Inhalt
In ihrem Vorwort betonen Dube und Führer nachvollziehbar, dass Balladen "mit ihrem unverwechselbaren Reim, Klang und Rhythmus [] formal an (früh-)kindliche literarische Erfahrungen an[schließen] und [] aufgrund ihrer Leerstellen und damit verbundenen Spannungserzeugung genügend Raum für kindliche Vorstellungsbildung und Identifikation [bieten]" (S. 10). Für ältere Schülerinnen und Schüler seien Balladen nach Spinner auch "Mittel der Welterschließung und Ich-Findung" (S. 10). Nicht zuletzt bilden Balladen auch für die Oberstufe durch "ihre Symbol- und Konfliktstruktur sowie Kontext- und Epochenspezifiken" (S. 10) einen gewinnbringenden Unterrichtsgegenstand in der Oberstufe.
Diesen Ausführungen ist aus Sicht eines Praktikers vollends zuzustimmen. Weniger zu goutieren ist die stark defizitäre Sicht auf Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer, die, einer veralteten Studie von Kammler 2009 folgend, entweder nur 'formale Erbsenzähler' oder 'Interpreten ins Blaue hinein' seien. In den letzten zehn Jahren hat sich im Umgang mit Balladen viel geändert, sodass diese Sicht auf den Deutschunterricht, der geradezu unter Generalverdacht gestellt wird, wenig angemessen ist, zumal Lehrkräfte doch auch Adressaten dieses Bandes sein sollen.
Diesem Urteil über den Deutschunterricht geht eine ebenso problematische Einschätzung über Deutsch-Lehrwerke einher, die gemäß einer längst überholten Studie von Köster 2001 angeblich beim Umgang mit Balladen fast nur auf Formalia, Gattungsspezifika oder Spielereien fokussiert seien. In diesem Kontext scheint eine konzise Sichtung der Deutschlehrwerke der neuesten Generation wie z.B. des weit verbreiteten "Deutschbuchs" von Cornelsen nicht oder nur unzureichend erfolgt zu sein. Nach gattungsspezifischen Grundlagen und didaktischen Entwicklungen erfolgt eine Synopse zum Umgang mit Balladen auch im multi- und intermedialen Kontext. Zudem findet der Aspekt des Vortragens von Balladen, wofür sie (ursprünglich) ja unter Berücksichtigung musikalisch-tänzerischer Begleitung verfasst wurden, Beachtung. Im zweiten Teil dieses Buchs finden sich nun konkrete Praxismodelle anhand von kanonisch-klassischen oder von (post-)modernen Balladen, die sich um die für Schülerinnen und Schüler ansprechenden Themenfelder Freundschaft, Liebe, Neid, Geister, Tod, Schicksal und Kritik an der Gesellschaft drehen.
Kritik
Im Rahmen ihres Grundlagenkapitels problematisiert Dube einleuchtend den Balladen-Begriff und verweist auf dessen vage Greifbarkeit, indem sie zu Recht konstatiert, dass eine allgemeingültige Definition nicht möglich sei, da Balladen so vielseitig gestaltbar sind. Als besonders verwunderlich sieht sie die nach wie vor starke Präsenz der „Ur-Ei“-Betitelung von Goethe als Teil vieler (moderner) Definitionsversuche an, da diese sehr ungenau bleibe und sich dem Determinierungsproblem eher entziehe. Aufgrund der starken Uneinigkeit im wissenschaftlichen Diskurs bzgl. der Gattungszuordnung stellen die Verfasserinnen zur Eingrenzung formale und strukturelle Merkmale in den Vordergrund. Dieser Ansatz ist für die Schulpraxis nachvollziehbar und wird für Heranwachsende greifbarer als die Fokussierung des dynamischen-hybriden Elements der Transformation und Grenzüberschreitung von Balladen nach Bartl 2017 (vgl. S. 23).
Anhand eines gelungenen Strukturmodells, das leider viel zu klein abgebildet ist, stellen die Verfasserinnen in Stichpunkten dar, welche Elemente in Balladen obligatorisch bzw. fakultativ sind. Im Rahmen eines knappen geschichtlichen Grundrisses findet sich eine Thematisierung der Ursprünge dieser Gattung bei Dante und Petrarca. Über die Tradition von Bänkelsängern und die Hochphase der Kunstballade unter Goethe und Schiller wird dieser anschauliche Überblick fortgesetzt bis hin zu modernen Balladen in Form von Songtexten und Hip-Hop-Musik, wobei sich für letztere leider kein konkretes Beispiel findet.
Im Kapitel über didaktische Entwicklungen vom Umgang mit Balladen im Deutschunterricht kommt Führer zu dem plausiblen Schluss, dass die Vielfalt der Gattung sowie deren mediale Transformationen und Potenziale zur Performativität einen "alters- und zeitlosen Gebrauch" (S. 46) ermöglichen. Als eher praxisfern zeigt sich indes das Urteil, dass Balladen angeblich nur im Unterricht behandelt werden könnten, wenn Schüler einen sehr hohen Grad an "Gattungsreflexion" (S. 54) aufweisen oder eine "(metafiktionale) Gattungsdiskussion" (S. 54) führen könnten. Dieses Niveau von Germanistik-Studierenden wird m. E. in der Schule nur teilweise erreicht und – wenn überhaupt – dann nur von besonders interessierten Schülerinnen und Schülern der Oberstufe.
