Inhalt und Gameplay
In Dredge werden die Spieler*innen zu Spielbeginn Zeuge vom Schiffbruch eines Fischers, in dessen Rolle sie nach seiner Bergung schlüpfen. Zwar ist der kleine Fischkutter nach dem Unglück irreparabel beschädigt, jedoch stellt der Bürgermeister des nächsten Inseldorfes glücklicherweise ein neues Boot bereit, wenn der Fischer im Gegenzug das Dorf mit frischem Fisch beliefert. Obgleich sich das Spiel bis zu diesem Zeitpunkt auch problemlos zu einer Fischerei-Aufbau-Simulation entwickeln könnte, wird den Spieler*innen schon bald klar, dass um die Insel herum merkwürdige Dinge passieren, angefangen bei der Tatsache, dass der eigentliche Fischer des Dorfes unter mysteriösen Umständen verschwunden zu sein scheint. Als neuem Fischer gehen Spieler*innen nicht nur an vielen Orten außergewöhnlich entartete Fische ins Netz, vielmehr begegnet man im Verlauf des Spiels – insbesondere nachts – einer Vielzahl monsterartiger Kreaturen, die danach trachten, das just hergerichtete Schiff auf den Grund des Meeres zu befördern. Sich diesen zu stellen, ist aber unumgänglich, da ein mysteriöser Sammler den Fischer anheuert, diverse verschollene Artefakte in weit entfernten und zugleich gefährlichen Gebieten zu sammeln. Als Gegenleistung erhält der Fischer für jedes Relikt seinerseits übernatürliche Fähigkeiten, die es ihm erlauben, den dubiosen Geschehnissen immer weiter nachzuspüren. Ergänzt wird diese Storyline durch auf dem Meer auffindbare Flaschenpost-Notizen einer unbekannten Frau mit den Initialen J.J., die gemeinsam mit ihrem Ehemann ebenfalls versuchte, das Rätsel um die mutierten Fische aufzuklären. Ohne an dieser Stelle zu viele Details spoilern zu wollen, dürfte klar sein, dass den Fischer, den Sammler und J. J. eine weitaus engere Bindung eint, als es zunächst oberflächlich erscheint. Diese zu enthüllen, ist buchstäblich Dreh- und Angelpunkt des Spiels.
Auf Ebene des Gameplays ist das Spiel vergleichsweise einfach gestrickt, da es sich vor allem am Alltag von Fischer*innen orientiert: Man fährt morgens auf See, fängt möglichst viele Fische und verkauft diese nach Rückkehr in den Hafen beim örtlichen Händler. Dabei gilt wie auch im echten Leben, dass Faktoren wie Frische, Größe und Seltenheit der Fische über deren Verkaufswert entscheiden. Im Early-Game ist es wie in vergleichbaren Spielen nur möglich, kleinere oder gewöhnliche Fische zu fangen. Im Mid- und End-Game machen es Ausbauten am kleinen Kutter z. B. in Form von Angeln, stabilen Netzen und/oder Fangkörben auch möglich, die großen Fische an den Haken zu bekommen.
Das Angeln selbst erfordert vor allem geschicktes Timing und eine schnelle Reaktionszeit in unterschiedlichen Minispielen, die in Abhängigkeit von der Art der Fische sowie der Region variieren. Die Spieler*innen müssen zunächst einen Fischschwarm aufsuchen, anschließend die Angel auswerfen und dann den richtigen Moment abpassen, um die Angel mit hoher Geschwindigkeit einzuholen (siehe Abb. 1). Verpasst man den richtigen Zeitpunkt, entwischt der Fisch glücklicherweise nicht, jedoch dauert der Angelvorgang bedeutend länger, was schlussendlich nicht nur Zeit kostet, sondern auch die Tageseinnahmen vermindert.
Den Titel ‚Dredge‘ (was ‚ausbaggern‘ bedeutet) verdankt das Spiel dem Aspekt, dass es neben dem Angeln und Fischen auch möglich ist, mit einer Schaufelvorrichtung diverse Gegenstände vom Meeresboden zu heben. Hierzu gehören einerseits Baumaterialien wie Holz, Papier, Stoffe und Forschungsteile, mit denen das Schiff stetig aufgerüstet werden kann. Andererseits sind dies seltene, z. T. edle oder eben mysteriöse Gegenstände, die bei einem Händler verkauft werden können oder ebenfalls dem Schiffsausbau dienen.
Entscheidend für das Gameplay ist darüber hinaus der systematische Wechsel von Tag und Nacht. Verweilen die Spieler*innen zu lange auf See, werden sie von Sinnestrübungen und Wahrnehmungsstörungen heimgesucht, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, mit dem Schiff auf Grund zu laufen. Gleichzeitig ist ein nächtliches Auslaufen teils unvermeidlich, weil bestimmte Meerestiere nur nachts zu fangen sind. Jene werden benötigt, um Missionen im Spiel abzuschließen oder aber die Enzyklopädie zu vervollständigen.
