Inhalt und Gameplay

Sable schafft ein narratives Setting, um das Erkunden der offenen Spielwelt zum Spielziel zu erklären: Bei den Ibexi ist es Tradition, dass Jugendliche an der Schwelle der Adoleszenz ihren Stamm verlassen. Sie erhalten zuvor in einem Tempel einen Gliding Stone, der ihnen die Fähigkeit zu Schweben verleiht und das Abbremsen von Stürzen verhindert, sowie ein Hoverbike, das die Reise über die verschiedenfarbigen Wüstenstrecken erleichtern soll.

Dieses Gliding ermöglicht ein Erkunden der Welt, die neben bekletterbaren Felsen, alten Ruinen, Städten und Siedlungen auch abgestürzte Raumschiffe bereithält. Dabei geben Fetch-Quests der NPCs (die mit einem Augenzwinkern auch mal darüber sprechen, dass Glider sowieso nichts Besseres zu tun haben, als Botengänge zu erledigen) und wunderbare Collectibles in Form von Chum-Würmern einen Anlass, die verschiedenen Gebiete zu erkunden, das Hoverbike zu verbessern und allmählich durch das sehr gelungene Environmental Storytelling die vieldeutige Geschichte der Spielwelt zu erfahren. Es gibt keine Kampfsequenzen im Spielgeschehen, man muss weder schlafen, noch Nahrung aufnehmen, denn das einzige essentielle Spielziel ist das Sammeln von Masken verschiedener Professionen. Denn dies ist eine Besonderheit des Planeten: Alle menschlichen Figuren tragen eine Maske, deren Ursprung und Funktion erst nach und nach ersichtlich wird, aber als Verschmelzung von religiösem Artefakt und technischer Notwendigkeit die Welt und die Kommunikation in dieser prägt. Sables Ziel ist es, sich für ein Leben als Erwachsene und damit verbunden eine Profession zu entscheiden: Sie kann zu den Ibexi zurückkehren, sie kann als Mechanikerin, Kartographin, Unterhalterin, Wache oder Kletternde außerhalb ihres Stammes arbeiten oder sie kann sich für einen Weg abseits der etablierten Professionen entscheiden. Schon mit dem Sammeln weniger Masken (durch Erledigen einiger gestellter Aufgaben) ist dieses Spielziel bereits erreicht. Dennoch schafft es das Game gerade mit der Niedrigschwelligkeit des Gameplays, der entspannten Atmosphäre und den immer neu zu entdeckenden Orten zu einer ausgiebigen Spielzeit von bis zu 15 Stunden einzuladen.

 Shedworks Sable Abb.1Abb. 1: In Sable können die Spuren vergessener Zivilisationen erkundet werden. Sable (2021).

Kritik

Man nehme alles, was gut besprochen wurde an Nintendos Breath of the Wild, füge ein Artdesign à la Moebius und einen eingängigen Soundtrack der Indie Band Japanese Breakfast hinzu und subtrahiere alles, was die perfekte Idylle stört, wie z.B. das lästige Kämpfen. Der Vergleich mit dem erfolgreichen Zelda-Titel ist sehr gängig in Kritiken, da die grundlegenden Spielmechaniken des Kletterns und Gleitens beide Games stark prägen und das Gefühl der Freiheit der offenen Welt, des liebevollen Charakterdesigns des Studios Shedworks dem Triple-A-Titel Nintendos in nichts nachsteht. Besonders die reduzierte visuelle Ästhetik der Spielwelt mit den gedeckten Farben trägt zu einem Gefühl der Entschleunigung bei und geht Hand in Hand mit der Reduktion interagierbarer Elemente und endlosen Nebenquests, die häufig im Adventure-Genre zu finden sind. In einigen wenigen Bugs und Grafikfehlern, die auch noch Monate nach dem Release im Game verbleiben, sieht man dagegen vielleicht, dass hinter dem Spiel doch nur ein kleines Studio mit begrenzten Ressourcen steckt. Diese Fehler verzeiht man dem Spiel jedoch, obwohl sie gerade bei einem Zen-Adventure die Immersion etwas stören. Während die Spielwelt mit ihrem Sandplaneten zwar wenig Abwechslung in Flora und Fauna (die fast ausschließlich aus Käfern, Kakteen und Palmen besteht) bietet, sind gerade die Spuren der vorangehenden Bewohner*innen des Planeten, das alternative Solarsystem mit seiner Wissenschaft und seinen Mythen unglaublich innovativ und liebevoll gestaltet und es werden mit jeder Antwort doppelt so viele neue Fragen aufgeworfen.

