Inhalt
Diese Geschichte von Wonder Woman durch annähernd ein Jahrhundert beleuchtet zugleich die Geschichte und vielerlei Geschichten darum herum: Denn Wonder Woman spiegelt auch die Entwicklung des Frauenbildes seit bald 85 Jahren an sich, im Comic und damit auch in der Gesellschaft, der US-amerikanischen. Und das gelingt der Autorin exzellent, wenn sie auch den Schwerpunkt auf deren ‚Geburt‘ Ende 1941 legt und dafür neue Blickwinkel auf ihr Entstehen vorlegt: Mit einer Menge Hintergrund-Geschichten, aufwändig recherchiert und umfassend präsentiert, auf sage und schreibe 550 Seiten! Mittendrin der ‚Autor‘, der eigentlich für andere Themen bekannte William Moulton Marston (Persönlichkeits-Typen, Lügendetektor).
Abb. 1: Jill Lepore: Die geheime Geschichte von Wonder Woman. München: C.H.Beck, 2022. S. 90.
Das reichhaltige Bild-Material dazu kommt je wie ein Panel gerahmt daher, welcher Vorlage es auch entstammen mag (Fotos, Illustrationen, Comics – mit einer Vierfarb-Strecke in der Mitte des dicken Bandes nach S. 276). Mehr als die Hälfte des Textes ist dem Vorlauf zum Entstehen des Comic gewidmet (Teile 1+2 „Veritas“ und „Familienkreis“), um so zu erklären, wie es überhaupt zu einer solch starken Superheldin-Figur kommen konnte (Teil 3 „Paradiesinsel“ und Epilog „Große Hera! Ich bin wieder da!“). Wobei sie letztlich dennoch ein sehr eigenes Frauenbild entwickelt: Feministisch im Auftreten (vgl. Abb. 2), doch „dem Manne untertan“ in subtilen Botschaften. Irgendwie sehr passend zum Leben ihres ‚Erfinders‘, der zeitweise gleich mit drei Frauen zusammenlebte und mit zweien von ihnen Kinder hatte: Eine Patchwork-Familie der etwas anderen Art! Die Geschichte der (Superhelden-)Comics in den USA hat die Autorin gleich mitgeschrieben (Wonder Woman ist beim Verlag DC erschienen, ursprünglich „Detective Comics“), mit vielerlei ergänzenden Details zur Hexenjagd auf Comics dort ab 1954 (CCA = Comics Code Authority). Weit über 400 höchst lesenswerte Inhalts-Seiten für alle, die mit Comics zu tun haben.
Abb. 2: Jill Lepore: Die geheime Geschichte von Wonder Woman. München: C.H.Beck, 2022. S. 295.
Kritik
In der Tat, so der Verlag selbst: „Jill Lepores berühmtes, nun endlich auch auf Deutsch vorliegendes Buch ist ein Kabinettstück. Es erzählt die Geschichte von Wonder Woman und dechiffriert zugleich in einer brillanten Spurensuche die darin versteckte Geschichte des Feminismus. So witzig und geistreich hat noch selten jemand Popkultur und Frauenbewegung miteinander verknüpft. Für ‚Die geheime Geschichte von Wonder Woman‘ hat Jill Lepore Archive durchforstet, Interviews geführt, Tagebücher gelesen und sich durch Gerichtsprotokolle gearbeitet (vgl. „Quellen“ im Anhang, S. 427ff.). Das Ergebnis ist eine rasante Kulturgeschichte, in der ein exzentrischer Psychologe, Erfinder (dem wir auch den Lügendetektor verdanken) und Bigamist, eine aufregende Amazone und die Vorkämpferinnen des amerikanischen Feminismus die Bühne bevölkern.“ Die deutsche Ausgabe ist dazu passend erweitert um ein Nachwort „Der Hyde-Detektor“ (S. 401ff.), in dem die Autorin ergänzt, zu welchen weiteren Quellen sie im Nachklang zum Erscheinen der Originalausgabe Zugang erhalten hat. Ihre Analyse bestätigend und erweiternd, das Bild vom früh verstorbenen Psychologen Marston verstärkend (vgl. Abb. 3): Dr. Jekyll & Mr. Hyde. Die Leserschaft möge ihn „begleiten“ – und so die Facetten der von ihm geschaffenen Figur neu interpretieren! Denn „...ebenso unterhaltsam wie scharfsinnig zeigt die renommierte Historikerin, wie die Kämpfe, Hoffnungen und Rückschläge der Frauenrechtsbewegung hineingewoben sind in die Abenteuer einer Superheldin, die nicht nur bösen Fieslingen, sondern auch dem Patriarchat tapfer die Stirn bietet.“ (Klappentext)
