Inhalt

Ältester Kontinent, Wiege der Menschheit, Ort einer ersten Hochkultur, Boden voller Schätze, Schauplatz einer immensen ethnischen und sprachlichen Vielfalt: Bereits die ersten beiden Kapitel des Sachbuches deuten die herausragende geologische, evolutionsbiologische, kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung Afrikas an, die der westlich-europäische Blick allzu oft auf Konflikte, Kriege, Krankheiten, Korruption und Elend reduziert.

Die Offenlegung von verschwiegenen oder ignorierten (historischen) Tatsachen, die van Dijk immer durch afrikanische Stimmen stützt, setzt sich im dritten Teil fort, in dem neben der kritisch beleuchteten ägyptischen Pharaonenherrschaft weitere afrikanische Zivilisationen vorgestellt werden, die zum Teil lange vor den europäischen existierten. Ebenso wird der Einfluss der Importreligionen Islam und Christentum betrachtet, deren Vorstellungen und Rituale die afrikanischen Glaubenstraditionen mit ihren Mythen und Bräuchen zu einem ganzheitlichen Weltbild zu kombinieren wussten.

Diese eigenständige Entwicklung der afrikanischen Zivilisationen wurde entscheidend durch die europäische Kolonisierung ab Mitte des 15. Jahrhunderts unterbrochen. So diskutiert van Dijk in der vierten Partie die Katastrophe der Sklaverei eingehend, lässt Afrikaner zu Wort kommen, die Leid und Widerstand der Verschleppten, Ausgebeuteten und Entwurzelten erfahrbar machen, verschweigt aber nicht die aktive Rolle arabischer Händler und afrikanischer Anführer im transatlantischen Handelsdreieck. Zwar schafften viele Staaten im Laufe des 19. Jahrhunderts die Sklaverei ab, doch mit der Kongo-Konferenz (Berlin 1884/85) wurde Afrika erneut unter den imperialistischen Nationen Europas aufgeteilt. Unter dem Deckmantel der Zivilisationsmission wurden die afrikanischen Völker bis ins 20. Jahrhundert politisch entmündigt, ihre Arbeitskraft und Bodenschätze ausgebeutet, ihre geistige wie kulturelle Entwicklung paternalistisch bevormundet. Wie grausam die Kolonialmächte gedacht und agiert haben, wird u. a. anhand des deutschen Völkermordes an den Herero in Namibia gezeigt, der oft als Fußnote deutscher Kolonialgeschichte abgetan wird. Nicht zuletzt hatten Millionen Afrikaner für die europäischen Mutterländer in den Weltkriegen zu kämpfen und ließen ihr Leben für die Verteidigung von Werten, die Europa in Afrika mit Füßen trat. Doch eine junge afrikanische Generation erkannte diese Doppelzüngigkeit und forderte mit der Idee des Panafrikanismus ab 1945 verstärkt Freiheit und Selbstbestimmung der afrikanischen Völker.

Im fünften Teil zeichnet van Dijk diesen oft langen, beschwerlichen, blutigen Weg zu staatlicher Souveränität und Stabilität nicht nur anhand des Einsatzes namhafter Aktivisten und Politiker nach, er offenbart auch, wie einige Unabhängigkeitsbewegungen in grausamen Diktaturen mündeten. Ebenso betont er, dass bereits während der Dekolonisation viele Afrikanerinnen politisch aktiv waren und bis heute zunehmend wirkmächtiger ihre Stimmen erheben für weibliche Selbstbestimmung, Kinderrechte, Bildung und Gesundheitsfürsorge sowie den Schutz von Natur und Umwelt. Obwohl ab 1975 keine europäische Macht mehr in Afrika herrschte, hielten sich europäisch-stämmige Weiße im Süden durch das Apartheid-System weiter an der Macht, gegen das in Südafrika der zur Ikone gewordene Nelson Mandela beharrlich kämpfte. Neben der Aids-Epidemie, mit der sich das Land bis heute konfrontiert sieht, beleuchtet van Dijk weitere Herausforderungen Afrikas, wie das Erstarken von Fundamentalismen gegen ethnische, religiöse und sexuelle Minderheiten sowie den Verlauf und die Folgen des arabischen Frühlings in Nordafrika. Diese Entwicklungen, ökologische Katastrophen und nicht zuletzt die durch die Weltwirtschaft provozierten prekären Lebensverhältnisse zwingen viele afrikanische Menschen zur oftmals gefährlichen Flucht nach Europa. Während dieses ambivalent mit Solidaritätsbekundungen und Abschottungsrufen reagiert, hat China die Chance ergriffen, sich auch in Afrika als Weltmacht wirtschaftlich und kulturpolitisch zu etablieren.

