Inhalt
Immer wieder muss der kleine Löwe sich die Gemeinheiten der anderen Tiere anhören. Je länger der Leopard, das Nilpferd und das Krokodil ihn auslachen, weil er deutlich kleiner ist als seine Artgenossen, desto kleiner fühlt sich der Löwe auch und desto trauriger wird er. Schließlich kommt er sich ganz winzig vor – ganz und gar nicht wie ein großer und starker Löwe. Dabei ist sich das Krokodil sicher: "Löwen sind so groß, dass sie mit der Tatze den Mond berühren können!" Doch wie soll der kleine Löwe das nur anstellen? Zum Glück kommt da sein Freund, der Rabe, angeflogen und weiß Rat. Dank eines einfachen Tricks werden alle Tiere am nächsten Abend Zeuge davon, wie der kleine Löwe oben auf dem Hügel steht und seine Tatze hebt. Und siehe da – er berührt den Mond und wird begeistert von der Tierschar gefeiert. Nur der Leopard, das Nilpferd und das Krokodil sind auf einmal ganz still und lassen ihn in Ruhe. Mit einem triumphierenden Löwengebrüll stolziert der große kleine Löwe an ihnen vorbei.
Kritik
Hildegard Müller greift in ihrer Tiergeschichte ein gängiges Bilderbuchmotiv auf – das des schwachen und kleinen Antihelden, der gerne groß und stark wäre, um sich gegen seine Widersacher zur Wehr zu setzen, und der am Ende durch eine clevere Idee zum Helden wird. Obwohl dieses Erzählschema hinreichend bekannt ist und das Ende daher wenig überraschend erscheint, wird die Botschaft auf kindgerechte, charmante Art neu transportiert: Nicht auf Äußerlichkeiten kommt es an, sondern auf den Charakter und auf Freundschaft. Wahre Größe demonstriert dabei vor allem der Rabe – der eigentliche Held der Geschichte, der dem kleinen Löwen durch seine Idee zu neuem Selbstvertrauen verhilft.
Die drei Peiniger (das massive Nilpferd, der schnelle Leopard und das gefährliche Krokodil) stehen für starke Tiere, werden entsprechend groß abgebildet und nehmen im ersten Teil der Handlung viel Platz auf den Buchseiten ein, während sich der Löwe – eigentlich der König der Tiere – jeweils an die Seitenränder verkriecht. Es scheint fast so, als wollten die übergroß dargestellten Tiere die Hauptfigur aus dem Bild bzw. der Geschichte drängen. Das Ungleichgewicht zwischen dem kleinen Löwen und seinen Gegenspielern kommt nicht nur durch die kräftigen Illustrationen zum Ausdruck, sondern auch durch die Typografie: Nilpferd, Leopard und Krokodil demonstrieren ihre Macht auch dadurch, dass ihre Sprechanteile (in wiederkehrender Reimform) in einem aggressiven Rot und besonders groß gesetzt sind, während der kleine Löwe dem völlig eingeschüchtert nichts entgegenzusetzen hat. Ihr Spott und Gelächter wird als Text typografisch passend umgesetzt, sodass der kleine Löwe unter den Beleidigungen fast verschwindet und immer kleiner wird. Erst in der Begegnung mit dem Raben, die zur Wende der Geschichte führt, wird auch der Löwe stark vergrößert dargestellt. Am Ende sind es Leopard, Krokodil und Nilpferd, die verstummen und an den Rand der Seite gedrängt werden. Illustration und Text verschmelzen so zu einer perfekten Einheit und bestärken sich gegenseitig.
Fazit
Der große kleine Löwe ist eine Mutmachgeschichte, die zeigt, dass jemand aus einem anderen Blickwinkel ganz anders (in diesem Fall viel größer) erscheint. Dem Löwen gelingt es dank eines optischen Tricks, seine "Größe" unter Beweis zu stellen und dafür Anerkennung und Respekt von den Tieren zu bekommen. Seine Peiniger bringt er dadurch zum Schweigen. Da gerade Kinder – so wie der kleine Löwe – durch Anfeindung und Sticheleien schnell ihr Selbstvertrauen verlieren können, eignet sich das Bilderbuch gut, um mit Kindern ab drei Jahren über ihre Verhalten gegenüber Schwächeren zu reden und ihren Mut zu machen, sich ihren eigenen Ängsten zu stellen.
- Name: Hildegard Müller
- Name: Hildegard Müller