Inhalt

Ein Vater lebt mit seinen beiden Kindern in einem Haus, das umgeben ist von dichtem Wald und blühenden Wiesen. Das Grundstück, auf dem das Haus steht, ist jedoch das genaue Gegenteil des verwilderten Waldes: Für den Bau des Hauses extra gerodet, ist dort kein Baum mehr zu sehen. "Sogar ihre Strünke hatte man herausgerissen und verbrannt." (o. P.) Der Vater pflegt das Grundstück penibel: Er mäht den Rasen und jedes junge Pflänzchen, das wächst, rupft er heraus. Seine Kinder zieht es jedoch immer wieder an den Waldrand, wo sie spielen, sich verstecken und den Geräuschen der Natur lauschen. Doch die Kinder werden erwachsen und spielen immer seltener am Wald. Der Vater pflegt unterdessen das Grundstück immer emsiger, so, als wolle er den Auszug der Kinder aufhalten: "Je älter die Kinder wurden, und je näher der Zeitpunkt rückte, da sie das Haus verlassen würden, desto verbissener arbeitete der Vater an seinem Rasen. So schien es jedenfalls." (o. P.)

Doch nicht nur die Kinder werden älter, auch der Vater wird alt. Als er irgendwann den Garten nicht mehr pflegen kann, beschließt er, in die Stadt in die Nähe seiner Kinder zu ziehen und das Haus zu verkaufen. Er geht und zurück bleibt das Haus, das niemand kaufen möchte. Ab und zu kommt der Vater zurück, mäht den Rasen und repariert Fensterscheiben, die von Fremden mit Steinen eingeworfen wurden. Doch auch das hört irgendwann auf.

Das Haus bleibt der Natur überlassen, die nun beginnt, das Grundstück zurückzuerobern. Langsam wachsen die ersten zarten Pflänzchen, die sich zunächst an dem "Zu Verkaufen"-Schild emporranken, dann aber auch auf der Wiese und v. a. an den Hauswänden sprießen. Sie werden größer und größer und langsam zu Bäumen, die das inzwischen verfallene Haus zusammenhalten und verhindern, dass es in sich zusammenfällt. Und während sie wachsen, 'entwurzeln' sie das Haus und heben es empor, bis es zum "Haus in den Bäumen [wird], ein[em] Haus, das zusammengehalten wird von der Kraft der Bäume, und der Wind weht und duftet nach winzigen, grünen Blumen." (o. P.)

Kritik

Koosers Buch Das Haus in den Bäumen besticht v. a. durch die Kombination von Text und Bild, wobei Leserinnen und Leser zunächst durch ein Bild in das Geschehen hineingezogen werden: Es sind die diagonal von unten links nach rechts oben in das Bild hineinführenden Reifenspuren des neben dem Haus parkenden Autos, die die Aufmerksamkeit der Leserin oder des Lesers lenken und zur Bildmitte und damit direkt zum Protagonisten des Buches führen, nämlich zum Haus selbst.

Aus unterschiedlichen Perspektiven – entfernt vom Waldrand aus, aus einer nahen Perspektive, aus der Vogelperspektive oder angeschnitten aus der Untersicht – werden verschiedene Ansichten des Hauses in den Fokus gerückt, wobei immer wieder Einzelheiten ins Auge fallen und dem Haus zu Individualität verhelfen. Die Menschen, die das Haus bewohnen, bleiben demgegenüber anonym, da sie entweder aus großer Entfernung gezeigt werden, sodass Gesichter und individuelle Züge gar nicht zu erkennen sind, oder aber sie werden von hinten in Szene gesetzt, sodass eine Identifizierung des Leser mit den Akteuren erschwert wird. Es ist das vom Menschen gebaute Haus, das durch seine Veränderungen (durch die Pflege und schließlich auch durch den Verfall) individuell und zum Protagonisten der Handlung wird, gleichzeitig aber auch der Natur gegenübergestellt wird.

Der sich aus dieser Kontrastierung entwickelnde Gegensatz Vergänglichkeit vs. Beständigkeit/neues Leben spielt sich somit ab zwischen einem vom Menschen geschaffenen und schlussendlich sich selbst überlassenen Objekt und der Natur, die sich das Stück Land zurückerobert, das ihr vom Menschen abgerungen wurde. Gleichzeitig verwandelt die Natur das Haus in etwas Neues: Sie zweckentfremdet es – seiner eigentlichen Funktion kann das Haus aufgrund des Verfalls ohnehin nicht mehr gerecht werden – und macht es zu einem geradezu verwunschen erscheinenden Baumhaus, das in der luftigen Höhe der Baumkronen einem Nest gleich geschützt ist, aber auch nicht mehr erreicht werden kann.