Neben der Hauptfigur Sable bilden auch die anderen Figuren der Spielwelt, die ganz selbstverständlich auch nichtbinäre oder behinderte Menschen einschließen, ein besonderes Mysterium, da sich ihre Gesichter stets hinter einer Maske verbergen. In den Dialogen scheinen jedoch immer wieder eine versteckte Mimik oder paraverbale Zeichen hindurch. Diese werden durch eine ungewöhnliche narrative Perspektivierung mit Sable als fokaler Figur dargestellt, wenn es beispielsweise heißt: "I can feel Jadi smiling behind her mask, just as I know she can feel the teeth-baring little grimace behind mine." Alle Dialoge werde dementsprechend aus der Perspektive Sables gleichzeitig zum Geschehen im Spiel erzählt, was im Gegensatz zu manchmal langwierigen Textboxen bei unvertonten Games eine ganz persönliche Nähe zu Sable und ihren Blick auf die Welt (trotz verborgener Mimik) gibt. Dabei spielt immer die Vermittlung von Emotionen und die Einschätzung der anderen Personen eine besondere Rolle, beispielsweise wenn sie auf ihrem Weg erneut auf eine Bekanntschaft trifft: "I greet her with the accidental enthusiasm of a traveler finding a friend. She smiles behind the mask, I think." Es werden also Fragen über das soziale Miteinander, die Wahl der Worte und die Verbindungen mit einem Menschen, dessen Gesicht man nie sieht, aufgeworfen.

Shedworks Sable Abb.2Abb. 2: Die weiten Wüstenlandschaften laden zu einer Tour mit dem Hoverbike ein. Sable (2021).

Neben diesen zeichen- und emotionstheoretischen Besonderheiten (vgl. als Überblick zur Emotionssemiotik z.B. Markel 1998, Holodynski 2006) eignet sich das Spiel ganz besonderes für Jugendliche als Metapher für den Prozess der Adoleszenz: Das Verlassen des Altbekannten, das Ausziehen in die Welt um mehr oder weniger planlos Erfahrungen zu sammeln, Begegnungen zu machen und neue Dinge kennenzulernen und das Gefühl der unendlichen Wahl mit dem gleichzeitigen Zwang zur Entscheidung – das Erwachsenwerden könnte kaum treffender spielerisch dargestellt werden. Wenn die abgetrennte Gegend der Ibexi, die als Tutorial und Prolog dient, verlassen wird, man auf dem Hoverbike in die endlosen Weiten des Planeten eintaucht und plötzlich der Soundtrack einsetzt, fühlt man sich unendlich frei. Und auch noch nach vielen Spielstunden fällt es schwer, den eigenständig gewählten Endpunkt zu setzen, zu den Ibexi zurückzukehren und sich bei einer Zeremonie im Tempel für eine Maske zu entscheiden. Es gibt kein New Game Plus, die Entscheidung ist das Ende des Games und gerade aus dieser Zwanglosigkeit heraus überlegt man als Spieler*in selbst, wie Sables Leben aussehen kann, wie die Geschichte nach dem Schlusskapitel weitergeht. Auch das Studio beschreibt die Kernelemente der Narration als "lessons of life, family, and being a part of something greater than one’s self." (Raw Fury)

Fazit

Sable ist für alle zu empfehlen, die sich gerne in ein Adventure vertiefen, aber nicht den Stress eines Kampfsystems wollen, die spannende Charaktere kennenlernen, aber sich nicht dem ewigen Verbesserungsdrang von RPGs unterwerfen wollen. Es ist ein Spiel, das einem vorführt, dass es eben manchmal nichts bringt, jede Pflanze oder Käferkacke als Ressource zu sehen. In Sable werden keine Ressourcen benötigt, es gibt nichts weiter zu kaufen, wenn man bereits genug dekorative Kleidungsstücke und ein schnelles Hoverbike hat. Es ist ein Casual Game, dass Spielende aller Altersgruppen zu einer entspannten Erfahrung einlädt, denn die Bedienung der Spielfigur ist relativ intuitiv und seit 2022 ist auch eine deutsche Übersetzung des Spiels verfügbar. Das Game bietet zudem gerade für Jugendliche ein attraktives narratives Setting zur Auseinandersetzung mit Fragen der Identität.

 

Literatur

Holodynski, Manfred: Emotionen - Entwicklung und Regulation: mit 16 Tabellen. Berlin: Springer 2006.

Markel, Norman: Semiotic Psychology: Speech as an index of emotion and attitudes. New York u.a.: Lang 1998.

Shedworks: Sable. Raw Fury. Xbox series x/s 2021.

Raw Fury: Gamebeschreibung Sable. 2021. Hier online abrufbar.

Titel: Sable
Plattformen: Microsoft Windows (PC), Microsoft Xbox Series s/x, Microsoft Xbox One
USK: Unter 2 Jahre
Entwicklungsstudio: Shedworks
Erscheinungsjahr: 2021
Altersempfehlung Redaktion: 6 Jahre
Shedworks: Sable