Inhalt und Gameplay

Dass man in Videospielen die Rolle eines Helden oder einer Heldin übernimmt, ist keine Neuheit. Das deutsche Entwicklungsstudio Brainseed Factory nimmt dieses Prinzip im Puzzleplatformer Typoman dagegen ganz wörtlich: Die Spielfigur entwickelt sich nach und nach, indem zunächst ein einsames O rollt und springt und sich auf dem weiteren Weg mit den Buchstaben R, H und E verbindet, um 'HERO', das englische Wort für Held zu schreiben und gleichzeitig aus den Buchstaben den Körper des Protagonisten zu formen.

Sprache und Schrift sind nicht nur prägendes Element der Spielwelt, die an die Bücherverbrennung und Verfolgung von Autor*innen in der Zeit des ersten und zweiten Weltkriegs anspielen soll, sie ist auch Kernelement des Spielprinzips. Wie das Genre Puzzleplatformer es beschreibt, müssen im Sidescroll-Prinzip Hindernisse und Ebenen überwunden und dabei Rätsel gelöst werden, die sich rund um Sprache und Schrift drehen. So finden sich Buchstaben in den auftretenden Figuren, aber auch in der Spielwelt: Auf Müllhalden, als Leitern aus dem Buchstaben 'H' gebildet oder in zackigen Abgründen, die mit ihren zahlreichen A’s zugleich für einen stummen Schrei der fallenden Figur stehen können. In einem sogenannten 'WORDSCRAMBLER' werden die auffindbaren Buchstaben in der Welt zu englischen Begriffen zusammengesetzt, die wiederum Mechaniken auslösen oder Einfluss auf die Spielwelt haben. So kann beispielsweise das Wort 'NO' umgedreht werden und als 'ON' einen Schalter betätigen, das Verbinden von 'D' und 'RAIN' ergibt 'DRAIN', sodass Wasser
abläuft und ein Weg passierbar wird.

Brainseed Factory Typoman Abb 1Abbildung 1: Spielprinzip bei Typoman (2015).

Doch der HERO des Spiels sieht sich auch Gegner*innen ausgesetzt, so stellen ebenfalls anthropomorph dargestellte Begriffe wie 'FEAR', 'DOOM', 'HATE' und 'GREED' eine Gefahr dar, vor denen der Held flüchten muss, denn er kann nur mit Worten kämpfen. Doch auch positiv konnotierte Begriffe wie 'HOPE' und 'LIGHT' können vor negativen Einflüssen mit einem Schild aus Licht schützen.

Einen Lichtblick im Leben von Autor*innen stellten nach Recherchen des Entwicklungsteams auch ihre häufig weiblichen Musen dar, die zum literarischen Schaffen inspirierten oder einen Beistand in Zeiten der Not lieferten. In Hommage an solche zentralen Figuren im Leben zahlreicher Autor*innen taucht die Figur einer MUSE im Spiel als schützende Kraft auf, die dem Helden beisteht. Sie hilft diesem immer wieder in den verschieden designten Leveln dabei, brenzlige Situationen zu überstehen und den Weg fortzusetzen.

Brainseed Factory Typoman Abb 2Abbildung 2: Abbildung 2: Gegnerische Figuren 'HATE' und 'FEAR' bei Typoman (2015).

Kritik

Das Puzzeln von Worten nach einem Scrabble-Prinzip stellt im Gamesgenre keine Neuheit dar, so bedienen sich beispielsweise Spiele wie Zombie Typocalypse, Paperback: The Game oder Spellspire der Mechanik eines Eingebens oder Arrangierens von Buchstaben. Was Typoman aber von diesen Spielen, (meist als Casual und Mobile Games) unterscheidet, ist die gelungene Verbindung von Gamedesign und Narration, von Spielmechanik und Spielwelt, die sich alle um das Prinzip des Schreibens und die Macht der Worte drehen. Kombiniert werden diese mit einer einprägsamen, schattenrissartigen Optik und einem eigens für das Spiel designten Soundtrack von SonicPicnic. Die vielen Preise, die das Spiel gewann (unter anderem den deutschen Computerspielpreis 2016 in der Kategorie ‚Beste Inszenierung‘) überraschen also nicht.

