Inhalt
Der Band von Natalie Beck aus der Reihe Literatur – Medien – Didaktik im Verlag Frank & Timme steht im Kontext einer interkulturellen Literaturdidaktik und damit im Zeichen der Cultural und Postcolonial Studies, die vor allem auf poststrukturalistischen Theorien beruhen. In der auf eine Masterarbeit zurückgehenden Monografie wird neben einer rassismussensiblen Perspektive auf unterschiedliche Medien gleichzeitig die Diversität in den Fokus gestellt.
Beck bietet zu Anfang einen Überblick über die Geschichte des Rassismus, die Forschung zum Weißsein sowie verschiedene Rassismustheorien, bevor sie zum Trilemma des Anti-Rassismus gelangt. Hierbei handelt es sich um eine Konzeptualisierung der Begriffe Empowerment, Normalisierung und Dekonstruktion, die ihren Namen der Tatsache verdankt, dass niemals alle drei Phänomene gleichzeitig Beachtung finden können. Im Anschluss untersucht sie das Bilderbuch Wie ich Papa die Angst vor Fremden nahm (2023) von Rafik Schami und Ole Könnecke, das Hörbuch Bibi Blocksberg – Abenteuer Indien (2017) von Doris Riedel sowie den Film Bibi & Tina – Tohuwabohu Total (2017) von Detlev Buck jeweils im Hinblick auf ihre didaktischen Implikationen für die Entwicklung von Rassismussensibilität in der Grundschule.
Die mediendidaktische Perspektive wird durch eine Vielzahl didaktischer Überlegungen eingeleitet, die Begriffe wie literarische Kompetenz und literarisches/literarästhetisches Lernen einordnen, machtkritischen Literaturunterricht sowie Selbst- und Standpunktreflexion beleuchten und mit Gedanken zur Unterrichtsplanung und methodischen Implikationen abschließen. Mit diesen breiten theoretischen Grundlagen werden die drei Werke in einer didaktischen Analyse im Anschluss erneut beleuchtet. Dabei fließen Überlegungen aus der vorherigen literaturwissenschaftlichen Analyse sowie Impulse zur Umsetzung im Unterricht in die Betrachtung ein.
Kritik
In der Einleitung weist Beck auf die Relevanz des Themas gerade auch für den Grundschulkontext hin, denn bereits Werke, "die an Grundschulen rezipiert werden, enthalten rassistische Inhalte" (S. 12). Jedoch geht es der Autorin weniger um die Untersuchung "explizit rassistische[r] Aussagen" (S. 12), sondern um Medien, "die sich als rassismussensibel oder diversitätsorientiert ausgeben" (S. 12). So lässt sich beobachten, dass Becks Untersuchung einen dekonstruierenden Charakter innehat, der nicht nur nach rassistischen Äußerungen auf der Textoberfläche sucht, sondern in die "Tiefenstruktur" (S. 12) der Medien vordringt, um subversive rassistische Mechanismen, vor allem auf Ebene der Figuren, aufzuzeigen.
Damit dies gelingen kann, gibt Beck eine äußerst sorgfältige Einordnung in das Forschungsfeld. Sie stellt dabei heraus, dass "wesentliche koloniale Machtbeziehungen, Kategorien, Diskurse und Vorstellungen nicht an die Zeiten formaler Kolonialherrschaft gebunden" sind (S. 24). Diese Erkenntnis verdeutlicht noch einmal die Aktualität der Thematik. Besonders positiv hervorzuheben ist zudem die Erklärung für ihre Untersuchung wichtiger Begriffe wie PoC und *Schwarz (vgl. S. 25–26), die auch in diesem Feld weniger versierten Leser*innen die Möglichkeit geben, an der Lektüre teilzuhaben. Zwar ließe sich über die marginale kritische Reflexion der Übertragung von US-amerikanischen Rassismustheorien in den deutschsprachigen Raum diskutieren, jedoch ermöglichen gerade diese Theorien einen Blick aus zwei Perspektiven auf die Problematik. Die theoretischen Überlegungen resultieren schließlich in der Folgerung, dass es neben der Norm immer das davon abweichende '*Andere' gebe, was in der Dichotomie Norm vs. '*Anderes' resultiere (vgl. S. 37). Mit dieser Dichotomie bringt Beck ihre zuvor detailliert formulierten Überlegungen schließlich auf eine Minimalerkenntnis, die während der gesamten Analyse als Schablone dient und vor deren Hintergrund sich die Medien untersuchen lassen.
Die detailreiche und scharfsinnige Analyse der Medien stellt vor allem die Machtachsen in den verschiedenen Gegenständen heraus, die sich immer durch eine Untersuchung der Figurenperspektiven auszeichnen. So wird etwa aufgezeigt, inwiefern durch die Inszenierung der *weißen und *Schwarzen Figuren vor allem auf der Bildebene, aber auch im intermodalen Zusammenhang, die ungleiche Machtverteilung im Bilderbuch Wie ich Papa die Angst vor Fremden nahm inszeniert wird, indem etwa der Vater im Bild stets weiter oben und das Kind weiter unten dargestellt wird (vgl. S. 45).
