Inhalt und Kritik

Literaturausstellungen rückten in den letzten Jahren in den Fokus des didaktischen Interesses, was mehrere Gründe hat. Zum einen emanzipieren sie sich mehr und mehr vom reinen Dichtergedenken (die rein männliche Form ist hier sinnvoll) und avancieren zu Events mit künstlerischem oder auch kulturgeschichtlichem Anspruch, zum anderen sind sie ein Indikator für die zunehmende Entfernung der Gesellschaft vom Gegenstand Literatur als einer ‚Leseaufgabe’– im Rahmen der Ausstellung schiebt sich ein vermittelndes Etwas zwischen Rezipienten und Produzenten. Die Anlage dieser Vermittlungstätigkeit, das Wie also, kann in der Regel formal beschrieben und kategorisiert werden. Dass eine solche analytische Arbeit ergiebig sein kann, beweisen nicht nur groß angelegte und höchst professionelle Ausstellungen und Arrangements wie die der Klassik Stiftung Weimar oder des Literaturmuseums der Moderne (LiMo) in Marbach, die sich im Team mit der Theorie der Gegenwart anpassen, sondern auch Ausstellungen mit geringerer Reichweite wie das Raabe-Haus in Braunschweig oder die Burg Hülshoff in Havixbeck. Begleitend erschienen in den letzten Jahren monographische Großentwürfe zur analytischen Bewältigung der Vielzahl an Möglichkeiten, Dichterinnen, Dichter und ihre Literatur zu visualisieren, man denke nur an Paul Kahls Die Erfindung des Dichterhauses. Das Goethe-Nationalmuseum in Weimar – Eine Kulturgeschichte aus dem Jahr 2015, Anna Rebecca Hoffmanns An Literatur erinnern. Zur Erinnerungsarbeit literarischer Museen und Gedenkstätten aus dem Jahr 2018 oder eben jüngst Sebastian Bernhardts Literarästhetisches Lernen im Ausstellungsraum. Literaturausstellungen als außerschulische Lernorte für den Literaturunterricht (2023). Als einziger in diesem Trio widmet sich Bernhardt seinem Gegenstand aus didaktischer Perspektive, jedoch – und dies ist ausdrücklich lobend zu erwähnen – nie ohne kulturwissenschaftliche Grundierung. Der Autor und Herausgeber des hier zu rezensierenden Bandes hat eine nicht unwesentliche Zeit seines beruflichen Lebens den Ausstellungen besonders im Buddenbrookhaus in Lübeck gewidmet, dem entsprechend ist eine aus dieser Praxis womöglich resultierende Involviertheit dem Band und seinem Vorwort anzumerken. 

2025 organisierte Bernhardt in Münster die große Tagung Literarästhetisches Lernen außerhalb des Klassenzimmers, aus der zwei dokumentierende Bände hervorgingen, deren grundlegender hier zu betrachten ist. Offensichtlich stand die Tagung in einem auch durch seine Habilitationsschrift grundierten Interesse, was man dem kundigen Vorwort anmerkt. Zunächst zum äußeren Rahmen: Der Band ist in der von Bernhardt bei Frank&Timme herausgegebenen Reihe Literatur – Medien – Didaktik erschienen. Er ist sehr sorgfältig lektoriert und kommt mit einem anregenden Layout in der Printausgabe daher (beides keine Selbstverständlichkeit mehr!). Schriftbild und Grafik- wie Bildabdruck sind ansprechend und offensichtlich auch (noch) für ein printorientiertes Publikum geschaffen. Neben dem erwähnten umfangreichen einleitenden Beitrag Bernhardts (fast 60 Druckseiten!) offeriert der Band grundlegende, in der Regel kulturwissenschaftlich ausgerichtete Reflexionen in fünf Beiträgen zu Geschichte, Systematik, Funktion und Intention von Literaturausstellungen auf etwa 160 Seiten, danach etwa 110 Seiten und vier Beiträge zum Fokus ästhetischer Erfahrung in Literaturausstellungen, schließlich noch zwei Beiträge zu digitalen Formaten. Da der Band wenig didaktisch ausgerichtet ist, sind auch Beiträgerinnen und Beiträger aus dem Bereich der akademisch geprägten Didaktik seltener vertreten – nur ein Beitrag (Lis Hansen) stellt neben dem einleitenden Beitrag Bernhardts deutliche Bezüge zum außerschulischen Einsatz von Literaturausstellungen auf.