Doch darüber hinaus bietet das Spiel auch eine besondere intertextuelle Tiefe. So finden sich in den sogenannten 'Citations', also leicht vom Hauptweg versteckten Collectables, Zitate von Personen wie Bertold Brecht, Abraham Lincoln, Pierre, d’Auvergne, Sun Tzu oder Jean de la Fontaine um nur einige prominentere Vertreter*innen zu nennen. Diese Zitate lesen sich wie Aphorismen, bilden aber hintereinander gerückt auch einen kohärenten Text, der die Spielwelt und die metaphorische Anspielung auf verfolgte Autor*innen explizieren. Dabei wird auch die umgebende Spielwelt durch die Zitate beeinflusst. Während es in einer Citation heißt. "But sometimes I find myself in a loop. How do I escape this writers block?", befindet sich die Spielfigur ebenfalls in einem Loopraum, bei dem alle Ausgänge wieder zurückführen. Erst mit dem Legen des korrekten Begriffes gelingt die Überwindung dieser Blockade, die auch Schriftsteller*innen in ihrem künstlerischen Schaffen hemmt. Immer wieder präsent in den (teilweise leicht angepassten) Zitaten ist aber auch die Figur der Muse, die in einer weiblichen Pronominierung erkennbar wird, wenn es beispielsweise heißt: "She taught me to seek truth over lies, justice over injustice, righteousness over the reward of evildoers." (H. Rap Brown) Oder: "Her light has gone out of my life. It is as if it had never shone." (John Steinbeck) Doch auch die Figur des Heldens, der gerade in Differenz zur weiblich markierten Muse in den Texten zwar nur in Form des ersten Personalpronomens, also ganz im Sinne von Autorschaft als 'I' bezeichnet wird, aber trotzdem eine männliche Lesart evoziert, wird in seinem Streben durch die Zitate näher charakterisiert. Diese narrative Dimension und auch eine Lesart in Verbindung mit dem linguistischen Relativismus (Bodden 2021) sind jedoch nur ein Zusatzangebot, was zum erfolgreichen Meistern des Spieles nicht genutzt werden muss.

Und hier zeigen sich auch die Grenzen des Spiels: So innovativ wie die Spielmechanik auf den ersten Blick zwar wirken mag, nichtsdestotrotz ist der Spielweg abgesehen von wenigen Eastereggs (indem beispielsweise mit dem richtigen Wort Partylichter auftauchen) ziemlich linear und das tatsächlich nutzbare Vokabular eingeschränkt durch die faktisch verfügbaren Buchstaben. So können einige naheliegenden Begriffe zur Lösung eines Rätsels erst gar nicht gelegt werden und auch die nötigen Lösungsworte sind für Nicht-Muttersprachler*innen nicht immer gut erschließbar, sie stellen aber andererseits auch keine unüberwindbaren Hürden dar und die liebevollen Wortspiele in der Welt ('RUSH', man muss sich beeilen oder wird zerquetscht 'CRUSH') machen dies Grenzen der technisch möglichen Umsetzung wieder wett.

Fazit

Die kurze Spieldauer von etwa zwei bis drei Stunden lässt Spieler*innen in die Welt der Texte rund um den schreibenden Helden des Spiels Typoman eintauchen, die durch eine innovative Verknüpfung von Narration und Spielmechanik, durch einen dichten intertextuellen und historisch tiefgehenden Hintergrund in Verbindung mit einem bekannten Casual Game Spielprinzip für unterschiedlichste Spieler*innentypen zu empfehlen ist. Während die USK eine Altersempfehlung von 6 Jahren ausspricht, ist jedoch ein höheres Alter empfehlenswert. Denn abgesehen von der teilweise gruseligen Darstellung gegnerischer Figuren, die den HERO beispielsweise mit Spritzen attackieren oder ihn zerquetschen, ergibt sich eine Einschränkung durch die englischen Worte die gebildet werden müssen, um erfolgreich die Rätsel zu lösen. Das Spiel ist daher frühestens ab einem Schulalter von etwa 10 Jahren zu empfehlen.

 

Literatur

Typoman. Brainseed Factory. Playstation 4. Brainseed Factory. 2015.

Bodden, Tamara: "Are you really seeing blue the way I see it?" Linguistischer Relativismus bei Typoman und Hue. In: "Loading…" Game Studies Interdisziplinär. Hrsg. v. Tamara Bodden, Marvin Madeheim u. Annegret Montag. Paderborn: Fink 2021. S. 183–198.

 

Titel: Typoman
Plattformen: Sony Playstation 4, Sony Playstation X/One, Microsoft Windows (PC), Nintendo Switch, Microsoft Xbox One
USK: 6 Jahre
Entwicklungsstudio: Brainseed Factory
Erscheinungsjahr: 2015
Altersempfehlung Redaktion: 10 Jahre
Brainseed Factory: Typoman