Ihre Graphic Novel hat in der Kategorie Sachbuch den Jugendliteraturpreis gewonnen. Ist diesbezüglich nicht etwas bei der Kategorisierung schief gelaufen?
Ich habe mich wahnsinnig über diesen Preis gefreut! Natürlich wäre es toll, wenn es bei den Jugendliteraturpreisen eine eigene Sparte „Comic/Graphic Novel“ geben würde, denn das Medium ist eine absolut eigene literarisch-künstlerische Form in der Kombination aus sequenzieller Erzählung und Bild- und Textverschränkung.
In die Kategorie Sachbuch passt Der Duft der Kiefern aber schon, da es sich um eine auto- bzw. familienbiografische Graphic Novel handelt, die zwar die Geschichte einer „ganz normalen“ deutschen Familie erzählt, aber dadurch beispielhaft für die Geschichte sehr vieler Familien steht. Alles immer eng verwoben mit der Geschichte Berlins und Deutschlands.
Im detaillierten Anhang, der mit seinen 26 Seiten einen wichtigen Teil im Buch einnimmt, ist zudem sehr viel historische Hintergrundinformation nachzulesen. Die Seiten z.B. über den Widerstandskämpfer Julius Leber, über den „Gerechten unter den Völkern“ Otto Weidt und die Jüdin Alice Licht, über Deportationen, Theresienstadt, Sachsenhausen, Riga usw. habe ich äußerst umfangreich recherchiert und immer durch eine Historikerin oder einen Historiker überprüfen lassen. Literaturtipps, Filmtipps und weitere Quellen liefere ich gleich mit. Daher eignet sich besonders dieser Teil sehr gut für Schulen, bestimmte Themen innerhalb der Arbeit mit dem Buch im Unterricht zu vertiefen.
Die Graphic Novel arbeitet u.a. die lange verschwiegene (Nazi-)Vergangenheit ihrer Familie auf. Gab es innerhalb ihrer Familie und Verwandtschaft auch Widerstände gegen das Projekt?
Es geht im Buch hauptsächlich um die Lebensgeschichte meiner Mutter von ihrer Geburt 1939, dem Jahr als der zweite Weltkrieg begann, bis zu meiner eigenen Geburt im Jahre 1968, als alles anders werden sollte.
Leider ist meine Mutter schon lange tot, genau wie meine Tanten und meine Großeltern. So konnte ich sie aktuell nicht mehr befragen. Der einzig lebende Zeitzeuge ist mein Onkel Heinrich, jetzt 86 Jahre alt. Er hat mein Projekt von Anfang an sehr unterstützt. Hätte er etwas gegen eine Publikation gehabt, hätte ich es nicht gemacht.
Ich war sehr vorsichtig und habe ihm alle Seiten, die mit ihm als Kind oder Jugendlicher zu tun haben bis zur Entdeckung seiner Stasiakte schon in der Entstehung gezeigt. Gebe ich die Ereignisse und Personen realistisch wieder? Entspricht die Erzählung seiner Erinnerung? Dies habe ich immer wieder nachgefragt und von ihm bestätigen lassen. Er hat mich motiviert, so weiter zu machen. Dafür bin ich ihm sehr dankbar!
Ihr individueller Zeichenstil entrückt scheinbar bekannte Persönlichkeiten wie Adolf Hitler, Magda Göbbels oder andere NS-Fanatikerinnen und Fanatiker bzw. Funktionärinnen und Funktionäre leicht ins Karikatureske. Soll dadurch die sehr ernsthafte Thematik des Buchs etwas abgeschwächt werden?
Nein, Adolf Hitler und Magda Göbbels habe ich von Foto-Vorlagen realistisch übertragen, nicht karikaturesk überzogen. Sie spielen auf das Bild der Seite 118 an: Die Original-Hitler-Fotovorlage stammt z.B. aus einer Übung verschiedener Redeposen, die sein Leibfotograf Hoffmann bereits Ende der zwanziger Jahre in Reihe aufnahm. Hitler erkannte selbst, wie überzogen und dämonisch er auf den Fotos aussah und verhinderte deren Veröffentlichung in den 1930er Jahren. Die Reden hat er jedoch in genau solchen Posen gehalten. Und damit die Massen verführt. Ich nutze dieses dämonische Bild, um sein Ziel des „Endsiegs“ ad absurdum zu führen, indem ich ihn in seiner Sprache und seiner Pose zum Kriegsende zitiere und dort das Fazit hineinstelle: 6 Millionen ermordete Juden, 60 Millionen Tote insgesamt.
Ansonsten kommen kaum bekannte Persönlichkeiten vor, da ich die Geschichten „des kleinen Mannes“ bzw. "der kleinen Frau“ erzähle. Hier gibt es durchaus auch humorvolle Situationen in ihrem Alltag - wie das Leben so spielt.
Manchmal wirkt ein Lachen ja sehr befreiend.
