Inhalt
Das Entenhausen-Universum hat in den Jahrzehnten seines Bestehens eine solche Massen an Geschichten hervorgebracht, dass sich eine ausgefeilte Typologie donaldistischer Textsorten formulieren ließe: Neben den originären Geschichten aus dem abenteuerlichen Alltag von Donald, Dagobert, Tick, Trick und Track, Micky Maus und all den anderen Figuren gibt es mittlerweile hunderte von mal verhohlenen, mal unverhohlenen Aneignungen klassischer Geschichten und Stoffe der Weltliteratur. Eine vierbändige "LTB Sonderedition", wie sie der Egmont Ehapa Verlag nun unter dem Titel Literatur aus Entenhausen für den deutschsprachigen Raum auflegt, liegt dementsprechend nahe. In dieser finden sich teils bereits bekannte Abenteuer aus früheren Lustigen Taschenbüchern oder anderen Heften, teils deutsche Erstveröffentlichungen. Bereits bekannt sind "Die tragische Geschichte von Don-Romeo und Julia" (aus der Feder der Altmeister Guido Martina (Text), Romano Scarpa und Sandro del Conte), "Die Verwandlung des Gregor Ducksa", "Graf Phantula", "Gittas Sommernachtstraum" und "Des Widerspenstigen Zähmung". Erstveröffentlichungen sind "Ducklet", "Nussknacker und Mäusekönig" und "Der Schatz auf der Bohnenranke". Damit liegt nach der mehrbändigen "Entenhausener Weltbibliothek" wieder eine literarisch inspirierte Geschichtensammlung vor.
Kritik
Das besondere an der entenhausischen Klassiker-Aneignung ist, dass die Prätexte auf sehr eigene Art und Weise in den Entenhausen-Kosmos eingegliedert werden und nicht umgekehrt: Es handelt sich nicht einfach um kindgerechte Nacherzählungen mit entischem Personal; stattdessen werden diese Geschichten, ihr Handlungsverlauf, die Figurenkonstellationen, die Grundkonflikte, in den Erzählkosmos rund um die Familien von Dagobert Duck und/oder Micky Maus verwoben.
Manchmal dient der entische Alltag als Rahmenhandlung für die Nacherzählung, so etwa in "Ducklet". Hier nutzen Tick, Trick und Track eine Geschäftsreise nach Dänemark (Dagobert inspiziert eine Räucherheringfabrik), um stilecht als Unterrichtsvorbereitung auf der Klippe des Geisterschlosses von Helsingör William Duckspeares Tragödie Ducklet, Prinz von Dänemark zu lesen. Diese verläuft allerdings etwas anders als wir Menschenweltler sie kennen: Statt sich gegenseitig umzubringen, werden alle handelnden Personen mitsamt Schloss nach und nach durch das vor lauter Intrigen angerichtete Durcheinander unsichtbar, weil sie mit dem Zaubermittel Halluzinus in Kontakt kommen, das der zwar geniale, aber etwas weltfremde Erfinder Kreatio erfunden hat, nur leider ohne Gegenmittel…
Dementsprechend gehorcht auch Gregor Ducksa den Gesetzen des hausen-Kosmos. Gregor ist nicht einfach ein gehetzter Handlungsreisender, der bei Kafka noch gleich zu Beginn ein unliebsames Erwachen erlebt, wie der berühmte Anfangssatz signalisiert: "Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt." Die Entenhausen-Variante entwickelt erst einmal genussvoll die Vorgeschichte, der zufolge Donald in der Rolle des Gregor Ducksa gezwungen ist, seine Schulden bei seinem Onkel Dagotek Ducksa als Handlungsreisender für dessen Stoffladen abzuarbeiten, hingebungsvoll beseufzt vom russischen Hausmädchen Anna alias Daisy Duck, das heimlich in Gregor verliebt ist und umgekehrt. Gregors Verwandlung kommt denn auch nicht gleichsam aus dem Nichts, sondern ist das Resultat einer schiefgelaufenen Doping-Maßnahme Dagoteks, der dem angeblich nichtstaugenden Neffen ein Wachhaltemittel unterjubelt, das er vom Ingenieur Düsinski bekommen hat. Nur leider hat sich Dagotek dabei vergriffen und aus Versehen ein vom Erfinder noch nicht erprobtes Haarwuchsmittel erwischt. Es kommt, wie es kommen muss: Enterich Gregor wacht als mit schwarzen Haaren überwuchertes Monster auf. Noch bevor Düsinski ihm zu Hilfe eilen kann, findet Gregor als Haarmensch Gregor Capelloso Unterschlupf im Zirkus von Dagoteks ewigem Rivalen Kleverini, wo