Im Hörbuch Bibi Blocksberg – Abenteuer Indien wird zur Darstellung der Machtachsen und der Figurencharakterisierung vor allem auf das 'Racevoicing' Bezug genommen. So ist die Sprache der indisch gelesenen Figuren im Hörbuch "durch eine fehlerhafte und unvollständige Satzstruktur, eine Übernahme des stereotypisch indischen Sprechrhythmus‘ […] und das übermäßige Simulieren eines gerollten R-Lautes" gekennzeichnet (S. 54). Beck hebt hervor, dass die Wörter im zugrundeliegenden Roman allesamt richtig geschrieben seien und es sich demgemäß bei der Intonation um "eine reine Interpretationsleistung" handele (S. 54).
Zuletzt wird der Film Bibi & Tina – Tohuwabohu Total in den Blick genommen. Im Film spielen sowohl die bildliche Ebene als auch die Sonosphäre eine Rolle, die somit die Ebenen der vorangegangenen Medien verknüpfen. Im Film ist das 'Racevoicing' ebenso zentral wie die Kameraperspektive der *weißen Figuren im Vergleich zu den '*Anderen'. Besonders repräsentativ ist hierfür die Anfangsszene des Films, in der die Figur Adea, im Gegensatz zu Bibi und Tina, durch eine subjektive Kameraperspektive eingeführt wird, die ihr Rätselhaftigkeit unterstellt (vgl. S. 62–63).
Durch die Analyse der verschiedenen Medien zeigt Beck eindrucksvoll die unterschiedlichen Dimensionen auf, in denen sich rassistische Stereotype rekonstruieren lassen. Zwar wäre eine intensivere Reflexion der Werke in Bezug auf ihre medialen Eigenarten wünschenswert, um die jeweiligen Chancen und Grenzen stärker zu beleuchten, jedoch stellt die Analyse in allen drei Beispielen heraus, dass dort auf unterschiedliche Weise 'Othering' betrieben wird.
Die anschließende didaktische Theoriebildung ist vielschichtig und auf die behandelten Gegenstände zugeschnitten. So verweist Beck auf die Erweiterung des Begriffs 'literarisches Lernen' zum literarästhetischen Lernen, das verschiedene Medien mit einbezieht. Sie spricht sich zudem explizit für die Angemessenheit von Genussfähigkeit im rassismussensiblen Literaturunterricht aus. Schließlich "geht es nicht darum, die Schüler:innen moralisch zu indoktrinieren und richtige und falsche Verhaltensweisen festzustellen. Stattdessen soll die dargestellte Welt erkundet, erlebt und auch hinterfragt werden" (S. 80). Im Hinblick auf die Nachzeichnung der Machtachsen in den drei Werken wird diese Analyse nun bezüglich des machtkritischen Literaturunterrichts eingeordnet. Beck vertritt dabei die These, dass "[e]in Text, der gerade nicht rassismuskritisch bzw. machtkritisch ist und demnach den Rassismus in unserer Gesellschaft abbildet […], bei rassismussensibler didaktischer Umsetzung dennoch zum Hinterfragen von eingeschriebenen Normen, Werten und Konstrukten dienen" kann (S. 82).
Die verschiedenen literatur- und mediendidaktischen Ansätze weisen ein Panorama auf, in dem der literarische Gegenstand sich im Spannungsverhältnis von Nähe und Distanz befindet und eine nicht-immersive Lesart "als Schlüssel zu einem machtkritischen Umgang mit problematischen Gegenständen" (S. 85) dienen kann. Auf diese Weise stellt Beck konkrete Ansatzpunkte für einen Umgang mit derartigen Werken im Literaturunterricht vor. Auch die Hinweise zur Methodik und Unterrichtsplanung werden im Hinblick darauf sinnvoll ergänzt und gewinnbringend eingebettet.
Der zweite Blick auf die Gegenstände bringt schließlich die vielfältigen und unterschiedlichen Perspektiven zusammen und formuliert mithilfe verschiedener Leitfragen mögliche Zugänge zu den verschiedenen Medien. Die Fragen ermöglichen einen distanzierten Blick, der eine Sensibilität für rassistische Stereotype schult und dabei doch subtil vorgeht. So wird etwa zum Film Bibi & Tina – Tohuwabohu Total der Fokus auf die Darstellung der unterschiedlichen Figuren gelegt (vgl. S. 119), die sich durch mögliche Oppositionstabellen darstellen lassen.
Fazit
Natalie Becks Monografie ermöglicht eine Verbindung der Entwicklung literarischer Kompetenzen und literarischen/literarästhetischen Lernens im Hinblick auf eine rassismussensible Perspektive auf die ausgewählten Werke. Besonders hervorzuheben ist, dass Beck niemals die schulische Zielperspektive der Kompetenzorientierung aus dem Blick verliert, gleichzeitig jedoch auch die Gegenstände angemessen zu würdigen weiß. Die umfassende theoretische Einbettung sowohl der aktuellen Forschungslage als auch der ausgewählten literaturdidaktischen Grundlagen ermöglicht eine fundierte Untersuchung der verschiedenen Beispiele. Durch die Auswahl von drei Werken unterschiedlicher medialer Formate erhalten die theoretischen Überlegungen auf verschiedene Weise und mit unterschiedlichem Fokus eine exemplarische Übertragung.
- Name: Natalie Beck