Abb. 3: https://discinsights.com/pages/william-marston-disc
Eine von der Textsorte her zwar wissenschaftlich recherchierte, zugleich allgemein verständlich formulierte „Biografie“ einer sich eher aus der Masse des Superhelden-Universums abhebenden Figur. Die vielen (allen?) Charakteren dieses Genres eigene Ambivalenz findet sich auch bei Wonder Woman früh angelegt, bis hin zu späteren Cover-Auftritten im feministischen US-Magazin Ms. (vgl. Abb. 4): Sie zeigt Rollen-Vielfalt in voller Bandbreite, von Feministin bis betont feminin. Durchaus Janus-köpfig also, resp. Jana-köpfig, interpretierbar als Variante wiederum des Diana-Mythos: Ein bemerkenswerter Aspekt von Dualität und Ambivalenz, den auch diese Ausstellung in Altötting im Sommer 2025 beleuchtet, für Superhelden-Charaktere generell: „Vorbilder mit zwei Gesichtern: Superhelden aus dem DC- und Marvel-Universum“. Eine der Sonntags-Führungen in den bayerischen Sommerferien fokussiert die Rolle von Frauen, auch übers reine Superhelden-Universum hinaus: Frauenbilder in Comics.
Abb. 4: Cover-Woman der neu gegründeten Ms.
Fazit
Der Fokus dieser ausführlichen Genre-Analyse liegt natürlich auf Wonder Woman, allerdings im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen und genereller Comic-Historie: Will sagen, eine Menge Ideologisches wird in diesen Comic-Geschichten transportiert – nun, wie immer eigentlich bei Superhelden :-) ... Interessierte erhalten tiefe wie breite Einblicke in ein gängiges, seit Jahrzehnten gar überbordendes Comic-Genre: Als Sach-/Fachbuch primär für Studium und Lehre geeignet, auch wegen des ausführlichen Anhangs – und ein Must-have für alle, die vom Comic-Enthusiasmus infiziert sind :-) ...
PS: Am 10. August werde ich in Altötting einen trefflich dazu passenden Vortrag halten und danach mit der Besucherschar auf Suche nach Belegen gehen, in der dort vom 21. Juli bis 28. September 2025 angesetzten Ausstellung „Vorbilder mit zwei Gesichtern: Superhelden aus dem DC- und Marvel-Universum“. Mein Arbeitstitel: „Frauenbild à la Comic“, siehe hier: https://www.altoetting.de/tourismus/veranstaltungen/veranstaltung/1500-27-07-2025-2/
Quellen
Lepore, Jill: Die geheime Geschichte von WonderWoman, Beck München 2022 https://www.chbeck.de/lepore-geheime-geschichte-wonderwoman/product/33335938
Junger, Robert: Taschenhirn. Liste Superhelden etc. https://www.taschenhirn.de/literatur/comic-superhelden/
Reiter, Hanspeter: Werden und Wandel(n) von Wonderwoman. Vortrag für die ComFor beim CSE 2022, n.V. (ppt beim Autor erhältlich auf Anfrage)
Reiter, Hanspeter: Frauenbilder in Comics. Vortrag anlässlich der Superhelden-Ausstellung „Vorbilder“ in Altötting 2025, n.V. (ppt beim Autor erhältlich auf Anfrage)
Primär-Quellen = einschlägige Comics: Panini als derzeitiger deutscher Verlag, TASCHEN mit vielerlei Kompendien auch rund um DC und Marvel.