Dieser einleitende Beitrag des Herausgebers referiert die derzeitige Diskussion zu Definition und Systematik von Literaturausstellungen, setzt einen an die Habilitationsschrift anschließenden, innovativen Akzent und reflektiert solches schließlich auch didaktisch. Der Verfasser kann angesichts einer Fülle von bereits erschienen Einzelbeiträgen aus seiner Feder und der genannten Monografie aus dem Vollen schöpfen – der Beitrag bietet also einen informativen, erschöpfenden und kundigen Überblick zum Thema. Der innovative Akzent liegt in der Bewusstmachung der Nicht-Identität von Präsentieren und Zeigen. Während letzteres ein Akt der Deixis ist und auf etwas Bestehendes, Anwesendes hinweist (also einen materiellen Träger aus anderen materiellen Trägern heraushebt), kann ersteres durchaus auch den Aspekt des Konstruierens, Erschaffens auf sich vereinen: Die Literaturausstellung erschafft also etwas sonst gar nicht zu Zeigendes. Soll sie ästhetisch erfahrbar sein, kann sie nicht auf Trägermedien reduziert werden, sondern ereignet sich im geistigen Raum eines Dazwischen. Ein solcher Raum ist zunächst buchstäblich räumlich (Literaturausstellungen sind in der Regel in Räumen organisiert), ist auch szenografisch und erfahrungsweltlich verankert, ist symmedial und oft (nicht notwendig) narrativ. Der folgende Großabschnitt ist den hinlänglich bekannten Typen von Ausstellungen gewidmet; er referiert auch durch die Integration von Bildmaterial verschiedene Facetten von Literaturausstellungen. Die museale Aufbereitung von Literatur, beginnend mit dem Schillerhaus im 19. Jahrhundert, eröffnet im Rahmen des Personenkultes mit der Präsentation von Trägermedien (Handschriften, Geburtsurkunden, etc.), die auch in Archivausstellungen (einziges Beispiel erwartungsgemäß das LiMo) eine große Rolle spielen. Andere Typen bemühen sich um die Inszenierung des Rezeptionsaktes (Kleist-Museum, teils sicherlich auch das Kafka-Museum in Prag), um die Erfahrung des Lesens solcher Texte und ihre beklemmende Wirkung zu veranschaulichen. Natürlich wird auch handfest interpretiert, wie im Buddenbrookhaus (Veranschaulichung von Raumbeschreibungen Manns) – hier werden auch verschiedene Dauer- oder Laborausstellungen thematisiert, zu denen der Verfasser einen guten Zugang hatte. Im Rahmen eines an ästhetischen Erfahrungen interessierten Ansatzes muss es auch um Sprache gehen, die letztlich das Material ist, an dem sich eine solche entzündet. Hier bleibt der Beitrag etwas bedeckt, wohl, weil sich an dieser Stelle tatsächlich die Grenzen des Ausstellbaren zeigen – dazu müsste man lesen… Die didaktische Kontextualisierung im letzten Abschnitt fällt mit 10 Seiten erstaunlich lang aus, gemessen an der Tatsache, dass zumindest in diesem Band das Arbeiten mit Kindern und Jugendlichen kaum einen Platz hat. Ausstellungen sind nicht im Rahmen eines kompetenzorientierten Unterrichtens verortbar, darauf weist Bernhardt entschieden und zu Recht hin – sie haben keine messbaren Effekte, sondern fördern den ästhetischen Modus, den der derzeitige Literaturunterricht, dem Fetisch der Messbarkeit ausgeliefert, weitgehend ignoriert. Er summiert andere Effekte wie Irritation oder Affektion auf, legt Wert auf die Entrationalisierung von Literatur (keine Suchaufträge, Schnitzeljagden, digitale Stadtrallyes), um ihr den Zauber nicht zu nehmen. Dennoch: Lesen müssen wir, oft zum Leidwesen aller zu Beschulenden. Literaturausstellungen ohne Lektüre sind auch für Bernhardt sinnlos, denn Anschauungen ohne Begriffe sind blind. 

