Inhalt

In Iwein und Laudine geht es um die Freundschaft der beiden genannten Figuren, die sich trotz einiger Schwierigkeiten im Endeffekt bewährt. Das Bilderbuch beschreibt zunächst, was Ritter*innen2 eigentlich ausmacht, nämlich für Gerechtigkeit zu kämpfen. Daraufhin stellt sich die Erzählinstanz, Lunete, selbst als Ritterin und Geschichtenerzählerin vor. Danach folgen die Vorstellungen von Iwein als Mensch mit ritterlicher Gesinnung, dessen Wunsch es ist, Ehre und Ansehen zu gewinnen, der aber auch noch viel zu lernen hat, und die Laudines als einer Ritterin, die als freigiebige und freundliche Burgherrin bekannt ist.

Die beiden Figuren treffen an der Edelsteinquelle zusammen, wo Iwein ein Gewitter auslöst und damit Laudine zum Kampf herausfordert. Von der Minne überrascht, ist Iwein jedoch unfähig, zu kämpfen. Laudine erkennt daraufhin ihre Überlegenheit, sieht vom Kampf ab und lädt Iwein auf ihre Burg ein. Im Folgenden erläutert die Erzählinstanz Lunete den Begriff der Minne als Gefühl von Freundschaft und Zuneigung, welches sich im Bauch und im Herzen zeigt und einen Menschen vollständig einnehmen kann. Iwein entschließt sich, mit Laudine auf die Burg zu kommen, wo sie ein großes Fest feiern. Auf der Burg lässt Iwein es sich gut gehen und vergisst zunächst die eigene Ritterlichkeit, besinnt sich dann jedoch und äußert den Wunsch, wieder auf Abenteuerreise zu gehen. Laudine gewährt diesen Wunsch mit der Einschränkung, dass die Reise nicht länger als ein Jahr gehen darf. Vor lauter Abenteuern vergisst Iwein diese Frist und erhält daraufhin einen Brief von Laudine, der an das gebrochene Versprechen erinnert. Iwein gerät daraufhin in eine Krise, sieht aufgrund des Vertrauensbruchs nichts Ritterliches mehr in sich selbst und zieht sich in einen Wald zurück. Dort hört Iwein von einem Kampf zwischen einem Löwen und einem Drachen, schreitet ein und hilft dem Löwen, woraufhin die beiden Freund*innen werden. Gemeinsam bestreiten sie nun Abenteuer. Iwein erkennt mit Hilfe des Löwen die wahre ritterliche Gesinnung, nämlich für das Gute einzustehen. Eine Herausforderung zu einem Kampf nimmt Iwein an; es zeigt sich jedoch, dass beide Kämpfenden genau gleich stark sind, was dazu führt, dass sie irgendwann erschöpft nebeneinander zusammensacken. Daraufhin erkennen sie gegenseitig, wer die andere Person ist. Da Iwein nun die eigene Ritterlichkeit vor Laudine bewiesen hat, ist die Ehre wiederhergestellt. Deswegen stehen beide zusammen nun für das Gute in der Welt ein. Das Bilderbuch endet damit, dass Lunete die Frage an die Rezipierenden stellt, ob Iwein ein er oder eine sie sei. Sie beantwortet diese Frage auch gleich für die Leserinnen und Leser: "Keines von beiden" – und fügt den Appell ein: "Wenn du dir mal nicht sicher bist, frag einfach nach" (S. 27).

Kritik

Das Bilderbuch ist eine kindgerechte Adaption des Heldenepos Iwein Hartmanns von Aue bzw. Chrétien de Troyes. Dabei wurde das Figureninventar und auch die Erzählung insgesamt angepasst an die Adressatinnen und Adressaten stark reduziert, sodass vor allen Dingen die Beziehung zwischen Iwein und Laudine fokussiert wird.

Das Bilderbuch hat zum einen das Anliegen, die alte Geschichte wieder lebendig zu machen und neu zu erzählen. Da es "eine universale Geschichte von Freundschaft, Mut und Selbstüberwindung" (S. 28) erzählt, ist es für Kinder in besonderer Hinsicht bedeutsam. Auch liefert die Geschichte Identifikationsfiguren, welche explizit im Hinblick auf Diversität verändert wurden. Damit wird Identifikationspotential geschaffen, das sonst "in der Welt der Legenden selten vorkomm[t]" (S. 28). Das Buch entstand in Zusammenhang mit dem Theaterstück Iwein. Ritterliche Abenteuer und andere Ungeheuer von makemake produktionen (siehe MAKEMAKE Iwein), welches auch bereits Anfang des Jahres 2023 beispielsweise in Wien aufgeführt wurde. Es wird ab zehn Jahren empfohlen. Anita Burchart, die den Text des Bilderbuches schrieb, war auch an der Entstehung des Stücks beteiligt. Lili Mossbauer, die die Bilder des Buches schuf, ist als freischaffende Illustratorin tätig (S. 28), war jedoch nicht in die Produktion des Theaterstücks involviert.

