Inhalt 

Frau Kleve liest ihrer ersten Klasse das Märchen von Dornröschen vor. Danach melden sich viele Kinder zu Wort. Den meisten hat es gefallen. Doch acht Schülerinnen und Schüler haben kritische Fragen. So kann Bruno Maar beispielsweise nicht glauben, dass es in einem Königspalast nur zwölf goldene Teller geben soll. Jochen Geber meint, dass zwölf gute Feen etwas viel für ein einziges Kind seien. Und überhaupt: Wer kann schon 100 Jahre schlafen?
Am nächsten Morgen kommen die Schülerinnen und Schüler aufgewühlt und müde in den Klassenraum. Frau Kleve kann nicht mit dem Unterricht beginnen, weil alle etwas Wichtiges sagen wollen. Zwölf der Kinder erzählen schließlich von ihren mysteriösen Träumen. Sie berichten, dass sie jeweils von einer der Feen aus dem Märchen geträumt hätten. Sie beschreiben, was "ihre" Fee in der Nacht mit ihnen angestellt hat. Günther Klos erzählt, dass seine Fee ihn in eine Wachtel verwandelt habe. Die Wachtel sei ein Mädchen gewesen und habe ausgesehen wie seine Mitschülerin Elsbeth Ringler. Jonas Butterberg sagt, dass seine dicke Fee ihn so scharf angeguckt habe, dass ihm überall Haare gewachsen seien, wie bei seinem Vater. Als Elsbeth dran ist, sagt sie, dass ihre Fee sie mit Liebesperlen bestreut habe. Danach sei Elsbeth ein Junge geworden, der genauso aussah wie Günther. Aber mit Rüssel und sehr kleinen Stoßzähnen. Das sei das Schlimmste gewesen, was sie je geträumt hat. Ein weiterer Schüler berichtet, dass er im Traum plötzlich zwei Köpfe gehabt habe: "Den wie sonst auch und noch einen aus Knochen"(o.S.). Gerhard Sträter hingegen meldet sich und sagt, dass er nichts Böses geträumt habe, sondern von seiner Lehrerin Frau Kleve. Alle Kinder schreien und rufen "Streber!"(o.S.).
Frau Kleve hört sich aufmerksam jeden dieser Traumberichte an. Sie ist sprachlos, gibt teilnehmende Laute von sich oder kommentiert lediglich mit lapidaren kurzen Sätzen wie "Na ja", "Du Arme", "Zum Glück" oder "Das ist ja grauenhaft"(o.S).

Kritik

Auf dem Cover des Buches sieht man Frau Kleve mit einem Buch in der Hand vor den Schatten der zwölf Feen. Es wirkt jedoch so, als würde sie vor ihrer eigenen Klasse stehen und nicht wie vor einem beliebigen Buchbetrachtenden. Nach der ersten Seite mit der Einleitung der Erzählung folgen auf jeder Doppelseite links der Traumbericht und rechts die Illustration der geträumten Fee und des träumenden Kindes. Dies zieht sich bis zum Ende des Buches durch. Die Bilder sind – in typischer Heidelbach-Optik – sehr ausdrucksstark und bewegend gezeichnet. Die Bilder geben Auskunft über die Qualen der Grundschulkinder. Die Kinder erzählen von ihren Träumen wie von real erlebten Ereignissen. Diese Traumbilder werden in den sehr detailreichen Illustrationen dargestellt, wobei immer nur die im Traum erschienene Fee und das Kind gezeigt werden. Die Darstellungen haben etwas Rätselhaftes, Sphinxartiges, zum Beispiel diejenige einer Wachtel mit dem Kopf von Elsbeth oder die von Günther mit Rüssel und kleinen Stoßzähnen.
Obwohl den Kindern aus der Klasse 1b das Märchen von Dornröschen nicht mehr zeitgemäß erscheint, bietet es viel Gesprächsstoff. Dass sich in Märchen unser Innerstes spiegeln kann, wird deutlich, wenn wir unter die Oberfläche der Schülerfiguren blicken. Betrachtet man die Bilder und die dazugehörigen Traumberichte näher, erkennt man, dass es um existenzielle kindliche Ängste oder seelische Lasten geht. So zum Beispiel, wenn Jonas unter dem scharfen Blick der Fee männliche Körperbehaarung wächst oder Günther und Elsbeth sich heimlich lieben, dies aber vehement bestreiten. Die letztgenannten Kinder versetzen sich im Traum jeweils in die Identität des anderen.
Am Ende der Geschichte verkündet der Schüler Bruno, dass es sich genau um zwölf Traumberichte und somit um zwölf Feen handelt, wie im Märchen von Dornröschen. Doch Gerhard, der von der Lehrerin Frau Kleve geträumt hat, sagt leise: "Dreizehn".
Durch die unbeeindruckten Reaktionen der Lehrerin in Bezug auf die Traumberichte und dieses offene Ende stellt sich dem Lesenden die Frage: "Ist Frau Kleve etwa auch eine Fee?"(o.S.)

Fazit

In dem Buch Die dreizehnte Fee steht das Märchen Dörnröschen aus den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm im Mittelpunkt. Daneben haben aber auch kindliche Ängste und Gefühle großes Gewicht. Das Buch eignet sich sehr gut, um mit Grundschulkindern ab fünf bis sieben Jahre über das Märchen Dornröschen zu philosophieren, aber auch dazu, über kindliche Ängste und die Bedeutung von Träumen zu sprechen. Denn diese sagen manchmal mehr aus, als uns bewusst ist.

Titel: Die dreizehnte Fee
Autor/-in:
  • Name: Heidelbach, Nikolaus
Illustrator/-in:
  • Name: Heidelbach, Nikolaus
Erscheinungsort: Weinheim/Basel
Erscheinungsjahr: Lizenzausgabe 2019(2002)
Verlag: Beltz & Gelberg
ISBN-13: 978-3407792891
Seitenzahl: 32
Preis: 6,50 €
Altersempfehlung Redaktion: 5 Jahre
Heidelbach, Nikolaus: Die dreizehnte Fee