Inhalt und Gameplay

Vella Tarine wird eine große Ehre zuteil: Sie darf in diesem Jahr mit vier weiteren Mädchen der Gemeinde Zuckerdosendorf am Maidenmahl teilnehmen. Verpackt in ein Kleid aus Kuchen wird sie so zur Opfergabe für das Monster Mog-Chothra, eine Beschwichtigung, damit dieses nicht das gesamte Dorf angreift. Doch Vella hinterfragt die Tradition und sieht sie im Gegensatz zu ihren Mit-Maiden nicht als Ehre: Warum müssen nur Maiden, also Frauen geopfert werden? Und noch entscheidender: Warum muss überhaupt jemand geopfert werden, anstatt zu versuchen, das Monster zu bekämpfen?

 DoubleFine BrokenAge Abb. 1Abbildung 1: Vella Tarine (in der Bildmitte) soll mit anderen jungen Mädchen dem Monster Mog-Chothra geopfert werden –  eine große Ehre und die Möglichkeit, das Dorf und ihre Familie vor einem Angriff zu schützen. Screenshot aus Broken Age (2015).

Während also Vella gegen ein zu enges Kuchenkleidkorsett, die Erwartungen ihrer Familie und ein fliegendes Ungeheuer kämpft, hat Shay Volta tagtäglich die Qual der Wahl nicht nur zwischen unterschiedlichsten gleichschmeckenden Cornflakes, sondern auch zahlreichen Heldentaten: Sollen heute niedliche Stoffpuppen aus einem Eisberg (durch gekonntes aufessen) befreit werden oder muss er ein (nie eintretendes) Zugunglück seiner gestrickten Freunde verhindern? Im Mikrokosmos seines Raumschiffes wird Shay schon sein Leben lang täglich von einer Mutterfigur (dargestellt durch ein Gesicht in einer Sonne) betreut mit Körperpflege, Nahrung und ungefährlichen Abenteuer-Aktivitäten – nachts wird er wiederum durch seinen Vater (als Mond) im Schlaf überwacht. Sein Schiff befindet sich unterdessen auf der Mission „Löwenzahn“: einer nichtendenden Suche nach einem neuen Heimatplaneten, nachdem seine Ursprungswelt Loruna unbewohnbar wurde. Schon das Durchleben weniger Tage lässt die Spieler*innen durch Repetition den stumpfen Alltag Shays nachempfinden und es stellt sich die Frage: Wie kann man das System einer perfekten Kontrolle umgehen? Wie kann Shay ein echtes Abenteuer erleben und das Steuer des Raumschiffs (anstelle einer Kinderattrappe im Cockpit) übernehmen?

 DoubleFine BrokenAge Abb. 2Abbildung 2: Shay Volta wächst isoliert in einem Raumschiff auf, in dem Roboter für sein leibliches Wohl sorgen. Screenshot aus Broken Age (2015).

Ein Wechsel zwischen den beiden Geschichtssträngen ist über ein Icon der jeweils anderen Spielfigur jederzeit möglich und auch nötig, um die Geschichten voranzutreiben. Denn auch wenn Shay und Vella sich lange Zeit nicht begegnen, sind ihre Schicksale miteinander verstrickt: Nur das Vorangehen einer Geschichte lässt auch die zweite fortschreiten. Dabei kann eine Welt mit sprechenden Löffeln und Bäumen, fliegenden Nestern mit goldenen Eiern und voller skurriler Bewohner*innen entdeckt werden. Als Gameplay-Mechanik steht den Protagonist*innen jeweils ein Inventar mit gesammelten Gegenständen zur Verfügung und neben Gesprächen können diese Gegenstände eingesetzt werden, um miteinander verkettete Rätsel und Abenteuer zu lösen.

Kritik

Broken Age zieht die Spieler*innen zunächst mit einer bestechenden Optik in den Bann: Durch die Nutzung von Sprites  (also von der Game-Welt unabhängigen generierten Graphiken) bei den Spielfiguren, können diese über handgezeichnete Hintergründe bewegt werden. Auditiv wird das Spielerlebnis durch einen eigens orchestrierten Soundtrack unterstützt und auch das Voice-Acting hat in der englischen Fassung u. a. mit Elijah Wood, Jack Black und Jennifer Hale ein Staraufgebot. Während das Spiel zunächst nur auf Englisch mit verschiedensprachigen Untertiteln erschien, ist mittlerweile auch eine komplette deutsche Synchronisierung verfügbar.

 DoubleFine BrokenAge Abb. 3Abbildung 3: Die Spielfiguren lassen sich als Sprites über die aufwändig gestalteten, teils animierten Hintergründe bewegen, sodass das Spiel auch über die wenigen Cutscenes hinaus eine handgemalte Optik behält. Screenshot aus Broken Age (2015).