Der erste Abschnitt des Bandes wird von einem Beitrag von Daniel Tyradellis eröffnet, der eine philosophische Grundlegung des Kuratierens schafft, dabei poststrukturalistisch-sprunghaft argumentiert, diese eher assoziative Reihung jedoch selbstreflexiv kommentiert (vgl. S. 76). Nietzsches Figur des Seiltänzers aus dem Zarathustra (1883) steht hier für das, was Ausstellungen leisten können, gerade im Widerpart zum Bildungsformalismus, der bei Nietzsche in der Figur des Possenreißers angedacht ist (der didaktisch Kundige denkt sogleich an die oben referierten Ausführungen Bernhardts). Das fragile Austarieren ist es, jederzeit absturzgefährdet, das die „genuine Vielsprachigkeit“ (S. 75) erlaubt, und nicht die „auf Hörigkeit basierende Bildung“ (S. 71) ins Werk setzt. Ein anregender, intellektueller Hochgenuss ist dieser Beitrag!

Hans Wißkirchens folgender Aufsatz referiert kundig die Geschichte des literaturmusealen Ausstellens, ansetzend am Weimarer Arkanum mit der Dichtersakralisierung und -nationalisierung im 19. Jahrhundert. Das LiMo steht als Gegenmodell für die auch immaterielle Ausstellung; Wißkirchen beendet den Beitrag mit dem Buddenbrookhaus in Lübeck als Beispiel für die einmalige Beziehung zwischen Biographischem und Literarischem. Esther Köhrings Folgebeitrag liefert indes direkt die Gegenfolie, indem sie auf die maskulin-patriarchalische Kanonisierungspraxis von Literaturmuseen des Typs Wißkirchen hinweist. Solche Institutionen reproduzierten „koloniale Machtstrukturen“ (S. 103), indem vor allem (das wird im Beitrag mantramäßig wiederholt) dichtende Frauen nicht ausgestellt werden. Die Verfasserin weist auf punktuelle studentische Kritik an solchen Ausstellungen hin und stellt eigene, ‚anti-patriarchalische’ Versuche vor, die in vielerlei Hinsicht an Glotz / Langenbuchers Versäumte Lektionen aus den 1960er Jahren erinnern. 

Christine Ott und Susann Bremer schließen den ersten Abschnitt mit einem Beitrag über die offene Frage der Narrativität von Ausstellungen. Eine dichte Beschreibung von 13 Ausstellungen hilft, ein Kategorienmodell entlang des Narrativitätsgrades von Ausstellungen aufzustellen; es zeigt sich, dass Narrativität zwar meist vorhanden ist, jedoch in unterschiedlichen Abstufungen. 

Im zweiten und dritten Teil des Sammelbandes sind ganz unterschiedliche Präsentationen versammelt, teils bestehende vorstellend-referierende und teils sehr individuell-persönliche Einsichten in das Ausstellungswesen (Bösenberg / Gfrereis) – zu heterogen, um hier summierend rezipiert zu werden. Wo Anne Bösenberg und Heike Gfrereis wahrnehmungsphilosophisch und subjektiv den Wert des Ausstellens im Wechseldialog inszenieren, dabei im Anschluss an Rosas Resonanz-Theorem konstatieren, dass ästhetische Literaturrezeption gleichzusetzen sei mit dem Umgang mit einem geliebten Menschen, gehen Eva-Maria Dichtl und Henriette Hoppe auf Mitmachausstellungen für Kinder am Beispiel Die kleine Hexe und Frank Steinwachs auf das Museum Wolfram Eschenbach ein. Sie stellen deren Konzeptionen auch flankiert durch viel Bildmaterial eindringlich vor, ähnlich auch Swen Schulte Eickholt mit dem einzigen nicht-deutschen Beispiel: Orhan Pamuks Museum der Unschuld in Istanbul. Die Beiträge von Lis Hansen und einem AutorInnen-Team von der Burg Hülshoff beschreiben am Ende des Bandes Beispiele für die Digitalisierung von Ausstellungen, die sich insbesondere an Schülerinnen und Schüler wenden: das Faust-Jahr 2025 der Klassik Stiftung und die Neukonzeption der Burg Hülshoff. Beiden gemein ist die Abwendung von der historischen Inszenierung, die den Betrachter in die Entstehungszeit klassischer Literatur versetzen will, dabei oft nur prätendierend, das Gezeigte sei das Authentische (drei Sterbebetten der Droste sind in Deutschland verteilt, selbstverständlich postuliert jedes Echtheit). Ob in Weimar oder Havixbeck bei Münster: Viel Zeitgenössisch-Historisches fließt in die heiligen Hallen, das möglicherweise erst viel später zu Inszenierungszwecken hinzugefügt wurde, wie beispielsweise die Häkelgardinchen in Christianes Räumen, offensichtliche DDR-Ware. Ob freilich der Transfer in den virtuellen Raum am Ende des postfaktischen Zeitalters mit der Eskamotierung von Aura eine gangbare Lösung auch für die Arbeit mit Jugendlichen darstellt? Bernhardt machte in der Einleitung deutlich, dass das Präsentische ein unhintergehbares Moment des Präsentierens ist. Freilich, ästhetische Wahrnehmung ist kaum an analoge Trägermedien gebunden, hinzu kommt aber auch in Vermittlungskontexten (an Schule und Universität) möglicherweise anderes und mehr: das historische Bewusstsein, der Respekt, das Nachempfinden, auch wenn das Gezeigte sich möglicherweise nie so ereignet hat, oder Goethes Mobiliar durch Buchenwalds KZ-Häftlinge vor der roten Armee in Sicherheit gebracht wurde. 