Die hier zu erkennende Metamorphose – der Zustand des Hauses verändert sich, das Haus wird geradezu magisch der Nutzung des Menschen enthoben – wird auf bildlicher Ebene wunderbar von Jon Klassen inszeniert, der bereits für sein Buch Wo ist mein Hut mehrfach nominiert und ausgezeichnet wurde (u. a. Gewinner der Caldecott medal, der wichtigsten Auszeichnung für Bilderbücher in den USA und des Deutschen Jugendliteraturpreises 2013 in der Sparte Bilderbuch). Die Bilder, deren Elemente mitunter leicht transparent übereinandergelegt eine Collage der Natur zeigen, bestechen gerade durch ihre farbliche Unaufdringlichkeit, mit der sie das Geschehen illustrieren. Dabei gelingt es Klassen, trotz – oder sogar wegen – der z. T. 'stempelartigen' Darstellung (neben klaren Konturen werden einzelne Bildebenen übereinandergelegt), Stimmungen zu vermitteln, die direkt mit dem Haus verbunden werden. So steht das Haus geradezu einsam und verlassen im zart rosafarbenen Sonnenuntergang, Oberleitungen verlaufen an der Straße entlang und verlieren sich am Horizont. Diese Darstellungen Klassens lassen sich wohl mit dem Begriff 'poetisch' am besten beschreiben.

Das auf dem Klappentext des Buches festgehaltene Fazit, dass "Ted Kooser […] mit 'Das Haus in den Bäumen' ein poetisches Bild erschaffen [habe], das für die Kraft und Unbeugsamkeit der Natur und für das Verschwinden der Kindheit steht", ist allerdings zunächst etwas irreführend, bis Leserinnen und Leser den tiefergehenden Sinn des Buches erkannt haben. Kindheit korrespondiert hier auf einer höheren Ebene mit Altwerden und Vergänglichkeit, dem Thema, das der unvergänglichen Natur gegenübergestellt wird und sich nicht nur im Alterungsprozess der Menschen zeigt, sondern auch im zunehmenden Verfall der menschlichen Zivilisation. Damit lässt sich diese wunderbare Geschichte interpretieren als Parabel vom unbeugsamen Willen der Natur und deren Sieg über die vom Menschen 'verursachte' Zivilisation. Letztere wird jedoch nicht komplett zerstört, sondern in die Vegetation integriert und in einen geradezu surrealistischen Zustand überführt, in dem die Zivilisation vom Menschen gar nicht mehr zu erreichen ist. Dessen Versuche, der Natur Herr zu werden, scheitern somit an der eigenen Vergänglichkeit und der Unbeugsamkeit der Natur, die sich ihren Raum zurückerobert. Für Leserinnen und Leser bleibt damit die Erkenntnis, dass sie selbst ein kleiner, vergänglicher Teil der Natur sind, eine Tatsache, der sie im Grunde nichts entgegenzusetzen imstande sind.

Fazit

Ted Kooser ist mit dem Buch Das Haus in den Bäumen eine leichte und gleichzeitig doch tiefgründige Geschichte gelungen, die sich sowohl an Kinder ab ca. 4 Jahren als auch an Erwachsene richtet und der durch die poetischen Bilder Jon Klassens Leben eingehaucht wird. Neben der Kraft und der Beständigkeit der Natur sind es die Themen Alter und Vergänglichkeit, die hier konträr verarbeitet werden und ein harmonisches Bild vom Leben zeigen.

Titel: Das Haus in den Bäumen
Autor/-in:
  • Name: Ted Kooser
Originalsprache: Englisch
Übersetzung:
  • Name: Thomas Bodmer
Illustrator/-in:
  • Name: Jon Klassen
Erscheinungsort: Zürich
Erscheinungsjahr: 2013
Verlag: NordSüd
ISBN-13: 978-3-314-10130-4
Seitenzahl: 32
Preis: 14,95 €
Altersempfehlung Redaktion: 4 Jahre
Kooser, Ted/Klassen, Jon: Das Haus in den Bäumen