Inhalt

Als Baby wurde sie abgelegt auf den Stufen von Haus Wurmig, dem Heim für unerwünschte Kinder. Im Alter von zehn Jahren hat Elsie genug von den Brutalitäten im Heim und flieht. Im London des Jahres 1899 lebt sie als Straßenkind. Eines Tages erfährt sie, dass ein vor zehntausend Jahren gestorbenes, jedoch perfekt erhaltenes Wollhaarmammut im arktischen Eis entdeckt wurde und jetzt nach London ins Naturhistorische Museum überführt werden soll. Zur erstmaligen Präsentation des Tieres, bei der sogar die seit mittlerweile 62 Jahren regierende Queen Victoria anwesend ist, hat sich Elsie auch in die Versammlung gemogelt. Sie ist absolut begeistert vom Anblick des tiefgefrorenen Mammuts. Bei Elsies gemeinsamen Streifzügen mit Putzfrau Uschi durch das Museum trifft das ungleiche Paar auf einen spleenigen Professor, der mittels Ableitung eines Blitzes das Mammut auftauen und per Elektroschock wieder zum Leben erwecken will. Das aberwitzige Experiment glückt tatsächlich. Doch wohin mit dem Mammut, das inzwischen auf den Namen Wolli hört und nach dem Ausbruch aus dem Museum von der Polizei und der fiesen Großwildjägerin Lady Flintenstein gejagt wird? Es solle am besten zum Nordpol gebracht werden, schlägt Elsie vor. Doch es wird ein weiter, sehr beschwerlicher und langer Weg bis dorthin, der nur mit der Hilfe der Royal Chelsea-Veteranen gelingen könnte, nachdem diese auch noch den Museumssegler HMS Victory, das ehemalige Flaggschiff Lord Nelsons, gestohlen haben. Nach wochenlang andauerndem und schließlich glücklich überstandenem Abenteuer wird die Silvesternacht zum Beginn des 20. Jahrhunderts zu einem wahrhaft unvergesslichen Erlebnis für alle mutigen Mammutretter...

Kritik

Für Leserinnen und Leser vorheriger Walliams-Bücher ist es ein klassisches Dejá-vu; denn der englische Erfolgsautor – laut Klappentext mit mittlerweile 26 Millionen verkauften, in 53 Sprachen übersetzten Bücher gelistet –  ist seinem bestens bekannten Muster treu geblieben: Nach einem rührseligen Beginn folgt eine hanebüchen irrwitzige, satirisch überspannte und mit jeder Menge Slapstickszenen und viel englischem Humor durchsetzte, munter fabulierte Story. Geradezu erstaunlich, dass Walliams nach einem derart turbulenten Wirrwarr in einem Happyend-Tableau ‚geordnete Verhältnisse‘ schildert, in denen tatsächlich sämtliche agierenden Figuren gebührend berücksichtigt werden. Garniert ist dies auf nahezu jeder Buchseite mit vielen comicartigen Zeichnungen und unzähligen Typotaphern, wobei letztere vor allem zur Akzentuierung diverser Geräusche (Kabumm, Trööö, Päng etc.) oder unterschiedlicher Lautstärken beim Sprechen dienen.

Nicht selten gerät Walliams mit seiner speziellen Art von Humor grenzwertig oder auch mal grenzüberschreitend ins Infantile, scheut sich auch nicht vor derben analen Albernheiten, etwa wenn er mehrfach eine Auseinandersetzung mit als „Gasangriff“ bezeichneten „Poporülpsern“ (S. 271) beenden lässt. Oder auch in allen Einzelheiten eine „Gesäßexplosion“ schildert, durch die die betroffenen Militärpolizisten „von Kopf bis Fuß mit heißer, klebriger Mammutkacke“ (S. 299) besprüht werden.

Mit der alten Queen Victoria geht der Autor ebenso despektierlich um wie mit Putzfrau Uschi („Sie hat nicht mehr Grips als ihr Wischmopp“, S. 11), lässt aber immerhin beide im Laufe der Handlung dann erheblich besser dastehen.

Einiges von dem, was im Roman angesprochen wird, beispielsweise das Verhältnis zur Queen oder die Existenz des Royal Hospitals Chelsea mit seinen Kriegsveteranen in typischem Outfit, dürfte englischen Leserinnen und Lesern eher vertraut sein; diese Inhalte werden am Schluss in einer Art Glossar, den „Anmerkungen zur echten Viktorianischen Zeit“ erläutert. Gleiches gilt auch für die Erwähnung vor allem britischer Berühmtheiten, die mit einer Fußnote ergänzt werden.

