Du wurdest mit dem James Krüss Preis 2021 für dein herausragendes kinder- und jugendliterarisches Werk ausgezeichnet. Rückblickend von Marsmädchen bis zu Das Pferd ist ein Hund, wie hat sich dein Schreiben und dein Beruf als Autorin seitdem verändert?

Als ich das erste Buch geschrieben habe, war ich noch Studentin. Daher war Schriftstellerin damals eigentlich noch nicht mein Beruf. Auch beim zweiten Buch nicht. Ich ging noch davon aus, dass ich Lehrerin werde und das Schreiben nebenbei machen werde. Das hat sich dann nach dem Studium erledigt, als ich festgestellt habe, dass ich doch lieber Schriftstellerin bin. Das heißt, es ist tatsächlich zu meinem Beruf geworden.

Das erste Buch habe ich für mich selbst geschrieben und nicht, damit es veröffentlicht wird. Das wünsche ich allen, die ihr erstes Buch schreiben. Allerdings war Marsmädchen auch nicht mein erstes Buch, vorher habe ich schon zwei Kinderbücher geschrieben. Aber es ist das erste, was ich veröffentlicht habe. Ich bin nicht davon ausgegangen, dass es veröffentlicht wird und habe es geschrieben, weil ich eine Geschichte schreiben wollte über die Zeit, wo sich alles verändert und man alles in Frage stellt. Ich versuche weiterhin diese Art des Schreibens aufrecht zu erhalten, obwohl ich jetzt für ein Publikum, einen  Verlag und auch für den Feuilleton schreibe. Wenn ich überlege, wer etwas von mir will, dann blockiert das meinen Schreibprozess. Es klappt für mich also gut, erst einmal mir die Geschichte zu erzählen, da habe ich Übung und auch immer noch Spaß dran. Zweifel sind immer noch da, das beobachte ich auch bei Kolleg*innen. Das passiert immer mal wieder und das ist vollkommen okay. Die anderen Sachen sind Routine geworden, wie Lesungen und Reisen.

Mein Stil ist immer mehr meiner geworden. Ich mag meine ersten Bücher immer noch sehr gerne, ich musste sie vor drei Jahren noch mal lesen. Marsmädchen wurde 2003 veröffentlicht und immer noch schreiben mich Menschen an und fragen nach einer Fortsetzung. Es ist ein altes Buch, da gab es kein Internet, die haben keine Handys im Buch und dennoch scheint es immer noch zu funktionieren. Das finde ich echt schön.

 

In den letzten Jahren hat sich auf politischer Ebene in Bezug auf die Generation von Kindern und Jugendlichen viel getan, wie Fridays for Future, feministische Diskurse, die #MeToo-Debatte und aktuell auch Corona und die damit einhergehenden Folgen und Belastungen für Familien und junge Menschen. Wie beeinflussen solche politischen Dimensionen dich und dein Schreiben?

Mich beeinflussen diese Dimensionen insofern, dass ich als weiße Frau in Mitteleuropa ohne Migrationshintergrund mich und mein Handeln überprüfen muss, darauf, wie rassistisch ich bin, wie rassistisch meine Sprache ist, wie inklusiv meine Sprache ist oder ob meine Texte ausschließend sind.

Ich finde es spannend, wieviel politischer die Jugend heutzutage ist. Ich sehe aber natürlich auch, und das hat sich vor allem auch in Sankt Irgendwas niedergeschlagen, dass es einen richtigen Generationskonflikt gibt. Die ältere Generation wird hinterfragt und reagiert leider mit erhobenen Fäusten. Das habe ich als Jugendliche nicht erlebt. Aussagen, wie „Jugendliche werden immer frecher und fauler“, finde ich sehr problematisch und sie haben noch nie gestimmt. Jugendliche fangen bloß an, Dinge nicht einfach hinzunehmen. Das ist ein gutes Symptom der Pubertät und Jugend. Sie bilden sich ihre eigene Meinung und tun dies, indem sie Umstände kritisch betrachten und ihr Unwohlsein damit auch benennen.

Ich finde es spannend, wie sich die Jungend den Dingen gegenüber verhält – mit einer sehr aktiven Haltung, die versucht die Leute aufzurütteln.

 

Inwiefern spielt dieser Generationskonflikt bei der Gestaltung der Lehrerfigur Utz in Sankt Irgendwas eine Rolle?

Das spielt auf jeden Fall eine große Rolle. Utz verhält sich so, wie er sich immer verhalten hat. Er benutzt die Sprache, die er immer benutzt hat und wundert sich, dass er damit keine Lacher mehr kriegt, sondern kritisiert wird. Für ihn ist es eine neue Welt, mit der er nichts anfangen kann, in der er fremd ist. Und das ist für den „klassischen alten, weißen Mann“ schwierig, denn er denkt, dass diese Welt ihm mal gehörte.

 

Deine Werke sind generell sehr figurenzentriert und gerade die Kinder- und Jugendfiguren sind dabei greifbar und authentisch gezeichnet. Was gefällt dir daran, dich in die Jugend bzw. in jugendliche oder kindliche Figuren zurückzuschreiben?