Kritik
Dass Dredge nach seiner Veröffentlichung ein Toppseller auf Steam geworden ist, lässt sich unserer Meinung damit erklären, dass es dem Spiel gelingt, Elemente aus Spielen, die sonst lediglich spezifische Fangruppen ansprechen, geschickt zu kombinieren. Denn während naturalistische Angel-Simulationen (z. B. Ultimate Fishing Simulator 2, Ultimate Games 2022) eher ein Nischenprodukt und Lovecraft’scher Cthulhu-Horror ein weitestgehend abgenutztes Story-Element sein dürften, sorgt gerade die Mischung aus beidem für ein unerwartet spannendes Spielerlebnis mit großem Immersions- und Unterhaltungswert.
Besonders positiv hervorzuheben ist dabei, dass die Spielmechanik eine gute Balance aus Einsteigerfreundlichkeit für wenig angelaffine Spieler*innen einerseits und hinreichender Komplexität andererseits schafft. So verzichtet das Spiel auf jegliche Bestandteile einer Angelsimulation, die eine allzu intensive Vorbereitung einer jeden Ausfahrt des Schiffes bedeuten würden, wie etwa die Wahl des richtigen Köders für unterschiedliche Fische. Stattdessen wird Komplexität dadurch erzeugt, dass sich bestimmte Fischtypen und Meerestiere nur in bestimmten Gewässern (Flachwasser, vulkanisches Gewässer, Korallenriff etc.) aufhalten, für die je spezifische Angeln, Netze etc. freigespielt, mit den Ersparnissen erworben und dann platzsparend auf dem winzigen Schiff untergebracht werden müssen (Abb. 2).
Relativ schnell löst das Spiel so das Verlangen aus, das Schiff auszubauen, um mehr Platz für neue Ausstattung zu schaffen. Da das Spiel hierbei gut durch die verschiedenen Gebiete der angenehm überschaubaren Spielwelt leitet und je nach Region neue Herausforderungen und Mini-Bosse bereithält, wird monotonen Grinding-Momenten gut vorgebeugt.
Kritisieren lässt sich im gleichen Atemzug allerdings, dass die Qualität der eigentlichen Horror-Story, die Anlass für die grafische und atmosphärische Gestaltung des Spiels ist, deutlich hinter die Qualität der Angel-Simulation zurücktritt. So wird die Haupt-Quest unvermeidlich an etlichen Stellen durch Nebenerzählungen unterbrochen, bei denen das Spiel sich schwertut, sie in einen nachvollziehbaren Zusammenhang mit der Haupthandlung zu bringen. Beispielsweise begegnen den Spielenden auf dem Weg zahlreiche weitere Figuren (z.B. einer Forscherin, einem abgestürzten Kampfpiloten), die zwar jeweils individuell von den übernatürlichen Kräften und mutierten Fischen bedroht werden, jedoch weder untereinander noch mit dem Fischer in Verbindung stehen. Zudem verbleibt der Anteil der tatsächlich untereinander verbundenen Erzählstränge stellenweise derart kurz, dass es schwerfallen kann, Figuren und Handlungsstränge zu erinnern. Hier bleibt zu hoffen, dass die mittlerweile bereits veröffentlichten Fortsetzungen mehr erzählerische Tiefe zu bieten haben.
Schade ist auch, dass das Spiel seine Sammler- und Explorationselemente nur wenig funktionalisiert. So laden zwar einzelne Nebenquest dazu ein, mal besondere Fische und mal spezifische Gegenstände in den Wellen zu suchen, doch trägt dies selten sinnvoll zur Narration bei oder liefert lohnenswerten Loot. Die liebevoll angelegte und wohl sortierte Enzyklopädie, in der ähnlich wie in Pokémons Pokedex die bereits gefangenen Meerestiere dokumentiert werden (Abb. 3), gerät im Laufe des Spiels so aus dem Blick.
Zwar lässt sich diskutieren, inwiefern aus anderen Spielen bekannte Missionen oder Accomplishments der Art „Fange mindestens X Tiere der Art Y“ am Ende für mehr Spielspaß sorgen. Zumindest erinnern sie aber in anderen Spielen daran, dass es sich durchaus lohnt, hier und da die Augen nach neuen und unentdeckten Spezies offenzuhalten. Gerade in Dredge besteht hier insofern viel Potenzial, als insbesondere die mutierten Exemplare der unterschiedlichen Meerestiere mit viel Liebe zum Detail illustriert und benannt wurden. Entsprechend ist es schade, dass hier nicht mehr Anreize für eine umfassende Vermessung der Meeresbewohner geschaffen werden.
Fazit
Dredge ist ein Spiel, das vor allem durch die von Beginn an fesselnde Angel-Simulation besticht. Spielende ab 12 Jahren werden mit dieser sicherlich einige erfreuliche Spielstunden verbringen. Die Kombination der Angelinhalte mit einer wohldosierten Horror-Atmosphäre gibt dem Spiel eine ganz besondere Note, wenngleich nur besonders aufmerksame Spieler*innen in der Lage sein dürften, die eher fragmentierte Handlung zu einem stimmigen Ganzen zu verbinden. Ähnliches gilt für die Expeditions- und Sammlerelemente, die vor allem ausdauernde Liebhaber auf ihre Kosten kommen lassen.