Inhalt und Gameplay
In A Plague Tale: Innocence begleiten die Spieler*innen die Geschwister Amicia und Hugo auf der Flucht vor der Inquisition. Diese will den kleinen Hugo entführen, denn er leidet an einer zunächst unerklärlichen Krankheit. Er ist der Träger der Prima Macula, einem Fluch, der ihn direkt mit der pestbringenden Rattenflut verbindet und sich im Verlauf des Spiels als besondere Gabe bzw. Fähigkeit herausstellt.
Nachdem ihr elterliches Anwesen von Soldaten der Inquisition überfallen wurde, beginnt für das Geschwisterpaar eine gefährliche Reise durch eine von Krankheit und Krieg gezeichnete Welt. Dabei müssen sie sowohl der Pest als auch ihren Verfolgern entkommen – und eine Heilung für den fünfjährigen Hugo muss auch gefunden werden, denn sein Zustand verschlechtert sich zunehmend. Auf ihrer Reise treffen die beiden auf andere junge Menschen, denen die Inquisition ebenfalls großes Leid zugefügt hat und mit denen sie sich verbünden. Als die Geschwister erfahren, dass ihre totgeglaubte Mutter noch lebt und von der Inquisition gefangen gehalten wird, beschließen sie, sie zu befreien.
Spielmechanisch lässt sich A Plague Tale als ein Mix aus Stealth-Game mit Puzzle-Elementen und Survival-Horror charakterisieren. Die Spieler*innen müssen Rätsel lösen, sich vor Feinden verstecken und kämpfen, um in der Spielwelt bestehen zu können. Die eher einfachen Schleich- und Puzzle-Passagen sind abwechslungsreich, sodass das Game zwar recht leicht zu bewältigen ist, jedoch nicht repetitiv wirkt. Obgleich die Level linear aufgebaut sind, wirken sie keineswegs schlauchig. Im Gegenteil wird vor allem zu Beginn häufig ein Gefühl von Orientierungslosigkeit erzeugt, etwa wenn Amicia abgehetzt durch die leeren Gassen eines Pest-Viertels flüchten muss. Das Fehlen eines HUD (heads-up display) verstärkt dieses Gefühl, gleichzeitig wirkt das gesamte Geschehen hierdurch cineastischer. Amicias Steinschleuder, die zunächst dazu dient, Gegner abzulenken und Rätsel zu lösen, muss indes bald tödlich eingesetzt werden, um sich der Aggression anderer zu widersetzen. Dabei weichen die Stealth-Passagen im Verlauf des Spiels zunehmend aktiven Kampfhandlungen, bei denen Amicia mithilfe ihrer Schleuder Gegner zumeist aus einer Deckung heraus ausschalten muss. Grafisch zeichnet sich das Game aus durch seine sehr naturalistische Darstellung der Spielwelt, die je nach Umgebung zwischen städtischem Pesthorror und malerischer Naturidylle wechselt und nicht selten die Spieler*innen dazu einlädt, bei einem atemberaubenden Ausblick auf die Landschaft zu verweilen.
Kritik
Auch wenn die Spieler*innen in A Plague Tale vorwiegend in die Rolle der ca. vierzehnjährigen Amicia schlüpfen, steht doch vor allem nicht sie als Spielfigur im Zentrum der Erzählung, sondern die Beziehung zu ihrem Bruder Hugo sowie dessen tragisches Schicksal. So lernt Amicia ihren Bruder erst mit dem Beginn der Flucht so richtig kennen, da ihre Mutter – als Alchemistin auf der Suche nach einer Heilung – Hugo jahrelang isolierte. Dabei ist diese wachsende, später liebevolle Beziehung der beiden ganz praktisch sichtbar, etwa indem Hugo beim Laufen und Schleichen permanent Amicias Hand hält oder sie ihn beim Klettern unterstützt. Hinzu kommen zahlreiche Dialoge über ihr Leid und ihre Hoffnungen – und über ganz alltägliche Dinge. Und besonders in jenen naiven Impulsen – im Versteckspielen, dem Herumstromern und Blumenpflücken des Fünfjährigen – wird dessen kindliches Wesen auf berührende Weise sichtbar. Gleichzeitig erzeugt jene starke geschwisterliche Bindung und Hugos Kindlichkeit einen starken Drang, ihn als große Schwester zu beschützen, auch wenn Amicia wiederum selbst noch ein Kind ist.