Das Buch ist im Hardcover gebunden und hat die Maße 29x22 cm. Die 32 Seiten sind von einer festeren Papierqualität, sodass sie auch von Kindern mit fortgeschrittener Feinmotorik leichter umgeblättert werden können. Es gibt in dem Bilderbuch zwei unterschiedliche Schriftarten, die unterschiedliche Funktionen erfüllen. Die Schrift für den Großteil der Erzählung ist serifenbetont und in ca. Schriftgröße 12. Die zweite Schriftart ist serifenlos, in Großbuchstaben geschrieben und wirkt eher wie eine Handschrift. Die Größe ist ebenfalls ca. Schriftgröße 12. Diese Schrift dient dazu, Zwischenwürfe oder Anmerkungen der Erzählinstanz zu markieren, wobei dieses Muster jedoch nicht vollständig logisch durchgeführt wird. Die Syntax der Textebene ist eher hypotaktisch, beinhaltet also einige Nebensätze oder Aufzählungen. Auch die Sprache bzw. Wortwahl insgesamt ist durchaus komplexer, damit angefangen, dass der Begriff Ritter*innen per Asterisk gegendert wird. Es finden sich einige zusammengesetzte Substantive und spezifische Begriffe (funkeln (S. 5), Überlegenheit (S. 6), …). Auch domänenspezifische Begriffe wie der der Minne kommen vor. Aus dieser Perspektive ist das Sprachniveau als fortgeschritten zu beurteilen, weswegen es Kleinkinder überfordern würde.

Die Bildebene wirkt unterstützend und ergänzend zur Textebene. Auf jeder Seite befinden sich Bilder: Teilweise nehmen sie die ganze Doppelseite ein (z.B. 10-11; 18-19), in anderen Fällen gibt es mehrere in sich abgeschlossene Bilder auf einer Seite (z.B. S. 14-15) und manchmal werden auch nur Einzelelemente wie Figuren abgebildet (z.B. S. 23). Es werden für die Bildebene verschiedene Farben benutzt, die aber nicht satt sind, sondern eher wie mit einem Gelb- oder Graufilter überdeckt wirken. Der Zeichenstil wirkt "unperfekt", das bedeutet, dass z.B. nicht alle Flächen genau gleich farbig sind, sondern in der Farbintensität abweichen, sodass es ein wenig an den Zeichenstil eines Kindes erinnert. Die Formen sind dabei rundlich gehalten. Die Bildebene trägt beispielsweise zur Diversifizierung der Figuren bei: Lunete trägt ein blaues Gewand mit einem orientalisch wirkenden Muster auf der Hose. Ihre langen schwarzen Haare sind zu einem Zopf geflochten und ihre Haut ist in einem etwas dunkler wirkenden Teint gehalten, sodass ihr Aussehen in eine asiatische Richtung eingeordnet werden könnte. Iwein trägt ein Kettenhemd über einer roten Hose und hat lange Haare, was die Identität als nicht-binäre Figur unterstreicht. Laudines Gewand ist in verschiedenen Grüntönen gehalten, von der Art aber Iweins Kleidung durchaus ähnlich. Ihre blonden Haare sind gelockt und kurz, ihre Hautfarbe ist eher dunkel, demnach mutet ihr Aussehen afrikanisch an. Insgesamt dominiert die Farbe Grün innerhalb der Bilder. Dieses steht zum einen für die Natur, ist aber auch in der geschlechtlichen Konnotation eher neutral. Für Iwein werden oft Rot- und Rosatöne gewählt, was zumindest heutzutage als Mädchenfarbe gilt. Lunetes blaue Kleidung hingegen zählt heute als typische Jungenfarbe. Hier werden also die Farben entgegen ihrer stereotypen Verwendung genutzt, was das Anliegen des Buchs, sich gegen klassische Genderrollen zu stellen, unterstützt.

