Inhalt

Boris und Celeste dürfen das erste Mal alleine daheimbleiben, weil Mama und Papa bei den Nachbarn eingeladen sind. Beim Abschied bekommen die Geschwister noch sämtliche elterntypische Instruktionen und Verhaltensanweisungen für den Abend, denen sie brav zustimmen, um ihnen allensamt kurz darauf zuwiderzuhandeln: So trinken sie Saft und essen statt des von der Mutter vorbereiteten gesunden Abendbrotes Chips und Kekse, trotz des Fernsehverbotes werden (gruselige) Filme geschaut und Celeste wird von ihrem Bruder alleine zum Zähneputzen geschickt, was jedoch recht schnell geht …

Bettfein gemacht fordert die kleine Schwester mit Nachdruck eine Gutenachtgeschichte ein und – in der Hoffnung, ihr mit einer Gruselgeschichte Angst machen zu können – folgt Boris Celeste ins Kinderzimmer. In freudiger Erwartung einer gruseligen Gutenachtgeschichte kuschelt sich Celeste ins Bett und Boris beginnt zu erzählen. Aber bereits nach kurzer Zeit findet sie die Geschichte langweilig und ihr Bruder muss sich eine neue ausdenken. Doch auch alle weiteren Anläufe von Boris, eine gruselige Gutenachtgeschichte zu erzählen scheitern, denn Celeste gruselt sich so gar nicht: Sie tut entweder so, als ob sie eingeschlafen sei, um ihren Bruder dann zu erschrecken; oder sie interessiert sich viel mehr für das Outfit der Prinzessin als für die fleischfressende Blume, von der diese bedroht wird (vgl. Abb. 1); oder sie spielt die Dame ohne Kopf aus Boris’ Erzählung nach, indem sie ihren Kopf unter dem Schlafanzugoberteil versteckt. Nach elf gescheiterten Versuchen, eine gruselige Gutenachtgeschichte zu erzählen, gibt der große Bruder genervt auf und verlangt beleidigt, Celeste solle doch selbst eine erzählen, wenn sie es so gut könne. Und dann erzählt sie ihm eine: Eine, die im wahrsten Sinne des Wortes eine Gutenachtgeschichte wird, denn Boris schläft dabei – wohl eher vor Erschöpfung – ein. Als die Eltern nachts nach Hause kommen, sehen sie ihre Kinder friedlich im Kinderzimmer schlafen und ahnen nicht, welch gruselige Szenen sich dort abgespielt haben. 

Heidelbach Koennecke Gutenacht InnenAbb. 1: Wenn die Bedrohung zur Nebensache wird: Celeste interessiert sich mehr für das Outfit der Prinzessin als für die fleischfressende Blume © Nikolaus Heidelbach und Ole Könnecke / Carl Hanser Verlag

Kritik

Angeregt durch seine beiden eigenen Enkel kam Nikolaus Heidelbach die Idee zu einem Buch, in der ein Junge seine Schwester ins Bett bringen muss und diese gelangweilt von seinen Gutenachtgeschichten ist. Im Kopf hatte er dabei auch schon „die Buchaufteilung in zwei Ebenen […]. Links eine ganzseitige Illustration der Geschichte, die der Junge erzählen will, und rechts, auf der gegenüberliegenden Seite, immer wieder die Geschwister am und im Bett.“ (Hanser 2024, o. S.) Da mit Ole Könnecke bereits seit Längerem ein gemeinsames Buchprojekt geplant war und Heidelbach schon mehrere der linksseitigen Blätter in Aquarell-Technik angefertigt hatte, übernahm Ole Könnecke das Zeichnen der rechtsseitigen Illustrationen in dem für ihn typischen Comic-Stil und erweiterte und ergänzte die Geschichte rund um die beiden Geschwister. (Vgl. ebd.) So zeichnet das Duo in diesem querformatigen Bilderbuch sowohl auf illustratorischer wie auch auf inhaltlicher Ebene verantwortlich. 

