Inhalt
Reif Larsen hat mit seinem verträumten Debutroman The Selected Works of T. S. Spivet (dt. Die Karte meiner Träume) 2009 auf Anhieb die Bestsellerliste der New York Times erobert. Seine Bilderbücher scheinen eine ähnlich verträumt-spielerische Weltsicht zu vertreten wie sein Roman. Sein erstes Bilderbuch, Uma Wimple Charts Her House (2021), ist noch nicht ins Deutsche übersetzt. Mit Der wundersame Weg legt Larsen sein zweites Bilderbuch vor. Die Inspiration dafür stammt mutmaßlich aus der Corona-Zeit, in der Larsen nach eigenen Angaben täglich einen Pfad am Fluss entlanggegangen ist (vgl. Widmung im Buch). Dieser Pfad bildet das Zentrum des zurückhaltenden Bilderbuches, das insgesamt mit wenigen Worten auskommt.
Der Weg führt durch einen kleinen Wald zu einem Fluss hin und ist unweit einer unbenannten Kleinstadt gelegen. Larsen beobachtet den Weg im Wandel eines Frühlingstages und stellt verschiedene Personen und Tiere vor, die den Pfad im Wechsel nutzen – und manchmal zueinander finden. Ein Junge, Luca, interessiert sich für die Zweige und stellt sich vor, dass diese kleine Menschen sind, die im Wald leben. Das Mädchen, Clara, ist eine angehende Naturwissenschaftlerin und mit Lupe und Notizbuch im Wald unterwegs. Nachts macht sich der Fuchs auf den Weg – und am nächsten Morgen riecht ihn der Hund Moo, als er mit seinem Herrchen Avi Gassi geht.
Irgendwann im Laufe des Frühlings finden Luca und Clara zusammen und unterhalten sich über die Fuchsspuren im Wald – der Fuchs scheint sich verletzt zu haben, denn seine Spuren haben sich verändert. Um dem Fuchs zu helfen, bringen Luca und Clara ihm etwas zu essen mit – ob der Fuchs ein gebratenes Ei essen wird? Später, als der Frühling zum Sommer wird, spielen Clara und Luca zusammen im Wald mit den Zweigmenschen. Sie stellen anhand der Fuchsspuren fest, dass das Tier sich von seiner Verletzung erholt hat. Das Buch hört hier recht abrupt auf, aber es drängt sich der Eindruck auf, dass der wundersame Weg viele Einsichten bereithält, wenn man den Blick darauf richtet.
Kritik
Der Verlag Little Gestalten bringt Bilderbücher in der Regel parallel auf Deutsch und Englisch heraus. Im englischsprachigen Original trägt das Buch den Untertitel A Story About Finding Your Way. Dieser wurde nicht ins Deutsche übertragen. Insofern macht das deutschsprachige Buch mit dem Titel Der wundersame Weg auch auf eine andere Zielführung aufmerksam. Im Deutschen kann man das Buch eher mit Fokus auf die kleinen Wunder der Natur lesen, im englischsprachigen Original wird der Blick auf die Selbstfindung der Protagonistinnen und Protagonisten, zu denen vielleicht auch der Fuchs zählen kann, gerichtet. Da der Text sehr zurückhaltend ist, sind hier die Deutungsmöglichkeiten offen.
Dazu tragen auch die detaillierten Illustrationen von Marine Schneider bei, die in satten Naturtönen den Wald und den Weg zeichnet. Dabei findet sie eine interessante Mischung aus abstrakter Darstellung und naturwissenschaftlich genauen Zeichnungen, etwa bei dem Mistkäfer, der unter der Lupe von Clara in allen Details sichtbar wird. Die drei handelnden Personen sind durchweg weniger realistisch gezeichnet als die Tiere – das betont mitunter, dass die Menschen im Wald nur Gäste sind, während die Tiere hier tagein, tagaus leben.
Little Gestalten ist bislang vor allem mit aufwändigen und liebevoll gestalteten Sachbilderbüchern aufgefallen, etwa mit Zählen, Rechnen, Messen oder Sonne, Wind und Regen. Insofern ist dieses leise, fast schon poetische Bilderbuch eine Überraschung. In entspannten Stunden, und als Gute-Nacht-Geschichte sowie für Kinder und Erwachsene, die die Natur gerne beobachten und Details im Bilderbuch schätzen, ist dieses Buch die richtige Wahl. Wie immer bei Little Gestalten ist die Ausstattung wertig und das Leseerlebnis dadurch schon ein Genuss.
Fazit
Larsen und Schneider legen hier ein ungewöhnliches Buch vor, das zum ruhigen Beobachten und Nachdenken mit Kindern ab vier Jahren anregt. Nach einem Tag in der Natur könnte die Lektüre besonders gewinnbringend sein, weil sich dann Gesprächsanlässe ergeben, die sich im urbanen Alltag nicht ohne Weiteres finden lassen. Aber auch zum Thema Freundschaft und zur Beziehung von Menschen und Tieren können sich Anknüpfungspunkte bieten.
- Name: Larsen, Reif
- Name: Schneider, Marine