Inhalt
834 entsendet der fränkische Kaiser Ludwig der Fromme, ein Sohn von Karl dem Großen, den Benediktinermönch Ansgar auf eine Missionsreise: Er soll die Dänen und andere nordeuropäische Völker zum Christentum bekehren und damit helfen, die notorisch unruhige Nordflanke des Fränkischen Reichs zu befrieden. Als Ausgangspunkt dieser „nordischen Mission“ wird Ansgar die Befestigung Hammaburg zugewiesen. Zusammen mit seinem Zögling Sigibert, den er auf der Reise vom Kloster Corvey in den Norden aufsammelt, macht er sich auf den Weg.
Gegen den anfänglichen Widerstand von Graf Bernhard, dem regierendem Statthalter, und finanziell unterstützt durch Mittel aus einem ihm zugewiesenen Kloster in Flandern errichtet Ansgar ein Gotteshaus, bevor er sich schließlich dem missionarischen Teil der Reise widmet, der die Mönche zu nordischen Handelsorten wie Haithabu führt. Durch den Tod Ludwigs im Jahre 840 und den daraus resultierenden Machtkämpfen verliert Ansgar den Zugriff auf das Kloster in Flandern, was die Missionsarbeit nachhaltig erschwert. 845 wird die Siedlung durch einen Wikingerangriff nachhaltig zerstört. In einem Einzelkapitel, das das Leben eines Wikingerstamms beleuchtet, werden die Vorbereitungen auf diesen Angriff skizziert.
Ansgar und Sigibert überleben den Angriff knapp; Sigibert wird dabei von der jungen und waffenkundigen Siedlungsbewohnerin Gerlinde gerettet. Während Ansgar nach Bremen weiterzieht, dessen Bischof er wird, bleibt Sigibert bei Gerlinde, um mit ihr und den anderen Bewohnern die Hammaburg wieder aufzubauen. Es braucht viele Jahrzehnte, bis diese zu einem florierenden Handelsstandort und sogar ein Erzbistum wird. Heute befindet sich am Standort der alten Hammaburg der Domplatz am Speersort – in der heutigen Millionenstadt Hamburg.
Kritik
Geschichtscomics besetzen eine kleine, aber feine Nische auf dem Markt für graphische Erzähltexte; und damit sind nicht nur die lustigen und frei erfundenen Abenteuer von Asterix und Obelix gemeint, sondern auch solche graphischen Erzähl- und Sachtexte, deren Anspruch es ist, mit Hilfe narrativer Elemente akkurate, aber zugleich unterhaltsame Informationen über ihren jeweiligen Gegenstand zu vermitteln. (Vgl. allgemein zu Geschichte in Comics Mounajed 2008.)
Natters Hammaburg reiht sich ein in den wachsenden Bestand an solchen Comics und graphic novels, die sich mit dem norddeutschen Raum beschäftigen, wie etwa Anke Bär mit ihren Auswanderer- und Kaufmannsgeschichten Wilhelms Reise oder Endres, der Kaufmannssohn. Während Bär einen realistisch anmutenden Zeichenstil pflegt, der ersichtlich aufwändig gestaltete und kolorierte Zeichnungen hervorbringt, sind Natters Bleistiftzeichnungen oft comical mit karikaturistischem Einschlag. Sie zeigen auch die Umgebung, fokussieren aber deutlich die Figuren, deren Gefühlsleben in expressiven Zeichnungen und über die in Sprechblasen aufgeschriebenen Dialoge offengelegt wird. Natters unruhiger Zeichenstil ist nicht unmittelbar zugänglich, wächst einem beim Lesen aber zunehmend ans Herz. Auf überzeugende Weise gelingt es ihm so, die historischen Begebenheiten in personifizierter Form zu vermitteln und dabei historische Akkuratesse mit humoristischen Geschichten zu verbinden. So wird Ansgar einerseits als pflichtergebener Klerikaler skizziert, der als geborener Menschenfänger strategisch klug die ihm gegebenen Ressourcen nutzt, um seine Ziele zu erreichen. Um Hammaburg zu einem attraktiven Pilgerort zu machen, zaubert er ganz in diesem Sinne kurzerhand einen „Schädel des heiligen Sixtus“ als Reliquie für Hammaburg hervor. Zugleich aber skizziert Natter ihn als narzisstische und durchaus auf den eigenen Vorteil bedachtet Person.
Derlei Fiktionalisierungs- und Narrativierungsstrategien sind Programm: Natter nutzt für seine Hammaburg-Geschichte eine Mischung aus historisch verbürgten (Ansgar, Ludwig der Fromme, Graf Bernhard) und erfundenen (Sigibert, Gerlinde) Figuren. Letztere sind jedoch als repräsentativ für damalige Menschen und ihre gesellschaftlichen Funktionen charakterisiert. So weist der aus armen Verhältnissen stammende Sigibert den typischen Lebenslauf eines Benediktinermönchs auf, der weniger aus religiöser Überzeugung, sondern schierer wirtschaftlicher Not schon im Kindesalter eine klerikale Laufbahn einschlagen muss; Gerlinde repräsentiert einen emanzipiert agierenden Frauentypus, die ihre nicht-christlichen Wurzeln noch nicht vergessen hat, die Wikingerfiguren Thorvald und Sven exemplifizieren den Umstand, dass viele Plünderer an den Beutezügen teilnehmen, um sich mit den Kriegsgewinnen daheim ein eigenes Leben mit Familie aufbauen zu können.
Für die Arbeit an Hammaburg hat Natter die Expertise des Archäologischen Museums Hamburg genutzt, das der erst 2005/06 bei Ausgrabungen auf dem Domplatz gefundenen Befestigung 2014 eine Ausstellung unter dem Titel „Mythos Hammaburg“ gewidmet hat. Dass diese graphic novel fundiert recherchiert ist, zeigt sich auch an dem Vorwort von Rainer-Maria Weiss, der als Direktor das Archäologische Museum leitet und hier gleichsam als testimonial fungiert, sowie an der Zeitleiste und der Literaturliste am Ende des Bands.
Fazit
Geschichte ist vielleicht nicht jedermanns Sache; aber die Lektüre von Hammaburg lohnt sich nicht nur für diejenigen, die mehr über die Entstehungsgeschichte der zweitgrößten Stadt in Deutschland wissen wollen. Für den schulischen, regionalgeschichtlichen Einsatz ab der Sekundarstufe I dürfte der Band geradezu prädestiniert sein.
Literatur
Réne Mounajed: Geschichte in Sequenzen. Über den Einsatz von Geschichtscomics im Geschichtsunterricht. Peter Lang, 2009, zugl. Göttingen, Univ., Diss., 2008
- Name: Natter, Jens
- Name: Natter, Jens