Ausgezeichnet gelingt es Walliams, vor allem zu Beginn und gegen Ende hin auch sehr anrührende Momente einzufügen. So erwähnt er den freundschaftlichen Zusammenhalt der Heimkinder, die unter höchst erbärmlichen Bedingungen zu leiden haben. Oder er beschreibt auf geradezu poetische Weise den Beginn einer intensiven Mensch-Tier-Beziehung:

„Doch die mutige Elsie [...] streckte die Hand aus, um den Rüssel des Tieres zu berühren. Es war der einzige Teil des Mammuts, der im Dunkeln zu sehen war. Wie eine Schlange, die vor einem Schlangenbeschwörer tanzt, vollführte der Rüssel zunächst einen kleinen Tanz um die Hand des Mädchens. Dann hielt ihm Elsie die Handfläche hin, und was Wunderbares geschah. Die Urgeschichte traf auf die Moderne. Die beiden berührten sich. Es ist wunderschön, flüsterte Elsie.“ (S. 222-223)  

Die Übersetzung ist nahezu durchweg gelungen; etwas holprig erscheint einzig die Wortwahl bezüglich der Aussprache „Ma‘am“ im Gespräch mit der Queen: „Es heißt […] Ma‘am. Ma‘am wie Mähen oder Nähen und nicht Mam wie Mama.“ (S. 454) – was dazu führt, dass Putzfrau Uschi der Queen mit einem wenig passenden „Tut mir leid, Mähen.“ antwortet.

Eher für Erwachsene als für Kinder verständlich sein dürften Hintersinnigkeiten wie: „Eine Damenunterhose? Warum steckte die in der Tasche eines Bischofs?“ (S. 181) oder der Auftritt eines religiösen Eiferers mit der Reklametafel „Das Ende ist nahe“, der, gerade nur knapp einem Tritt Wollis entkommen, dann doch feststellt: „Das Ende ist doch noch nicht ganz so nah!“ (S. 264-265)

Sogar eine leicht mystische Note bringt der Autor in die Geschichte, als das zehntausend Jahre lang eingefroren gewesene Mammut am Nordpol auf seine Familienherde trifft. Aber das ist nur eine von diversen anderen Unwahrscheinlichkeiten, die Walliams mit lockerer Schreibe einfließen lässt.

Neben oft unrealistischen und fantastischen Situationen wird von Walliams aber auch wieder die Bedeutung von Freundschaft, Liebe und gegenseitiger zwischenmenschlicher Achtung über alle Grenzen hinweg mehrfach thematisiert:

„Königin Victoria breitete die Arme aus und zog Elsie an sich. Einen Moment lang hielten sich diese beiden Menschen, die Alter, Klasse und Reichtum wie Ozeane voneinander trennten, eng umschlungen. Es war, als würde die Welt stehenbleiben. ‚Vielen Dank, mein Kind‘, sagte Königin Victoria. ‚Das habe ich gebraucht.‘“ (S. 456f)

„Wenn du dich in meinem Palast umschaust, in meinem Land, meinem Reich, das sich bis in den letzten Winkel des Globus erstreckt, dann denkst du vielleicht, ich hätte alles, was ich mir nur wünschen kann. Aber glaube mir, Elsie, ohne Liebe hast du gar nichts.“ (S. 481)

Und so ist zum guten Schluss alles heile Welt und im Lot, wie es sich bei einem schönen Märchen – und üblicherweise auch bei Walliams – gehört. Die böse Waisenhausleiterin Mrs. Graus bekommt ihre verdiente Strafe im Tower von London, die mutige Putzfrau und die tapferen Veteranen werden mit Orden behängt. Und alle, einschließlich Elsie und der fünfundzwanzig Waisenkinder, dürfen gemeinsam mit der Queen zu ohrenbetäubendem Bumm! Zisch! Krawumm! den Beginn des 20. Jahrhunderts feiern und das altbekannte Neujahrslied „Auld Lang Syne“ anstimmen.

Fazit

Das Eismonster passt punktgenau in die Reihe bisher vorliegender Walliams-Bücher: Es ist witzig bis skurril und dabei durchgehend locker-flockig und amüsant erzählt. Ungeachtet mancher Flachheiten und bisweilen arg breit ausgewalzter Slapstick-Szenerien werden vor allem Leserinnen und Leser ab 8 Jahren, die mit der Aufmachung bisheriger Walliams-Geschichten bereits vertraut sind, ihre helle Freude an dem neuen Band erleben. Ernsthaftigkeit ist dabei nicht sonderlich gefragt; dennoch vermittelt der Kinderroman neben einem kleinen historischen Einblick ins London der späten Viktorianischen Zeit auch die wichtige Botschaft von gegenseitiger Freundschaft und Liebe.

Titel: Das Eismonster
Autor/-in:
  • Name: Walliams, David
Originalsprache: Englisch
Originaltitel: The ice monster
Übersetzung:
  • Name: Bettina Münch
Illustrator/-in:
  • Name: Tony Ross
Erscheinungsort: Hamburg
Erscheinungsjahr: 2020
Verlag: Rowohlt Taschenbuchverlag
ISBN-13: 978-3-499-00245-8
Seitenzahl: 496
Preis: 15,00 €
Altersempfehlung Redaktion: 8 Jahre
Walliams, David: Das Eismonster