"Für alle Kinder auf der Flucht, die in der Fremde ihre Sprache wiederfinden" ist ein wunderbar berührender Paratext für das Buch Maschas leuchtende Jahre. Was bedeutet er für Sie?

Mascha Kaléko floh im Herbst 1938 aus ihrem geliebten Berlin nach New York. Als ich ihre Biografie las, stellte ich mir immer wieder die Frage, wie es wohl mir ergangen wäre, wenn ich von einem Tag auf den anderen meine Sprache und somit auch meine Arbeitsgrundlage als Schriftstellerin verloren hätte. Sie konnte in den USA kaum noch Gedichte veröffentlichen und in Deutschland war ihre Lyrik verboten. Dann dachte ich an die vielen Kinder, die während meiner Recherchen gerade auf der Flucht waren. Aus Syrien, aus der Ukraine und aus so vielen anderen Teilen der Welt. Mein Sohn erzählte mir damals von einem neuen Mitschüler, der mit seiner Familie aus der Ukraine nach München geflüchtet war. Er war sehr still, ernst... wer weiß, was er alles erlebt und gesehen hatte. Plötzlich saß er in einem fremden Land, in einer fremden Schule, unter fremden Kindern, deren Sprache er nicht verstand. Doch Kinder auf der Flucht müssen nicht nicht nur eine neue Sprache erlernen, sie müssen vor allem wieder all die Ängste und Erlebnisse, die sie mit im Gepäck haben, verarbeiten. Auch das meine ich mit "Sprache wiederfinden". Sie müssen einen Weg finden, sich anderen mitzuteilen. Mascha Kaléko musste zwei Mal flüchten, als Kind und als Erwachsene, und auch sie trug Schatten der Flucht immer bei sich. Ich spürte sofort, dass ich meinen Text über Mascha, diesen Kindern widmen möchte.

Was fasziniert Sie an Mascha Kaléko am meisten?

Mascha Kaléko war eine kluge, selbstbewusste und sehr moderne Frau. Sie konnte ganz wunderbar mit Worten spielen und hat uns tiefsinnige, melancholische und mitunter auch heitere Gedichte hinterlassen. Ein Jammer, dass sie so viele Jahrzehnte lang in keinem Literaturkanon erwähnt wurde. Ich liebe ihren Wortwitz und ihre klare, einfach Sprache, die durch den tieferen Sinn immer ein sehr hohes Niveau besitzt. Sie berührt mich und ich kann von ihren Gedichten nicht genug kriegen. Charakterlich bewundere ich die Dichterin für ihren starken Willen. Mascha Kaléko hat immer für ihr Recht gekämpft, sich nicht unterkriegen lassen. Auch als sie 1959 für den renommierten Fontane-Preis nominiert war, diesen aber ablehnte, weil er aus der Hand eines ehemaligen SS-Mannes kam. Das hatte man ihr nie verziehen, ihre zweite Karriere war so schnell wieder zu Ende, wie sie begonnen hatte. Trotzdem ist sie stark geblieben. Sie ist für mich ein echtes Vorbild.

"Am liebsten zog sie sich in ihre eigene Welt zurück." Dies schreiben Sie in Maschas leuchtende Jahre über die Kindheit Maschas. Wohin ziehen Sie sich am liebsten zurück?

Ich bin gern mit mir allein. Schon immer habe ich mir am liebsten Geschichten ausgedacht und diese als Kind alleine nachgespielt. Wie Mascha Kaléko bin ich in einem kleinen Dorf aufgewachsen – allerdings im Südschwarzwald – diese Freiheit dort und die viele Natur weckten so viel Fantasie in mir, von der ich bis heute schöpfen kann. Wenn um mich herum alles wild und laut wird, mache ich lange Spaziergänge oder gehe auf meine Yogamatte. Und natürlich lese ich viel: Sobald es mein voller Alltag als Autorin und Mutter zulässt, tauche ich in die Geschichten von anderen ein.

Mascha durchbricht gekonnt und wohl anfangs unbewusst traditionelle Geschlechternormen. Aktuell werden traditionelle Normen von rechtaußen Parteien teilweise reetabliert. Inwiefern kann Mascha auch heute noch ein Vorbild für Mädchen und Frauen sein?

Sie war eine selbstbewusste Frau, die wusste was sie wollte, und die sich nie hat unterkriegen lassen. Egal was passierte. Ich glaube, damit kann sie nicht nur Mädchen, sondern auch Frauen ein großes Vorbild sein.

Maschas Karriere und Leben wurde von dem Erstarken der Nationalsozialisten stark bedroht und gleichsam zerstört. Gerade erstarken wieder rechtsnationale Parteien. Was können die Leser von Maschas leuchtende Jahre über die deutsche Geschichte lernen?

Dass wir in den 1920er Jahren in Deutschland ein paar kurze leuchtende Jahre hatten, die jedoch mit dem Erstarken des Nationalsozialismus ganz schnell wieder vorbei waren. Gerade befinden wir uns wieder an einem gefährlichen Wendepunkt; wir müssen nun zeigen, dass wir diese wunderbare Errungenschaft namens "Demokratie" und mit ihr auch Freiheit und Menschenwürde für alle Bürger*innen unbedingt schützen müssen. Vielleicht kann das Buch hier helfen für diese Themen zu sensibilisieren. Das Buch eignet sich auch wunderbar für Jugendliche. Trotzdem: Meine eigentliche Intention für dieses Buch war jungen Menschen diese großartige Dichterin und ihre Lyrik näherzubringen!

Text und Bild sind auf intensive Weise ineinander verzahnt. Wie haben Sie und Marie Geissler das so zielführend hinbekommen?