Darüber bietet das Kapitel für balladendidaktische Grundlagen vielschichtige theoriebasierte Impulse für den Umgang mit Balladen in der Primar- und Sekundarstufe, wobei auch hier der Aspekt der Lesemotivation Berücksichtigung erfährt, was zu goutieren ist. In den folgenden Kapiteln über Analyse- und Interpretationsverfahren, über Wertung und über mediale Transformationen von Balladen finden sich systematische Hinweise auf konkrete mediale Umsetzungen von Balladen als Unterrichtsgegenstände und teilweise hilfreiche Fragenkataloge, welche Aspekte im Unterricht besonders intensiv beleuchtet werden könnten.
In den kurzen Kapiteln über das Schreiben zu Balladen bzw. Formulieren von Interpretationsansätzen tauchen diverse kreative und produktionsorientierte Schreibimpulse auf, welche in vielen Publikationen der letzten Jahre bereits zum Standard gehören, wie z.B. ein Perspektivwechsel oder das Wiederherstellen der Handlungschronologie.
Vorurteilsbehaftete Kritik an der Schule, welche angeblich noch immer Balladen ohne Hypothesenbildung nur form-inhalts-spezifisch analysieren lasse, stützt sich auf eine bereits überholte Studie von Lösener 2009. Anhand kanonischer (u.a. Der Handschuh von Schiller, Der Erlkönig von Goethe oder Die Füße im Feuer von Meyer) und moderner (für die Schulpraxis gut geeigneter) Balladen (Die Ballade vom Seiltänzer Felix Fliegenbein von Michael Ende, Holger, die Waldfee von Lars Ruppel oder Der Flüchtling von Fritz von Unruh) finden sich zahlreiche Interpretations- und Praxisimpulse, welche u.a. kreativ-produktionsorientierte und sehr zeitaufwändige Verfahren umfassen: Das Basteln von Lapbooks mit zahlreichen Pop-Up-Elementen, das Drehen eines Balladentrailers bzw. Poesiefilmen oder das Gestalten von Erzähltheatern (Kamishibai). Daneben werden auch analytische Verfahren durch Fragekataloge angeleitet, die jedoch nur teilweise Operatoren enthalten.
Als innovativ erweist sich jedoch das Konzept zu interlingualen Verskollagen am Beispiel der englischen Originalversion der Ballade The Raven (Edgar Allan Poe). Dabei sollen die Lernenden mithilfe diverser Übersetzungen des Textes bilinguale Text-Bild-Konnexe in Plakatform kreieren. In diesem Kontext kritisieren die Autorinnen, dass im Deutschunterricht keine ausführliche bzw. kritische Würdigung von Übersetzungen im Vergleich mit dem Original stattfinde. Dazu sei aus Sicht des Praktikers gesagt: Hierfür fehlt einerseits die Zeit und auf der anderen Seite übersteigt das sprachliche Niveau des Originals oftmals das Englischniveau der Lernenden, sodass ein solcher mehrsprachlicher Ansatz in erster Linie in der Oberstufe sinnvoll wäre und am besten in Kooperation mit dem Fach Englisch. Im Rahmen der sehr aufwändigen Abiturvorbereitungen stellt sich hierbei jedoch die Frage, wieviel Zeit für ein solches Projekt vorhanden ist. Zielführende Literaturhinweise zur Vertiefung am Ende der theoretisch angelegten Kapitel bieten niederschwellige Möglichkeiten die angeschnittenen Themen noch weiter zu vertiefen.
Fazit
Der Band liefert nach diversen theoretischen Grundlagen sehr vielseitige Impulse für die Praxis im Umgang mit Balladen. Die theoretische Unterfütterung der Monographie zeugt von einer profunden Kenntnis sämtlicher relevanter wissenschaftlicher Diskurse. Dagegen erweist sich leider die Sekundärliteratur, die sich konkret auf die Schulpraxis bezieht, zum Großteil als veraltet. Daraus ziehen die Autorinnen problematische und vorurteilsbehaftete Schlussfolgerungen (vgl. u.a. S. 10 und 13). Sie schauen nicht selten aus einem belehrend-defizitären Blickwinkel auf die Schule, wobei angebliche Mängel in der schulischen Praxis mit Studien von vor über zehn Jahren belegt werden.
Durch die vielseitigen Unterrichtsanregungen, die gut durchdacht sind, erhalten Lehrkräfte und Studierende unzählige einerseits konventionelle, andererseits aber auch innovative Impulse zur Umsetzung von Balladen im Deutschunterricht. An diesen Konzepten merkt man jedoch, dass sie zum Teil im theoretischen Elfenbeinturm verhaftet bleiben, da es keine Erfahrungsberichte oder Reflexionen aus der Praxis gibt.
Für Dozenten ohne Praxiserfahrung oder Lehramtsstudierende, die wenig bis keine Ahnung von der Umsetzung von Unterrichtskonzepten mit Balladen haben, ist diese Lektüre sicherlich gewinnbringend. Auch könnte man gut ein Seminar zu Balladen mit diesem Lehrwerk als Basislektüre aufbauen. Für Referendarinnen und Referendare, die sich intensiver mit Balladen auseinandersetzen wollen, erweist sich das Buch gerade mit Blick auf die theoretische Vorkonzeption von Lehrproben bzw. in Bezug auf das Verfassen einer möglichen zweiten Zulassungsarbeit als sinnvoll. Lehrkräfte können gerade aus dem Bereich der themenorientierten Unterrichtsvorschläge je nach Bedarf einzelne Konzepte herausgreifen, um diese als erste Ideensammlung für eine konkrete Unterrichtssequenz zu verwenden. Sie sollten sich jedoch nicht von dem teilweise defizitorientierten Blick auf die Unterrichtspraxis abschrecken lassen.
- Name: Dube, Juliane
- Name: Führer, Carolin