Inhalt (& Interpretation)

Ein Archipel von über 7.500 Inseln und mehr als 100 Millionen Einwohnern, die sich mithilfe von sage und schreibe 183 Sprachen mehr oder weniger verständigen, mit zwei Amtssprachen (Englisch und Filipino, einem modernisierten Tagalog): Das verspricht eine enorme Vielfalt an Varianten auch im Comic. Diese Erwartung fängt auch das Ehrengast-Motto in Frankfurt ein, das aus einem Zitat aus Rizals oben bereits erwähntem Klassiker Noli me tangere stammt : "Fantasie beseelt die Luft". Doch ein erster Eindruck aus bisher in deutscher Übersetzung erschienenen Exemplaren weist eher gen Krimi, gar "noir", mit durchaus blutigen Auseinandersetzungen. Was auch für allegorische Tier-Geschichten à la George Orwells 1945 publizierten Fabel Farm der Tiere gilt: Geboten mit (der unten vorgestellten) modernisierten Bild-Text-Erzählung Elmer, die auf mehreren Ebenen interpretierbar scheint. Immer wieder spürbar ist das koloniale Erbe, das die spanischen Eroberer nach mehr als drei Jahrhunderten (1565-1898) hinterlassen hatten, inklusive Spanisch als damaliger Amtssprache. Es folgte ein US-amerikanischen "Zwischenspiel" ab 1898 hin zur Unabhängigkeit 1946. Inzwischen war längst der katholischen Kirche vorort der Weg bereitet, ähnlich wie in Lateinamerika, was zu einer Trotz-Reaktion noch viele Generationen später geführt haben mag: Das wird einen oder die andere ein wenig an die Schindel-Schwinger-Alben deutscher Provenienz erinnern...

Konkretere Einblicke mögen diese Schlaglichter bieten, die auf einige herausragende philippinische Comic-Publikationen geworfen werden, als Appetit-Anreger: Wer möchte, kann sich bei Interesse vertiefend mit längeren Einzelbesprechungen auf Comicoscop auseinandersetzen. 

Abb. 1: Cover von Ruvel Abril: Depikto. Mannheim: Dantes, 2025.

z.B. Depikto: Philippinische  Comic-Kunst vom Feinsten, mit einem intensiv-farbflächigen Auftritt plus besonders Panel-variierendem Layout: Von kleinteilig Passfoto-ähnlich über fast klassisch anmutende Sequenzen hin zu größeren Seiten-anteiligen Panels (gar ganz- und doppelseitigen Illustrationen) mit dickstrichig-hinge"pinselten" eher zackigen Grenzen. Ein doppeltes, dickes Lob an den Verlag – fürs Bieten einer Bühne der ungewohnten Story plus dem Künstler und seinem ungewöhnlichen Stil: Eine Meta-Position ist eingenommen, des Künstlers Wirken wie Kunst(werke) an sich in einer (autobiografischen?) Geschichte eingewoben... 

Abb. 2: Cover von Russell L. Molina/Ace C. Enriquez: Josefina. Mannheim: Dantes, 2025.

z.B. Josefina: Philippinische Comic-Kunst zum Zweiten: Als klassische SW-Graphic Novel, mit seltenen Farb-Ausnahmen (Cover plus Plakat-"Zitate", die allerdings auch fast durchgängig nur in Sepia). Ein variables Layout mit Perspektiven-Wechseln, die auch in Panel-Größe und –Struktur ausgedrückt sind - und situativ die Betrachter-Schar hinein zieht in ein Geschehen, das gelegentlich Horror-Charakter annimmt. Ein durchaus happiges Spiel mit Klischees/Stereotypen: Vampir & Rabe dürfen ihre Rollen genauso darstellen wie Hexen-Verbrennung einen Auftritt erhält. Vielerlei interpretatorischer Spielraum entsteht auch dadurch, dass die bildlichen Sequenzen nur phasenweise textlich ergänzt sind, das Visuelle also die Geschichte zu erzählen hat. 

comicsvondenphilippinen abb3Abb. 3: Cover (Softcover-Ausgabe) von Gerry Alanguilan: Elmer. Mannheim: Dantes, 2025.

z.B. Elmer: Vermenschlichtes Verhalten von Tieren – und damit verbundenes entmenschlicht-unmenschliches von Menschen stehen hier im Mittelpunkt: Ein Geschehen zwischen Romantik und Massenmord, auf den Punkt gebracht. Das  SW-Album (mit farbigem Cover) lebt von der ausdrucksstark wiedergegebenen Mimik vor allem der Hühner, die durchaus unterschiedliche Charaktere (sehr menschlich) repräsentieren. Zugleich sind Ansichten geboten, die an klassische (Gemälde-)Kunst erinnern: S. 28 etwa findet sich ein entzückendes ganzseitiges Beispiel, Friede & Freiheit mit weitem Blick im Natur-Kontext, zugleich konterkariert in einer (wie sich dann herausstellt) gefilmten Sequenz mit dem Filmstar aus der Hühner-Familie im Mittelpunkt (S. 92ff.)... Manch Assoziation mag beim Lesen und Betrachten aufkommen, etwa an Art Spiegelmans Maus – und damit an Massenvernichtung im Holocaust: Verdeutlicht u.a. via Schuld-Zuweisungen, hier: Vogelgrippe-Pandemie. Ergo aus verschiedenen Perspektiven interpretierbar...