Marie und ich sind beide große Fans von Mascha Kaléko. Ich glaube das spürt man sowohl in meinem Text als auch in Maries Bildern. Dieses Buch ist für uns beide ein großes Herzensprojekt und ich bin Anette Beckmann sehr dankbar, dass sie es mit uns gemacht hat. Das ganze Tulipan-Team hat uns wahnsinnig toll unterstützt. Um Dopplungen in Text und Bild zu vermeiden haben Marie und ich vor allem in der letzten Schaffensphase durchschnittlich mindestens zwei Mal pro Woche miteinander telefoniert. Sie wohnt ja in Berlin und ich in München. Was die Zusammenarbeit aber so besonders gemacht hat, war, dass wir beide immer ehrlich miteinander sein konnten. Jede hat die Kritik und Vorschläge der anderen angenommen, ohne sie persönlich zu nehmen. Dadurch war unsere Teamarbeit nicht nur professionell, sondern vor allem sehr freundschaftlich und wertschätzend.

Sie schreiben auch Fußballbücher. Greifen Sie dabei auf eigene Erfahrungen im Sport zurück oder wie sind Sie bei Ihrer Recherche bzw. der Ideenfindung dazu vorgegangen?

Ich habe das große Glück mit zwei absoluten Fußball-Fans unter einem Dach zu leben. Vor allem mein Sohn berät mich oft bei bestimmten Szenen in meinen Büchern. Manchmal entstehen durch seine Fußballerlebnisse auch bestimmte Figuren in meinem Kopf, wie zum Beispiel Lexy aus meinem Erstleser Fußballsommer. Lexy ist tough und behauptet sich gegen die Jungs auf dem Bolzplatz, auch mein Sohn hat jahrelang auf dem Bolzi bei uns im Viertel gegen ein Mädchen gespielt, die bei den Jungs auf dem Platz mitgemischt hat. Als eines der wenigen Mädchen. Das hat mir imponiert und so war Lexy geboren. Seitdem bei uns zu Hause am Familientisch viel über Fußball diskutiert wird, nehme ich diesen Sport überhaupt ganz anders wahr als früher, gerade auch was den Frauenfußball angeht. Mit meinen Büchern möchte ich auch Mädchen präsentieren, die eine Liebe zu diesem tollen Ballsport haben!

Sie verfassen auch Klima-Detektiv-Bücher. Was reizt sie am Thema Umwelt, Klima und Nachhaltigkeit in Jugendbüchern?

Ich finde es großartig, wenn sich junge Menschen für mehr Klimaschutz einsetzen und ich habe großen Respekt für das, was bisher erreicht wurde. Jetzt müssten wir Erwachsene, wir Wähler, diese Themen nur noch ernster nehmen. Momentan habe ich das Gefühl, dass wir den Klimaschutz aus den Augen verlieren und das beunruhigt mich. Umwelt- und Artenschutz sind meines Erachtens DIE Themen der nächsten Jahrzehnte. Ich wünsche mir, dass sich die Mehrheit der Menschen wieder darauf besinnt, diese auch anzugehen und Lösungen dafür zu finden. Als Autorin für Kinder- und Jugendbücher kann ich dafür nur ein wenig sensiblisieren, bzw. meine Figuren mit den Herausforderungen der heutigen Zeit konfrontieren. Natürlich ohne dabei belehrend daherzukommen, denn dann ist das eher kontraproduktiv und verliert den eigentlichen Sinn. Nämlich eine Geschichte zu erzählen!

Lässt sich die Arbeit als Journalistin mit der Jugendbucharbeit gut verbinden?

Prinzipiell schon, ich habe mich jedoch vor drei Jahren dazu entschlossen, mich nur noch auf die Arbeit als Kinder- und Jugendbuchautorin zu konzentrieren. Allerdings kommt mir meine langjährige Erfahrung als Journalistin gerade bei Projekten, wie dem Buch über Mascha Kaléko oder auch Geschichten mit Umweltfakten sehr zu gute. Auch was das Schreiben betrifft. Ich merke immer wieder, dass ich am besten arbeiten kann, wenn ich Deadlines habe. Dann laufe ich auf Hochtouren.

Sofern Sie es verraten dürfen: Auf welche Publikationen bzw. Projekte von Ihnen dürfen wir uns (in Zukunft) freuen?

Im April ist im Thienemann Verlag mein Kinderroman Sommer mit Fuchs erschienen. Hier wurde ich von einem weiteren Familienmitglied ganz toll beraten – meiner Tochter. Die Geschichte handelt von einem Jungen, der von München zu seiner Tante in den Schwarzwald verfrachtet wird und mit sich und seiner Wut klar kommen muss. Denn er fühlt sich oft sehr verloren. Dann trifft er auf die lebenslustige Franka, rettet einen Fuchs aus einer illegalen Tierfalle und erlebt plötzlich den Sommer seines Lebens. Die Idee für dieses Buch ist im selben Jahr entstanden, wie die zur Biografie über Mascha Kaléko und ich freue mich wirklich sehr darüber, es jetzt in den Händen halten zu dürfen. Ich habe sehr viel Zeit und Herzblut in dieses Buch gesteckt und hatte das Glück von einer wirklich tollen Lektorin begleitet zu werden. Über meine weiteren Projekte darf ich leider noch nicht so viel sagen. Nur so viel: Für 2026 gibt es bereits Pläne.

Vielen Dank für das Interview und wir wünschen uns viele weitere Mascha Kaléko-ähnliche Bücher! Alles Gute für die Zukunft!

Interview Wiggert 1Veronika Wiggert bei der Präsentation ihres Buches beim Michaelsbund