Fazit

Die Beiträge des eher an HochschulgermanistInnen gerichteten Bandes geben zu denken, vor allem hinsichtlich der vermittelnden Dimension der Literaturausstellung – gleichgültig, ob es um erwachsene oder jugendliche AdressatInnen geht. Ersetzt die Reflexion über die Ausstellung in der Theorie und der Eventcharakter immer durchdachterer Ausstellungen in einer Gesellschaft ohne Muße das, worum es geht, nämlich die ästhetische Erfahrung mit Literatur? Wie gesagt, Bernhardt warnt völlig zu Recht eingangs vor diesem Effekt. Letztlich würde dies bedeuten, dass etwas als Mittel Gedachtes zum Selbstzweck wird, möglicherweise also den Gang der Kulturgeschichte wiederholend, in dem beispielsweise das Design allmählich zum künstlerischen Objekt avancierte. Können Ausstellungen tatsächlich helfen, vor allem Jugendliche zum Lesen zu bringen, indem sie zeigen, dass auch Historisches interessant sein kann und mit Alltagswelten verwoben sind, Dichterinnen und Dichter Sterbliche waren, die über Themen nachdachten, die den Menschen betreffen, solange er Mensch ist? Wir werden es kaum in Erfahrung bringen, jedoch zeigt dieser Band insgesamt auf gelingende Weise, dass unser Nachdenken darüber lohnt in einer Zeit, in der es das literarische Lesen schwer hat. Ein kleiner Wermutstropfen angesichts der groß angelegten Doppelbändigkeit des Projekts scheint auf in der fehlenden Internationalisierung (mit oben genannter Ausnahme): Wie machen es andere Kulturnationen mit der Ausstellung des literarischen Erbes? Sind wir auch diesbezüglich angesichts massiver Kritik an Präsentismen, Kolonialismen und Patriarchalismen vorschnell und erschaffen gerade die nächsten hässlichen Bauruinen der 1970er Jahre?

Literaturverzeichnis

Bernhardt, Sebastian: Literarästhetisches Lernen im Ausstellungsraum. Literaturausstellungen als außerschulische Lernorte für den Literaturunterricht. Bielefeld: transcript, 2023.  

Hoffmann, Anna Rebecca: An Literatur erinnern. Zur Erinnerungsarbeit literarischer Museen und Gedenkstätten. Bielefeld: transcript, 2018. 

Kahl, Paul: Die Erfindung des Dichterhauses. Das Goethe-Nationalmuseum in Weimar – Eine Kulturgeschichte. Göttingen: Wallstein, 2015.

Titel: Literaturausstellungen und Vermittlung. Transdisziplinäre Perspektiven
Herausgeber:
  • Name: Sebastian Bernhardt
Erscheinungsort: Berlin
Erscheinungsjahr: 2025
Verlag: Frank & Timme
ISBN-13: 978-3-7329-1175-2
Seitenzahl: 346
Preis: 49,80€
Türkises Buchcover zu Sebastian Bernhardts Sammelband