Inhalt und Gameplay
Schon das Intro scheint mehr Fragen aufzuwerfen, als es Antworten gibt: Ein Ball aus Licht geht auf die Erde nieder. Der Drifter steht in einem roten Meer voll lebloser Körper. Er hustet Blut, ein schwarzes Schattenwesen entsteigt dem Boden und wird vom Drifter mit dem Schwert zerteilt. Cyborg-artige Riesen zerbröseln wie Asche im Wind. Ein schwarzes Hundewesen erscheint, dazu schießen monolithische Architekturen aus dem blutnassen Boden. Eine Tür öffnet sich und die beiden treten ein: grelles Licht, Schatten, die nach dem Drifter greifen, rotes Licht, Intro Ende.
Anschließend erwacht der Drifter an einer Steilküste neben einem Lagerfeuer, es stürmt und erneut hustet er Blut aus. Die erste Aufgabe für Spieler*in und Spielfigur lautet daher: Heilung finden.
Fortan durchlaufen die Spielenden eine futuristische und post-apokalyptische Welt. Hund und Riesen aus dem Intro erinnern indes an Versatzstücke ägyptischer und griechischer Mythologie, an den Totenbegleiter Anubis und die Gigantomachie. Dabei folgt das Game einem klassischen Exploration-Muster, bei dem die Spielenden ausgehend vom Basislager ihren Weg in alle vier Himmelsrichtungen freikämpfen müssen.
Neben dem Schwert als Hauptwaffe findet die Spielfigur zusätzlich verschiedene Schusswaffen und Granaten. Die wichtigste Fähigkeit ist jedoch das Ausweichen, denn ausgewichen werden muss hier schnell und viel. Nicht nur, dass unzählige Geschosse und Hiebe von verschiedenen Seiten auf den Drifter eingehen, auch Heilung in Form von Medipacks ist rar. Diese Nähe zum Tod zieht sich als roter Faden durch das Spiel. So kehrt auch das aus dem Intro bekannte Schattenwesen von Zeit zu Zeit wieder und lässt die Spielfigur blutspuckend zurück.
Auf dem Weg durch die Spielwelt sehen die Spielenden nunmehr zahlreiche Hinweise auf Reste einer vergangenen Zivilisation. Scheinbar tote Eisriesen hängen am Abgrund, Städte und ihre einstigen Bewohner*innen liegen versunken unter Wasser. Eine Besonderheit des Spiels ist indes, dass es keine textuellen Informationen gibt. Das Ausrüstungs- und Waffensystem wird ausschließlich durch Icons vermittelt und die Kommunikation mit anderen Weltbewohner*innen geschieht in Form von Bildreihen.
Kritik
Das schnelle Kampfsystem des Games lässt wenig Zeit für Verschnaufpausen. Wenn jedoch ein Raum von gegnerischen Monstern befreit wurde, stellt sich den Spielenden nicht selten die Frage: Was mache ich hier eigentlich – und warum? Alles Gesehene und Erlebte verlangt nach viel Interpretation. Dass die Spielwelt selbst als erzählende Umgebung fungiert, ist ein bekanntes Mittel in Computerspielen. Hierbei werden etwa "Informationen […] durch in der Spielwelt auffindbare Objekte [...] vermittelt oder implizit durch die Architektur der Spielwelt ausgedrückt" (Fahlenbrach, Schröter 2015, 182). Im Fall von Hyper Light Drifter werfen diese Informationen jedoch mehr Fragen auf, als sie Antworten geben. Die atmosphärisch dicht gestaltete Spielwelt mit gefrorenen Riesen am Kartenrand oder desolaten unterirdischen Laborkomplexen lässt nur vermuten, was wohl geschehen sein mag. Die narrative Gestaltung führt hier zu keiner eindeutigen Erzählung. Diese Form der narrativen Verunsicherung ist jedoch keineswegs problematisch – vielmehr zieht sie die Spielenden immer tiefer hinein in die mysteriöse Welt von Hyper Light Drifter. Das Verstehen-Wollen und das Nicht-Verstehen-Können stehen dabei in einem unauflösbaren, aber lustvollen Spannungsverhältnis. "Immersion entsteht hier durch den unweigerlichen Drang, eine unklare Spielwelt verstehen zu wollen." (Madeheim 2021, 85)
