Inhalt  

Die Studie gliedert sich in 16 Einzelkapitel. Zunächst wird in zwei Kapiteln (Anliegen und Vorgehen sowie Deutschlands ‚afrikanisches Jahrhundert‘) expositorisch in die Darstellungen über Afrika-Imaginationen von 1840 bis 1940 eingeführt, bevor Krobb in 14 darauffolgenden Kapiteln unterschiedliche Schwerpunkte setzt: einzelne Genres wie Reiseliteratur (Kap. 2), spezifische Thematiken (u. a. Heldenverehrung, Sklaverei und Mahdi-Aufstand, Jagdszenen, Schatzsuche, Burenkriege, Kolonialkriege, siehe Kap. 4–6, 8–12), Autoren wie Jules Verne und Mark Twain (Kap. 3) oder realhistorische Figuren wie Emin Pascha, ein bekannter Afrikaforscher sowie Gouverneur der Provinz Äquatoria im Türkisch-Ägyptischen Sudan (Kap. 7). Abschließend skizziert Krobb Kontinuitäten und Neuansätze im jugendliterarischen Feld aus postkolonialer Perspektive (Kap. 13–16). 

Das Kapitel Anliegen und Vorgehen führt in „das Profil der deutschen Afrika-Imagination“ (S. X) im jugendliterarischen Feld am Beispiel von Carl Falkenhorsts Roman Der Zauberer vom Kilima-Ndscharo (1893) ein. Einerseits stellt Krobb hier z. B. fest, dass in den Jugendromanen von 1840 bis 1940 „die Rolle und die Aufgaben des deutschen Afrikabesuchers, - bezwingers und schließlich -bewohners“ (S. 11) definiert werden. Andererseits deckt er in diesen Romanen ebenso den „Traum von der Unterwerfung des ‚schwarzen‘ Kontinents“ als „Vision von der Überformung des Fremden durch das Eigene“ (S. 12) auf. Entsprechend dieser konzeptionellen Ausgangspunkte stellt Krobb in Kapitel 1, Deutschlands ‚afrikanisches Jahrhundert‘ – Afrika im Horizont der deutschen Abenteuerliteratur von den 1840er bis zu den 1940er-Jahren, das Diskurs-, Publikations- sowie Genrespektrum unter Hinzunahme zahlreicher Sekundärtexte vor. Aufgrund der zahlreichen Sekundärtexte bietet dieses Kapitel eine fundierte und komplexe Einführung in den bislang im jugendliterarischen Bereich nur in vereinzelten (Überblicks-)Artikeln behandelten Gegenstand der Afrika-Imaginationen (S. 25ff.). Besonders hervorzuheben ist hier der literaturhistorische Einblick in die thematische Gestaltung der Afrika-Imaginationen vom Beginn der Reichsgründung bis 1945. Krobb arbeitet heraus, dass die Jugendliteratur als zeitdiagnostisches Medium auf aktuelle Ereignisse wie den Buschiri-Aufstand (1888–1890) referenzierte und diese im Medium der Fiktion modellierte. Somit liege bis 1919 „das gesamte Arsenal der abenteuerlichen Afrikaliteratur“ (S. 43) vor, das in den späten 1930er- und 1940er-Jahren eine letzte Blütezeit erlebte. In der Jugendliteratur des Nationalsozialismus wurden die Afrika-Imaginationen „mit Visionen nationalsozialistischer Mustergesellschaften“ (S. 43) verbunden, wobei der Terminus der sogenannten ‚nationalsozialistischen Mustergesellschaft‘ nicht weiter spezifiziert wird. Nach 1945 identifiziert der Verfasser eine Tradierung der bis dahin erschienenen Themen bis in die 1970er-Jahre, die zu einer „Neuaktualisierung überkommener Mentalitäten“ (S. 44) beigetragen habe. Diese Entwicklung und Tradierung von Erzählmustern ließen sich beispielsweise in der Raumdarstellung nachvollziehen, die sich in den „Übergangsräumen zwischen ‚Zivilisation‘ und ‚Wildnis‘ formiert“ (S. 46) hätten. Nach einem Einblick in die Bedingungen der Produktion und in die Literaturgeschichte widmet sich das vorletzte Unterkapitel des ersten Kapitels den Gattungsfragen. Krobb konstatiert hier, dass Afrika-Imaginationen genrehybrid seien, sodass die Kolonialliteratur – „außer über den Schauplatz der Handlung“ – „nicht als einheitlicher Typus definiert werden“ (S. 49) könne. 

