Inhalt
Da die Filmbildung als Erziehungs- und Bildungsaufgabe im schulischen und außerschulischen Kontext nach wie vor ein Schattendasein führt, gab es in den vergangenen Jahren mehrere Initiativen, sie ins Gespräch zu bringen und stärker zu etablieren. Das Buch Kino erleben und begreifen. Filmanalyse mit Kindern und Jugendlichen ist eine der Fachpublikationen, die sich des Themas annehmen und praxisgerecht aufbereiten. Um den Stellenwert der Arbeit von Ana Hofmann und Martina Lassacher zu beschreiben, ist zunächst kurz auf bereits vorhandene Publikationen zu verweisen.
Kino erleben und begreifen unterscheidet sich im Ansatz von dem umstrittenen Filmkanon – 35 Filme, die Sie kennen müssen, den die Bundeszentrale für politische Bildung 2005 publizierte und der für den Schulunterricht gedacht ist. Die Filmauswahl für dieses Buch geht mehr von den persönlichen Einschätzungen der Autoren aus, als von der Mediensozialisation und den Interessen von Kindern und Jugendlichen. Der Kanon, der von Filmschaffenden, Filmhistorikern, Filmkritikern und Filmpädagogen zusammengestellt wurde, orientiert sich an den Klassikern der Filmgeschichte, die nur wenigen Kindern und Jugendlichen zugänglich sind. Kinder- und Jugendfilme als Genre oder Zielgruppen-Filme spielen hier so gut wie keine Rolle. Kino erleben und begreifen ist in dieser Hinsicht praxisorientierter und sowohl für die Zielgruppe als auch für Multiplikatoren weitaus hilfreicher.
Zur Filmbildung zählt auch die Fähigkeit zur Filmanalyse. Mit ihrem Buch Kinder- und Jugendfilmanalyse (UVK Verlag Konstanz/München 2013) haben die Autoren Tobias Kurwinkel und Philipp Schmerheim eine methodische Einführung in das Thema vorgelegt, die der aktuellen Situation der Medienangebote und der Mediennutzung entspricht. Ihre Vorgehensweise ist im Gegensatz zu anderen Analyseverfahren (beispielsweise genrespezifische, psychologische oder soziologische Filminterpretationen) ausdrücklich auf die Rezeptionsbesonderheiten von Kindern zugeschnitten. Der Film- und Fernsehjournalist Tilmann P. Gangloff hat in seiner Rezension in der KinderJugendfilmKorrespondenz (Nr. 135) das Buch als "perfekte Einstiegslektüre" bezeichnet, "die wegen der ausführlichen Beschäftigung mit der gesamten Sparte das Zeug zum Standardwerk hat."
Das ebenfalls 2013 erschienene Buch Kino erleben und begreifen. Filmanalyse mit Kindern und Jugendlichen versteht sich als ein "Leitfaden zur Filmbildung" und liefert ergänzend zu dem Band von Kurwinkel/Schmerheim weitere Anleitungen, Kinder und Jugendliche zur Filmanalyse und Filmkritik zu befähigen, sowie auch selbst ein Drehbuch zu verfassen oder einen kurzen Film zu drehen. Die Herausgeberinnen waren "unzufrieden mit der Unterrichtspraxis in Österreich und dass zu wenig Zeit bleibt, Medienkunde zu betreiben." Wie in Deutschland, so werden auch in Österreich laut Hofmann und Lassacher "Kino und Film eher als Stiefkind behandelt."
Das Buch erschien anlässlich des 25-jährigen Jubiläums des Internationalen Kinderfilmfestivals Wien 2013. Die Herausgeberinnen haben im Rahmen des Internationalen Kinderfilmfestivals und der Initiative KinderKinoWelten sowie der Kinderuni Wien und der Fortbildung für Lehrer und Lehrerinnen langjährige Erfahrung in der Filmanalyse mit Kindern und Jugendlichen und ihren Betreuerinnen. Ihr Buch ist eine praktische Anleitung für Lehrkräfte, die Kindern und Jugendlichen im Alter von 6 bis 14 Jahren Filmbildung anbieten wollen: "Was ist Film und wie funktioniert er, was sind seine ästhetischen, filmtechnischen und kinosoziologischen Gegebenheiten?" Um eine differenzierte Sichtweise bemüht, wurden Beiträge aus verschiedenen Ländern – aus Österreich, Belgien, den Niederlanden und Deutschland – zusammengestellt. Das Themenspektrum umfasst u. a. Filmdramaturgie, Licht und Farbe im Film, Filmperspektiven, Erzählstrukturen, Montage und eine Einführung in die Tonanalyse.