er als neueste Attraktion in schnellster Zeit seine Schulden bei Dagotek abarbeiten will. (Kenner bemerken an dieser Stelle die intermediale Verbeugung vor Filmen wie Freaks und The Elephant Man.) Man kann sich denken, wie es ausgeht: Dagotek und Düsinski finden nach langer Suche den verschwundenen Gregor und verabreichen ihm heimlich das Gegenmittel, genau einen Tag, bevor Kleverini Gregor das versprochene Gehalt auszahlen muss. Entsprechend empört jagt der junge Handlungsreisende im letzten Panel der Geschichte seinem Onkel hinterher, der wiederum Düsinski verfolgt, durch dessen Plappermaul Gregor überhaupt erst erfahren hat, wer an seinem Ungemach schuldig war. Tick, Trick und Track haben dementsprechend recht: "Ein seltenes Bild! Onkel Gregor ist ausnahmsweise mal der Verfolger und die anderen nehmen Reißaus!" (S. 161)
Auf etwas andere Weise als "Ducklet" nutzt auch "Gittas Sommernachtstraum" das Rahmungsprinzip: Die ewig unglücklich in Dagobert verliebte Gitta lässt sich von der Lektüre von Shakespeares Komödie dazu inspirieren, Dagoberts kaltes Herz wie König Oberon mit einer "Lieb-im-Müßiggang"-Blume erobern zu wollen. Diese Blume sorgt bekanntlich dafür, dass sich der Verzauberte in die erste Person verliebt, der er ansichtig wird. (Nun, genauer gesagt ist es Gundel Gaukeley, die Gitta ausspioniert hat und ihr, als alte Wahrsagerin verkleidet, die gewünschte Blume aushändigt, in der Hoffnung, Dagobert lange genug außer Gefecht setzen zu können, um seinen ersten selbstverdienten Taler "Nummer 1" zu ergattern.) Das Resultat ist ein wildes Verwirrspiel: Als Gitta die Blume bei einem Picknick einsetzt, taucht Gundel in Gestalt einer (treffend so genannten) Frau namens Helena auf und erobert folgerichtig Dagoberts Herz, während Gitta nur traurig zuschauen kann. Doch selbst ein verzauberter Dagobert bleibt ein Geizhals, und so verliert Gundel letztlich die Geduld beim Versuch, ihn dazu zu bringen, ihm die Nummer 1 zu vermachen. Da schlägt Gittas große Stunde: Es gelingt ihr, Gundel zu überwältigen. Und um ihre große Liebe auch wirklich aus den Fängen der Hexe zu befreien, tut sie, wozu nur echte Liebe fähig ist: Sie nutzt den Zauberer weiterer lieb-im-Müßiggang-Blumen, um Dagobert wieder mit "seiner einzig wahren Liebe" (S. 266) zu vereinen: seinen "geliebten Talerchen" (S. 265).
Diese Handlungszusammenfassungen zeigen hinreichend, dass auf die Leserschaft wie gewohnt ein vergnügliches Sammelsurium rasanter Chaoserzählungen wartet.
Für den analytischen Blick reizvoll sind die LTB Sondereditionen aber auch deshalb, weil sie Geschichten unterschiedlichen Alters und aus unterschiedlichen Regionen versammeln. (Die Entenhausen-Geschichten werden seit jeher auf verschiedenen Kontinenten von unterschiedlichen Teams geschrieben, wobei in Deutschland vor allem die in Italien entstandenen Varianten bekannt sind. Auch die Geschichten in dieser Sonderedition stammen allesamt aus italienischer Feder.) Erkennbar ist das vor allem am Stil: Orientieren sich die meisten Geschichten am runden und doch verspielten Stil eines Carl Barks oder Don Rosa, mit klaren Farbflächen und sparsamen Hintergründen, ist die Dracula-Aneignung "Graf Phantula", mit Micky Maus in der Hauptrolle, in düsteren Farben mit opulent ausgestalteten, expressionistisch anmutenden Räumen und Figuren gezeichnet. "Graf Phantula" folgt damit ästhetisch der Tendenz der jüngsten Entenhausen-Geschichten vor allem um Micky Maus oder dem neuen Phantomias.
Fazit
Ein wunderbarer Start in die Sonderedition: Zwar sind nicht alle Geschichten gleich unterhaltsam, Spaß macht es trotzdem. Nicht nur das: Diese Art von Entenhausen-Geschichten schreien geradezu danach, im Schulunterricht, aber auch in literaturwissenschaftlichen Seminaren in Verbindung mit ihren klassischen Vorlagen gelesen, reflektiert und diskutiert zu werden. Wie immer im Duck'schen Universum: sie gefallen sechs- bis 99-Jährigen.