tine Schulz beeinflusst?

Die Zusammenarbeit mit Illustrator*innen ist eigentlich immer von digitalen Prozessen geprägt, da wir an unterschiedlichen Orten sind. Schlafen wie die Rüben haben Dita Zipfel und ich noch in Frankreich geschrieben und zu dem Zeitpunkt saß Tine Schulz in Rostock.

So war das auch immer mit Rán Flygenring, die überwiegend in Island war und wir woanders. Dann ist es schön, wenn man sich mal so sieht und über die Jahre kennenlernt. Aber eigentlich ist die Arbeit wirklich getrennt voneinander.

Wir träumen davon mit Rán Flygenring mal einen Monat irgendwo zusammen ein Projekt zu machen, wo es dann nicht immer erst den Text gibt und Rán dann mit ihrer illustrativen Arbeit darauf reagiert, sondern wir uns gegenseitig Impulse geben und etwas gemeinsam entwickeln können.

Aber die Arbeit an Schlafen wie die Rüben hat Corona jetzt erstmal nicht beeinflusst. Nur in der Auswertung, wie bei der Premiere im Literaturhaus Berlin. Da war kein Mensch, denn sie war nur für ein Streaming konzipiert. Und da das Buch an ganz junge Lesende gerichtet ist, war auch keine große Tour durch die Kindergärten des Landes geplant.

Lesungen gab es also auch keine?

Es ging erstaunlich schnell wieder los. Wir hatten einen sehr bewegten Herbst 2021 und aktuell noch ordentlich Programm. Wir hatten und haben echt viele Lesungen, da sich viel aufgestaut hat. Mit steigenden Coronazahlen wird nun wieder an Streaming-Lösungen gearbeitet. Aber Lesungen aus den Rüben hat es nur sehr wenige gegeben.

Wie hat sich das auf die Filmpremiere von Räuberhände ausgewirkt?

Die Premiere fand ein Jahr später als geplant statt. Jetzt ist der Film schon wieder aus den Kinos raus. Er startete nur an 40 Kinos gleichzeitig und ist kaum wahrgenommen worden. Es hat zwar tolle Kritiken gegeben, aber er hat kaum Publikum gehabt. Räuberhände hat nicht das Budget, um auf sich aufmerksam zu machen. Er hätte per Mundpropaganda sein Publikum finden müssen , aber das funktioniert nicht, wenn der Film nur eine Woche im Kino ist, weil sich in den anderthalb Jahren halt auch super viel geiles Zeug angestaut hat. Wenn der Film dann nicht aus dem Stand die Zahlen hat, dann ist er gleich wieder raus, weil schon die nächsten Filme kommen.

Die Zielgruppe sind junge Erwachsene, die für so einen Film heute nicht mehr unbedingt ins Kino gehen oder wenn, dann um sich Popcornfilme anzusehen. Die interessiert wahrscheinlich kein deutsches Drama, selbst wenn es ein cooles deutsches Drama ist.

Du hast für Räuberhände mit Ilker Çatak zusammengearbeitet, der auch Nils Mohls Es war einmal Indianerland gedreht hat und mit ihm zusammen das Drehbuch für Es gilt das gesprochene Wort geschrieben hat.

Hast du dir Ilker Çatak für die Regie ausgesucht? Wie seid ihr zusammengekommen?

Als Autor ist man nur ein kleines Rädchen im Filmbusiness, da hat man normalerweise nicht viel Einfluss. Ich habe Glück gehabt, ich finde Ilker super und es war wirklich ein sehr nettes, vertrauensvolles Verhältnis. Auch hat mich die Produktion immer eingebunden und nach meiner Meinung gefragt, aber Entscheidungen habe ich keine getroffen. Ich konnte Vorschläge machen, Ideen einbringen. Aber die Entscheidung über die Regie trifft am Ende die Produktion. Aber wie gesagt: ich bin heilfroh, dass Ilker die Regie gemacht hat.

Räuberhände hat eine großartige Besetzung und Ilker ist ein super Regisseur. Für ihn war Räuberhände übrigens auch ein wirklich interessanter Stoff, glaube ich, da es biografisch viele Anknüpfungspunkte gab, was wirklich Gold wert ist.

Wird der Film dann bald auf einer anderen Plattform zu sehen sein?

Der Verleih hofft auf eine baldige DVD-Veröffentlichung und meine Hoffnung ist, dass der Film dann in Schulen geschaut wird. Das Buch wird dort immer noch viel gelesen.

Vielleicht bietet es sich zur vergleichenden Buch- und Filmanalyse an: So in der Art „was kann das eine, was kann das andere? Wie funktioniert das im Buch und wie ist es filmisch umgesetzt?“.