comicsvondenphilippinen abb4Abb. 4: Cover von Budjette Tan/Kajo Baldisimo: Trese 1 - Mord am Balete Drive. Mannheim: Dantes, 2024.

z.B. Trese 1: Eine Art Horror-Comic ist hier geboten: Da gibt es (z.B.) die Tikbalang, Pferde-Wesen (deren andersartige Sprache durch Negativschrift in schwarzer Sprechblase angedeutet ist), deren Youngster in menschlicher Gestalt plus Schein-Auto sich Rennen mit tödlichem Ausgang für die Konkurrenten liefern. Oder (u.a.) Elementargeister der Luft, die Trese rufen kann – und die wie all die anderen bereits von ihrem Vater Prof. Alexander Tresen im Tagebuch beschrieben wurden. Umgesetzt mit vielerlei Übergriffen zwischen Welten-Dimensionen – und ziemlich brutalen Schlacht- und Tötungs-Szenen: Mir scheint, ein Alters-Hinweis "ab 16" wäre angebracht gewesen... Andererseits bleibt die Wirkung von Horror-Szenarien eine eher gemäßigte, weil anstelle von Farben-Crash alles in einem eher ruhigen SW gehalten ist. Künstlerisch-illustrativ sehr variantenreich, auch in der Panel-Struktur bzw. deren Layout. (Inzwischen sind bereits die Bände 2+3 erschienen.) 

Kritik (Einordnung)

Wer eher Klassisches in philippinischen Comics erwartet, mag enttäuscht sein: Während in Deutschland – neben der inzwischen erfreulicher Weise wachsenden einheimischer Comic-Kunst - nach wie vor US-Superhelden, frankobelgische Serien wie auch inzwischen von italienischer Zeichenkunst beherrschte Disney-Comics den Markt fluten, werden beim diesjährigen Buchmesse-Ehrengast mehr und mehr einheimische Illustratoren veröffentlich, fein! Diese sind allerdings nur bedingt für Jugendliche oder gar Kinder hierzulande geeignet, weil sie teils ziemlich brutal scheinen. – Erkennbar werden auch historische Verbindungen, die der in Deutschland heraus gebende Verlag indirekt herstellt: Comics aus Spanien (Die Schlacht von Simancas etc.), Japan (hielt die Philippinen im Zweiten Weltkrieg drei Jahre lang besetzt - u.a. diverse Titel von Stan Sakai) und den USA (Mercury Heat etwa) finden sich dort neben eben philippinischen. Die wiederum 2025 besonders in den Fokus genommen sind. Den Manga-Einfluss suchte ich bei hiesigen verfügbaren Ausgaben vergebens, weshalb Interessierte auf Original-Ausgaben bei der Frankfurter Buchmesse gespannt sein dürften...

Fazit

Die Comic-Welt der Philippinen ist durchaus eine Reise wert, weil dort Überraschendes zu entdecken ist. Einen Einblick kann die Frankfurter Buchmesse 2025 bieten, mit den Philippinen als Gastland. Und wer sich vertiefend orientieren will, mag einen Blick in meine Sammlung an Rezensionen werfen: Zwölf Titel habe ich besprochen, die auf Deutsch im Dantes-Verlag erschienen sind – viele eben philippinisch, die oben geteaserten inklusive. Kurze E-Mail genügt, schon kommt die Rezensions-Sammlung-PDF: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.. Und was aktuell an Neuerscheinungen im Bereich Graphic Novels & Comics in Deutschland zu finden ist, dazu mehr hier: https://www.buchmesse.de/files/media/pdf/Neuerscheinungen%20Philippinen%202025.pdf

Einige Neuerscheinungen wurden zudem kurz vor der Buchmesse angekündigt: 

 comicsvondenphilippinen abb5

Literatur:

Primär:

Comics bei Dantes https://www.dantes-verlag.de/gesamtprogramm/comics-nach-l%C3%A4ndern/philippinen/

Sekundär:

Rezension Platthaus FAZ+ 13.09.2025 https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/literatur/jose-rizals-romanklassiker-noli-me-tangere-in-neuausgabe-accg-110682167.html

Titel: Diverse Comics von den Phlippinen
Autor/-in:
  • Name: Diverse
Originalsprache: Englisch, Filipino
Übersetzung:
  • Name: Diverse
Erscheinungsort: Mannheim
Erscheinungsjahr: häufig 2025
Verlag: Dantes
Altersempfehlung Redaktion: 16 Jahre