Inhalt

„Oma, wie ist das, alt zu sein?“

– „Ach, das ist genau wie jung sein. Nur ein bisschen anders.“

So beginnt das Gespräch zwischen einer Großmutter und ihren beiden Enkelkindern. Während die drei gemeinsam essen und sich für den Tag fertig machen, fängt die Großmutter an zu erzählen: „Wenn du klein bist, lachst du gern. Wenn du alt bist auch.“ Nach einem kurzen Tanz ziehen sich die drei Schuhe und Mäntel an, nehmen ihren Hund an die Leine und machen sich auf den Weg durch die Stadt zu einem Freizeitpark. Während ihres Ausflugs weist die Großmutter auf immer neue Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen dem Kind-sein und dem Älter-werden hin. Doch auch, wenn sich mit zunehmendem Alter das Zeitgefühl verändert und man eher vergangenen Erlebnissen nachhängt, anstatt der Zukunft entgegen zu träumen, bleibt vieles gleich. Alt- und Jung-sein, wiederholt die Großmutter als sie schließlich auf einer Bank zur Ruhe kommen, ist genau gleich, nur ein bisschen anders.

Kritik

Nach ihrem letzten gemeinsamen Bilderbuch Dann gehe ich jetzt, sagte die Zeit haben sich Bettina Obrecht und Julie Völk erneut zusammengetan und eine weitere poetisch-beschwingte Geschichte erdacht. Beim ersten Betrachten von Wie anders ist alt fallen direkt die besonderen Illustrationen ins Auge. Die aquarellierten Buntstiftzeichnungen von Julie Völk schmücken die Seiten und betten den lyrisch wirkenden Text der Autorin in die Rahmenhandlung ein: Der Ausflug einer Großmutter mit ihren Enkelkindern und ihrem Hund zum Freizeitpark. Bettina Obrechts Text erinnert an die Verse eines Gedichts und ist anaphorisch aufgebaut:

„Wenn du jung bist, träumst du davon,
was in deinem Leben passieren wird.
Wenn du alt bist, träumst du auch gerne.
Aber meistens ist das,
wovon du träumst,
in deinem Leben schon passiert.“

Passend zum Text eröffnen die Illustrationen eine weitere Ebene: Auf den Seiten können immer wieder rot umrissene Gestalten entdeckt werden. Diese stellen die Gedanken, Träume und Erinnerungen der Figuren dar. So träumt auf einer Doppelseite der in sich zusammengerollte Hund von Würstchen, während die restlichen Figuren Schiffschaukel fahren und von ihren eigenen Erinnerungen und Gedanken umgeben sind. Diese können niemandem definitiv zugeordnet werden und wirken eher angedeutet, traumähnlich: Mal wird ein lachender Elefant umrissen, mal eine schwangere Frau; mal ist die Kontur eines traurigen Clowns zu erkennen, mal die eines tanzenden Mädchens. Die Gestalten nehmen Bezug auf den Text: So sinnt die Großmutter ihrer Vergangenheit und den fort gegangenen Freunden nach. Sie erinnert sich daran, wie es war jung zu sein. Die Kinder fühlen sich währenddessen in die Worte der Großmutter und damit ins Älter-werden ein und träumen von ihrer Zukunft.

Julie Völk baut immer wieder kleine Details in ihre Illustrationen ein, die Alt und Jung in Bezug zueinander setzen und so den Text ergänzen. Zum Beispiel wird der Enkeltochter, die sich nach ihren Schuhen bückt, die rot konturierte Gestalt einer älteren Person gegenübergestellt. Diese versucht – eine Hand auf dem Rücken abgestützt – ihren auf dem Boden stehenden Rucksack zu erreichen. Begleitet wird das Bild durch einen damit verknüpften Vergleich im Text: Wenn man jung ist, macht es einen häufig wütend, dass man bestimmte Dinge noch nicht kann, während man sich im Alter über all die Dinge ärgert, zu denen man nicht mehr in der Lage ist. Zum Ende hin erreichen die Großmutter und ihre Enkelkinder ein Fahrgeschäft und schauen diesem eine Weile zu. Auf Textebene wird erklärt, dass jungen Menschen viele Türen offen stehen, alten nur noch wenige. „Aber dafür ist eine dieser Türen etwas ganz Besonderes.“ Ergänzend dazu zeigt das Bild im Hintergrund einen Torbogen, hinter dem sich mehrere rot konturierte Figuren befinden. So wird auf schlichte und sorglose Art auf das eigene Lebensende verwiesen. Auf einer anderen Doppelseite ist eine ältere Frau abgebildet, die einer Verkäuferin sämtliche Luftballons abkauft und damit auf die Aussage des Textes verweist: „Wenn du alt bist, machst du, was du willst. Du musst [anders als wenn du jung bist] keinem mehr gehorchen.“ Dennoch haben das Alt- und das Jung-Sein recht viele Gemeinsamkeiten. Das wird an dieser Stelle durch das Bild ergänzt: Auch eine ältere Frau kann Freude an Luftballons haben. Mit diesen wandert sie noch ein paar Male durchs Bild und ist auch auf der Rückseite des Umschlags wieder abgebildet. Das Cover bezieht sich auf den letzten Schauplatz des Bilderbuchs und zeigt die Großmutter mit ihren Enkelkindern auf einer Parkbank, umgeben von bläulich schimmernden Bäumen. Diese schmücken auch das Vorsatzpapier.

Fazit

Das Bilderbuch Wie anders ist alt, das 2023 für den deutschen Jugendliteraturpreis nominiert wurde, sticht durch die durchdachte Kombination von Text und Bild hervor. So wird der poetische Text von Bettina Obrecht um die feingliedrigen Illustrationen von Julie Völk ergänzt, welche verschiedene Ebenen eröffnen und sowohl die erzählte Gegenwart als auch die Gedanken, Erinnerungen und Träume der Figuren darstellen. Wie anders ist alt beschäftigt sich mit großen Fragen. Dabei wird das Thema Krankheit ganz ausgespart, der Tod nur angedeutet. Zentral sind vielmehr emotionale Aspekte des Alterns wie der Ärger über die Dinge, die man irgendwann körperlich nicht mehr so gut kann, oder der Verlust von Freunden. Diese Aspekte werden jedoch auf leichtfüßig-beschwingte Art und Weise umgesetzt. Die farbenfrohen Bilder laden zum längeren Betrachten und Hineinfühlen in die Frage ein, wie das eigentlich ist, alt zu sein. Aus diesem Grund kann das Bilderbuch für Kinder ab vier Jahren empfohlen werden.

Titel: Wie anders ist alt
Autor/-in:
  • Name: Obrecht, Bettina
Illustrator/-in:
  • Name: Völk, Julie
Erscheinungsort: München
Erscheinungsjahr: 2022
Verlag: Tulipan Verlag GmbH
ISBN-13: 978-3-86429-558-4
Seitenzahl: 32
Preis: 16,00€
Altersempfehlung Redaktion: 4 Jahre
Obrecht: Wie anders ist alt (Cover)