Inhalt

Der Vogel in mir fliegt, wohin er will illustriert die Kindheit und Jugend der Künstlerin Berta Hannson, die im Anschluss an die poetisch gestaltete Erzählung im Rahmen einer kindgerechten biografischen Skizze mitsamt Fotos und Einordnungen zeitgenössischer Ereignisse vorgestellt wird. Das Buch wird durch in kräftigen Farbtönen gehaltene Ölbilder ergänzt, die eine Hommage an das Werk der Künstlerin sind. Teilweise finden sich doppelseitige Illustrationen, die ganz ohne Text auskommen und Lesenden aller Altersstufen die Möglichkeit bieten, in die Farbenwelt der Malerin einzutauchen. Die Leser*innen begleiten die kindliche Protagonistin Berta in eine bäuerliche Welt, in der sie nützlich zu sein hat und in der für Kunst kein Platz ist. Das titelgebende Motiv des davonfliegenden Vogels ist präsent und wird von Berta aufgegriffen, die sich wünscht, sie selbst sei ein Vogel, denn „dann könnte ich wegfliegen“ (S. 12; vgl. Abb. 1).

Abb 1: Wenn ich ein Vogel wär – Berta wünscht sich fort (Lundberg 2024, S. 12f)

Bertas Leben wird neben der harten Arbeit und der Kunst durch die Trauer um ihre an Tuberkulose erkrankte und in der Mitte des Bilderbuchs sterbende Mutter geprägt. Ihre anfängliche Hoffnung, sie durch die Kunst am Leben halten zu können, wird mit dem Tod der Mutter nichtig: „Was spielt es für eine Rolle, was ich mit meinen / Händen gestalte?“ (S. 74). Ohne ihre Mutter fehlt Berta eine wichtige Stütze dabei, ihren eigenen Weg zu gestalten. Fortan muss Berta sich dem Willen ihres Vaters unterordnen, der verlangt, dass sie eine Hauswirtschaftsschule besucht und auf dem Hof arbeitet. Denn der Beruf der Künstlerin ist „Nichts, was man wird. / Schon gar nicht als Mädchen. / Ich weiß, dass Papa so denkt“ (S. 38). Eines Tages wird ausgerechnet eine Erbsensuppe zum Wendepunkt in Bertas Leben: Während sie an ihre Mutter denkt, wird das absichtliche Anbrennen der Suppe zum Moment der Befreiung, indem sie erkennt, sie „werde sterben. / Genau wie Mama. / Ich werde sterben, / wenn ich hierbleibe“ (S. 83). Auf diese Weise kann Berta ihren Vater von ihrer ‚Nutzlosigkeit‘ für Haus und Hof überzeugen. Nach dem Schulabschluss darf sie eine höhere Ausbildung anstreben.

Kritik

Der Vogel in mir fliegt, wohin er will präsentiert verschiedene Blicke auf das Potenzial eines Mädchenlebens und verbindet weitere Themen miteinander. Das Bilderbuch verwebt Themen der weiblichen Befreiung, des Mädchen-Seins und des Muts, den eigenen Weg zu gehen mit der Trauer, die dem Leben immanent ist. Sara Lundbergs Der Vogel in mir fliegt, wohin er will besticht durch die herausragende künstlerische Gestaltung der Themen Emanzipation und Trauer. Dabei überzeugt neben der malerischen Qualität der Bilder vor allem der Fokus auf die Befreiung eines jungen Mädchens von Sachzwängen und einem autoritären Vater sowie eine poetische Sprache, die auch in der Übersetzung durch Friederike Buchinger Tiefgang besitzt und Kinder wie Erwachsene gleichermaßen anzurühren vermag.

Der Text besteht aus kurzen Strophen, die meist aus wenigen Versen bestehen. Große Themen werden durch die lyrische Verknappung auf wenige Zeilen heruntergebrochen und bieten somit für Kinder und begleitende Vorleser*innen Gesprächsanlässe. Ebendiese entstehen auch durch die vielen erzählten Situationen in Bertas Leben, mit denen Kinder ebenfalls etwas anfangen können. Dazu gehören Frustration im Umgang mit Lehrpersonen, Unverständnis von Erwachsenen und das Gefühl des Andersseins. In einem dialogischen Vorlesegespräch kann so auf die Situation Bertas eingegangen werden. Die Lesenden können empathisch über die Steine, die dem Mädchen im Weg liegen, ins Gespräch kommen oder über den Tod der Mutter sprechen. Das Bilderbuch ist darüber hinaus ein Anlass, über die ästhetische Gestaltung und die lyrischen Form der Erzählung zu diskutieren. Sie bietet so die Möglichkeit, Literatur bereits mit Kindern im Grundschulalter auf einer Metaebene zu untersuchen.

Fazit

Der Vogel in mir fliegt, wohin er will ist ein eindrucksvolles Bilderbuch für Lesende jeden Alters. Kindern und Heranwachsenden ab acht Jahren bietet das Buch eine Ermutigung, den eigenen Weg zu finden und zu gehen, unabhängig davon, ob dieser mit gesellschaftlichen Normen bricht. Der Vogel in mir fliegt, wohin er will ist eine Lebensgeschichte, die von Emanzipation, Inspiration und einem unbedingten Einstehen für sich selbst und das eigene Anliegen erzählt. Die Jury des Deutschen Jugendliteraturpreises 2025, für den das Buch in der Sparte Bilderbuch nominiert wurde, stellt fest: „Leser*innen werden beschenkt mit der Erfahrung, dass es sich lohnt, für die eigenen Lebenswünsche einzustehen“.1

 

Arbeitskreis Jugendliteratur (2025): Der Vogel in mir fliegt, wohin er will. Jurybegründung. (zuletzt aufgerufen: 20.10.2025).

Titel: Der Vogel in mir fliegt, wohin er will
Autor/-in:
  • Name: Sara Lundberg
Originalsprache: Schwedisch
Übersetzung:
  • Name: Friederike Buchinger
Illustrator/-in:
  • Name: Sara Lundberg
Erscheinungsort: Frankfurt am Main
Erscheinungsjahr: 2024
Verlag: Moritz Verlag
ISBN-13: 978-3-89565-464-0
Seitenzahl: 123 Seiten
Preis: 18,00 Euro
Altersempfehlung Redaktion: 8 Jahre
Lundberg, Sara: Der Vogel in mir fliegt, wohin er will