Ausgehend von dieser umfangreichen Einführung in das Spektrum der Afrika-Imaginationen in der deutschen Kolonial-/Abenteuerliteratur von 1840 bis 1940 geht der Autor anschließend in 15 Kapiteln auf das thematische, genretypologische und exemplarische Untersuchungskorpus ein. Die thematischen Kapitel wie über die Sklaverei und den Mahdi-Aufstand (Kap. 4) verorten heute vergessene –  wie z. B. Uncle Tom’s Cabin (1852) – sowie kanonische Jugendromane – wie Carl Falkenhorsts Ein afrikanischer Lederstrumpf (1888-89) – zunächst sozialgeschichtlich, bevor die einzelnen Romane analysiert werden. Positiv hervorzuheben ist der präzise Umgang mit den Begriffen und die damit zum Teil einhergehenden Differenzierungen. So untergliedert der Autor den Begriff der Sklaverei z. B. in Sklavenjagd, -haltung, -schicksal oder -handel (vgl. S. 153). Die thematischen Kapitel erheben jedoch nicht den Anspruch, einzelne Romane im Sinne eines close reading ausführlich zu betrachten. Krobb deckt vielmehr aus synchroner Perspektive Erzählmuster und ihre Entwicklung auf. Die Erzählmuster über die Sklaverei untersucht er beispielsweise in Exempelgeschichten/ Sklavenberichten (Moritz Schlimperts Peter Dumont’s Geschichte seiner vier und dreißigjährigen Sclaberei in Africa [1848], Gustav Nieritz‘ Die Negersklaven und der Deutsche [1841]) oder in Abenteuergeschichten (Carl Falkenhorsts Ein afrikanischer Lederstrumpf [1889], Karl Mays Im Lande des Mahdi [1891-93]). Krobb kommt zu dem Ergebnis, dass die Sklaverei ein „Hauptmotiv des deutschen Afrikadiskurses“ (S. 158) sei. Die Facetten des Motivs seien vielseitig und stellen unter anderem Sklaverei als „ein Problem anderer“ (S. 161) oder als Verfolgungs- und Bestrafungshandlung“ (S. 166) dar. Der Autor zeigt damit aus vergleichender Perspektive auf, wie Erzählmuster variieren und fortgeschrieben werden. 

Neben diesen thematischen Kapiteln wendet sich Krobb auch vertiefend einigen Romanen und realhistorischen Figuren, wie dem deutschen Arzt und Kolonialadministrator Eduard Schnitzer alias Emin Pascha, in separaten Kapiteln ausführlicher zu. Seine Ausführungen zu Pascha beginnt der Autor mit einer Darlegung der Biografie, bevor unterschiedliche jugendliterarische Verarbeitungen betrachtet werden: unter anderem Karl Mays Die Sklavenkarawane (1890), Conrad Fischer-Sallsteins Emin Pascha (1890) und Marie Elisabeth Plehns Emin Pascha, der Vater der Äquatorial-Provinz (1895). In den Einzelanalysen geht Krobb diskurstheoretisch vor, indem er schaut, wie oft und in welchen Kontexten Pascha als Figur eingesetzt wird. Abermals aus einer vergleichenden Perspektive wird anschließend aufgezeigt, dass die Darstellung der realhistorischen Person Pascha im Jugendroman „einen Wendepunkt im deutschen Afrikadiskurs markierte“ (S. 193), da Pascha zur „Projektionsfläche für verschiedene kulturelle Aspekte“ (ebd.) wurde. 

