Inhalt
Unverhofft spaziert eines Morgens ein Löwe in die Bibliothek, vorbei an der Information und den menschlichen Besucherinnen und Besuchern, und verschwindet zwischen den Regalen. Der Bibliothekar Herr Hicks ist besorgt: in der Bibliothek herrschen doch strenge Regeln. Aber welche gelten für Löwen? Die Direktorin Frau Pepper ist da eher entspannt: solange die Wildkatze sich an die regulären Bibliotheksregeln hält – also kein Rennen, nicht laut sein und nicht brüllen – darf sie bleiben.
Der Löwe findet schnell Gefallen an dem Bibliotheksalltag – die Erzählstunde am Nachmittag hat es ihm besonders angetan und führt ihn immer wieder aufs Neue in die Bibliothek. Bereits am zweiten Tag beginnt er, Frau Pepper ein wenig zur Hand zu gehen, entstaubt Bücher mit seinem buschigen Schwanz, schleckt die Umschläge für Mahnungen ab, damit sie besser kleben, hilft den Kindern an den Regalen. Alle mögen ihn – nur Herr Hicks ist sich nicht so sicher, was er vom Löwen halten soll.
Eines Tages verletzt sich Frau Pepper und der Löwe soll Alarm schlagen. Er versucht alles – aber Herr Hicks ignoriert ihn. So greift er zur ultima ratio: er brüllt, lauter denn je zuvor. Herr Hicks rennt los, um bei der Direktorin zu petzen, und findet sie verletzt vor. Der Löwe aber weiß, dass er die Regeln gebrochen hat, und verlässt die Bibliothek – auf Nimmerwiedersehen? Vielleicht gibt es für die eine oder andere Regel in der Bibliothek auch mal eine sinnvolle Ausnahme…
Kritik
Inhaltlich bietet das Buch Jung und Alt viele Möglichkeiten zur Anschlusskommunikation über Bücher, Lesen und Bibliotheken sowie über korrektes Verhalten und Regeln – und Ausnahmen, die sinnvoll sind. Nostalgisch stimmt dabei das Bild des Löwen, der den Zettelkatalog beschnuppert. Heutzutage, und wohl auch schon bei Erscheinen des Buches in den USA im Jahre 2006, spielt der Zettelkatalog keine Rolle mehr und ist meist aus dem öffentlichen Raum verschwunden. Auch die Darstellung der Bibliothekare spielt mit nostalgischen Klischees: Herr Hicks trägt Tweed und Fliege, die Direktorin Frau Pepper Brille auf der Nasenspitze und ihre grauen Haare im Dutt.
Ein Buch über Bibliotheken sollte auch Buchliebhaberinnen und -liebhabern gefallen – und das tut es. Dieses großformatige Bilderbuch besticht durch eine hochwertige Ausstattung, mit angenehm griffigem Papier und einer (vor)lesefreundlichen Typografie. Die realistischen Abbildungen von Kevin Hawkes mit Liebe zum Detail strahlen in Pastelltönen, die die Gemütlichkeit und Wärme der Bibliothek betonen. Zudem spielt Hawkes hier im Vor- und Nachsatz des Buches mit dem Bild der bekannten Eingangsstatuen der New York Public Library. Der Eingang dieser weltbekannten öffentlichen Institution – der größten öffentlichen Bibliothek der Welt – wird seit 1911 von zwei Löwenstatuen bewacht. Damit regt Hawkes ältere Leserinnen und Leser zum Nachdenken an. Ist der Löwe in der Bibliothek etwa eine zum Leben erwachte Statue?
Ein Wermutstropfen: es ist vollkommen unklar, weswegen die Namen des Originaltexts derartig verändert wurden. Im englischsprachigen Original heißt der Bibliothek Mr McBee, die Direktorin Miss Merriweather – und die Vorlesedame "story lady", nicht etwa Henrietta. Wenn es sich um sprechende Namen gehandelt hätte, wäre die Veränderung vielleicht sinnvoll. So ist die Wahl der Übersetzerin Seraina Maria Sievi eher als willkürlich und unbeholfen zu beurteilen.
Fazit
Ein wirklich wunderbares Bilderbuch, um spielerisch das Verhalten in der Bibliothek/Bücherei zu thematisieren und auch allgemeiner über Regeln und Ausnahmen zu sprechen. Für besonders gute und geneigte Zuhörerinnen und Zuhörer ab drei Jahren möglich, wegen der längeren Texte aber wohl eher ab vier zu empfehlen und bis ins Grundschulalter mit viel Freude zu lesen.
- Name: Michelle Knudsen
- Name: Seraina Maria Sievi
- Name: Kevin Hawkes