Ergänzt werden diese Kapitel durch einen Blick nach Großbritannien, wo die gemeinnützige Organisation "Film Education" über einen Zeitraum von fast dreißig Jahren beispielhafte Modelle der Filmvermittlung entwickelte. Dass diese Einrichtung auf Grund der veränderten Kulturpolitik in Großbritannien jetzt schließen musste, schmälert nicht den Informations- und Gebrauchswert dieses Beitrages.
Kritik
Die einzelnen Beiträge des Buches befassen sich mit speziellen filmischen Phänomenen und sind größtenteils als in der Unterrichtspraxis konkret verwendbare Arbeitsunterlagen gestaltet, mit Informationen für die Lehrkräfte, konkreten Aufgabenstellungen für die Schülerinnen und Schüler sowie Lösungshilfen. Zusätzlich gibt es allgemeine Beiträge, die von Film und seiner Geschichte und anwendbaren Methoden im Filmunterricht handeln, sowie Erfahrungsberichte über bereits bestehende Initiativen in diesem Bereich. Die Auswahl und Aufbereitung der Texte bildet einen aufschlussreichen und motivierenden Leitfaden zur Vermittlung von Filmbildung und wird dem Anspruch "Kino erleben und begreifen" gerecht. Eine Sonderstellung innerhalb des Sammelbands hat der Aufsatz "Angst vor Bildern?" inne. In diesem widmet sich der Filmwissenschaftlers Franz Grafl der Darstellung von Gewalt, die als Widerspiegelung des erfahrenen Alltags auch in Kinder- und Jugendfilmen vorkommt. Der Artikel bespricht Möglichkeiten, mit diesen Gewaltdarstellungen umzugehen, ohne sie zu verleugnen.
Der das Buch einleitende Beitrag "Was ist Film? Eine Einführung für Lehrkräfte" vom Eye Film Instituut Nederland zieht einen Bogen von der filmgeschichtlichen Entwicklung über Filmsprache und Filmtechnik bis hin zu den digitalen Neuerungen. Dieses 'Grundwissen' orientiert sich an dem klassischen Produktionsmuster von Drehbuch, Regie, Kamera etc. Der Begriff Filmemacher, der auf viele der an der Entstehung von Kinder- und Jugendfilmen beteiligten Filmschaffenden zutrifft (Bernd Sahling als Autor und Regisseur der Filme Die Blindgänger und Kopfüber ist hierfür das beste Beispiel), wird leider nicht erläutert, ebenso wenig wie der Underground- und Experimentalfilm oder die Filmavantgarde. Das ist vielleicht auch in diesem Buch nicht unbedingt erforderlich, aber dass der Dokumentarfilm ausgespart wird, ist ärgerlich. Da sich dieser Text explizit an Lehrkräfte wendet, wäre ein hervorgehobener Abschnitt über die Rechte am Film, über den Umgang mit Lizenzen und den damit verbundenen Fragestellungen im Hinblick auf den Einsatz von Filmen in der schulischen und außerschulischen Medienarbeit sinnvoll und hilfreich gewesen.
Nachteilig ist leider auch, dass die weiteren Beiträge des Bandes nicht stärker aufeinander abgestimmt sind, was Doppelungen und Wiederholungen zur Folge hat.
Ein kurzes Lexikon der Fachausdrücke sowie eine Liste empfohlener Filme sind im Zusammenhang mit den praxisorientierten, bildreichen, animierenden und online abrufbaren Arbeitsmaterialien rundet den Band ab.
Fazit
Kino erleben und begreifen vermittelt Grundwissen zur Filmanalyse mit Kindern und Jugendlichen. Die Texte sind aufschlussreich und anschaulich aufbereitet, das Lexikon und die Arbeitsmaterialien sind eine wertvolle Arbeitshilfe.
- Name: Lassacher, Martina
- Name: Hofman, Ana