Irgendwann wird der Film sicher auch im Fernsehen laufen. Ich habe aber keine Ahnung wann. Dann steht er bestimmt auch eine Weile in der Mediathek und ob er danach bei einem Streamer unterkommt – weiß ich nicht.

Räuberhände war Abiturthema in Hamburg und wurde seit der Ersterscheinung didaktisch intensiv aufgearbeitet in Form von Unterrichtsmaterialien. Ist es vielleicht schon ein „Schulstoff“? Einer, an den so ein Film auch gut anknüpfen kann?

Das hoffe ich doch. Das Buch wurde viel in der Schule gelesen und hat sich da so ein bisschen festgesetzt. Es gibt auf jeden Fall viele Ansatzpunkte in Räuberhände für den Literaturunterricht, weshalb die Schulbehörde in Hamburg den Text als Abiturthema ausgewählt hat. Der Themenkomplex ist gerade für eine Stadt wie Hamburg interessant. Ein großer Teil der Schüler*innen, die in Hamburg Abitur machen, hat einen Migrationshintergrund. Fragen von Identität sind für alle Menschen in dem Alter etwas, womit sie was anfangen können. Der Film bietet eine Möglichkeit, ein in der Schule stark vernachlässigtes Thema en passant zu bespielen. So kann schnell in der Tiefe über etwas geredet werden. Der Einsatz von Filmen im Deutschunterricht ist ja keine neue Erfindung. Aber wie schon gesagt: wenn man beides vergleichend betrachtet, kann man auch was über die Funktionsweise von Literatur und Film lernen. Medienkompetenz zu vermitteln hat zumindest in meiner Schulzeit noch keine Rolle gespielt, das kann man mit so einer Konstellation natürlich wirklich gut erreichen.

Du hast schon sehr vielfältig medial gearbeitet. Von deinen Büchern gibt es auch Theaterstücke, es gibt Filme und Räuberhände hast du selbst als Hörbuch eingesprochen. Durchbrichst du medialen Grenzen schon im Schreibprozess?

Beim Schreiben eines Buches denke ich nicht, das könnte man auch mal verfilmen. Ich habe eher eine Geschichte im Kopf und dann merke ich, wie ich diese Geschichte erzählen möchte. Bevor ich die ersten Sachen notiere, weiß ich, das ist auf jeden Fall ein Film. Das kann ich nicht aufschreiben, weil es nur in Bildern funktioniert. Oder andersherum, da ist super viel introspektives Zeug drin, das kann ich mit Bildern nicht gut erzählen.

Aber es ist auch eine schöne Herausforderung aus einem Buch einen Film zu machen. Oder wenn es jemand anders macht. Künstlerische Zusammenarbeit ist eine tolle Sache, insbesondere, wenn die Person einen ähnlichen Geschmack hat. Daher wiederhole ich Kollaborationen auch gerne. So richtig geile Momente sind halt die, wo du mit einem anderen Menschen zusammensitzt, und dann sprudeln Ideen und es blitzt und du weißt, da entsteht jetzt etwas Großartiges.

Kommen wir noch einmal zu deiner aktuellen Veröffentlichung. Bei Schlafen wie die Rüben ist auffällig, dass sich auf der Handlungsebene ein sehr anerkennendes Miteinander entfaltet, wo alle Figuren gesehen sind innerhalb der Familie. 

Wie wichtig ist es dir, dass die „kleinen“ Figuren, in diesem Fall die Kinder, genauso vollwertig sind wie die großen Figuren (die Erwachsenen)?

Es ist ja fast schon absurd, dass wir darüber überhaupt sprechen. Das sollte ja unbedingt der Normalfall sein. Aber es ist genau das etwas, was uns gerade unglaublich umtreibt im Huckepack Verlag. Zunächst sei mal gesagt: Wir wollen kein Kinderbuch-Verlag sein, auch wenn unsere ersten Veröffentlichungen jetzt Bücher waren, die sich (auch) an Kinder richten. Und damit sind wir schon direkt bei der Terminologie „Kinderbuch“ und „Kinderbuchverlag“. Eigentlich möchte ich es nämlich gar nicht mehr „Kinderbücher“ nennen. Nicht unbedingt, weil es falsch ist, sondern weil Kinderliteratur in Deutschland immer so ein bisschen am Katzentisch des Literaturbetriebs sitzt. Und weil es so unglaublich viele Bücher für Kinder gibt, die auch einfach „Kinderbücher“ genannt werden, sich aber in einem Punkt ganz deutlich unterscheiden: sie sind in meinen Augen keine Literatur. Sie sind Gebrauchstexte, Werkzeuge einer pädagogischen Haltung, von der ich mich deutlich distanzieren möchte, die nämlich im Kinderkopf etwas Bestimmtes bewirken möchte. Sie will formen, lehren, erziehen. Das widerspricht meiner Auffassung von Literatur fundamental. Literatur, wie ich sie begreife, hat keine Antworten, sondern stellt Fragen, unterhält, fordert heraus, irritiert, befreit, lässt los, öffnet Türen und Denkräume.

