Inhalt
In vierzehn Beiträgen sowie der Einleitung widmet sich der Sammelband dem Thema Zeit in der KJL sowohl aus literaturwissenschaftlicher als auch aus literaturdidaktischer Perspektive und hinterfragt dabei nicht nur den werkimmanenten Einsatz von Zeit, sondern untersucht auch, wie sich die Werke literaturdidaktisch nutzbar machen lassen. Somit bieten die Herausgeber Sebastian Bernhardt und Johanna Tönsing einen Sammelband, der nicht nur für interessierte Studierende einen guten Einstieg in die Thematik bietet, sondern der sich auch an Lehrpersonen richtet, die entsprechende Werke in den schulischen Unterricht integrieren wollen.
Die Einleitung (Bernhardt/Tönsing, S. 9-30) bietet Leserinnen und Lesern einen ersten und ausführlichen Einstieg in die gewählte Thematik des Sammelbandes. Nach Definitionen und einer historischen Kontextualisierung (vgl. S. 10), leiten Bernhardt und Tönsing zur Nutzung der Zeit in der KJL über und verdeutlichen das Ziel ihres Sammelbandes, der sich "der konkreten Ausgestaltung, Nutzung und Wahrnehmung von Zeit in der Kinder- und Jugendliteratur" (S. 13) widmet und zeigen didaktische Möglichkeiten entsprechender Werke auf.
Die Beiträge ihres Sammelbandes lassen sich nunmehr in einen literaturdidaktischen und einen literaturwissenschaftlichen Schwerpunkt unterscheiden. Die literaturdidaktischen Beiträge setzen ihren Fokus sowohl auf den Einsatz einschlägiger Werke im Unterricht (zum Beispiel in Janika Freis Beitrag "Zur literarischen Auseinandersetzung mit Zeitwahrnehmung in Haberstocks ,Anton hat Zeit – aber keine Ahnung, warum!‘ (2015) im Deutschunterricht der Primarstufe"; in Julia von Dall’ Armis Beitrag "Raumzeit- oder Zeitraumphantasien? – Naturwissenschaftliche Zeitkonzepte und ihre literarische Refunktionalisierung in Stephen und Lucy Hawkings Kinderbuchtrilogie (2007-2013)"; oder auch in Joscha Klüppel und Lisa Höllers Artikel "Michael Endes ‚Momo‘ (1973): Zeitkonzept als pädagogisches Potential im DaF-Unterricht").
Zum anderen berücksichtigen sie auch andere Medien wie z.B. TV-Serien (zum Beispiel bei Florian Wobser: "Zeitdauer, -wahrnehmung und -reflexion im Adoleszenz-Film ‚Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot‘ (D/F/CH 2018) von Philip Gröning – Didaktische Überlegungen zur Kompetenzbildung mittels Filmizität und Heterochronie") und bei Florian Hesse: "Im Sturz durch Zeit und Raum – Analytische und didaktische Perspektiven auf Zeitwahrnehmung in Zeitreise-Erzählungen am Beispiel der TV-Serie ‚Dark‘ (D 2017-2020)").
Zudem finden sich auch Unterrichtsentwürfe (Julia Stetter ("Skizzierung einer Unterrichtssequenz zur Zeitwahrnehmung und -gestaltung in Tamara Bachs ‚Jetzt ist hier‘ (2007)") und auch die Analyse von Bilderbüchern (Carlo Brune und Ina Henke ("‚Glaubst du, man kann die Zeit anhalten?‘ – Verhandlungen von Zeit in Bilderbüchern von Stian Holes und Shaun Tans") und Graphic Novels (Eva-Maria Dichtl und Henriette Hoppe ("Ein Tag ist ein Jahr ist ein Leben. Die Darstellung und Thematisierung von Zeit in Bild und Text in der Graphic Novel"),) kommt nicht zu kurz.
