Inhalt und Gameplay

Eine Katze stürzt einen Abgrund hinab und erwacht im Dunkel einer unterirdischen Großstadt. Schnell trifft sie auf die Drohne B12, die ihr Gedächtnis verloren hat. Während die Drohne nach und nach ihre Erinnerungen zurückerlangt, öffnet sie der Katze hilfsbereit Türen, verwaltet Items und dient ihr als Übersetzerin der fremden Sprache. Bewohnt wird die Unterstadt nämlich von Robotern, die seit mehreren Jahrhunderten ein einsames Dasein unter der Erde fristen. Sie heißen die Katze in ihrem "Dorf" willkommen, "solange du niemanden frisst." Die Angst vor kleinen Plüschwesen kommt nicht von ungefähr. Größter Feind der Roboter sind die kleinen allesfressenden Zurks, die einer Katze nicht unähnlich sehen und auch den Spieler*innen gehörig einheizen werden. Die Roboter haben sich indes als einstige maschinelle Stadtreiniger im Laufe der Jahrhunderte weiterentwickelt und eine Existenz auf den Ruinen der menschlichen Zivilisation begründet. Obgleich zunächst noch unklar ist, was die Roboterpopulation in der düsteren Unterweltstadt antreibt, kommen die Spieler*innen nach und nach einem Rätsel auf die Spur, bei dem die Menschen und ihr Müllproblem im Zentrum der Katastrophe stehen. 

Das Ziel des Spiels ist es nunmehr, einen Weg zurück an die Oberfläche zu finden. Die Reise führt dabei durch enge Straßen, eine sumpfige Industrielandschaft, die Kanalisation und neonbeleuchtete Hochglanzviertel. Trotz der verwinkelten Stadt ist man als Spieler*in stets gut orientiert. Kleine und nur selten aufdringliche Hinweispfeile in Form von Graffitis oder Leuchtschildern helfen dabei, sich zurechtzufinden, ohne das ansprechend-detailreiche Leveldesign zu stören. Das 'Katze-Sein' funktioniert dabei besonders gut im urbanen Raum, wo die Spieler*innen immer wieder dazu angehalten werden, Dachpassagen über Klimaanalgen und Balkone zu erklimmen und so den Weg durch die dichte Stadt zu finden. Hinzu kommen Stealth- sowie rasante Laufpassagen, bei denen die Katze viel Ausweichen, Sprinten und Springen muss. 

Lobend zu erwähnen ist der gute (weil sinnvolle) Einsatz von Collectables, bei denen etwa gefundene Notenblätter von einem Roboter mit Gitarre einmalig vorgespielt werden, was einen Fund stets mit musikalischer Vorfreude verbindet.

Kritik

Die anfängliche Euphorie, eine Katze steuern zu können (die auf Knopfdruck mauzt), verblasst zwar nach einiger Zeit, wird jedoch schnell aufgefangen von der klugen Konzeption der Handlung und Spielwelt. Interessant ist dann nämlich weniger das Katze-Sein – viel beeindruckender ist hingegen der Aspekt, dass die Spieler*innen als Tier auf Roboter treffen, die versuchen, wie Menschen zu sein. Sie kümmern sich nicht nur um die Pflanzen, die ähnlich roboterhaft mittlerweile ohne Licht auskommen, – das Roboter-Sein wird zudem immer wieder in Abgrenzung zum einstigen Mensch-Sein thematisiert, wenn beispielsweise eine KI angesichts des eingangs zitierten RIP-HUMANS-Graffitos über das Wesen des eigenen Todes spekuliert.

Bluetwelve Studio Stray Abb 1Abb. 1: Erstkontakt zwischen Katze und Robotern. Stray 2022.