Und um nochmal auf den Betrieb zu sprechen zu kommen: Weil es eben so viele Bücher gibt, die im eben beschriebenen Sinne so kacke sind, dass man als Erwachsener dann auch wirklich nichts darin finden kann (und das ist in echter Literatur, die Kinder mit einschließt, aber eben nicht der Fall), denken viele erwachsene Menschen, Kinderliteratur  halte nichts für sie bereit und so kommt es, dass diese Literatur dann nicht im Feuilleton besprochen wird, sondern auf den Kinderseiten, die sich Kulturinteressierte ohne Kinder im Normalfall nicht ansehen. So kommt es zum Pay Gap zwischen Autor*innen für Allgemeinliteratur und Autor*innen von Kinder- und Jugendliteratur. Ganz zu schweigen von der Enttäuschung des Gegenübers, wenn ich erwähne, dass ich auch für Kinder schreibe. Und die dann gern gestellte Frage, die bestimmt alle Kinder- und Jugendbuchautor*innen kennen: Und? Hast du auch mal vor, was Richtiges zu schreiben?

Deshalb bin dazu übergegangen, es Literatur, die auch Kinder mit einschließt zu nennen. Ich will Geschichten erzählen, die allen etwas zu sagen haben und diese nicht vereinfachen. Wir wollen beim Huckepack Verlag Literatur veröffentlichen, die in ihrer Grundhaltung Kindern gegenüber wertschätzend und anerkennend ist und Kinder ernst nimmt. Kinder brauchen keine Geschichte, bei denen schon Erwachsene merken, dass sie öde sind.

Schlafen wie die Rüben soll die Kinder spielerisch herausfordern. Sie werden merken, dass das alles so nicht sein kann. Sie lieben das Chaos und gleichzeitig streben sie an, das Chaos auch wieder in Ordnung zu bringen und Ruhe reinzubringen, damit die Welt wieder in Ordnung ist.

Was hat euch zur Gründung des Verlagimprints Huckepack gebracht?

Ich habe nach einer Spielwiese gesucht, wo ich mich noch mehr austoben kann. Das Ziel ist, auch Projekte begleiten zu können, an denen ich nicht direkt beteiligt bin als Autor. Die ich, die wir, vielleicht nur anstoßen.  Dem mairisch Verlag lag ich damit schon lange in den Ohren. Und dann haben sie uns jetzt wirklich huckepack genommen. Daher auch der Name, weil wir in den Strukturen von mairisch verlegen können und sie uns viel von der verlegerischen Alltagsarbeit abnehmen. Wir sind innerhalb des Verlags eher die Programmgestaltenden.

Was können wir in der nächsten Zeit vom Huckepack Verlag erwarten?

Wir wollen den Verlag gerne öffnen. Es war erst einmal naheliegend, die Sachen zu veröffentlichen, an denen wir gerade gearbeitet haben, wie zum Beispiel Schlafen wie die Rüben.

Die Rüben soll eine Reihe werden; ein Geschichtenkosmos dieser Familie, wo jedes Kind einen eigenen Erzählband bekommt. In denen aus der Kinderperspektive und auf Augenhöhe erzählt wird. Das ist auch eine besondere Herausforderung, einen Erzählband aus Sicht eines Dreijährigen zu schreiben. Aber die Rüben werden weitergehen, da kommt noch mehr. Wir haben für danach schon ein paar andere Ideen, Menschen, Projekte. Aber, naja, über ungelegte Eier spricht man ja nicht...

Und was sind deine Pläne außerhalb des Verlags? 

Mit Dita Zipfel und einer weiteren Freundin habe ich schon jahrelang an einer Verfilmung von Maulina Schmitt gearbeitet. Da aus dem geplanten Kinofilm nichts wurde, haben wir nun vor den Schreibprozess noch einmal neu zu beginnen für eine Miniserie. Ich möchte gerne etwas künstlerisch richtig Hochwertiges machen, das Kinder erzählerisch komplett ernst nimmt. Und nicht nur die. Sondern die ganze Familie. Weg von bunt und heiler Welt, hin zu den echten Themen der Kinder. Das wünsche ich mir.

 

Titelfoto

Pressefoto Finn-Ole Heinrich, ©Denise Henning. Verwendung mit Erlaubnis des Verlags