Die literaturwissenschaftlichen Beiträge sind demgegenüber ausschließlich auf Kinder- und Jugendromane bezogen und setzen hier qua Textauswahl unterschiedliche Schwerpunkte. Larissa Carolin Jagdschian untersucht in Ihrem Beitrag "Zeitdarstellung und -reflexion in Kirsten Boies Roman ‚Ringel Rangel Rosen‘ (2010)“, inwiefern sich unterschiedliche Zeitebenen vor dem Hintergrund von Trauma und Flucht vermischen, während Anna Thiele einen gendertheoretischen Zugang wählt ("Zeitgestaltung als Frage des Geschlechts? Eine Analyse am Beispiel von Magda Trotts ‚Pucki‘ (1935-1943) und Cornelia Funkes ‚Die Wilden Hühner‘ (1993-2009)". Iris Schäfer setzt sich in „Psychologische, philosophische und ästhetische Charakteristiken der krankheitsbedingten zeitlichbiografischen Neuorientierung in Cornelia Travniceks Roman ‚Chucks‘ (2014)“ aus dem Blickwinkel der Sick Lit mit der Thematik der Zeit auseinander und beleuchtet, wie sich Zeitwahrnehmungen vor dem Hintergrund psychischer Krankheiten verändern können. Auch Niels Lehnert ("Zeitkonstellationen bei Tonke Dragt: ‚Die Türme des Februar‘ (1973/1986) gelesen als fantastische Parallelweltgeschichte, philosophische Zeitreflexion und Coming-of-Age Roman") rückt "psychologische Einflussfaktoren auf die Zeitwahrnehmung" (S. 27) in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen. Martin Blawid wählt einen phantastischen Zugang zum Thema und wählt entsprechend seinen Analysegegenstand aus ("‚Zeit ist Leben. Und das Leben wohnt im Herzen.‘ – Zeit als (Meta-)Narrativ in der phantastischen Kinder- und Jugendliteratur am Beispiel von Michaels Endes Roman ‚Momo‘ (1973) und ‚Die unendliche Geschichte‘ (1979)"), während Nina Weigel sich Ursula Poznanskis Werk Erebos annimmt ("‚Ungleichzeitigkeit im Gleichzeitigen‘ – Die mehrfache Konstruktion von Temporalität im Jugendroman ‚Erebos‘ (2010) von Ursula Poznanski").
Kritik
Die vierzehn Beiträge des Sammelbandes widmen sich zahlreichen Werken der KJL und analysieren aus unterschiedlichen Perspektiven das Thema Zeit. Dabei schauen die Autorinnen und Autoren der Beiträge nicht nur darauf, wie die Protagonistinnen und Protagonisten Zeit wahrnehmen und verstehen, sondern auch, welche Zeitkonzepte diesen Wahrnehmungen und diesen Verständnissen zugrunde liegen (z.B. bei von Dall-Armi, S. 57-74). Berücksichtigt werden dabei Werke in ihrer ganzen medialen Vielfalt, so dass hauptsächlich im literaturdidaktischen Teil besser von einer mediendidaktischen Ausrichtung gesprochen werden sollte. Dies stellt jedoch lediglich auf terminologischer Ebene ein Problem dar, keinesfalls jedoch auf inhaltlicher Ebene, die durch die Öffnung in Richtung anderer narrativer Medien deutlich gewinnt und zeigt, dass es sich lohnt, Zeitdarstellungen auch in anderen Medien zu untersuchen.
Insgesamt gelingt es den beiden Herausgebern sowie den Autorinnen und Autoren der einzelnen Beiträge überzeugend und konsequent, den Blick über die Zeitnutzung in der KJL hinaus zu richten und in größeren theoretischen Rahmungen zu verorten. Berücksichtigt werden dabei vor allem neuere Werke der KJL, wobei oft auch Vergleiche zu älteren Werken gezogen werden. Dabei offenbart sich, dass das Thema Zeit ein Thema ist, das sich immer wieder neu erfindet und immer wieder neue Betrachtungsmöglichkeiten bietet.
Einziges kleines Manko: Das Thema der Zeitreise kommt dabei ein wenig zu kurz, obwohl auch in diesem Bereich die literaturwissenschaftlichen Auseinandersetzungen (national und international) in den letzten Jahren deutlich zugenommen haben.
Fazit
Sebastian Bernhardt und Johanna Tönsing legen mit dem Sammelband Zeitnutzung in der aktuellen Kinder- und Jugendliteratur. Literaturwissenschaftliche und literaturdidaktische Perspektiven ein überzeugendes Werk vor, das sich als anschlussfähig erweist an bisherige Forschungen zum Thema Zeit speziell in Kinder- und Jugendmedien. Es wäre wünschenswert, wenn dieser Veröffentlichung noch weitere Publikationen zur Erforschung des Themas Zeit folgen würden.
- Name: Johanna Tönsing
- Name: Sebastian Bernhardt
- Name: Sebastian Bernhardt
- Name: Johanna Tönsing