Inhalt
Als das kleine Rotkehlchen sich auf die Möhrennase des Schneemanns im Garten der Familie Sørensen setzt, erschrickt es. Es stellt fest, dass der Schneemann lebendig ist und sich bewegt: "Tatsächlich! Der kleine Mann neigte sich ein wenig zur Seite und begann zu laufen. Einen Fuß vor den anderen setzend, stapfte er langsam durch den frischen Schnee." (o.S.)
Sein Ziel: Er will den Weihnachtsmann treffen, um ihm sein Geschenk zu geben. Mutig macht er sich auf den Weg, seine Wegzehrung – Kekse – und das Geschenk für den Weihnachtsmann – kleine Glöckchen – hat er in einem Tuch an einen Stock gebunden, den er über der Schulter trägt. Er durchquert Berge und Wälder und trifft auf unterschiedliche Tiere, die ihm den Weg weisen – allerdings nur gegen ‚Bezahlung‘: Die Kekse gibt er dem Raben, dem Hirsch die Glöckchen, der Fuchs bekommt seinen Zylinder, der Hase die Möhrennase, der Wolf den Schal. Als der Schneemann, nun mit Kiefernzapfennase, auf den Bären trifft, kann er ihm nichts mehr geben. Um den Bären zu besänftigen, singt der kleine Schneemann ihm das Lied Leise rieselt der Schnee vor. Der Bär kann gar nicht genug bekommen und begleitet ihn schließlich zum Haus des Weihnachtsmannes, der ganz in den Vorbereitungen für das Weihnachtsfest versunken ist. Als sich der kleine Schneemann bemerkbar macht und sich entschuldigt, dass er ihm kein Geschenk mehr geben kann, antwortet der Weihnachtsmann ihm: "‚Kleiner Schneemann, du musst wissen, dass ich für ein Geschenk nichts zurückerwarte‘ […]." Aber dann kann ihm der Schneemann doch noch ein Geschenk machen: "Doch der Schneemann ließ es sich nicht nehmen, dem Weihnachtsmann dafür sein allerschönstes Lächeln zu schenken." (o.S.)
Kritik
Mit Auf der Suche nach dem Weihnachtsmann hat Thierry Dedieu ein Weihnachtsmärchen erschaffen, das nicht nur von der Erzählung, sondern vor allem von den Bildern lebt, die – im Sinne der Text-Bild-Interpendenz – das Geschehen im Text aufgreifen und veranschaulichen. Die Geschichte der Suche nach dem Weihnachtsmann findet viele Vorbilder in der Kinder- und Jugendliteratur, so zum Beispiel in Laura sucht den Weihnachtsmann (Klaus Baumgart, 2005) und Die wunderbare Weihnachtsreise (Lori Evert, 2014), die die Suche direkt im Titel tragen. Auch das Motiv des selbstlosen Schenkens, das zum Beispiel durch das Martinsfest überliefert ist, wird hier aufgegriffen und in die Geschichte integriert.
Zudem sind die zum Teil doppelseitigen Bilder, die den Schneemann mal in der Totale in der Landschaft, aber auch – ebenso wie die Tiere, die ihm begegnen – in der Nahaufnahme zeigen, so gestaltet, dass Lesende ihrer Phantasie freien Lauf lassen und die Geschichte selbst ausschmücken können. Zum Beispiel bietet sich dafür das Bild an, auf dem der kleine Schneemann vor abfallenden Tannenwäldern weiter gen Norden wandert. Die eingefangene Stimmung – Nebel wabert zwischen den Bäumen und es ist nicht zu erkennen, wo der Himmel beginnt – lädt zum Fabulieren und Phantasieren ein.
Die Bilder Dedieus sind ausdrucksstark, detailverliebt und doch geheimnisvoll; knallige, bunte Farben sucht man vergebens ebenso wie es kaum scharfe Umrisslinien oder Umrandungen gibt. Alle Darstellungen, deren Farben in einer sepiagetönten Skala changieren, erscheinen wie alte Fotografien aus längst vergangenen Zeiten. Die Geschichte, die sie erzählen, lässt sie jedoch gleichermaßen zeitlos und damit immerwährend wirken. Die Darstellungen, besonders die der landschaftlichen Hintergründe, erscheinen leicht verwischt, was zu dem beständigen Schneefall und der damit einhergehenden winterlichen Stimmung passt, in der sich die Handlung abspielt.
Der kleine Schneemann, der sich allein auf die Reise macht und Richtung Norden wandert, bietet sich primär als Identifikationsfigur an. Sympathiepunkte sammelt er vor allem dann, wenn er mit seinen großen dunklen Knopfaugen aus der Vogelperspektive zu sehen ist, die Bilder ihn somit als kleines, ‚beschützenswertes‘ Wesen zeigen. Die Gefahren, denen er sich stellen muss, sind sicherlich auch kleinen Leserinnen und Lesern bekannt: Sich in unbekanntem Terrain verirren und nach dem Weg fragen müssen, ist bestimmt auch dem ein oder anderen Kind widerfahren. Die Tiere, die dem Schneemann begegnen, lassen sich ihre Auskünfte in Naturalien bezahlen, während der Weihnachtsmann dem Schneemann ganz selbstlos ein Geschenk macht und keine Gegenleistung erwartet. So erfährt der Schneemann, dass man bedingungslos und uneigennützig anderen eine Freude machen und Geschenke verteilen kann, ohne etwas dafür zu erwarten.
Fazit
Mit Auf der Suche nach dem Weihnachtsmann ist Thierry Dedieu ein wunderbares Weihnachtsmärchen gelungen, dessen kleiner Protagonist mutig allein durch die winterliche Landschaft stapft und sich als Identifikationsfigur für alte und junge Lesende ab etwa vier Jahren gleichermaßen anbietet. Die ‚gemeinsame‘ Reise mit dem Schneemann wird schließlich durch die Erkenntnis aufgelöst, dass manchmal uneigennütziges Schenken erst richtig Freude beim Beschenkten auslösen kann.
- Name: Dedieu, Thierry
- Name: Bayer, Susanne
- Name: Dedieu, Thierry