Inhalt

Dieser Band, der aus einer Tagung im Jahr 2016 an der Universität Duisburg-Essen hervorgegangen ist, konstatiert nachvollziehbar eine Renaissance des noch immer zum Teil stiefmütterlich behandelten Comic. Der Comic differenziert sich spätestens seit dem Hype um Graphic Novels immer weiter aus. Zur umstrittenen Frage der Kategorisierung von Graphic Novels äußern sich auch die Herausgeberin und die Herausgeber dieses Bandes. Sie bezeichnen Graphic Novels nachvollziehbar als Subgenre des Comics u.a. nach dem Ansatz des weltweit anerkannten Comicforschers Scott McCloud.

In ihrem vielschichtigen Vorwort betonen sie zudem die Multimodalität des Comics und verweisen dabei u.a. auf ihre Funktion als mediale Gegenstände der Historizität und der Auseinandersetzung mit politischen und gesellschaftlichen Stoffen und Diskursen. In diesem Kontext kommen auch die Materialität dieses Mediums, Fandoms und das Phänomen der Kostümierung von Comicfans als Comicfiguren (Cosplay) bei Conventions nicht zu kurz. Die Kapitel des vorliegenden Bandes subsumieren somit konsequenterweise Beiträge aus den Themenbereichen der (historischen) Medialität, des literarischen Lernens und Rezipierens und bieten überdies  Sachanalysen zur Funktionalisierung des Comics im  Schul- und Hochschulunterricht bzw. Analysen zu Mythentheorien und gesellschaftsprägenden Faktoren des Comics.

Kritik

Während die Kapitel 1 und 2 hinsichtlich der Gruppierung und Ausrichtung ihrer Beiträge bis ins Kleinste durchdacht erscheinen, wirkt das dritte und letzte Kapitel etwas unpräzise, da es eine einheitliche Thematik vermissen lässt. So sind hier Praxisberichte mit rein theoriebasierten Beiträgen vermischt und thematisch vage als "Sachanalysen und Inspirationen" bezeichnet. Hier hätte der Band m. E. durch eine weitere Unterteilung in "Sachanalysen aus der Praxis" und "Theorie zum Comic" gewonnen.

Im Rahmen des ersten Kapitels über historische und mediale Annährungen gibt Staiger einen vielfältigen diachronen Überblick über den Wandel der Deutschdidaktik bei der Bewertung des Mediums Comic als Unterrichtsgegenstand. Während laut Staiger der Comic in den 1960er Jahren als "unterwertige[] und untergeistige[] Literatur" (S. 24) betitelt wurde, folgt später eine Reduzierung des Comics auf den Aspekt der Brückenliteratur, bis schließlich in der Postmoderne dessen multimodales Erzählpotenzial, die nicht selten vorliegende All-Age-Konzeption und die geschickte Verzahnung von Text-Bild-Konnexen eine hohe Wertschätzung erfahren hat.

Wilde rückt sodann einen Überblick über Definitionsversuche zum Medium Comic in den Mittelpunkt. Er kommt zu dem Ergebnis, dass es sich dabei um ein ambivalentes Intermedium handelt, das zwischen Kunstform, Gattung und Dispositiv changiere, deren Mediengrenzen sich diachron verschieben würden. Darüber hinaus weise der Comic transmediale Züge auf. Ein weiterer thematisch passender Beitrag von Bachmann geht auf die Notwendigkeit der Kenntnisnahme und Beurteilung der vielseitigen Materialität von Comics durch Heranwachsende ein, damit ebendiese lernen, Zeitungen, Hefte und Bücher als traditionelle Medien wahrzunehmen, die es kritisch zu beurteilen gilt. Weitere Aufsätze thematisieren Comics als komplexe Medien im Rahmen der Rezeptionskompetenz und führen dabei konkrete produktionsorientierte Möglichkeiten zur Weiterzeichnung von Comicszenerien im Unterricht an. Im Weiteren stehen Adaptionsmöglichkeiten von (welt-)literarischen Texten als Comics  im Mittelpunkt. Im Anschluss daran zeigt das Beispiel des innovativen Comics "Die Reise (Journey)", wie Bilderbücher die Brückenfunktion zum Medium Comic erfüllen können.

Im zweiten Kapitel zum Thema "Literarisch lernen und rezipieren" geht es u.a. neben der Schulung visueller Lesekompetenzen am Beispiel von Bilderbüchern in Verbindung mit Comics (Oppolzer) um die Ausbildung von Sprachbewusstheit am Beispiel eines Übersetzungsvergleiches hinsichtlich der englischen und deutschen Version der Graphic Novel "Eric Vale – Epic Fail" im Beitrag von Langschmidt und Rymarczyk. Sodann fokussiert der Aufsatz von Wild und Wulff das literarische und sprachliche Lernen mit Comics in einer Vorbereitungsklasse. Das sprachliche Lernen erfolgt hier am Beispiel von kurzen Comicstrips, um bei den Lernenden eine Wortschatzerweiterung und die Anwendung dieser neu erlernten Lexeme im Anschluss zu erzielen. Dabei verweisen die Verfasserinnen auch auf die Schwierigkeiten von einigen Schülerinnen und Schülern, Leerstellen im Comic zu füllen, woraus sie folgern, dass ein gleichzeitiger Aufbau von sprachlicher und literarischer Kompetenzen hinsichtlich der Verstehenskompetenz von literarischen Werken nicht nur in Vorbereitungsklassen angemessen wäre.