In der Darstellungsweise ihrer Erzählung hat jedes Jahrzehnt seine eigene Farbe, die sich wie ein transparenter Flor über jedes Bild legt. Wie sind sie auf dieses Konzept gekommen?
Ich springe oft zwischen den einzelnen Jahrzehnten hin und her. Erinnerungen an die Kriegszeit kommen auf (Braun für die Nazizeit) oder Rückblicke in meine Kindheit in den Siebzigern (Orange). Ich zeige mich und meinen Sohn bei der Recherche im Hier und Jetzt (Violett-Töne), zeige die Entwicklung der Stadt und meiner Mutter in der Nachkriegszeit (Pastellgrün für das Wirtschaftswunder) und in den Sechzigern (Blau für den Kalten Krieg). Damit die Leserschaft mir folgen kann und nicht durcheinander kommt, geben die Farben eine sofortige Hilfe zur Einordnung, in welcher Zeit wir uns gerade befinden.
Bislang hatten Sie eher einen Illustrationsschwerpunkt im Genre Komik und Humor, wenn ich das richtig sehe. Was gefällt ihnen daran?
Tatsächlich habe ich mit Cartoons angefangen, zuerst in der Schülerzeitung, dann habe ich schon beruflich als Cartoonistin für verschiedene Zeitungen während des Studiums gearbeitet. Ich liebe es, wenn eine Zeichnung Menschen zum Lachen verführen kann. So kann eine einfache Linie lebendig werden und einen Witz ausdrücken, den man nicht lange erklären muss.
Ich habe hunderte von Schulbuchillustrationen für den Cornelsen Verlag gemacht - und auch hier probierte ich, den bisweilen grauen Unterrichtsstoff etwas aufzuhellen und manchmal eine witzige Wendung einzubauen, einen Gag im Bild zu verstecken.
Im Film und in der Literatur mag ich es, wenn Spannung und auch Tragik in einem Lachen aufgelöst werden kann. Das heißt nicht, dass ich ernste Themen nicht auch erst nehme.
Ein wichtiges Buch, das ich illustrierte, ist Wie lange dauert Traurigsein? Ein Ratgeber zum Thema Abschied, Verlust und Trauer von Maria Farm, Oetinger Verlag, in der 6. Auflage als Hardcover und nun im Taschenbuch. Hier geht es um den Verlust eines geliebten Menschen und wie man Kindern und Jugendlichen helfen kann, damit zurecht zu kommen. Es war mir auch ein Herzensprojekt.
Gibt es neue Projekte als Autorin und Illustratorin oder kehren Sie nun nach diesem Autorinnen-Ausflug zu ihrem gewohnten Bereich der Illustration zurück?
Zunächst wurde ich gebeten, die Illustration für die Preisvergabe des kommenden Deutschen Jugendliteraturpreis 2023 zu zeichnen – dem komme ich selbstverständlich sehr gerne nach!
Ansonsten bin ich in diese Welt der Graphic Novels vollkommen eingetaucht und möchte unbedingt weiter machen.
Wie schwer oder leicht ist es, sich als Illustratorin am hart umkämpften Buchmarkt zu behaupten? Wie gelangen Sie an neue (Illustrations-)Projekte?
Es ist sehr schwer. Im Kinder- und Jugendbuchbereich gibt es so unglaublich viele Illustratorinnen und Illustratoren und so wahnsinnig viele Neuerscheinungen, dass der Markt übersättigt ist. Leider wird auch viel Schund produziert, aber zum Glück auch immer wieder richtige Perlen, das macht mich glücklich.
Trotzdem sind die Auflagen und die Beteiligung zu gering, als dass sie den Illustratorinnen und Illustatoren eine adäquate Honorierung ihrer Leistungen bieten könnten. Kaum jemand kann allein davon leben. In der Branche muss man sich querfinanzieren z.B. durch Lesungen, Workshops und andere Auftragsjobs z.B. für die Werbung. Das ist im Comicbereich noch extremer, da eine Arbeitszeit von 3-4 Jahren an einer Graphic Novel der Regel entspricht. Hier wären noch mehr Förderungen, Preise, Stipendien usw. wünschenswert und notwendig.
Ist bereits ein zweiter Teil des Duftes der Kiefern in Planung?
Ich habe zwei Projekte auf lange Sicht geplant, sozusagen in Fortsetzung, aber erst einmal möchte ich mich aus dem Familienbiografischen befreien. Mein allernächstes eigenes Projekt ist eine rein fiktive Erzählung, mit fiktiven Personen, die heute spielt, in Berlin und in Paris. Da freue ich mich schon sehr drauf!
Danke für die Beantwortung der Fragen und alles Gute! Wir warten schon gespannt auf weitere duftende Kiefern und Bücher, die bleibende Bilder in uns hinterlassen.
Vielen herzlichen Dank!
Abbildung: Bianca Schaalburg mit ihrer wohlverdienten "Momo" (c) AKJ / Sebastian Kissel