Was im Kontext der globalen Weltgestaltung ein stimmiges und durchaus reizvolles Bild der Ratlosigkeit erzeugt, verläuft sich im Kleinen und auf Figurenebene leider im Trivialen. Kommunikation mit anderen Figuren geschieht dort jeweils in Form einer Bildreihe, die ähnlich einer Textbox bzw. Sprechblase über den Köpfen erscheint. Darin erzählen die Bekanntschaften in drei aufeinanderfolgenden Bildern von Leid, Gewalt, Vertreibung, Aufbruch, Flucht und Tod. All diese Kommunikation hilft zwar die Spielwelt zu verstehen, aber auch nicht mehr. Oder andersrum formuliert: Der Informationsgehalt der Bildboxen dient ausschließlich der Lore, jedoch nicht dem Handlungsausbau und Spielfortschritt. So begegnet der Drifter gelegentlich einsam zurückgelassenen Figuren, die von ihrem tragischen Schicksal berichten, deren Geschichte sich jedoch nur unwesentlich auf den weiteren Spielverlauf auswirkt. Beispielsweise im östlichen Inselgebiet, wo Spieler*in und Spielfigur auf ein angekettetes Otterwesen treffen. Es erzählt in drei Bildtafeln, wie es und ihre Artgenossen von froschartigen Kreaturen überfallen (Abb. 1), niedergemetzelt (Abb. 2) und versklavt wurden (Abb. 3). Ob der hieraus abgeleitete Auftrag nun Befreiung oder Rache heißt, ist nicht eindeutig festzustellen. Klar ist nur, dass als nächstes Froschmonster getötet werden müssen. Damit beschränkt sich die Kommunikation mit anderen Figuren leider häufig auf ein immer gleiches und primitives Muster: Anderen zugefügtes Leid soll vergolten werden.
Obwohl die Textlosigkeit in Kombination mit dem kunstvollen Level-Design eine große Qualität des Games ist, erweist sie sich auf Handlungs- und Figurenebene leider auch als größtes Defizit. Die Bildmonologe (Dialoge existieren nicht) der Figuren erscheinen zwar als ein raffiniertes erzählerisches Mittel, jedoch wird deren Potenzial kaum ausgeschöpft. So brauchen die Spieler*innen das Gezeigte gar nicht verstehen, um voranzukommen. Auch ohne jene Begegnungen geht es weiter, wird weitergekämpft, einzig die gegnerischen Kreaturen sehen nun anders aus. Während die textlose Gestaltung der globalen Spielwelt also ein gelungenes und immersives Gesamtbild erzeugt, beschränkt sich das Game auf Handlungs- und Figurenebene leider lediglich auf viel Action und schöne Bilder. Eine dialogische Figureninteraktion findet nicht statt, Charakterentwicklung ebenso wenig. Das rollenspiel-artige des RPG-Genres lässt hier zu wünschen übrig.
Fazit
Hyper Light Drifter ist ein actionreiches Kampfabenteuer voller bunter Farben, schöner Bilder und – um es zumindest hier im Fazit noch zu erwähnen – einem wunderbar melancholischen Soundtrack des Musikers Disasterpeace, der hierfür ein über zweistündiges Album voller sphärischer Piano- und Synthesizerklänge eingespielt hat. Die Musik, die atemberaubende Pixelkunst, die mysteriöse Spielwelt und das rasante Kampfsystem sorgen für ein außerordentliches Spielerlebnis und lassen erwartungsvoll auf den Nachfolger hoffen. Der Mangel an komplexeren Figureninteraktionen etwa in Form sinnvermittelnder Bilddialoge kratzen jedoch am immersiven Gesamtvergnügen, das hierfür mit etwa 20 Stunden Spielzeit fast zu lang erscheint. Denn so fesselnd das Game zu Beginn ist, so eintönig erscheint es auf den letzten Metern. Mit seiner kunstvollen 16-Bit-Ästhetik und den hieraus resultierenden eher abstrakten Gewaltdarstellungen ist es schon für Kinder ab 12 Jahren geeignet.
Literatur
Fahlenbrach, Kathrin u. Schröter, Felix: Game Studies und Rezeptionsästhetik. In: Aktuelle Ansätze der Computerspielforschung. Hrsg. v. Klaus Sachs-Hombach u. Jan-Noël Thon. Köln: Herbert von Halem 2015. S. 165–209.
Hyper Light Drifter. Abylight licensed by Heart Machine. iOS 2019.
Madeheim, Marvin: Das Game als Bilderzählung. Aspekte und Potenziale visueller Narrativität am Beispiel von INSIDE. In: "Loading…" Game Studies Interdisziplinär. Hrsg. v. Tamara Bodden, Marvin Madeheim u. Annegret Montag. Paderborn: Fink 2021. S. 73–87.