Inhalt
Der kleine Schneemann Ben wird zu Beginn des Winters von irgendjemandem gebaut – und scheint sein Dasein als stummer und immer stillstehender Schneemann fristen zu müssen. Doch das mag ihm zwischen den großen Schneemännern, die ihn immerzu ermahnen, er müsse stillstehen, er würde sonst schmelzen, auf Dauer nicht so recht gelingen. Eines Tages kann er sich nicht mehr beherrschen und ein kleines Vögelchen tut das Seinige dazu: "'Probier es doch selbst, kleiner Schneemann. Auch du kannst frei sein…' Die Worte des Vogels verwehten im Wind, als er wegflog." (o. P.) Ben bewegt sich "und konnte nicht aufhören. Er rannte und hüpfte und tanzte und sprang. Dann rutschte er einen Abhang hinab und fiel um und rutschte noch einmal und purzelte wider in den Schnee." (o. P.) Ben erkundet nun die Welt. Mithilfe eines Fahrrades, das er findet, fährt und fährt und fährt er und findet schließlich noch viele andere Schneemänner, die ebenfalls nicht stillstehen. Im Gegenteil: Sie tanzen und lachen und nehmen Ben die Angst, er würde schmelzen, wenn er sich bewege. Ben erfährt von Alfred, dem ältesten Schneemann, dass er sich im Eisland befinde und hier die Sonne nicht scheine, sodass die Schneemänner nicht schmelzen können.
'Hör zu', sagte Alfred. 'Fast alle Schneemänner stehen still. Sie sind festgefroren, weil sie sich nie bewegt haben. Oder sie bewegen sich nicht, weil sie sich fürchten und lieber auf ihrem vertrauten Platz stehen bleiben. Einige von ihnen glauben sogar, dass wir schmelzen, wenn wir uns ein bisschen bewegen!' […] Alfred tätschelte Ben den Kopf. 'Das ist Unsinn. Nur die Sonne kann einen Schneemann zum Schmelzen bringen. Aber hier im Eisland ist es viel zu kalt, die Sonne scheint hier nicht. Darum schmelzen die Schneemänner, die hier leben, nie. […]'" (o. P.)
Kritik
Ben der Schneemann ist eine schöne Geschichte über einen kleinen Schneemann, der die festgefahrenen und für ihn unsinnig erscheinenden Regeln der großen (= erwachsenen) Schneemänner nicht hinnehmen und befolgen will, sondern seinem inneren (kindlichen) Bewegungsdrang nachgibt. Er erkennt, dass die 'Erwachsenen' ihm aus Unwissenheit Regeln vorschreiben und damit die eigene Unsicherheit und Angst verbergen wollen. Implizit wird somit Kritik an Regeln geübt, die nur weitergeben und wiederholen, was 'immer schon' galt, sodass Mut zur Veränderung unterdrückt wird. Gerade dagegen wendet sich das Buch, das dafür plädiert, der eigenen inneren Stimme zu folgen und eigene Entscheidungen zu treffen.
Sprachlich ist die Geschichte in einfachen Sätzen formuliert, sodass auch ungeübte Leserinnen und Leser der Handlung folgen und sie verstehen kann. Viel wörtliche Rede lässt die Geschichte zudem lebendig erscheinen und die Leserin und den Leser an Bens Abenteuer teilhaben.
Zur Lebendigkeit tragen zudem wesentlich die wunderbaren, Doppelseiten füllenden Bilder bei, die den kleinen Schneemann mal inmitten seiner großen Gefährten, mal auf dem Fahrrad und mal beim Herumtollen zeigen, sodass dessen Lebensfreude und Elan visualisiert werden. Wie in vielen Bilderbüchern greifen auch hier narrative und visuelle Ebene ineinander "und [übernehmen] abwechselnd das Erzählen […]" (Thiele 2002, S. 231), sodass der Leser in die verzauberte Winterlandschaft hineingezogen wird.
Was die Lesefreude ein kleines bisschen trüben könnte, ist der abrupte Schluss des Buches, der lediglich Bens Gedanken als Ausblick bietet: "'Morgen früh gehe ich zurück nach Hause, zu Herrn Zylinder, zum Schneesoldaten und den anderen', dachte er. 'Dann erzähle ich ihnen alles über das Eisland…'" (o. P.) Die leichte Irritation, die über das plötzliche Ende hervorgerufen wird, kann jedoch positiv genutzt werden, indem man die Leserin und den Leser animiert, die Geschichte weiterzuerzählen. Das sich daraus ergebende didaktische Potenzial kann dazu dienen, sowohl die kindliche Fantasie anzuregen und gleichzeitig die Sprachfähigkeit zu fördern.
Fazit
Mit Ben der Schneemann, dessen niederländischer Originaltitel Stanneke Sneeuwmanneke einfach erwähnt werden muss, weil er so schön klingt, ist Guido van Genechten ein wunderschönes Winterbuch gelungen, das trotz des abrupten Endes eine überzeugende und v. a. kindgerechte Geschichte erzählt und dazu auffordert, das Leben zu entdecken und neue Wege zu beschreiten. Zusätzlich beinhaltet es auch noch didaktisches Potenzial, sodass es wunderbar sowohl im privaten als auch im schulischen Rahmen für Kinder ab ca. 4 Jahren genutzt werden kann.
Literatur
Thiele, Jens: Das Bilderbuch. In: Taschenbuch der Kinder- und Jugendliteratur in zwei Bänden. Bd. 1: Grundlagen, Gattungen. Hrsg. v. Günther Lange. 3., unveränderte Aufl. Baltmannsweiler: Schneider-Verlag Hohengehren, 2002. S. 228-242.
- Name: Guido van Genechten
- Name: Martin Rometsch
- Name: Guido van Genechten