Hoffmann kommt in ihrem herausragenden Beitrag über Rezeptionsmodalitäten, Verstehensschwierigkeiten und Sinnkonstruktionsversuchen in Comics anhand von transkribierten Deutungsversuchen des Gelesenen durch Schülerinnen und Schüler zu dem Schluss, "wie wichtig unterschiedliche Formen der Anschlusskommunikationen sind, um einen Rahmen zu schaffen für kindliche Auseinandersetzungen mit grafisch erzählten (Übergangs-)Geschichten zum Schuleintritt" (S. 221). Hierfür verwendet sie die vielfach prämierte Graphik Novel Meine Mutter ist in Amerika und hat Buffalo Bill getroffen (Regnaud und Bravo 2009) als Referenztext.

Weitere Beiträge behandeln produktive Verfahren im Umgang mit Comics zum Nachvollziehen und Reflektieren über dargestellte Emotionen anhand von Deutungsfolien. Auch das literarische Lernen unter Fokussierung der Facetten Handlungslogik, Überstrukturierung und Figurenkonzeptionen am Beispiel von Lehmriese lebt! (Kuhl 2015) und Hilda und der Mitternachtsriese (Pearson 2013) finden Berücksichtigung. Schließlich wird das Potenzial von hypertextuellen Spiele-Comics am Computer für "medienübergreifende literar-ästhetische Lernprozesse" (S. 274) in einem intermedialen Unterricht ausgelotet.

Das dritte und letzte Kapitel über "Sachanalysen und Inspirationen" verhandelt einerseits das Sichtbarmachen von Adaptions- und Transformationsprozessen u.a. anhand der mythisch angelegten Entenhausen-Episode Die Jagd nach der Goldmühle (Rosa 1999) durch zielführende Bild-Comic-Vergleiche. Des Weiteren sind auch das Aufgreifen von gesellschaftspolitischen und historischen Ereignissen der USA sowie Rassismusdiskurse im X-Men-Comicuniversum Thema. Es folgen ein produktiver Erfahrungsbericht über Workshops und Reflexionsgespräche mit (renommierten) Comic-Künstlerinnen und -Künstlern wie Barbara Yelin und ein Praxisbericht über hochschuldidaktische Konzepte zum Einsatz von Geschichtscomics und Graphic Novels im Unterricht.

Auch das Ausloten des Potenzials von Geographie-Comics zur Vereinfachung des Verständnisses komplexer räumlicher Strukturen, Multiperspektivität und von Mensch-Umwelt-Zusammenhängen als effektive Ergänzungen zu traditionellen Medien findet Beachtung. Das Schlusslicht bildet Knopfs reflektierter Beitrag über die Chancen des Comics für die philosophische Bildung u.a. am Beispiel von Hägar der Schreckliche (Browne 2008), in dem sie unterschiedliche Plausibilisierungsstrategien des Comics offenlegt, die den Lernenden unterschiedliche und teils verwirrende philosophische Realitätskonstruktionen u.a. am Beispiel von Descartes durch visuelle Mittel verständlich vor Augen führen.

Fazit

Dieser vielschichtige Sammelband vereint die Theorie des Comics und dessen Unterrichtspraxis auf einzigartige Weise und sollte m.E. zum Standardwerk zur Comicvermittlung im Unterricht avancieren. Die zum Großteil namhaften Beiträgerinnen und Beiträger schaffen es, den sehr schweren Bogen von der Theorie zur Praxis durch ausgeklügelte und für den Unterricht geeignete sowie z. T. auch erprobte Konzepte zu schlagen, die jede Lehrkraft sofort im Schul- und Hochschulunterricht umsetzen kann. Bei den teils empirisch angelegten Praxiserprobungen wären für valide Aussagen zur Angabe von Effektstärken hinsichtlich des Lernerfolgs mit Comics größere Probandenzahlen sinnvoll gewesen.

In Bezug auf die Werkauswahl enthält der Band wichtige neuere Erscheinungen sowie Klassiker und inspiriert so zu einer sinnvollen Erweiterung der eigenen Comic-Bibliothek. Die Analysen und Konzepte sind durch eine Vielzahl an farbigen Abbildungen bereichert, die damit nicht nur dem Medium Comic gerecht werden, sondern auch die Fallbeispiele gut nachvollziehbar machen. Dieser Sammelband würde jede Fachschaftsbibliothek der Schule und jede Hochschulbibliothek bereichern. Es ist zu hoffen, dass er auch seinen Weg dorthin findet.

Titel: Comics in der Schule. Theorie und Unterrichtspraxis
Herausgeber:
  • Name: Markus Engelns
  • Name: Ulrike Preußer
  • Name: Felix Giesa
Erscheinungsort: Berlin
Erscheinungsjahr: 2020
Verlag: Ch. A. Bachmann
ISBN-13: 978-3-96234-029-2
Seitenzahl: 390
Preis: 36 €
Engelns, Markus/Preußer, Ulrike/Giesa, Felix (Hrsg.): Comics in der Schule. Theorie und Unterrichtspraxis