Während die Geschwister zu Beginn der Handlung versuchen, sich ausschließlich verdeckt zu halten und sich unbemerkt an Wachen und Soldaten vorbei zu schleichen, nimmt die Gewalt im Laufe des Spiels zu. Initiiert wird dieser Wechsel, indem Amicia zum tödlichen Gebrauch ihrer Schleuder gezwungen wird, da sie unausweichlich einem Mann gegenübersteht, der sie und ihren Bruder umbringen will. Dabei folgt der aktive Einsatz von Gewalt einer tragischen Charakterentwicklung, bei der Amicia auch im Rahmen ihrer jugendlichen Überforderung phasenweise nahezu rachsüchtig agiert. Die dargestellte Gewalt im Spiel ist nicht unbedingt leicht zu ertragen. Gleichwohl wird sie dramaturgisch selten unnötig oder exzessiv eingesetzt, sondern sie dient stets auch dem Zweck, die Grausamkeit der mittelalterlichen Spielwelt und die Charakterentwicklung zu veranschaulichen.
Als fünfjähriger Junge und ca. vierzehnjähriges Mädchen gehören Hugo und Amicia zu den schwächsten Gliedern der mittelalterlichen Gesellschaft. Während sie versuchen, in einer von Krieg und Pest geplagten Welt zu überleben, müssen sie sich auch den Vorurteilen und Gefahren stellen, die Frauen und Kinder in dieser Zeit ausgesetzt waren. So sind es stets schwer bewaffnete Männer, die das Mädchen skrupellos ergreifen und töten, sobald es entdeckt wird. Dabei geht es jedoch nicht nur um die Bewältigung von körperlichen Herausforderungen, sondern auch um emotionale Konflikte und schwierige Entscheidungen. Denn so sehr Amicias es auch schafft, sich als Mädchen in einer männlich-dominierten Welt zu behaupten (immerhin erlegt sie so einige Soldaten), führt doch vor allem diese selbst ausgeübte Gewalt zu einer inneren Zerrissenheit der Spielfigur. Die Frage nach Schuld und Unschuld beherrscht häufig die Gespräche der Figuren und wird auf mehreren Ebenen implizit und explizit thematisiert. Nicht zuletzt findet sie sich im Spieltitel (Innocence) selbst wieder, der sich zudem als Verweis auf Papst Innozenz III lesen lässt, den Begründer der Inquisition im frühen 14. Jahrhundert. Dieses verkehrte Spiel mit dem Namen, bei dem der Begründer der Inquisition sich selbst als der „Unschuldige“ (lat. Innozenz) bezeichnet, findet im Game sein Pendant im Großinquisitor Vitalis. Der ist nämlich ganz und gar nicht vital, sondern im Gegenteil: ein schurkenhafter Greis auf einsamen Thron.
Die dichte und emotionale Narration des Spiels wird getragen vom herausragenden Sounddesgin, dem Kratzen und Quietschen der Rattenschwärme gepaart mit hektischen Streichinstrumenten, dazu dumpfe Orgelmusik und helle Chorstimmen. Erzeugt wird eine bedrückende Atmosphäre, die die Grausamkeit der düsteren Mittelalterwelt auf außerordentliche Weise transportiert. Einzig in der deutschen Synchronisierung wirkt Amicias Stimme phasenweise unpassend überdreht, sodass sprachliche Intonation und die Stimmung der Situation nicht zusammenpassen. Beispielsweise herrscht sie Hugo des Öfteren mit brüchiger Stimme an, er solle jetzt „schnell, schnell“ die Mauer hochklettern, auch wenn es sich grade lediglich um eine ruhige Kletterpassage im Rahmen einer Downtime handelt.