Eine ebenfalls ausgesprochen kluge Entscheidung von Seiten der Entwickler*innen ist es, Katze und Drohne als Tandem wirken zu lassen. Durch die Drohne als Begleiterin kann die Katze ganz Tier sein. Es bedarf keiner (bzw. nur wenig) Antropomorphisierung, um aus dem Tier eine ansprechende Spielfigur zu machen. Interessant ist hier nicht das Tier, sondern seine fliegende Begleiterin, die in den Gesprächen mit den Robotern und in monologischen Erinnerungssequenzen nicht nur die Hintergrundgeschichte der Welt erforscht, sondern zudem auch noch äußerst spannende Dinge über sich selbst erfährt – und damit zu einer tragenden Identifikationsfigur avanciert. Mit der Drohne als handlungstragenden Figur kann die Katze weitestgehend als Tier wirken. Wenig tierlich ist freilich die Fähigkeit, qua Übersetzung die Roboter zu verstehen sowie die Bereitschaft zur Hilfe. Das Tandem aus Tier und Maschine verbindet somit vor allem ein sehr menschliches Gefühl: nämlich Empathie. Diese Form des "interspezifischen Empathisierens" (Rettig 2022, 197) führt dabei immer wieder zu emotionalen Spielmomenten im Miteinander der beiden Figuren. Damit changiert das Spiel einerseits zwischen einer konventionellen aber guten Storyline, für deren Vermittlung hauptsächlich die Drohne zuständig ist – und andererseits entspannten Erkundungstouren inklusiver atemberaubender Ausblicke von den Dächern der immer dunklen Neon-Stadt. Abgerundet wird das Ganze durch sanft-dumpfe Synthesizer-Klänge, die stets subtil und niemals aufdringlich die futuristische Großstadt-Dystopie untermalen.

Bluetwelve Studio Stray abb 2Abb. 2: Die Katze durchschreitet die neonbeleuchteten Gassen der dunklen Großstadt. Stray 2022.

Während das Game im Hinblick auf die Spielwelt und Handlung durchweg überzeugt, zeigt sich mit Blick auf das Gameplay jedoch eine etwas größerer Schwachstelle: das Springen. Dieses ist nämlich als Objektinteraktion ähnlich dem Kratzen an Türrahmen oder dem Hinlegen auf kuscheligen Untergründen an bestimmte Objekte gebunden und wird durch das Erscheinen eines Button-Symbols angezeigt. Dass die Katze sich nicht an jedem Türrahmen die Krallen wetzen können muss, ist durchaus plausibel. Dass hingegen auch jeder Sprung eine objektbezogene Handlung ist, irritiert ungemein. Gesprungen werden kann nur, wenn ein anvisiertes Objekt hierzu 'geeignet' ist. Ein unfreiwilliges Herunterfallen wird hierdurch zwar vermieden und insgesamt sehen durch jene Gameplay-Entscheidung die Bewegungen der Katze durchweg sehr flüssig und galant aus. Gleichzeitig jedoch nagt jene Restriktion am Gefühl des Herumstreunerns, wenn viele augenscheinlich erreichbare Plattformen, Kisten und Wandvorsprünge nicht besprungen werden können und stattdessen auf Knopfdruck einfach nichts passiert. Hier wird das sonst sehr gut umgesetzte lineare Leveldesign des Games auf negative Weise sichtbar. 

Fazit

Stray ist ein recht gewöhnliches Adventure-Game aus einer außergewöhnlichen Perspektive. Die Stärke des Spiels liegt in seiner Gleichzeitigkeit von sinnvergessenen Streunertouren und berührender Endzeiterzählung über das tragische Ende der Menschheit samt emotionaler Einzelschicksale. Vor allem das Leveldesign der atmosphärisch dichten Großstadt überzeugt dabei als Spiel- und Erkundungswiese für Mensch und Tier. Mit seinen knapp zehn Stunden Spielzeit ist Stray daher ein Muss für alle Adventure-Fans und Katzenliebhaber*innen gleichermaßen. Geeignet ist es ab 10 Jahren.

Literatur

Rettig, Heike: Versuche der Grenzüberschreitung. Zur Rolle der Empathie in der Interspezies-Interaktion. In: Mensch – Tier – Maschine. Sprachliche Praktiken an und jenseits der Außengrenze des Humanen. Hrsg. v. Miriam Lind. Bielefeld: Transcript 2022. S. 195–227. 

Stray. BlueTwelve Studio. Playstation 4. 2022.

Titel: Stray
Plattformen: Sony Playstation 5 , Sony Playstation 4, Microsoft Windows (PC)
USK: 12 Jahre
Entwicklungsstudio: BlueTwelve Studio
Erscheinungsjahr: 2022
Altersempfehlung Redaktion: 10 Jahre
BlueTwelve Studio: Stray