Auch fällt auf, dass in der eigentlich männlich besetzten Domäne des Rittertums keine einzige männliche Figur vorkommt, sondern zwei weibliche und eine nicht-binäre Person. Auch werden die weiblichen Figuren im Vergleich zum Hartmanntext zu Ritterinnen aufgewertet; alle Figuren in dem Buch sind ungefähr gleich stark bzw. mächtig. Lunete ist hier nicht Teil der erzählten Handlung, sondern übernimmt die Funktion der Erzählinstanz, welche im mittelalterlichen Text Hartmann von Aue und somit eine männliche Figur ist. Zudem wird die im Vorlagentext sehr präsente Figur Gâwein vollständig weggelassen und einige seiner Handlungen (beispielsweise die Herausforderung und der darauffolgende Kampf) gehen auf Laudine über. Auch wird die ganze Vorgeschichte rund um König Artus und den Grund, warum Iwein auf Abenteuerreise (aventiure) ist, getilgt. Dies hat zur Folge, dass Laudine nicht nur Gâweins Handlungsteile, sondern auch die ihres im mittelhochdeutschen Text vorkommenden Mannes Ascalôn übernimmt. Während der mittelhochdeutsche Text eigentlich eher Iweins persönliche Entwicklung und die Freundschaft mit Gâwein fokussiert, so steht in dem Bilderbuch klar die Beziehung zwischen Iwein und Laudine im Vordergrund. Somit wird der weiblichen Figur hier eine stärkere Präsenz verliehen, was sie zu einer sehr aktuellen Identifikationsfigur macht. Zu erwähnen ist auch der Umgang mit spezifisch mittelalterlichen Konzepten: Rittertum wird direkt mit dem Reiten in Verbindung gebracht (S. 1), wodurch den kindlichen Rezipierenden eine Merkhilfe gegeben wird. Die Minne wird nicht einfach mit Liebe, sondern als durchaus komplexeres Konzept übersetzt. Durch die Ansprache der Emotionen und die Verortung im Körper bekommen die Rezipierenden eine Orientierung, wie sie sich das Gefühl der Minne vorstellen können.

Kritisch zu beleuchten ist der bereits erwähnte Appell auf S. 27: Die explizite Aufforderung und direkte Ansprache an die Lesenden, das Gender bzw. die Pronomen von Menschen bei Unsicherheit zu erfragen, passt zwar zu den vermiedenen Pronomen in Bezug auf die Figur Iwein, jedoch fällt dies stark aus der Gesamterzählung heraus. Es wäre nicht unbedingt notwendig gewesen, die fehlenden Pronomen so explizit zu thematisieren, da das Thema generell schon im Buch angelegt ist und durch die erwachsenen Mitrezipierenden bei Bedarf hätte angesprochen werden können. Es wirkt wie eine Moral der Geschichte, wobei eine Moral zum Thema Freundschaft oder Loyalität eher zum Thema des Buchs gepasst hätte. Positiv zu bemerken ist jedoch, dass in dem Buch mehrere explizite Ansprachen an die Lesenden durch die Erzählinstanz Lunete stattfinden, was die Aufmerksamkeit der kindlichen Rezipierenden gewinnen kann und gleichermaßen den Erwachsenen die Möglichkeit gibt, mit den Kindern in einen direkten Diskurs zu treten und selbst noch etwas zu lernen (Mehrfachadressierung).

Fazit

Das Buch erzählt eine bereits bekannte Geschichte neu, aktualisiert und diversifiziert sie. Kindern werden neue Vorbilder des Rittertums als Identifikationsfiguren angeboten, zudem fokussiert das Bilderbuch als Thema Freundschaft, Loyalität und persönliche Entwicklung sowie nachgestellt die geschlechtliche Identität, also Themen, welche für Kinder relevant werden, sobald sie mit anderen Kindern in Kontakt treten und Beziehungen mit ihnen aufbauen.

Bedingt durch die Themen kann es ab dem mittleren Kindergartenalter, also ab fünf Jahren, mit Unterstützung durch Erwachsene gelesen werden, ab Ende der 1. Klasse ist dies durch die reduzierte Textmenge auch selbstständig möglich. Dies kann abgesehen von den thematischen Bezügen durch die festgestellten komplexeren Satzstrukturen und Wörter begründet werden, aber auch damit, dass mit dem Asterisk gegendert wird. Für die Altersempfehlung spricht auch die Materialität des Buchs, welche durch das Format und die Seitenbeschaffenheit (Papier, nicht Pappe) zumindest eine fortgeschrittene Motorik erfordert.

 

Anmerkungen 

1Vgl. Klappentext des Bilderbuchs
2Im Bilderbuch wird mit Genderstern gegendert und für Iwein werden keine Pronomen genutzt. Deswegen wird dies im Rahmen dieser Literaturkritik in Bezug auf das Bilderbuch ebenfalls so gehandhabt.

Titel: Iwein und Laudine
Autor/-in:
  • Name: Anita Buchart
Illustrator/-in:
  • Name: Lili Mossbauer
Erscheinungsort: Wien
Erscheinungsjahr: 2022
Verlag: Achse Verlag
ISBN-13: 978-3-903408-04-3
Seitenzahl: 32
Preis: 22
Altersempfehlung Redaktion: 5 Jahre
Buchart, Anita /Mossbauer, Lili: Iwein und Laudine