Nach dem kritischen Blick auf gegenwärtige Tragödien, die vielfach durch asymmetrische Weltwirtschaftstrukturen, gut gemeinte, aber ineffektive Entwicklungshilfe oder gar einheimische Machteliten provoziert bzw. genährt werden, schließt das Sachbuch mit zeitgenössischen literarischen Zeugnissen und der Hoffnung ab, dass zukünftig

die heute jungen Afrikanerinnen und Afrikaner ihr persönliches Selbstbestimmungsrecht als Kinder und Jugendliche, als Frauen, als Vertreter verschiedener Ethnien und Minderheitengruppen in einem demokratischen Dialog untereinander verwirklichen und damit auch persönlich Verantwortung im Kampf gegen Armut, Krankheiten und Krieg übernehmen [können]. (S. 272) 

Kritik

Mit Afrika – Geschichte eines bunten Kontinents legt der deutsch-niederländische Historiker und Pädagoge Lutz van Dijk ein Jugendsachbuch vor, das auf seiner 2008 erschienenen        Geschichte Afrikas beruht, jedoch wesentlich aktualisiert wurde und unter Einbezug mannigfaltiger afrikanischer Stimmen neu erzählt wird. Mythenerzählungen, imaginierte Gedankenberichte, historische Reisezeugnisse, orale Überlieferungen, literarische Texte, politische Reden, emotionale Zeitzeugenberichte lässt der Autor mit Sachtextpassagen abwechseln, die Informationen und Erklärungen zu historischen Ereignissen und aktuellen Entwicklungen liefern. Diese Polyphonie der im Text farbig hervorgehobenen Erzählstimmen bzw. die Vielfalt der kursiv gesetzten Kurzbiographien zu namenlosen, weniger bekannten sowie namhaften Afrikanerinnen und Afrikanern sind die große Stärke des Werkes. Im postkolonialen Sinne werden so einer eurozentrischen Perspektive und einem damit assoziierten belehrenden Paternalismus entgegengearbeitet. Stattdessen kommen afrikanische Menschen selbst zu Wort, die so den europäischen Leser bewegen, ihnen zuzuhören und sie als gleichberechtigte, würdige Stimmen anzuerkennen. Wie in seiner Danksagung und anhand der umfangreichen Quellen deutlich wird, schuldet van Dijk diese Vielstimmigkeit und ihre Glaubwürdigkeit nicht nur afrikanischen und nicht-afrikanischen Texterzeugnissen, sondern vor allem seinen persönlichen Begegnungen und Gesprächen mit afrikanischen und nicht-afrikanischen Freunden und Forschern. Diese im Werk konkret vermittelte Multiperspektivität führt zu einem kritischen Einblick in die vielfältigen Geschichten der zahlreichen Völker Afrikas, der sich an verschiedenen Stellen immer wieder als selbstkritische Reflexion über den eigenen Umgang mit der/dem/den kulturellen Anderen erweist. Als Europäer, der über Afrika schreibt, ist sich der abwechselnd in Amsterdam und Kapstadt lebende Autor bewusst, dass

[d]ieses Buch .. unvollständig und noch immer geprägt von vielen Beschränktheiten [bleibt]. […] Es kann im besten Fall bescheiden ermutigen [eine vollständigere Geschichte zu schreiben, die den vielen, so unterschiedlichen Menschen in Afrika, ihren Hoffnungen und Verzweiflungen Achtung zollt]. Und im Norden für neue Sichtweisen auf Afrika werben – wohl wissend, wie machtvoll Vorurteile und Stereotype im eigenen Kopf sind. Sie abzulegen oder ihnen sogar entgegenzuwirken, ist nicht leicht. (25f.)