Während sich A Plague Tale mit den Themen Inquisition und Pestjahre an historischen Stoffen bedient, werden diese mit Fantasy-Elementen verbunden. Am eindrucksvollsten sind hier die pestbringenden Rattenschwärme. Die Ratten preschen zu Millionen sintflutartig durch die Gassen, sie platzen aus dem Erdboden, zerstören Häuser. Sie füllen ganze Flussbetten und zerfressen jeden, der sich ihnen in den Weg stellt. Lediglich Tages- und Fackellicht kann sie aufhalten – was wiederum spielbestimmendes Element der Environmental-Puzzles ist.
Ratten und Pest hinterlassen die Städte verwüstet. Leichenberge türmen sich in den dunklen Gassen. Der Anblick ist zwar äußert grausig aber auch wenig ergreifend und verortet sich ähnlich der Rattenschwärme in den Tiefen der übertriebenen Fantasy-Gewalt. Die Absurdität der Darstellung erzeugt hier weniger Betroffenheit als vielmehr eine fiktionale Distanz. Die Leichenberge degradieren sich selbst zu einer Horror-typischen Spielkulisse. Im Gegensatz dazu steht jedoch der krasse darstellerische Naturalismus der singulären Gewalt, zu der sich die Geschwister verhalten müssen. Hierzu zählt einerseits die schwer ertragbare Brutalität, mit der Amicia ein jedes Mal niedergestreckt wird, sobald Soldaten sie finden. Zum anderen offenbart sich die Brutalität der Welt in den Gesprächen und Reflexionen der Figuren über das Erlebte, wobei hier die Kindlichkeit der Geschwister stets auf ergreifende Weise deutlich wird. Beim Versuch, die Mutter aus dem Verlies der Inquisition zu befreien, stammelt der junge Hugo in Anbetracht gefolterter Körper „… Nicht hinsehen … nicht hinsehen …“ und entlarvt so mitunter auch den Voyeurismus der Spielenden. Und beim Anblick eines riesigen Schlachtfeldes, auf dem sich die toten Körper der rivalisierenden Franzosen und Engländer häufen, sprechen die Geschwister:
AMICIA: Oh mein Gott …
HUGO: Amicia, müssen wir … über sie drüber laufen?
AMICIA: Ja Hugo, … wir haben keine Wahl …
Der nun folgende, dramaturgisch durch tiefe Streicher und eine schleppende Steuerung inszenierte Gang über die Soldatenkörper sowie Hugos kindliches Nicht-Hinsehen-Wollen erzeugen ein Gefühl äußerster Bedrückung. In diesen leisen Momenten entfaltet das Game die Ganze Brutalität seiner Spielwelt.
Fazit
A Plague Tale erzählt verpackt in ca. 15 bis 20 Stunden Spielzeit eine emotionale Geschichte über Angst und Verlust und das Zurechtfinden in einer von Grausamkeit bestimmten Welt. Spielmechanisch zwar eher einfach gestrickt, wirkt das Game vor allem durch seine außerordentlich gut erzählte und immersive Story. Mit den Figuren Amicia und Hugo bietet das Spiel eine gute Identifikationsmöglichkeit für jugendliche Spieler*innen. Amicias Agency sowie ihr Vermögen, sich in einer grausamen Erwachsenenwelt behaupten zu können, machen das Spiel für Heranwachsende sehr interessant. Um diese Welt zu inszenieren, aus der heraus sich die Geschwister letztendlich befreien, greift das Game jedoch auf explizite Gewaltdarstellungen zurück, die für Kinder und Jugendliche ungeeignet sind. Ferner können Themen wie Folter und Tod junge Spieler*innen emotional überfordern. Während das europäische Alterseinstufungssystem PEGI das Game sogar erst ab 18 Jahren empfiehlt, schlägt die USK hier ein Spielalter von 16 Jahren vor. Obgleich Handlung und Figuren das Game bereits für junge Heranwachsende ab einem Alter von 14 Jahren sehr interessant machen, muss sich jedoch auf Grund der expliziten Gewalt auch hier der USK-Einschätzung angeschlossen werden.