Das mache ich gar nicht. Es ist ein komischer Prozess, weil es tatsächlich irgendwann Stimmen sind, die in meinem Kopf sind. Eine Figur taucht in meinem Kopf auf und es ist nicht, dass ich in der Figur bin, sondern die Figur ist in mir und erzählt mir eine Geschichte. Ich schreibe mich an sie heran, aber ich schreibe mich nicht in sie hinein. Also bin ich auch nicht die Figur. Es klingt nach einem merkwürdigen Prozess, ist aber so. Mich interessieren immer wieder Beziehungen und ihre Dynamiken. Das ist das, was ich am spannendsten finde. Und diese sind auch nicht altersgebunden. Eltern-Kind-Konflikte gibt es auch noch als Erwachsene. Mich interessiert, wie so etwas funktioniert und wie es sich verändert. Darauf zielt auch meine Beobachtung. Was mich auch fasziniert ist, wie Menschen sich verändern und ich schaue dann, was ihre Motivation war, plötzlich etwas anders zu machen.

 

Das Pferd ist ein Hund erinnert an die aufregenden Momente des ersten Corona-Lockdowns, die vor allem durch Aktionismus und Ungewissheit geprägt waren. Wann entstand Das Pferd ist ein Hund und wie stark ist es eine Reaktion auf den Lockdown?

Die Arbeit an dem Buch hat im Sommer 2020 angefangen, nach dem ersten Lockdown. Ich wollte kein Corona-Buch schreiben, aber ich habe auch gemerkt, dass es schwierig wird, über eine Zukunft zu schreiben, die wir selbst noch nicht kennen. Wie wird sich unser Alltag verändern, welche Langzeitwirkungen werden wir noch spüren? Corona sollte nicht das Thema sein, aber dennoch ist das Buch natürlich davon beeinflusst. Mir ging es vorrangig um die Hausgemeinschaft, inspiriert durch meine eigene Hausgemeinschaft. Das Pferd ist ein Hund wurde daher auch schon als Liebesbrief an mein Haus tituliert.

 

Wie hat sich deine Arbeit durch die Corona-Pandemie verändert? Gab es neue Formate, wie Online-Lesungen und -Workshops? Was ist dabei für dich verloren gegangen? Und welche neuen Möglichkeiten nimmst du für dich mit?

Außerhalb der Schreib-Szene haben viele Leute scheinbar gedacht, dass neue Formate problemlos umgesetzt wurden. Dem war nicht so. Bis heute tun sich Veranstaltende oft schwer, etwas online anzubieten oder zu verschieben. Sehr viele Lesungen wurden ersatzlos gestrichen. Besonders in der Kinder- und Jugendliteratur ist das ein Albtraum, weil wir von den Lesungen leben. Bei jedem Lockdown war es unsicher, wann wir wieder in Schulen gehen können. Veranstaltungen außerhalb von Schulen finden digital statt, aber für Schulen ist das oft ein Problem. Im Winter 2020 habe ich allerdings auch einen Workshop für Erwachsene gegeben, was sehr spannend war. Es fehlten beispielsweise so kleine soziale Momente eines Workshops, der Austausch untereinander. Wir reden in der Gruppe über einen Text, aber eigentlich möchte ich einfach mal der Person neben mir sagen, dass ich ihren Text mochte. Das ist so viel einfacher in Präsenz, als wenn ich in die Kamera schaue. Solche Momente kommen online einfach zu kurz. Wichtig ist, dass alle miteinander reden, dass alle erfahren, wie man unterschiedlich auf eine Aufgabenstellung reagiert. Genau deshalb finde ich einen Online-Workshop viel mühsamer, denn es ist leichter, wenn man sich im Raum bewegen kann, wenn man einem Blick ausweichen kann oder eben auch zusammen mal einen Kaffee trinkt.

Online-Veranstaltungen sind aber auch eine Chance. Meine Lesung beim Goethe-Institut in Stockholm fand digital statt, was insofern gut war, weil auch Menschen teilnehmen konnten, die nicht direkt in Stockholm waren. Somit war es einfach ein bisschen barrierefreier.

 

Musik spielt in deinen Romanen häufig eine große Rolle. Welche Rolle spielt Musik in deinem Schreibprozess?

Die Ideen kommen nicht immer aus demselben Ideenbrunnen. Aber ich freue mich, wenn beispielsweise ein Lied die Inspiration ist. Und auch, wenn die Inspiration ein Mädchen ist, das mir in meinem Kopf erzählt, wie es ist, sich zum ersten Mal in ein Lied zu verlieben, wie bei Wörter mit L. Besonders in dem Alter von 11 oder 12, wenn der erste Pubertätsschub kommt und die Gefühle Achterbahn fahren, ist das erste Lieblingslied wirklich das allerbeste Lieblingslied und man möchte nie wieder was anderes hören. Damit fing Wörter mit L für mich an. Ich hatte zwar kein Lied vor Augen oder in den Ohren, aber ich kannte das Gefühl.  Es gibt auch diese Lieder, die ich immer wieder höre und ich finde es großartig, wie ich meine Stimmung mit Musik manipulieren kann, wie ich mich antreiben kann. Beim Schreiben höre ich allerdings immer weniger Musik, ich weiß nicht warum. Und manchmal mache ich eben auch eine Playlist, wie bei vierzehn, als ich eine komplette Playlist für die Figur gemacht habe, weil jedes Lied einfach so gut zu ihr passte.

 

Die Playlists von Tamara Bach findet ihr auf Tamara Bachs Spotify Profil.

Vielen Dank an Julia Müller, die das Interview mit mir geführt hat.

 

Titelfoto

©Privat. Verwendung mit Erlaubnis von Tamara Bach.