In comictypischer Manier wird dabei zu Beginn im Blocktext von der Einladung der Eltern erzählt und deren Abschied von den Kindern auf bildlicher Ebene gezeigt. Die Sprechblasen als Ort der Figurenrede dominieren im Folgenden die Erzählerrede, wobei der Blocktext innerhalb der Versuche von Boris, eine Gutenachtgeschichte zu erzählen, gänzlich ausbleibt, um die dialogische Interaktion der Geschwisterkinder pointiert in den Vordergrund zu stellen. Innerhalb der Sprechblasen spielt Könnecke kunstfertig mit den typografischen Mitteln, wenn er das Gesagte und die damit verbundene Lautstärke sowie Emotionen von Boris und Celeste in Kapitälchen, Fettdruck und Schriftgröße variiert.

Die detaillierten, eindrücklichen und farbsatten Aquarelle von Heidelbach – die die Gutenachtgeschichten visualisieren, die der große Bruder erzählt bzw. erzählen möchte, wenn er denn nicht von seiner Schwester unterbrochen wird – zeigen gruselige Gestalten: von überdimensional großen Tieren wie einer lautlos lauernden Kröte, dem letzten Affen seiner aussterbenden Art, einer menschenfressenden Monsterechse bis hin zu fantastischen Wesen aus Flora und Fauna, die zum Teil Reminiszenzen an die griechische Mythologie sind. Einzig und alleine die letzte Gutenachtgeschichte, nämlich die von Celeste für Boris, zeichnet Könnecke: In einer angedeuteten, rosafarben hinterlegten Sprechblase wird multiszenisch ein ganzes Sammelsurium an mehr oder weniger gruseligen Gestalten und Situationen gezeigt, in denen nicht zuletzt Celeste selbst als auf einem feuerspeienden Einhorn reitendes Geburtstagskind zu sehen ist – und damit auch im Bild das Selbstbewusstsein der kleinen und mutigen Schwester verdeutlicht wird. 

Auch auf sprachlicher Ebene brilliert das Autoren-Illustratoren-Duo mit Wortwitz und Ironie, wenn beispielsweise Celeste ihre Zählfähigkeiten völlig überschätzt und das Bis-zehn-Zählen mehrfach scheitert oder im Blocktext am Ende von Celestes verniedlichter Gutenachtgeschichte steht, dass Boris „[b]estimmt vor Schreck“ (Heidelbach/Könnecke 2024, o. S.) eingeschlafen sei. 

Fazit

Gutenachtgeschichten für Celeste ist ein auf inhaltlicher, bildlicher und sprachlicher Ebene originelles Bilderbuch zum Thema Einschlafen, das den familiären Alltag und die Verhaltensweisen von Eltern und Kindern bzw. Geschwistern auf unterhaltsame Weise nachahmt und damit Identifikationspotenzial sowohl für die vorlesenden als auch für die zuhörenden Rezipient*innen schafft. Ergänzt wird es um die Möglichkeit, mittels eines QR-Codes das zugehörige Hörspiel aufzurufen, das Nikolaus Heidelbach und Ole Könnecke selbst eingelesen haben und das der Komponist (und Sohn von Ole Könnecke) Hans Könnecke vertont und produziert hat.

Ein Bilderbuch, das mehr als verdient mit dem BolognaRagazzi Award 2025 in der Kategorie „Comics - Early Reader“ ausgezeichnet wurde, aber nicht nur die „early reader“ anspricht, sondern mit intermedialen Bezügen in den Aquarellen Heidelbachs wie in den Comic-Panels Könneckes auch für erwachsene Leser:innen eine weitere Bedeutungsebene schafft, die es zu entdecken gilt.

Literatur

Hanser Verlag (2024): 5 Fragen an … Ole Könnecke und Nikolaus Heidelbach. Abrufbar unter: https://www.hanser-literaturverlage.de/beitrag/5-fragen-an-ole-koennecke-und-nikolaus-heidelbach-b-585. Zugriffsdatum: 06.03.2025.

Titel: Gutenachtgeschichten für Celeste. Ein sehr gruseliges Bilderbuch
Illustrator/-in:
  • Name: Nikolaus Heidelbach
  • Name: Ole Könnecke
Erscheinungsort: München
Erscheinungsjahr: 2024
Verlag: Hanser
ISBN-13: 978-3-446-28077-9
Seitenzahl: 32
Preis: 18,- Euro
Altersempfehlung Redaktion: 4 Jahre
Heidelbach, Nikolaus / Könnecke, Ole: Gutenachtgeschichten für Celeste