Kapitel, die sich den einzelnen Genres wie etwa der Reiseliteratur (Kap. 2) zuwenden, gehen ausgehend von einer terminologischen Rekapitulation der Reise in Abgrenzung zum Abenteuer vor, um entsprechende genretypologische Merkmale wie die Entdeckungsreise oder das Durchleben von Herausforderungen herzuleiten (vgl. S. 56). Ein darauf folgender literaturhistorischer Einblick in die jugendliterarische Reiseliteratur kontextualisiert zum einen ihre Ausrichtung (ihre „aufklärerische und philanthropologisch-pädagogischen Anliegen“ [S. 58]). Zum anderen setzt Krobb sich mit speziellen Sonderformen wie der Reiseberichtsliteratur auseinander. Hier geht er meistens kursorisch auf mehrere Romane ein, um sich den genretypologischen Merkmalen vertiefend anzunähern. Insgesamt geben die Ausführungen einen fundierten literaturhistorischen Überblick

Kritik  

Bereits die Gliederung der einzelnen Kapitel weist auf die diachrone und umfassende Perspektivierung der Afrika-Imaginationen hin. Die Ausführungen zeugen – neben einer reichhaltigen Materialbasis und einer dezidierten Einbindung von (kinder- und jugend-)literarischen Sekundärquellen – von einem sensiblen Umgang mit der Terminologie, wie bereits eingangs erwähnt beispielsweise über Kultur oder Zivilisation (vgl. S. 153). Die umfangreiche Materialbasis wird mit Bezug auf die histoire untersucht, um die Entstehung, die Entwicklung und den Wandel von Erzählmustern zu skizzieren. Fragen der Textgestaltung und der ästhetischen Inszenierung werden zum Teil erwähnt, wenn auch aufgrund der diachronen Perspektivierung nur vereinzelt. Stattdessen wird durchgehend mit Bezug auf sozialgeschichtliche Aspekte die Funktion und die Verwendung der Erzählmuster für die Afrika-Imaginationen herausgestellt (vgl. u. a. S. 350ff.). Das zeigt unter anderem das Kapitel zur Verwendung und Änderung der Erzählmuster über Afrika während der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus (siehe Afrika postimperial; S. 347ff). Der fundierte Einblick in die Geschichte der Afrikadarstellungen von 1840 bis 1940 wird abgerundet, indem nicht nur auf die Wiederholung und Änderung von Erzählmustern verwiesen wird, sondern Leerstellen in der Darstellung des Schauplatzes Afrika – etwa klimatische Bedingungen (vgl. S. 433), fehlende Hybridisierungen (vgl. S. 434) oder Genderaspekten wie geschlechtliche Sinnlichkeit und weibliche Selbstbestimmung (vgl. S. 434–435) – aufgeführt werden. 

Fazit  

Mit Florian Krobbs „Afrikas Zukunft“ – Jugend- und Abenteuerliteratur in Deutschlands ‚afrikanischem Jahrhundert‘ (ca. 1840-1940) liegt insgesamt ein einführendes Kompendium in thematische, sozial- und diskursgeschichtliche Perspektiven über Afrika-Imaginationen vor, das Anreize für weitere Forschungsarbeiten bietet. Denn auch heutige Imaginationen über Afrika, die beispielsweise im Zuge der Black Lives Matter Bewegung in aktuellen Kinder- und Jugendmedien wiederzufinden sind, greifen auf historische, kulturelle Wissensbestände und Sichtweisen zurück, die sich seit 1840 in Jugendromanen gebildet haben und seitdem weitergereicht, modifiziert und verfestigt wurden. Kurzum: „Afrika ist ein deutsches Master-Narrativ, dessen Langlebigkeit genauso erstaunlich ist wie seine chronologische und soziale Reichweite“ (S. 427) – und wer eine Reise, oder besser gesagt ein Abenteuer, zurück machen möchte, dem ist diese Monografie nur zu empfehlen! 

Literaturverzeichnis

Krobb, Florian: Vorkoloniale Afrika-Penetrationen. Diskursive Vorstöße ins 'Herz des großen Continents' in der deutschen Reiseliteratur (ca. 1850-1890). Frankfurt am Main: Peter Lang, 2017. 

Krobb, Florian: Aufbruch nach Afrika. Studien zur deutschen Anverwandlung eines kolonialen Raumes (ca. 1850-1940). Münster: LIT, 2021. 



Titel: „Afrikas Zukunft“. Jugend- und Abenteuerliteratur in Deutschlands ‚afrikanischem Jahrhundert‘ (ca. 1840-1940)
Autor/-in:
  • Name: Florian Krobb
Erscheinungsort: Würzburg
Erscheinungsjahr: 2021
Verlag: Königshausen & Neumann
ISBN-13: 978-3-8260-7399-1
Seitenzahl: 480
Preis: 49,80€
Buchcover zu Florian Krobbs Monografie