Inhalt
Vor langer Zeit lebten die Brüder Tane Mahuta, der Wächter des Waldes, und Tane Hokahoka, der Herr der Vögel, in Aotearoa, dem Land der langen weißen Wolke. Die Bäume des Waldes werden von Tane Mahuta als seine Kinder bezeichnet und von ihm liebevoll gehütet. Als eines Tages der Wald von einer schlimmen Insektenplage befallen wird, ist Tane Mahuta kurz davor seine Kinder zu verlieren und bittet seinen Bruder um Hilfe. Nur noch die Kinder Tane Hokahokas, die Vögel des Waldes, sind in der Lage den Wald zu retten. Hierzu muss einer der Vögel sich dazu bereit erklären, das Dach des Waldes zu verlassen, mit der Konsequenz, nie wieder zurückkehren zu können und fortan auf die süßen Beeren und das Sonnenlicht verzichten zu müssen. Das Schicksal des Waldes und seiner Bewohner liegt in den Flügeln eines Tuis, eines Pukekos, eines Kuckucks, eines Kiwis und einer Eule. Aus unterschiedlichen Gründen weigern sich die Vögel Tane Hokahoka und Tane Mahuta zu helfen und somit den Wald zu retten. Tane Hokahoka ist enttäuscht von seinen Kindern und befürchtet, dass er und sein Bruder alles verlieren werden, was ihnen wichtig ist.
Kritik
Die Handlungen in den Werken Tobias Krejtschis spielen des Öfteren in Ländern rund um die Welt. Unter den Handlungsorten der Bilderbücher findet man Länder wie beispielsweise Schottland (Die Brück‘ am Tay, 2020), Ägypten (Die Reise nach Ägypten, 2016), die Vereinigten Staaten von Amerika (John Maynard, 2008) und Tansania (Die schlaue Mama Sambona, 2007). In Wie der Kiwi seine Flügel verlor wird die Entstehungsgeschichte des neuseeländischen Wahrzeichens erzählt: die des Kiwis. Der Kiwi ist ein flugunfähiger Vogel, der ausschließlich in Neuseeland beheimatet ist. Die Bedeutsamkeit des Kiwis in Neuseeland ist dermaßen groß, dass selbst die Einheimischen sich als Kiwis bezeichnen. Wieso der Vogel so bedeutsam ist, wird von Krejtschi auf eine fesselnde Weise sowohl auf textueller als auch visueller Ebene erzählt.
Die Geschichte spielt in der Vergangenheit, jedoch bietet sie Erklärungsansätze für die Eigenschaften und Merkmale einiger Vogelarten, die wir noch heute kennen. So erfahren die Rezipientinnen und Rezipienten beispielsweise durch den Text, dass die Nachtaktivität der Eule auf ihr Verabscheuen der Dunkelheit zurückzuführen ist. Die Flugunfähigkeit des Kiwis und das Fehlen seiner Flügel hingegen stellen keine Bestrafung dar, sondern sind lediglich die Folgen seiner Aufopferungsbereitschaft zum Wohle aller Lebewesen des Waldes Aotearoas.
Auf den ersten Blick scheint es so, als würde der Text die Bilder lediglich ergänzen, da er einfach gehalten wurde, auf einer schlicht gehaltenen Seite oder im Hintergrund positioniert ist und nicht durch eine extraordinäre Schriftart oder andere Eigenschaften hervorgehoben wird. Im Kontrast dazu stehen die faszinierenden Acrylbilder, die jedoch bei genauerer Betrachtung nur in Kombination mit dem Text zum Verständnis des Inhaltes führen. Allerdings ist es möglich, die Handlung der Geschichte auch ohne die aufwändigen Bilder zu verstehen.
Dennoch sind die Bilder von Bedeutung, da sie die zentralen Aspekte der Geschichte bekräftigen. Durch die Illustrationen wird zum Beispiel die Wichtigkeit des Kiwis im Vergleich zu den anderen Vögeln untermalt. Während die Farbtöne der anderen Vögel, die blau, schwarz oder braun gestaltet wurden, an den grün-braunen Hintergrund angepasst sind, passt sich der Hintergrund den warmen Farben der strahlend-roten Federn des Kiwis an, wenn von diesem in dem Text erzählt wird und er in den Bildern erscheint.
Nachdem er den Wald verlässt und seine prächtigen Federn verliert, hinterlässt er dennoch eine Spur. Zu sehen sind seine leuchtend-roten Federn im hauptsächlich grünen Hintergrund, wodurch ein einheitliches Bild geschaffen wird, da Rot die Komplementärfarbe zu Grün ist. Dadurch wird unterstrichen, dass der Kiwi nun nicht mehr in der Lage ist, in das Dach des Waldes vorzudringen, seine Taten jedoch auf ewig Auswirkungen auf den Wald und seine Bewohner haben werden.
Erwähnenswert ist außerdem, dass er der einzige Vogel ist, der im Titel erwähnt wird und auf dem Titelbild zu sehen ist. Im Titelbild wird er vom Wächter des Waldes und dem Herrn der Vögel behütet. Durch die Darstellung Tane Mahutas und Tane Hokahokas werden unter anderem Naturgesetze gebrochen. Sie weisen zwar menschliche Eigenschaften auf, sind jedoch berdurchschnittlich groß, wodurch sie übermenschlich zu sein scheinen. Zu sehen ist, dass der Kiwi zunächst trotz des signifikanten Größenunterschiedes auf Augenhöhe mit dem Herrn der Vögel ist. Nachdem der Kiwi das Dach des Waldes verlässt und als Konsequenz seine prachtvollen roten Federn verliert, wendet Tane Hokahoka sich liebevoll an den Kiwi, wofür sich der übermenschlich große Herr der Vögel klein machen muss. Außerdem werden in den Illustrationen die Baumstämme als Hände Tane Mahutas und Tane Hokahokas dargestellt. Dadurch wird deutlich, dass sich die Handlung nicht auf die Realität bezieht, sondern auf einem Mythos beruht, der auch im Untertitel des Bilderbuches genannt wird.
Fazit
Das Bilderbuch bietet Rezipientinnen und Rezipienten Möglichkeiten zur Identifikation mit den Handlungsträgern der Geschichte. Während sich junge Rezipierende mit dem kleinen heldenhaften Kiwi identifizieren können, wird den Erwachsenen die Möglichkeit geboten, sich mit den Brüdern, Tane Mahuta und Tane Hokahoka, zu identifizieren, die zunächst zwar überlegen wirken, aber auf die Hilfe des kleinen Kiwis angewiesen sein können.
Zum einen können sich unter Verwendung des Bilderbuches die Leserinnen und Leser Wissen über die Maoris und typische Eigenschaften von noch heute existierenden Vogelarten aneignen, zum anderen aber ist das Wissen über die Maoris für das Verstehen der Handlungsinhalte nicht notwendig, sodass der Text sich auch für sehr junge Rezipientinnen und Rezipienten eignet.
Das Werk ist für Personen ab einem Alter von vier Jahren geeignet. Es empfiehlt sich aber, Leseanfängerinnen und Leseanfängern bis etwa einem Alter von sieben Jahren das Buch vorzulesen, da das Buch durch die kleine Schrift und die sehr textlastigen Seiten für sie überfordernd sein kann.
Wie der Kiwi seine Flügel verlor vermittelt die Botschaft, dass sich die Aufopferungsbereitschaft und der Mut eines einzelnen Individuums positiv auf die komplette Gemeinschaft auswirken können.
- Name: Tobias Krejtschi
- Name: Tobias Krejtschi