Neben einer sehr überzeugenden visuellen und auditiven Darstellung der Welt, liebenswerten und skurrilen Charakteren und viel Humor in den Dialogoptionen und im Design, ist ein großer (hier auszusparender) Plot-Twist in der Story eine Besonderheit des Spiels, der die Welt rund um Vella und Shay so außergewöhnlich macht. Auch die Reibung der unterschiedlichen Charaktere, einer energischen und emanzipatorischen Vella gegenüber dem meist lethargischen Shay sorgt für eine Spannung, die im Abspann des Spiels (zum Glück) nicht final als Erfüllung einer heteronormativen Beziehungskonstellation auserzählt wird. Für eine positive Irritation sorgen aber auch die NPCs, die auch auf obskure Gegebenheiten meist fatalistisch mit ihrem Schicksal verbunden reagieren und erst durch gewaltvolle Eingriffe in die Welt zu einer Veränderung ihrer Gewohnheiten bewegt werden.

Trotzdem gibt es auch einige Kritikpunkte am Spiel, denn die Rätsel im Point-And-Click-Genre sind auch hier häufig nur durch ein ständiges Ausprobieren der Gegenstände in Interaktion mit anderen Personen und Objekten möglich. Dabei müssen zum einen immer wieder lange Wegstrecken ohne Shortcuts bewältigt werden, aber auch jeder Trial-And-Error Prozess ist mit einer immersiven Kommentierung durch den gespielten Charakter verbunden „das passt hier nicht“, die jedoch über einen Steuerungsbefehl auch übersprungen werden kann. Wer also keinen Spaß an einem stundenlangen Rumprobieren der manchmal unintuitiven Rätsel hat, wird vermutlich schnell bei kniffligen Stellen zu einer online verfügbaren Komplettlösung greifen.

Andererseits ist aber auch die Fallhöhe des Scheiterns nicht sehr groß, da einem endlos Zeit zur Verfügung steht und auch wenn man (wie in Abbildung 3 sichtbar) in einem schwebenden Dorf aus allen Wolken fällt, kommt stets ein Wachvogel, der einen heil zurückbringt. Diese Konsequenzlosigkeit und eine fehlende zeitliche Bedrängnis stehen wiederum manchmal in einer ludonarrativen Dissonanz zum Spielgeschehen: Während also Shay und Vella zwar um ein selbstbestimmtes Schicksal kämpfen, steht ihnen und den Spieler*innen nur eine stringente Erzählung mit einem Lösungsweg ohne kreative Abzweigungen zur Verfügung. Insbesondere das Ende der Geschichte, die so vielversprechend startete, ist dementsprechend ernüchternd: Es wird zwar eine (nicht nur metaphorische) Brücke zwischen den zwei Welten gebaut, doch die tiefgehenden Fragen eines gesellschaftlichen Wandels, einer mordenden regierenden Elite werden in kürzester Zeit aufgeworfen und verpuffen dann ohne jegliche Beantwortung, der Abspann zeigt in Comics dagegen nur das individuelle Happy End aller auftretender Charaktere.

Finanziert wurde das Projekt des Indie Studios Double Fine übrigens über eine sehr erfolgreiche Kickstarter-Kampagne, gestartet vom Initiator des Projekts Tim Schafer, der auch den Genreklassiker Grim Fandango (1998) verantwortete. Das Spiel wurde in zwei Teilen mit einer Preview 2014 finanziert und trat aufgrund seines Erfolgs sogar einen Trend der Crowdfinanzierten Games los (Postinett, 2012). Das Kickstarter-Projekt wurde übrigens auch filmisch begleitet und ist in einer Dokumentation auf Youtube verfügbar.

Fazit

Broken Age ist wie im Logo und Namen versprochen eine geteilte Welt: Gegensätzliche Protagonist*innen werden durch eine faszinierende Story begleitet, spannende Charaktere und eine visuell ansprechende Optik stehen einer oftmals eintönigen Game-Mechanik gegenüber.

Während abgesehen von einem Spicken in die online auffindbaren Komplettlösungen die Rätsel nur mit viel Zeit über Trial and Error gelöst werden können, eignet sich das Spiel auch für ein jüngeres Publikum. Bis auf eine Einstiegssequenz mit dem Monster Mog-Chothra (das eher dem Flying-Spagetti-Monster ähnelt) finden sich keine Gewaltdarstellungen und keine In-Game-Tode. Geeignet ist es daher bereits ab 10 Jahren.

Das Spiel ist also ein absolutes Muss für Fans des Point-And-Click-Genres, kann aber auch einen geeigneten Einstieg für Casual Gamer oder Puzzler darstellen.

Literatur

Axel Postinett: Die Millionenmacher. Kickstarter macht kreative Köpfe reich. Handelsblatt vom 10.02.2012. Hier online abrufbar.

Nordic Games: Broken Age. Double Fine Productions. XBox S 2015.

Titel: Broken Age
Plattformen: Microsoft Xbox, Sony PS VITA, Sony Playstation 4, Sony Playstation X/One, Mobile Game iOS, Mobile Game Android, Microsoft Windows (PC), Nintendo Switch, Microsoft Xbox Series s/x, Microsoft Xbox One
USK: Unter 2 Jahre
Entwicklungsstudio: Double Fine Productions
Erscheinungsjahr: 2015
Altersempfehlung Redaktion: 10 Jahre
Double Fine Productions: Broken Age