So beleuchtet das Sachbuch nicht kleinteilig chronologisch die Historie jeder heute anerkannten Nation Afrikas, sondern versucht in größeren Zeitabschnitten episodenhaft anhand ausgewählter markanter Beispiele große Entwicklungen deutlich zu machen, die das Leben der afrikanischen Menschen in Vergangenheit und Gegenwart (Stand April 2015) tiefgehend präg(t)en. Dadurch bleiben thematische Lücken, gerade auch mit Blick auf das kritischer zu betrachtende Engagement einiger Persönlichkeiten der afrikanischen antikolonialistischen Bewegungen. Auch das assoziative Hin- und Herspringen zwischen verschiedenen afrikanischen Kulturen, Nationen und Ereignissen mag einige Leser möglicherweise irritieren. Doch wie gezeigt, ist sich der Autor darüber im Klaren. Für all jene, die nur sehr wenig über Afrika wissen, bietet das Werk jedoch einen guten ersten Überblick. Unterstützt wird das Verständnis ebenso durch eine zwanzig Seiten lange Zeittafel im Anhang des Buches, die bedeutende Ereignisse nicht mit genauen Datumsangaben sondern mit Jahreszahlen ausweist. Wie im Haupttext liegt auch hier der Fokus auf der Zeit seit 1946, die auf weitaus mehr Seiten beleuchtet wird als die Zeitspanne von 550 Mill. v. Chr. bis 1945, die über drei Partien verteilt behandelt wird. Da Lutz van Dijk in Kap-stadt für die mitbegründete Stiftung HOKISA tätig ist, die sich für mit HIV/Aids lebende Kinder und Jugendliche engagiert, verwundert es nicht, dass er wie in vielen seiner Romane auch im Sachbuch immer wieder verstärkt Südafrika, seine Geschichte und Herausforderungen bespricht. Gewidmet ist das Buch denn auch den Bewohnern von Masiphumelele, einem Township südlich von Kapstadt.

Auch sprachlich und gestalterisch dürfte das Sachbuch nicht nur Jugendliche überzeugen: van Dijk schreibt gut verständlich und einfühlsam, unpathetisch aber eindringlich, ohne zu beschönigen oder zu idealisieren, aber doch mit deutlicher Sympathie für die vielfältige afrikanische Bevölkerung. Viele Landkarten unterstützen das Textverständnis, gelb-braun gehaltene Porträtbilder machen die im Text erwähnten bekannten sowie weniger bekannten Afrikanerinnen und Afrikaner sichtbar und die farbigen Textseiten, die jede größere Buchpartie einleiten, lockern die Lektüre auf.

Fazit

Der südafrikanische Bischof Desmond M. Tutu, der neben Nelson Mandela unermüdlich gegen das Apartheid-System gekämpft hat, bezeichnet das Sachbuch als eines, das "uns an[regt], hier und dort Fragen zu stellen – ohne vereinfachende Anklagen. Denn es verweigert sich allen Schwarz-Weiß-Malereien." (S. 20) Lutz van Dijk ist es gelungen, einen kritisch reflektierenden Einstieg in die facettenreiche Geschichte und Aktualität Afrikas zu gewähren, die innerhalb westlich-europäischer zivilgesellschaftlicher und universitärer Expertenkreise anerkannt sind bzw. beleuchtet werden. Nicht nur im schulischen Kontext bleiben sie jedoch auf die Kolonialzeit bzw. die Krisenproblematik beschränkt, wenn sie nicht gar als scheinbar irrelevant für deutsche bzw. europäische Entwicklungen abgetan werden. (vgl. Gries 2018) Dass der Kontinent und seine Menschen nicht nur in der Vergangenheit von höchster Relevanz waren, sondern in unserer hochgradig vernetzten Welt ganz entscheidend sind, beweist Afrika – die Geschichte eines bunten Kontinents anschaulich. Empfohlen wird es für Leser ab vierzehn Jahren, die für anspruchsvolle Sachtexte bereits offener sind und deren Inhalte bewusster verarbeiten können. Als All-Age-Titel stellt es auch für interessierte Erwachsene eine große Bereicherung dar.

Literatur

  • Gries, Rainer (2018): "Den kolonialen Blick überwinden: 'Afrikabilder' und 'Afrikapolitik'", in: APuZ (Entwicklung in Afrika) 68. Jg., 43–45 (22.10.2018), S. 40–44.
Titel: Afrika - Geschichte eines bunten Kontinents
Autor/-in:
  • Name: Dijk, Lutz van
Erscheinungsort: Wuppertal
Erscheinungsjahr: 2016
Verlag: Peter Hammer
ISBN-13: 978-3-7795-0527-3
Seitenzahl: 320
Preis: 22,00 €
Altersempfehlung Redaktion: 14 Jahre
Dijk, Lutz van: Afrika – Geschichte eines bunten Kontinents